TE Vwgh Erkenntnis 1992/3/10 92/08/0023

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Veröffentlicht am 10.03.1992
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §46 Abs4;
AlVG 1977 §59;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde der V W in W, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in W, gegen den aufgrund des Beschlusses des Unterausschusses des zuständigen Verwaltungsausschusses ausgefertigten Bescheid des Landesarbeitsamtes Wien vom 17. Mai 1989, Zl. IVb/7022/7100B, (920/3742 050545), betreffend Nichtgewährung der Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1.0. Hinsichtlich der Vorgeschichte wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. März 1989, Zl. 87/08/0304, verwiesen. Mit diesem Erkenntnis wurde der im Instanzenzug ergangene Bescheid der belangten Behörde vom 21. Oktober 1987, mit dem dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung von Notstandshilfe mangels Notlage keine Folge gegeben worden war, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben, weil dieses Beschwerdeverfahren einer der Anlaßfälle für die mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 7. Dezember 1988, G 212/88, V 181/88, erfolgte Aufhebung des § 36 Abs. 3 lit. B sublit c des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977, BGBl. Nr. 609/1977 (AlVG), und des § 4 Abs. 1 lit. b der Notstandshilfeverordnung, BGBl. Nr. 352/1973 (NHV), gebildet hatte.

1.1. Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Ersatzbescheid gab die belangte Behörde der Berufung der Beschwerdeführerin gegen den erstinstanzlichen Bescheid abermals mangels Vorliegen von Notlage keine Folge. In der Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, daß der Ehegatte der Beschwerdeführerin nach seinen eigenen Angaben selbständig erwerbstätig sei, daraus aber keinen Gewinn erziele; seinen Lebensunterhalt bestreite er aus einem Kredit in Höhe von S 300.000,--. Nach Ansicht der belangten Behörde seien Kreditschulden erfahrungsgemäß in regelmäßigen Abständen abzudecken, da andernfalls der Kreditgeber rechtliche Schritte zu unternehmen veranlaßt sei. Aus den vorgelegten Einkommensteuerbescheiden des Ehegatten habe ein positives Einkommen aus seiner selbständigen Erwerbstätigkeit nicht festgestellt werden können. Da auf diese Art und Weise die Kreditdeckung nicht gewährleistet sei, bestünden für die belangte Behörde zwei alternative Möglichkeiten der Annahme:

Entweder decke der Ehegatte der Beschwerdeführerin seine Kreditschulden mangels eigenen Einkommens nicht ab, wobei er allerdings Schritte seines Kreditgebers zu gewärtigen hätte (Mahnschreiben, Exekutionsversuche, Stundungsbewilligungen etc.). Oder aber er erziele aus einer anderen, dem Arbeitsamt nicht bekanntgegebenen Tätigkeit ein Einkommen, mit dessen Hilfe er seinen Kredit zurückzahle. Zu diesem Behufe sei er ersucht worden, Einblick in seine Bankverhältnisse zu gewähren, um auf diesem Weg feststellen zu können, welcher Alternative er unterliege. Diesen Einblick habe er aber verwehrt, weshalb nicht mit Sicherheit auszuschließen sei, daß er nicht doch über weitere dem Arbeitsamt unbekannte Einkommensquellen verfüge und dadurch Notlage nicht anzunehmen sei. Die Abweisung der Berufung stütze sich daher weder auf das Vorliegen von "Vollverdienst", wie vom Verwaltungsgerichtshof angenommen worden wäre, noch auf die Zurechnung von irgendwelchen Krediten als Einkommensquelle, wie dies der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin in der Berufung geltend gemacht habe, sondern stütze sich ausschließlich auf §§ 46 Abs. 4 in Verbindung mit § 59 AlVG: Der Arbeitslose habe seinen Anspruch nachzuweisen, insofern ihn eine Mitwirkungspflicht treffe. Durch die Weigerung des Ehegatten, Einblick in seine Einkommensverhältnisse zu gewähren, welche Weigerung der Beschwerdeführerin zuzurechnen sei, habe die Beschwerdeführerin ihre Mitwirkungspflicht verletzt. Es habe daher das tatsächliche Einkommen des Ehegatten nicht festgestellt werden können, weswegen Notlage nicht anzunehmen und spruchgemäß zu entscheiden gewesen sei.

1.2. Nach der gegen diesen Bescheid erhobenen, zur hg. Zl. 89/08/0169 protokollierten Beschwerde erachtet sich die Beschwerdeführerin in ihrem in den §§ 33 ff AlVG verankerten Anspruch auf Notstandshilfe verletzt.

2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

2.1. Aus Anlaß des vorliegenden Beschwerdeverfahrens hat der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluß vom 25. September 1990 gemäß Art. 140 Abs. 1 und 4 B-VG sowie Art. 139 Abs. 1 und 4 in Verbindung mit Art. 89 Abs. 2 und 3 B-VG an den Verfassungsgerichtshof die Anträge gestellt

I. festzustellen,

1. daß § 36 Abs. 3 lit. B sublit a des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977 in der Fassung des Stammgesetzes BGBl. Nr. 609/1977 verfassungswidrig war,

2. daß die Absätze 1 und 3 des § 6 der Notstandhilfeverordnung in der Fassung BGBl. Nr. 352/1973 gesetzwidrig waren;

II. Abs. 4 des § 6 der Notstandshilfeverordnung in der genannten Fassung als gesetzwidrig aufzuheben.

2.2. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 2. Oktober 1991, G 179/90 u.a., die Anträge des Verwaltungsgerichtshofes abgewiesen. Bei der Beurteilung der Notlage ist daher das Einkommen (im Beschwerdefall: des Ehegatten) weiterhin nach den genannten Bestimmungen anzurechnen.

2.3. Die belangte Behörde hat den Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung von Notstandshilfe im wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, die Beschwerdeführerin habe durch die Weigerung ihres Gatten, Einblick in seine Einkommensverhältnisse zu gewähren, welche Weigerung ihr zuzurechnen sei, ihre Mitwirkungspflicht verletzt. Es habe daher das tatsächliche Einkommen ihres Ehegatten nicht festgestellt werden können , weshalb Notlage nicht anzunehmen gewesen sei.

Diese Auffassung erweist sich - im Ergebnis - als zutreffend.

2.3.1. Gemäß § 46 Abs. 4 AlVG hat der Antragsteller seinen Anspruch beim Arbeitsamt nachzuweisen. Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits mit seinem Erkenntnis vom 20. Juni 1985, Zl. 84/08/0099, ausgeführt hat, statuiert diese Regelung im Hinblick darauf, daß auch im behördlichen Verfahren der Arbeitsämter und der Landesarbeitsämter das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz und damit auch der im § 39 Abs. 2 dieses Gesetzes normierte Verfahrensgrundsatz der amtswegigen Beischaffung des entscheidungsrelevanten Prozeßstoffes (Untersuchungsgrundsatz) gilt, keine formelle Beweislast des Inhalts, daß die Unterlassung eines "Nachweises" durch den Antragsteller den Anspruchsverlust zur Folge hätte. Vielmehr obliegt es nach dem zitierten Erkenntnis auch in diesem Verfahren der Behörde, innerhalb der Grenzen ihrer Möglichkeiten und des vom Verfahrenszweck her gebotenen und zumutbaren Aufwandes - freilich unter Mitwirkung des Antragstellers - ihrer amtswegigen Ermittlungspflicht nachzukommen. Die Wahrnehmung dieser Verpflichtung durch die Behörde setzt aber voraus, daß der Antragsteller - allenfalls nach entsprechender Aufforderung durch die Behörde - solche detaillierten Behauptungen aufstellt, die es der Behörde ermöglichen, zunächst deren rechtliche Relevanz und bei Bejahung deren Richtigkeit zu prüfen (vgl. auch das Erkenntnis vom 21. November 1989, Zl. 88/08/0258).

2.3.2. Die Beschwerdeführerin hat im Verwaltungsverfahren vorläufige Einkommenssteuerbescheide ihres Ehegatten für die Jahre 1980 bis 1984 vorgelegt. Daraus ergab sich, daß ihr Ehegatte in diesen Jahren kein Einkommen aus einer selbständigen Tätigkeit erzielte.

In einer Niederschrift vor dem Arbeitsamt Versicherungsdienste am 18. Februar 1987 gab der Ehegatte der Beschwerdeführerin an, den Lebensunterhalt aus einem Kredit von S 300.000,-- zu bestreiten. Die Bank gebe er aus privaten Gründen dem Arbeitsamt nicht bekannt. Die Rückzahlung des Kredits erfolge vereinbarungsgemäß nach Einbringlichmachung von schon derzeit bestehenden Forderungen.

In einer Niederschrift vor der belangten Behörde am 7. April 1987 erklärte die Beschwerdeführerin, daß der von ihrem Gatten genannte Kredit für dessen Geschäfte verwendet werde. Allerdings müsse wegen der Nichtgewährung der Notstandshilfe davon Geld für den Lebensunterhalt der Familie verwendet werden.

In einer weiteren Niederschrift vom 11. Juni 1987 gab der Ehegatte der Beschwerdeführerin bekannt, daß er nicht gewillt sei, dem Arbeitsamt Einblick in seine Geschäftsunterlagen, insbesondere seine Bankverbindungen, zu geben.

Einem Ersuchen der belangten Behörde vom 4. Juni 1987 um persönliche Vorsprache, wobei der Kreditvertrag, Nachweise über die Rückzahlungsmodalitäten sowie Belege über die Verwendung des Kredites mitzubringen wären, leistete die Beschwerdeführerin nicht Folge, sondern erklärte durch ihren Anwalt mit Schreiben vom 15. Juni 1987, daß ihr Ehegatte nicht bereit sei, Einblick in seine Kreditverhältnisse zu gewähren. Sie glaube, bereits in der Berufung ausreichend begründet zu haben, weshalb auch ohne die gewünschten Unterlagen eine für sie günstige Entscheidung getroffen werden könne.

2.4. Wenn die belangte Behörde dieses Verhalten der Beschwerdeführerin - unabhängig von der Frage, ob ihr die Weigerung ihres Ehegatten zuzurechnen ist - als mangelnde Mitwirkung wertete, so kann dies nicht als rechtswidrig erachtet werden. Die belangte Behörde hat im Beschwerdefall innerhalb der Grenzen ihrer Möglichkeiten und des vom Verfahrenszweck her gebotenen und zumutbaren Aufwandes ihrer amtswegigen Ermittlungspflicht entsprochen. Mag auch die Verwendung betrieblicher Mittel für private Zwecke kein "Einkommen" im Sinne des Arbeitslosenversicherungsgesetzes darstellen, sondern nach dem auch diesem Gesetz zugrundeliegenden Verständnis des Einkommenssteuergesetzes (vgl. dazu etwa den ausdrücklichen Verweis auf das Einkommenssteuergesetz in § 12 Abs. 9 AlVG in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 615/1987) eine Verwendung von Wirtschaftsgütern des Betriebsvermögens zu betriebsfremden Zwecken ("Entnahme"), so war die Behörde auch deshalb befugt, zur Überprüfung dieser Behauptung die Vorlage näherer Unterlagen zu verlangen. Der im Rahmen der Ermittlungspflicht der belangten Behörde an die Beschwerdeführerin gerichteten Aufforderung ist diese jedoch nicht nachgekommen. Sie hat in ihrem (vom Beschwerdevertreter verfaßten) Schreiben vom 15. Juni 1987 zwar behauptet, daß ihr Ehegatte "nicht bereit sei, Einblick in seine Kreditverhältnisse zu gewähren", gleichzeitig aber zum Ausdruck gebracht, sie glaube, daß schon aufgrund der Begründung in ihrer Berufungsschrift eine günstige Erledigung möglich sei. Eine Behauptung dahin, daß der Ehegatte auch IHR jeden Einblick in seine wirtschaftlichen Verhältnisse verweigere, hat die Beschwerdeführerin im Verfahren nie aufgestellt, hat aber auch von sich aus keine klaren Angaben über diese Verhältnisse gemacht, welche einen Schluß darauf zuließen, daß bei der Beschwerdeführerin tatsächlich Notlage vorliege. Die Angaben des Ehegatten der Beschwerdeführerin, wonach der Lebensunterhalt aus einem Kredit vom S 300.000,-- bestritten, dieser jedoch aus Betriebseinnahmen zurückgezahlt werde ("nach Einbringlichmachung von schon derzeit bestehenden Forderungen") durfte die belangte Behörde - auch unter Berücksichtigung der übrigen Verfahrensergebnisse - daher dahin würdigen, daß im verfahrensgegenständlichen Zeitraum im Falle der Beschwerdeführerin Notlage nicht gegeben war, ohne daß dies als unschlüssig erachtet werden kann.

Die erstmals in der Beschwerde aufgestellte Behauptung, die Beschwerdeführerin habe "keine Ingerenz auf die Gestion (ihres) Ehemannes, kein Mittel, seine von Betriebs-, Bank und Steuergeheimnis bewehrte Freistatt von der belangten Behörde betreten zu lassen", stellt eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unzulässige Neuerung (§ 41 VwGG) dar.

2.5. Aufgrund dieser Erwägungen erweist sich die Beschwerde als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

2.6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

2.7. Von der beantragten Verhandlung wurde gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG Abstand genommen.

Schlagworte

Verfahrensgrundsätze im Anwendungsbereich des AVG Offizialmaxime Mitwirkungspflicht Manuduktionspflicht VwRallg10/1/1Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung BeweislastSachverhalt Sachverhaltsfeststellung Mitwirkungspflicht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1992080023.X00

Im RIS seit

18.10.2001

Zuletzt aktualisiert am

05.08.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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