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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AlVG 1977 §39 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schubert und die Hofräte Dr. Pokorny, Dr. Fellner, Dr. Hargassner und Mag. Heinzl als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über die Beschwerde der B in W, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland, Berufungssenat VI, vom 4. April 1990, Zl. GZ. 6/3-3393/89-04, betreffend Einkommensteuer 1988, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.630,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Nach einer der Einkommensteuererklärung 1988 angeschlossenen Bescheinigung bezog die Beschwerdeführerin in der Zeit vom 1.1. bis 30.6.1988 Sondernotstandshilfe in Höhe von S 68.140,-- und vom 1.7. bis 16.10.1988 Notstandshilfe in Höhe von S 34.291,--. Vom 17.10. bis 31.12.1988 erhielt sie als Arbeitnehmerin Bezüge in Höhe von S 23.768,50; nach Abzug von sonstigen Bezügen, Pflichtbeiträgen und des Werbungskostenpauschbetrages betrugen die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit S 11.646,--. Überdies erzielte die Beschwerdeführerin im Streitjahr Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von S 36.620,--.
Unter Anwendung der Bestimmung des § 3 Z. 4 zweiter und dritter Satz EStG 1972 wurde das Einkommen des Jahres 1988 mit einem Satz von 27,14 % besteuert. Nach der Begründung des Einkommensteuerbescheides wurde dabei von einer Bemessungsgrundlage von S 240.619,-- ausgegangen.
In der Berufung gegen den Einkommensteuerbescheid 1988 wurde zunächst unter Hinweis auf einen angeschlossenen Berufungsbescheid des Landesarbeitsamtes W. vom 22. März 1989 ausgeführt, die Beschwerdeführerin habe für die Zeit vom 1.1. bis 30.6.1988 Sondernotstandshilfe von S 374,40 täglich, vom 1.7. bis 14.7.1988 Sondernotstandshilfe von S 364,-- täglich und vom 15.7. bis 16.10.1988 Notstandshilfe von S 336,40 täglich erhalten. Weiters wurde die Auffassung vertreten, daß Zeiträume, in denen Sondernotstandshilfe bezogen wird, bei der Ermittlung des Steuersatzes im Sinne des § 3 Z. 4 EStG 1972 außer Betracht zu bleiben hätten.
In der Berufung wurde schließlich die Meinung vertreten, daß die Steuerermittlung nach § 3 Z. 4 EStG 1972 auf folgende Weise vorzunehmen sei:
"Einkünfte aus Gewerbebetrieb von 36.620,00
Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit 11.646,00
umzurechnender Betrag 48.266,00
Umrechnung auf einen JAHRESBETRAG:
48.266,00 x 366 Tage = 64.946,00
(366 Tage - 94 Tage)
DIFFERENZBETRAG
zwischen Jahresbetrag 64.946,00
und umzurechnenden Betrag 48.266,00
16.680,00
HINZURECHNUNG
zu versteuerndes Einkommen 34.990,00
zuzügl. Differenzbetrag 16.680,00
Bemessungsgrundlage 51.670,00
Steuer gem. § 33 EStG von 51.670,00 10.959,00
- allgem. Absetzbetrag 8.460,00
- Alleinverdienerabsetzbetrag +2.499,00 -10.959,00
Darauf entfallende Steuer...... 0,00
womit auch der BELASTUNGSPROZENTSATZ 0 v.H. beträgt."
Nach Erlassung einer Berufungsvorentscheidung wurde im Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz, durch die die Berufung wieder als unerledigt galt, ergänzend beantragt, den Alleinverdienerabsetzbetrag nach § 33 Abs. 4 EStG 1972 im Ausmaß von S 5.100,-- zu berücksichtigen. Weiters wurde beantragt, den Arbeitnehmerabsetzbetrag gemäß § 33 Abs. 5 EStG 1972 im Ausmaß von S 4.000,-- zu berücksichtigen.
Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen und der Einkommensteuerbescheid 1988 abgeändert. Die belangte Behörde vertrat dabei die Auffassung, daß neben der Notstandshilfe auch die Sondernotstandshilfe für die Umrechnung gemäß § 3 Z. 4 zweiter Satz EStG 1972 zu berücksichtigen ist. Die in dieser Gesetzesstelle vorgesehene Berechnung sei dabei so vorzunehmen, daß die Jahresbeträge an Werbungskosten und Sonderausgaben vom Gesamtbetrag der sich nach Umrechnung ergebenden Einkünfte abzuziehen sind. Aus dieser Grundlage seien die Jahressteuer sowie die prozentuelle Durchschnittssteuerbelastung zu errechnen. Der Prozentsatz der Durchschnittssteuerbelastung werde auf das im Kalenderjahr tatsächlich erzielte zu versteuernde Einkommen angewendet. Bei Ermittlung des zu versteuernden Einkommens seien abermals die Jahresbeträge an Werbungskosten und Sonderausgaben abzusetzen. Der Arbeitnehmerabsetzbetrag habe nicht abgezogen werden können, weil die Steuer, die auf die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von S 11.646,-- entfallen würde, S 0,-- beträgt und die "Kontrollrechnung" (nach der die Steuer jenen Betrag nicht übersteigen darf, der sich ergeben würde, wenn die Bezüge dem Steuerabzug vom Arbeitslohn unterliegen) nicht zum Tragen komme.
In der Beschwerde gegen diesen Bescheid werden Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensbestimmungen geltend gemacht.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Bestimmung des § 3 Z. 4 EStG 1972 lautet in der für das Streitjahr anzuwendenden Fassung des Abschnittes I Art. I Z. 2 des 3. Abgabenänderungsgesetzes 1987, BGBl. Nr. 606:
"...
4. das versicherungsmäßige Arbeitslosengeld, die Notstandshilfe, das Karenzurlaubsgeld oder an dessen Stelle tretende Ersatzleistungen und die Karenzurlaubshilfe auf Grund der besonderen gesetzlichen Vorschriften, weiters die Überbrückungshilfe für Bundesbedienstete nach den besonderen gesetzlichen Vorschriften sowie gleichartige Bezüge, die auf Grund besonderer landesgesetzlicher Regelungen gewährt werden, Beihilfen nach dem Arbeitsmarktförderungsgesetz, BGBl. Nr. 31/1969, und Leistungen nach dem Invalideneinstellungsgesetz 1969, BGBl. Nr. 22/1970.
Erhält der Steuerpflichtige versicherungsmäßiges Arbeitslosengeld, Notstandshilfe, Überbrückungshilfe für Bundesbedienstete nach den besonderen gesetzlichen Vorschriften bzw. gleichartige Bezüge, die auf Grund besonderer landesgesetzlicher Regelungen gewährt werden, nur für einen Teil des Kalenderjahres, so sind für das restliche Kalenderjahr bezogene Einkünfte im Sinne des § 2 Abs. 3 Z 1 bis 4 für Zwecke der Ermittlung des Steuersatzes auf einen Jahresbetrag umzurechnen. Das Einkommen ist mit jenem Steuersatz zu besteuern, der sich unter Berücksichtigung der umgerechneten Einkünfte ergibt; die Steuer darf jenen Betrag nicht übersteigen, der sich ergeben würde, wenn die Bezüge dem Steuerabzug vom Arbeitslohn unterliegen, ..."
§ 3 Z. 4 EStG 1972 bestand in der ab 1.1.1973 geltenden Stammfassung aus einem Satz. Durch das Abgabenänderungsgesetz 1985 wurden in den Befreiungskatalog die Leistungen nach dem Invalideneinstellungsgesetz eingefügt. Der zweite und dritte Satz des § 3 Z. 4 EStG wurden durch das 3. Abgabenänderungsgesetz 1987 angefügt.
Nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage des 3. AbgÄG 1987 (277 Blg. NR. 17. GP) führt die Steuerfreiheit der in § 3 Z. 4 EStG 1972 angeführten Transferleistungen einerseits dazu, daß es im Falle des Zusammentreffens mit steuerpflichtigen Einkünften zu einer - zum Teil erheblichen - Milderung der Steuerprogression kommt. Andererseits bemessen sich diese Transferleistungen überwiegend nach dem letzten Bruttolohn. Das Zusammentreffen dieser beiden Faktoren könne - insbesondere im Falle saisonal bedingter Arbeitslosigkeit - den Effekt nach sich ziehen, daß das Nettoeinkommen eines nicht ganzjährig Beschäftigten unter Berücksichtigung der im Wege des Jahresausgleiches erhaltenen Lohnsteuererstattung - in vergleichbaren Fällen - höher ist als das Nettoeinkommen eines ganzjährig Beschäftigten. Im Hinblick darauf sollte die Begünstigung der Steuerfreiheit für Arbeitslosengeld nur mehr derart gewährt werden, daß die mit einer Steuerbefreiung einhergehende Progressionsmilderung in diesen Fällen ausgeschlossen wird.
Es trifft zwar, wie die Beschwerdeführerin ausgeführt hat, zu, daß es der Gesetzgeber unterlassen hat, bei anderen sogenannten Transferleistungen, die nach § 3 EStG 1972 steuerfrei sind (z.B. § 3 Z. 1 - 5, 9, 30 und 38 EStG 1972), einen "Progressionsvorbehalt" wie im § 3 Z. 4 Satz 2 und 3 EStG 1972 vorzusehen. Es steht jedoch dem Gesetzgeber frei, sogenannte Transferleistungen der öffentlichen Hand steuerfrei zu belassen oder auch der Steuerpflicht zu unterwerfen, oder auch Vorkehrungen zu treffen, damit dem nicht ganzjährig Beschäftigten nicht etwa infolge der eintretenden Progressionsmilderung ein höheres Nettoeinkommen bleibt als einem ganzjährig Beschäftigten (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 28. Juni 1990, G 71/90, G 83-97/90 und G 117-123/90, mit dem der zweite Absatz der Z. 4 des § 3 EStG 1972 nicht als verfassungswidrig aufgehoben worden ist). Der Anregung der Beschwerdeführerin, nach Art. 140 Abs. 1 B-VG einen Antrag um Aufhebung des § 3 Z. 4 EStG 1972 wegen Verfassungswidrigkeit zu stellen, kann daher nicht gefolgt werden.
Die Gewährung von Notstandshilfe für alleinstehende Mütter, die keine Beschäftigung annehmen können, wurde (erstmals) im Art. II Abschnitt 2 (Karenzurlaubsgeld) durch Abs. 5 des § 26 Arbeitslosenversicherungsgesetz in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 179/1974, vorgesehen. Diese Leistung wurde dann in dem durch das Bundesgesetz BGBl. Nr. 289/1976 neu geschaffenen Abschnitt 4 § 39 AlVG 1958 unter der Überschrift "Sondernotstandshilfe für alleinstehende Mütter" geregelt. Nach § 39 Abs. 1 AlVG (wiederverlautbart als AlVG 1977, BGBl. Nr. 609) ist alleinstehenden Müttern, die wegen Betreuung ihres Kindes, dessen Geburt Anlaß für die Gewährung des Karenzurlaubsgeldes war, keine Beschäftigung annehmen können, unter bestimmten weiteren Voraussetzungen Notstandshilfe zu gewähren. Die in Rede stehende Transferleistung für alleinstehende Mütter wird also in der grundsätzlichen Bestimmung des § 39 Abs. 1 AlVG ausdrücklich als "Notstandshilfe" bezeichnet. § 3 Z. 4 EStG 1972 bedient sich im Sinne des mit dieser Gesetzesbestimmung verfolgten Zweckes der Begriffe des Sozialrechtes. Der sowohl im ersten als auch im zweiten Satz des § 3 Z. 4 EStG 1972 gebrauchte Begriff der Notstandshilfe ist dabei nach dem aus der Einheit der Rechtsordnung zu folgernden Grundsatz der Einheit der Rechtssprache (vgl. insbesondere das von einem verstärkten Senat beschlossene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. März 1980, 1786/77) im Sinne des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977 auszulegen. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin kommt es somit nicht zu einer (bloß) analogen Anwendung der Bestimmungen über die Notstandshilfe auf die "Sondernotstandshilfe" - dieser Ausdruck wird nur in der Überschrift des § 39 AlVG 1977 und in den Abs. 3 und 4, nicht aber in der grundsätzlichen Bestimmung des § 39 Abs. 1 AlVG verwendet -; vielmehr ist unter Notstandshilfe im Sinne des § 3 Z. 4 EStG 1972 nach der dargestellten Entstehungsgeschichte der in Betracht kommenden gesetzlichen Bestimmungen sowohl die Notstandshilfe im Sinne des 3. Abschnittes als auch im Sinne des 4. Abschnittes jeweils des Art. II AlVG 1977 zu verstehen.
Weiters wird von der Beschwerdeführerin gerügt, daß die belangte Behörde den Betrag der umgerechneten Einkünfte im Sinn des § 3 Z. 4 zweiter Satz EStG 1972 unrichtig ermittelt hat.
Mit dieser Rüge ist die Beschwerdeführerin im Recht: Nach der ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung unterliegen der Umrechnung die EINKÜNFTE im Sinne des § 2 Abs. 3 Z. 1 bis 4 EStG 1972. Bei der Ermittlung der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit ist dabei der Werbungskostenpauschbetrag nach § 16 Abs. 3 EStG 1972 - und zwar im Hinblick darauf, daß die unbeschränkte Steuerpflicht der Beschwerdeführerin während des vollen Kalenderjahres bestanden hat, in voller Höhe - abzuziehen. Erst nach Abzug des Werbungskostenpauschbetrages ergeben sich die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die sodann der Umrechnung auf einen Jahresbetrag unterliegen. Die demgegenüber in den Beispielen der Gesetzesmaterialien vorgenommene Berechnungsart, wonach der Werbungskostenpauschbetrag erst vom "hochgerechneten" Jahreseinkommen abzuziehen ist, steht mit dem insoweit eindeutigen Gesetzeswortlaut nicht im Einklang. Da den Gesetzesmaterialien keine selbständige normative Kraft zukommt, war vom Wortlaut des Gesetzes auszugehen (vgl. z.B. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. September 1960, Slg. Nr. 5362/A, und vom 20. Februar 1992, 90/13/0014).
Auch bei der weiteren Berechnung der Steuer im Sinne des dritten Satzes, erster Halbsatz des § 3 Z. 4 EStG 1972 kann der belangten Behörde nicht gefolgt werden: Wie im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Dezember 1990, 89/14/0283, mit ausführlicher Begründung dargestellt worden ist, ist zunächst der Steuersatz im Sinne des § 33 Abs. 1 EStG 1972, der auf das umgerechnete Einkommen entfällt, auf das tatsächlich steuerpflichtige Einkommen anzuwenden. Sodann sind die in den weiteren Absätzen des § 33 EStG 1972 angeführten Steuerabsetzbeträge von dem nach Anwendung des ermittelten Prozentsatzes auf das zu versteuernde Einkommen errechneten Betrag abzuziehen.
Die Steuer wäre daher - ausgehend von dem im Verwaltungsverfahren unbestritten gebliebenen Zahlenmaterial - auf folgende Weise zu errechnen gewesen:
Einkünfte aus Gewerbebetrieb und Einkünfte aus
nichtselbständiger Arbeit = S 48.266 x 366 : 76 = 232.439,--
Sonderausgaben 3.276,--
Freibetrag gemäß § 41 Abs. 3 EStG 1972 10.000,--
219.163,--
davon Steuer gemäß § 33 Abs. 1 EStG 1972 68.640,--
in Prozent 31,32 %
Einkommen lt. Einkommensteuerbescheid 34.990,--
davon 31,32 % 10.962,--
abzüglich Absetzbetrag nach § 33 Abs. 3 EStG 1972 8.460,--
Absetzbetrag nach § 33 Abs. 4 EStG 1972
lt. Steuerberechnung der belangten Behörde 4.500,--
Einkommensteuer 0,--
anrechenbare Lohnsteuer 791,--
Gutschrift 791,--
Im Hinblick auf diese Berechnung erübrigt es sich, auf die weiteren Beschwerdeausführungen, insbesondere die Frage, ob der Beschwerdeführerin, die außer für eine Tochter auch für sich selbst Familienbeihilfe bezogen hat, zwei Steigerungsbeträge von S 600,-- im Sinne der Bestimmungen des § 33 Abs. 4 EStG 1972 zugestanden sind, näher einzugehen.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1990130131.X00Im RIS seit
18.10.2001