TE Vwgh Erkenntnis 1992/3/12 91/06/0075

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Veröffentlicht am 12.03.1992
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Index

L37157 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Tirol;
L82000 Bauordnung;
L82007 Bauordnung Tirol;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §52;
AVG §58 Abs2;
AVG §8;
BauO Tir 1989 §30 Abs1;
BauO Tir 1989 §30 Abs4;
BauRallg;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 91/06/0096

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerden der K Ges.m.b.H. in I, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in I, gegen die Bescheide der Tiroler Landesregierung a) vom 12. März 1991, Zl. Ve-547-117/11, und b) vom 17. April 1991, Zl. Ve-547-117/12, betreffend Parteistellung in einem Baubewilligungsverfahren (mitbeteiligte Parteien: 1. Gemeinde N, vertreten durch den Bürgermeister, 2. Gemeinde P, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Spruch

Der erstangefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, der zweitangefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Tirol hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen von insgesamt S 26.580,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin stellte am 11. Juli 1985 bei der zweitmitbeteiligten Gemeinde den Antrag auf Erteilung einer Baubewilligung für ein Kurhaus samt Tiefgarage. Nach Durchführung einer (mehrmals erstreckten) mündlichen Bauverhandlung, zu der die erstmitbeteiligte Gemeinde (als Nachbar i.S. des § 30 TBO) nicht geladen worden war, erteilte der Bürgermeister der zweitmitbeteiligten Gemeinde mit Bescheid vom 3. August 1987 die beantragte Baubewilligung unter zahlreichen Auflagen und Bedingungen.

Am 15. Juni 1989 beantragte die Beschwerdeführerin eine Erweiterung gegenüber dem mit Bescheid vom 3. August 1987 bewilligten Projekt u.a. durch Vergrößerung des ursprünglich genehmigten Baukörpers. Dieses Ansuchen wurde nach Durchführung einer mündlichen Bauverhandlung mit Bescheid des Bürgermeisters vom 25. Oktober 1989 bewilligt. Auch in dieses Verfahren wurde die erstmitbeteiligte Gemeinde nicht einbezogen.

Am 26. März 1990 erhob die erstmitbeteiligte Gemeinde gegen beide Bewilligungsbescheide des Bürgermeisters der zweitmitbeteiligten Gemeinde Berufungen. Darin wurde zunächst vorgebracht, daß sich das Baugrundstück, auf welchem das mit Bescheid vom 3. August 1987 bewilligte "Hotel" der Beschwerdeführerin bereits im Rohbau stehe, im unmittelbaren Bereich zur "politischen Grenze" zwischen der erst- und zweitmitbeteiligten Gemeinde befinde. Die Gemeindegrenze bilde der A-bach. Zwischen diesem und dem Baugrundstück befinde sich eine Wegparzelle. Auf der anderen (zum Gemeindegebiet der erstmitbeteiligten Partei gehörenden) Seite des A-baches grenzten mehrere, näher bezeichnete Grundstücke an, die im Eigentum der erstmitbeteiligten Gemeinde stünden, darunter auch eine Grundparzelle die zu deren öffentlichem Gut gehöre. Das "Hotel" der Beschwerdeführerin weise neun Geschoße auf, sei 130 m lang und vom Bach 23 m entfernt. Gemäß § 30 TBO wäre die mitbeteiligte Gemeinde als anrainender Nachbar zum Bauverfahren über dieses Hotelprojekt zu laden gewesen, was jedoch nicht geschehen sei. Erst im Wege einer durch den Hochbausachverständigen der erstmitbeteiligten Gemeinde vorgenommenen Begutachtung sei dieser der Inhalt der bekämpften Bescheide bekannt geworden. Im übrigen enthalten die Berufungen Einwendungen gegen das Projekt der Beschwerdeführerin hinsichtlich der höchstzulässigen Geschoßzahl, der Überschreitung der maximal zulässigen Traufenhöhe von 10 m und der Verletzung der örtlichen Raumordnungsinteressen der erstmitbeteiligten Gemeinde als Nachbargemeinde im Sinne des § 10 Abs. 2 des Tiroler Raumordnungsgesetzes bezüglich der (unterschiedlichen) zulässigen Höchstzahl von Vollgeschoßen. In ihrer Berufung gegen den Bescheid betreffend den Erweiterungsbau rügt die erstmitbeteiligte Gemeinde überdies den ihrer Meinung nach unzureichenden und nicht den Vorschriften entsprechenden Lageplan und wendet die Unzuständigkeit des Bürgermeisters der zweitmitbeteiligten Gemeinde ein: Da sich das Bauvorhaben auf das Gebiet zweier Gemeinden erstrecke, sei gemäß § 50 Abs. 3 TBO die Bezirkshauptmannschaft zuständig. Eine Bauführung auf zwei näher bezeichneten Parzellen, von denen eine als öffentliche Verkehrsfläche und die andere als Grünland gewidmet sei, sei unzulässig. Bei einer überdachten Fußgängerarkade werde überdies der Mindestabstand zum A-bach nicht eingehalten. Die erstmitbeteiligte Gemeinde beantragte, die bekämpften Bescheide wegen Unzuständigkeit der erstinstanzlichen Behörde aufzuheben oder dem Projekt die baubehördliche Bewilligung zu versagen. Den Berufungen der erstmitbeteiligten Gemeinde war auch ein Gutachten des Hochbausachverständigen dieser Gemeinde beigeschlossen.

Am 1. Oktober 1990 beantragte die erstmitbeteiligte Gemeinde hinsichtlich der Berufung gegen den Bescheid des Bürgermeisters vom 25. Oktober 1989 den Übergang der Entscheidungspflicht an den Gemeinderat.

In der Folge erließ der Gemeinderat der zweitmitbeteiligten Gemeinde zwei Berufungsbescheide, mit welchen jeweils der Berufung der erstmitbeteiligten Gemeinde "keine Folge gegeben" wurde. Diese Bescheide wurden (übereinstimmend) damit begründet, daß der erstmitbeteiligten Gemeinde in den genannten Bewilligungsverfahren keine Parteistellung zukomme, zumal sie in ihren Berufungsschriften nicht vorgebracht habe, "in welcher Hinsicht (sie sich) ... als Nachbar betroffen fühle", zumal sie mit keinem in ihrem Eigentum stehenden Grundstück an das Baugrundstück angrenze. Die nächstgelegenen derartigen Grundstücke seien auch ihrer Art nach nicht geeignet, durch die beabsichtigten Baumaßnahmen im Sinne des § 30 Abs. 1 TBO beeinträchtigt zu werden, handle es sich dabei doch nur um eine Gewässerparzelle (A-bach), um einen schmalen Grundstücksstreifen (Straßenböschung) bzw. um Straßenflächen. Daher sei die erstmitbeteiligte Gemeinde zur Einbringung einer Berufung gar nicht berechtigt gewesen. In formeller Hinsicht sei festzustellen, daß die Berufungen "für den Gemeinderat" gefertigt worden seien. Da gemäß § 54 TGO lediglich der Bürgermeister zur Vertretung der Gemeinde befugt und eine Vertretung der Gemeinde durch den Gemeinderat gesetzlich nicht vorgesehen sei, seien die Berufungen als nicht ordnungsgemäß eingebracht anzusehen.

Gegen diese Berufungsbescheide erhob die erstmitbeteiligte Gemeinde Vorstellungen vom 25. Jänner (im Verfahren betreffend die Baubewilligung vom 3. August 1987) und 28. Jänner 1991 (im Verfahren betreffend die weitere Baubewilligung vom 25. Oktober 1989). In diesen Vorstellungen bringt sie (im wesentlichen gleichlautend) vor, daß sie zusätzlich zu den schon in den Berufungsschriften vom 26. März 1990 genannten Grundstücken mit den zum öffentlichen Gut gehörenden Grundparzellen 586/49 und 687/2, Nachbar im Sinne des § 30 TBO sei. Die kürzeste Entfernung der Gp. 586/1 zum Beginn des Baugrundstückes betrage (unter Berücksichtigung des bewilligten Erweiterungsbaues) nur noch 10 m, im übrigen 22 m. Überdies sei die Beschwerdeführerin durch die Errichtung der Zufahrt über den A-bach und über die Grundstücke der erstmitbeteiligten Gemeinde Gp. 586/1 und 687/2 als Grundstückseigentümerin (offenbar gemeint: auch unmittelbar) betroffen. Es sei nicht Aufgabe der erstmitbeteiligten Gemeinde ihre Anrainerstellung als Nachbar zu beweisen, sondern eine Verpflichtung des Bauwerbers, gemäß § 1 Abs. 2 der Planunterlagenverordnung auch die Eigentümer der an den Bauplatz angrenzenden Grundstücke namhaft zu machen. Es handle sich bei dem "Riesenprojekt" der Beschwerdeführerin um einen "immissionsträchtigen Betrieb". Das für die Stellung als Nachbar erforderliche räumliche Naheverhältnis ergebe sich nicht nur bei gemeinsamer Grundgrenze. Im übrigen rügt die erstmitbeteiligte Gemeinde in ihrer Vorstellung die Vorgangsweise der zweitmitbeteiligten Gemeinde im Zusammenhang mit dem Projekt der Beschwerdeführerin im allgemeinen und in bezug auf die erstmitbeteiligte Gemeinde im besonderen und wiederholt (sinngemäß) ihr Berufungsvorbringen.

Die belangte Behörde gab mit dem erstangefochtenen Bescheid der Vorstellung der erstmitbeteiligten Gemeinde vom 25. Jänner 1991 und mit dem zweitangefochtenen Bescheid der Vorstellung vom 28. Jänner 1991 jeweils Folge, behob die angefochtenen Berufungsbescheide und verwies die Angelegenheit jeweils zur neuerlichen Entscheidung an den Gemeinderat der zweitmitbeteiligten Gemeinde zurück. Im erstangefochtenen Bescheid (auf den im zweitangefochtenen Bescheid insoweit verwiesen wird) führt die belangte Behörde aus, daß der erstmitbeteiligten Gemeinde "insbesondere aufgrund des Eigentumsrechtes an den Gpn. 586/67 und 586/1 die Nachbareigenschaft und Parteistellung im Baubewilligungsverfahren" zukomme, weil die erstgenannte Parzelle in einem Abstand von weniger als 50 m und die zweitgenannte Parzelle teilweise bis zu 35 m an das Bauvorhaben heranreiche. Nicht heranzuziehen seien jene im Eigentum der erstmitbeteiligten Partei stehenden Liegenschaften, welche dem Gemeingebrauch gewidmet seien. Nach dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. April 1978, Zl. 794/78, komme der Gemeinde als Eigentümerin einer Straßenfläche keine Parteistellung zu; dies gelte ganz allgemein für Grundflächen, die dem Gemeingebrauch offenstünden. Die genannten Grundparzellen seien jedoch nicht als öffentliches Gut dem Gemeingebrauch gewidmet, sondern bildeten Gemeindevermögen. In Anbetracht des großen Umfanges des Bauvorhabens sei davon auszugehen, daß Rückwirkungen auf die durch die Bestimmungen der Tiroler Bauordnung geschützten Interessen der erstmitbeteiligten Gemeinde nicht auszuschließen seien. Der nach dem Projekt der Beschwerdeführerin vorgesehene umbaute Raum für die Tiefgarage betrage ca. 10.000 m3 und für das Kurhaus (medizinischer Teil plus Hotel) ca. 36.000 m3. Die Länge des Bauvorhabens betrage 100 m, die Tiefe bis zu 40 m und die Höhe über gewachsenem Gelände ca. 17 m. In der Tiefgarage seien in zwei Untergeschoßen 90, im Freien 20 Stellplätze vorgesehen. Die Höhe der den Gpn. 586/67 und 586/1 zugekehrten Wände würden deutlich mehr als 10 m betragen; auch befänden sich Ausfahrt und Einfahrt zur Tiefgarage und die oberirdischen Stellplätze an der den Grundflächen der erstmitbeteiligten Gemeinde zugekehrten Seite. In der Folge prüfte die belangte Behörde überdies, ob eine "Verletzung materieller Rechte" der erstmitbeteiligten Gemeinde vorliege und gelangte nach eingehender Begründung zum Ergebnis, daß das Bauvorhaben mit dem (übergeleiteten) Verbauungsplan der zweitmitbeteiligten Gemeinde, der noch nach § 7 der Tiroler Landesbauordnung, LGBl. Nr. 1/1901 in der Fassung LGBl. Nr. 12/1970, zu beurteilen sei, hinsichtlich der Gebäudeteile im Widerspruch stünde. Die erstmitbeteiligte Partei sei daher in ihrem Recht auf "plangemäße Bebauung" verletzt.

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machenden Beschwerden der Bauwerberin.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und - ebenso wie die erstmitbeteiligte Gemeinde - Gegenschriften erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat die beiden Beschwerden ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhanges wegen miteinander verbunden und darüber erwogen:

Mit beiden angefochtenen Bescheiden behebt die belangte Behörde die bekämpften Berufungsbescheide des - im Devolutionswege tätig gewordenen - Gemeinderates der erstmitbeteiligten Gemeinde und verweist die jeweiligen Rechtssachen an den Gemeinderat zur neuerlichen Entscheidung zurück.

Dieser Ausspruch erweist sich hinsichtlich des erstangefochtenen Bescheides aus folgenden - von der Beschwerdeführerin zwar nicht geltend gemachten, im Rahmen der Beschwerdepunkte gemäß § 41 Abs. 1 VwGG vom Verwaltungsgerichtshof jedoch von Amts wegen aufzugreifenden - Gründen als rechtswidrig:

In den vorgelegten (durchnumerierten und offenbar vollständigen) Verwaltungsakten der zweitmitbeteiligten Gemeinde findet sich nur EIN Devolutionsantrag der erstmitbeteiligten Gemeinde mit folgendem Wortlaut:

    "Die (erstmitbeteiligte Gemeinde) ... hat gegen den

Bescheid des Bürgermeisters der (zweitmitbeteiligten

Gemeinde) ... vom 25.10.1989 in obiger Sache das Rechtsmittel

der Berufung am 26. März 1990 erhoben. Über diese Berufung ist

durch den Gemeindevorstand der (zweitmitbeteiligten)

Gemeinde ... bislang noch keine Entscheidung getroffen worden.

    Die (erstmitbeteiligte) Gemeinde ... begehrt daher den

Übergang der Entscheidungspflicht an den Gemeinderat der zweitmitbeteiligten (Gemeinde) ..."

Daraus ergibt sich, daß die erstmitbeteiligte Gemeinde nur hinsichtlich ihrer Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid vom 25. Oktober 1989 einen Antrag auf Übergang der Entscheidungspflicht gemäß § 73 AVG gestellt hat, nicht jedoch (auch) hinsichtlich ihrer Berufung gegen den Bescheid vom 3. August 1987. In der letztgenannten Bausache hat somit der Gemeinderat der zweitmitbeteiligten Gemeinde durch die Berufungsentscheidung vom 18. Jänner 1991 eine Zuständigkeit in Anspruch genommen, die ihm nach dem Gesetz nicht zukommt, zumal gemäß § 46 zweiter Satz der Tiroler Gemeindeordnung 1966 (TGO 1966), LGBl. Nr. 4 idF der Novelle LGBl. Nr. 8/1973, über Berufungen gegen Bescheide des Bürgermeisters der Gemeindevorstand zu entscheiden hat. Da die belangte Behörde dies nicht erkannt, sondern dem unzuständigen Gemeinderat die Verpflichtung zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung der zweitmitbeteiligten Partei überbunden hat, belastete sie den erstangefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes; dieser war daher schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

In ihrer Beschwerde gegen den zweitangefochtenen Bescheid vertritt die Beschwerdeführerin zunächst sinngemäß die Auffassung, daß eine Berufung der erstmitbeteiligten Gemeinde schon deshalb nicht vorliege, weil die Berufung "für den Gemeinderat" gezeichnet, die Gemeinde jedoch durch den Bürgermeister vertreten werde.

Die Berufung der erstmitbeteiligten Gemeinde vom 26. März 1990 wird mit folgendem Satz eingeleitet:

    "Die (erstmitbeteiligte) ... Gemeinde erhebt hiemit gegen

den Baubescheid des Bürgermeisters der (zweitmitbeteiligten

Gemeinde) ... vom 25.10.1989, womit verschiedene Erweiterungen

für das Hotelprojekt auf den Gpn. ... bewilligt worden waren,

das Rechtsmittel der Berufung mit folgender Begründung:"

und schließt (im Anschluß an die Anträge, den bekämpften Bescheid wegen Unzuständigkeit der Behörde erster Instanz aufzuheben bzw. der Beschwerdeführerin die baubehördliche Bewilligung zu versagen) wie folgt:

"Gegenständliche Berufung bezieht sich auf den Gemeinderatsbeschluß der (erstmitbeteiligten) Gemeinde ... vom 21.3.1990.

Für den Gemeinderat:"

Im Anschluß daran trägt die Berufung die Unterschrift des Bürgermeisters der erstmitbeteiligten Gemeinde. Damit liegt der von der Beschwerdeführerin behauptete Mangel der Berufung (abgesehen davon, daß er gemäß § 13 Abs. 3 AVG verbesserungsfähig gewesen wäre) nicht vor, da die Berufung nach ihrem Wortlaut der Gemeinde zuzurechnen und von dem zur Vertretung nach außen berufenen Gemeindeorgan (dem Bürgermeister) unterschrieben worden ist. Dem (möglicherweise eine Beschlußfassung des Gemeinderates über die Erhebung der Berufung anzeigende) Zusatz "Für den Gemeinderat" kommt in diesem Zusammenhang keine der Zulässigkeit des Rechtsmittels entgegenstehende Bedeutung zu.

Die Beschwerde gegen den zweitangefochtenen Bescheid ist aber im Ergebnis aus folgenden Gründen berechtigt:

Gemäß § 30 Abs. 1 der Tiroler Bauordnung (TBO), LGBl. Nr. 33/1989, sind Nachbarn Eigentümer von Grundstücken, die zu dem zur Bebauung vorgesehenen Grundstück in einem solchen räumlichen Naheverhältnis stehen, daß durch die bauliche Anlage oder durch deren Benützung hinsichtlich der durch dieses Gesetz geschützten Interessen mit Rückwirkungen auf ihr Grundstück oder die darauf errichtete bauliche Anlage zu rechnen ist. Dem Grundeigentümer ist der Bauberechtigte gleichgestellt.

Die belangte Behörde führt im erstangefochtenen Bescheid - auf den im zweitangefochtenen Bescheid zu dieser Frage lediglich verwiesen wird - (zur grundsätzlichen Zulässigkeit dieser Vorgangsweise derselben Partei gegenüber, vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Oktober 1986, Zl. 84/17/0218, und vom 30. März 1989, Zl. 88/16/0051, 0052) aus, daß der erstmitbeteiligten Gemeinde "insbesondere aufgrund des Eigentumsrechtes an den Gpn. 586/67 und 586/1, KG N, die Nachbareigenschaft und somit Parteistellung" zuerkannt werden müsse. Nicht heranzuziehen seien lediglich Grundstücke, die sich im öffentlichen Gut befänden.

Die Beschwerdeführerin bestreitet in ihrer Beschwerde weder, daß die erstmitbeteiligte Gemeinde Eigentümerin der genannten Grundparzellen ist, noch daß sich diese nicht im öffentlichen Gut befinden und die Entfernung zur Bauparzelle der Beschwerdeführerin weniger als 50 m beträgt bzw. die Gp. 586/1 an einigen Stellen bis auf 35 m an das Bauvorhaben heranreicht; sie weist lediglich darauf hin, daß die Bauliegenschaften durch mehrere weitere Grundstücke vom zunächst gelegenen, im Eigentum der erstmitbeteiligten Gemeinde liegenden Grundstück getrennt und die "nächstgelegenen Baulichkeiten" der erstmitbeteiligten Gemeinde 70 m vom - die Gemeindegrenze bildenden - A-bach entfernt seien.

Diese Argumentation übersieht zunächst, daß es nach § 30 Abs. 1 TBO für die Parteistellung als Nachbar weder darauf ankommt, daß das Grundstück des Nachbarn bebaut ist, noch daß es unmittelbar anraint. Wesentlich ist vielmehr, ob je nach Größe und Art des Bauvorhabens Auswirkungen auf das Nachbargrundstück zu erwarten sind, wobei die Entfernung, welche noch eine Stellung als Nachbar einräumt, von der Höhe und von den vom Projekt zu erwartenden Immissionen abhängt. Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits aus einem Erkenntnis vom 15. September 1983, Zl. 83/06/0093, BauSlg. Nr. 98, ausgesprochen hat, kann auch ein 30 m vom Bauprojekt entferntes Grundstück bei einer entsprechenden Höhe des Bauvorhabens oder entsprechender Immissionen noch die Parteistellung des Grundeigentümers als Nachbar verschaffen. Es kann daher auf sich beruhen, ob der erstmitbeteiligten Gemeinde als Eigentümerin einer 70 m entfernten, von der Bauliegenschaft durch Bach und eine "Schnellstraße" getrennte, bebaute Grundparzelle Parteistellung zukäme, da die belangte Behörde die Parteistellung der erstmitbeteiligten Gemeinde ausschließlich aufgrund des Eigentumsrechtes an den zuvor genannten Grundparzellen bejaht hat, die zwar weniger als 50 m, aber mehr als 35 m vom "Bauprojekt" entfernt sind (wobei der angefochtene Bescheid offenläßt, ob darunter die Entfernung von der Grenze der Baugrundstücke der Beschwerdeführerin oder von der Baulichkeit gemeint ist).

Der Verfahrensrüge der Beschwerdeführerin ist aber im Ergebnis insoweit beizupflichten, als dem angefochtenen Bescheid weder zu entnehmen ist, inwiefern bei einer Gebäudehöhe von "deutlich mehr als 10 m" (insbesondere unter den Gesichtspunkten der Belichtung und Belüftung) noch mit Rückwirkungen auf eine (zumindest) mehr als 35 m entfernte Grundparzelle zu rechnen ist, noch, welche "Rückwirkungen" die Ein- und Ausfahrt zur Tiefgarage auf die Grundparzellen der erstmitbeteiligten Partei haben könnte oder ob andere Immissionen, von denen diese Grundparzellen durch das Projekt der Beschwerdeführerin betroffen sein könnten zu erwarten sind. Gerade bei einer nicht unbeträchtlichen Entfernung des (nicht anrainenden) Nachbargrundstückes bedarf es einer nachvollziehbaren Darlegung jener Umstände, welche die Möglichkeit einer Rechtsverletzung und damit die Parteistellung der Nachbarn begründen, wobei jedenfalls dann, wenn - wie hier - die Erfahrung des täglichen Lebens zur Beurteilung dieser Frage nicht ausreicht und von den Parteien des Verfahrens unterschiedliche Standpunkte eingenommen werden, die Einholung eines Sachverständigengutachtens unerläßlich ist.

In diesem Zusammenhang sei - zur Vermeidung von Mißverständnissen - auch darauf verwiesen, daß die Frage der Immissionen, welche vom Projekt der beschwerdeführenden Gesellschaft ausgehen könnten nur anhand des konkreten Projekts zu beurteilen ist, welches Gegenstand der Bewilligungsverfahren war und nicht etwa anhand weiterer vom gegenständlichen Projekt nicht umfaßter Bauvorhaben (wie etwa der Einbindung der Zufahrtsstraße in die Gemeindestraße der erstmitbeteiligten Partei), mögen sie auch in einem gewissen Zusammenhang mit dem Projekt der Beschwerdeführerin stehen.

Da somit der von der belangten Behörde festgestellte Sachverhalt eine abschließende Beurteilung der Frage, ob die erstmitbeteiligte Gemeinde als Nachbar im Baubewilligungsverfahren der Beschwerdeführerin Parteistellung genießt, nicht abschließend zuläßt, war der zweitangefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Für das fortgesetzte Verfahren weist der Verwaltungsgerichtshof aus verfahrensökonomischen Gründen auf folgendes hin:

Die belangte Behörde hat die Frage, ob die erstmitbeteiligte Partei durch die Aberkennung der Parteistellung in ihren Rechten verletzt wurde, davon abhängig gemacht, ob (auch) eine (tatsächliche) Verletzung ihrer "materiellen Rechte" vorliege und dem Gemeinderat der zweitmitbeteiligten Gemeinde insoweit ihre Rechtsauffassung überbunden. Die belangte Behörde hat dabei verkannt, daß der Gemeinderat der zweitmitbeteiligten Partei lediglich über die Parteistellung der erstmitbeteiligten Gemeinde abgesprochen und diese verneint hat. Wie sich aus der Begründung des Berufungsbescheides ergibt, hielt die Berufungsbehörde die erstmitbeteiligte Partei zur Einbringung der Berufung für "nicht berechtigt", bzw. diese - wegen der Fertigung "Für den Gemeinderat" (und insoweit jedenfalls zu Unrecht) - für "nicht ordnungsgemäß eingebracht", woraus sich ergibt, daß die Behörde gerade KEINE Sachentscheidung die Baubewilligung betreffend, erlassen wollte und auch nicht erlassen hat. Dem Umstand, daß sich die Behörde im Spruch des Bescheides insoweit im Wortlaut vergriffen hat, als sie die Berufung der erstmitbeteiligten Gemeinde (auf dem Boden ihrer Rechtsauffassung) abgewiesen und nicht zurückgewiesen hat, kommt angesichts der zweifelsfreien Begründung keine entscheidende Bedeutung zu. Sache des Vorstellungsverfahrens war daher ausschließlich die Frage der Parteistellung der erstmitbeteiligten Gemeinde. Für den Fall, daß die belangte Behörde im fortgesetzten Verfahren die Eigenschaft der erstmitbeteiligten Gemeinde als Nachbar im Baubewilligungsverfahren im Sinne des § 30 Abs. 1 TBO neuerlich bejahen sollte, hätte sie unabhängig davon, ob die Beschwerdeführerin (auch) durch den Baubewilligungsbescheid in ihren Rechten verletzt worden ist, den bekämpften Bescheid des Gemeinderates schon deshalb aufzuheben und dem Gemeinderat eine meritorische Entscheidung über die Berufung der erstmitbeteiligten Gemeinde aufzutragen. Es bleibt jedenfalls (vorerst) zu beurteilen, ob die erstmitbeteiligte Gemeinde im Rahmen der in ihrer Berufung geltend gemachten Einwendungen in ihren Rechten verletzt worden ist, wobei ihr (auch als Gebietskörperschaft) als Grundstückseigentümer und Nachbar im Sinne des § 30 Abs. 1 TBO keine weiterreichenden Rechte zukommen als die im § 30 Abs. 4 TBO genannten.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991, wobei der Beschwerdeführerin jedoch der Schriftsatzaufwand nur in jener Höhe zugesprochen werden konnte, in welcher sie ihn (hinter den Pauschalsätzen der genannten Verordnung zurückbleibend) in ihren Beschwerden verzeichnet hat.

Schlagworte

Baurecht Grundeigentümer Rechtsnachfolger Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung Techniker Bautechniker Ortsbild Landschaftsbild

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1991060075.X00

Im RIS seit

03.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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