TE Vwgh Erkenntnis 1992/3/9 91/19/0094

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.03.1992
beobachten
merken

Index

40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §66 Abs4;
VStG §24;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Zeizinger und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des C, zuletzt in D, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in B, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 26. Februar 1991, Zl. III-4033/90, betreffend Bestrafung wegen Übertretung des Fremdenpolizeigesetzes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. In der vom Gendarmerieposten Hard an die Bezirkshauptmannschaft Bregenz erstatteten Anzeige vom 30. Mai 1990 lautet die "Darstellung der Tat" wie folgt:

C hielt sich am 30.5.1990 um 20.10 Uhr vor dem Haus H, X-Straße auf und konnte bei einer Kontrolle weder einen gültigen Reisepaß noch einen Sichtvermerk vorweisen.

Weiters hat es C unterlassen, sich im Bundesgebiet ordnungsgemäß anzumelden, obwohl er sich nach eigenen Angaben bereits seit ca. fünf Monaten in Österreich aufhält. C wurde am 30.5.1990 um 20.23 Uhr zum Zwecke der Vorführung vor die Behörde festgenommen.

2. Nach der mit dem Beschwerdeführer aufgenommenen Niederschrift vom 31. Mai 1990 hat dieser "ein Geständnis abgelegt, die in der Anzeige näher beschriebenen Verwaltungsübertretungen nach 1) § 23 Abs. 3 PG, 2) § 40 Abs. 3 PG am ... begangen zu haben".

Nach dem mündlich verkündeten Straferkenntnis vom 31. Mai 1990 wurden wegen dieser Verwaltungsübertretungen gemäß

1) § 22 Abs. 1 PG und 2) § 40 Abs. 2 PG Geldstrafen von jeweils

S 1.000,-- verhängt.

3. Mit Bescheid vom 26. Februar 1991 gab die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg (die belangte Behörde) der Berufung des Beschwerdeführers "insoweit Folge, als das Straferkenntnis hinsichtlich der Übertretung nach § 22 Abs. 1 i.V.m. § 40 Abs. 2 Paßgesetz behoben und das Strafverfahren diesbezüglich eingestellt wird". Im übrigen wurde der Spruch des erstinstanzlichen Straferkenntnisses insoferne "berichtigt bzw. konkretisiert", als er zu lauten habe:

"Sie hielten sich seit Ihrer Einreise am 14.11.1989 vom 15.2.1990 - somit nach Ablauf der dreimonatigen sichtvermerksfreien Aufenthaltsberechtigung - bis zum 31.5.1990 im österreichischen Bundesgebiet auf, obwohl Sie nicht im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung waren.

Sie haben dadurch eine Verwaltungsübertretung gemäß § 14b Abs. 1 Z. 4 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z. 2 Fremdenpolizeigesetz 1954 begangen. Über Sie wird daher gemäß § 14b Abs. 1 FPG eine Geldstrafe in der Höhe von S 1.000,-- verhängt. ..."

Begründend führte die belangte Behörde aus, für sie stehe fest, daß der Beschwerdeführer am 14. November 1989 sichtvermerksfrei nach Österreich eingereist sei und sich seit Ablauf der dreimonatigen sichtvermerksfreien Aufenthaltsberechtigung, somit seit 15. Februar 1990 nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Soweit dem Beschwerdeführer vorgeworfen worden sei, er könne keinen gültigen Reisepaß vorweisen, sei das Tatbild nicht erfüllt und das Strafverfahren daher einzustellen.

4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

II.

1. Gemäß § 24 VStG in Verbindung mit § 66 Abs. 4 AVG hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid (unter Bedachtnahme auf das im Verwaltungsstrafverfahren geltende Verbot der reformatio in peius) nach jeder Richtung abzuändern. "Sache" ist immer die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches des Bescheides der Unterbehörde bildet. Wechselt die Berufungsbehörde die von der Erstbehörde als erwiesen angenommene Tat aus, so nimmt sie eine ihr nicht zustehende Befugnis in Anspruch und belastet ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit (siehe die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 4. Auflage, E. Nr. 1 bis 3 zu § 51 Abs. 6 VStG zitierte hg. Rechtsprechung).

2. Der Beschwerdeführer wirft der belangten Behörde mit Recht vor, sie habe im Berufungsverfahren die als erwiesen angenommene Tat ausgewechselt und damit eine ihr nicht zustehende Befugnis in Anspruch genommen. Nach dem Inhalt des erstinstanzlichen Straferkenntnisses vom 31. Mai 1990 wurde die in der Anzeige umschriebene Tat als erwiesen angenommen. In der Anzeige ist jedoch nicht davon die Rede, daß sich der Beschwerdeführer seit 15. Februar 1990 nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Dem Beschwerdeführer wurde lediglich vorgeworfen, daß er bei einer am 30. Mai 1990 durchgeführten Kontrolle weder einen Reisepaß noch einen Sichtvermerk habe vorweisen können und daß er es unterlassen habe, sich ordnungsgemäß anzumelden. Auf die Frage, ob der Beschwerdeführer gemäß § 2 Fremdenpolizeigesetz aufenthaltsberechtigt ist, ist die Anzeige nicht eingegangen. Ein diesbezüglicher Vorwurf wurde (im Hinblick auf die bloße Bezugnahme des erstinstanzlichen Straferkenntnisses auf die Anzeige) auch nicht Inhalt des erstinstanzlichen Straferkenntnisses. Insoferne unterscheidet sich der vorliegende Beschwerdefall wesentlich von den mit den hg. Erkenntnissen vom 18. Februar 1991, Zl. 90/19/0578, und vom 20. Juni 1991, Zl. 91/19/0051, entschiedenen Beschwerdefällen, weil in diesen Fällen bereits in den Anzeigen, deren Inhalt von den erstinstanzlichen Straferkenntnissen jeweils übernommen wurde, den Beschwerdeführern der Aufenthalt im Bundesgebiet trotz Fehlens der Aufenthaltsberechtigung vorgeworfen worden war.

3. Durch die unzulässige Auswechslung der als erwiesen angenommenen Tat hat die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Besondere Rechtsprobleme Verwaltungsstrafrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1991190094.X00

Im RIS seit

09.03.1992
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten