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L55007 Baumschutz Landschaftsschutz Naturschutz Tirol;Norm
AVG §38;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Puck, Dr. Waldner, Dr. Novak und Dr. Bumberger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des J in O, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in K, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 14. Oktober 1991, Zl. U-12.224/13, betreffend Aussetzung eines naturschutzrechtlichen Verfahrens, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.390,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer beantragte bei der Bezirkshauptmannschaft, ihm die naturschutzrechtliche Bewilligung zur Errichtung eines Muschelkalksteinbruchs und einer Anlage zur Sand- und Schotterproduktion auf näher bezeichneten Grundstücken zu erteilen. Der Antrag wurde mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft vom 20. März 1990 abgewiesen. Der Beschwerdeführer erhob in offener Frist Berufung. Im Berufungsverfahren ergaben sich geologische Bedenken dahingehend, daß sich das Vorhaben des Beschwerdeführers nachteilig auf die für die Wasserversorgung der Gemeinde N wichtigen "U-Quellen" auswirken könnte. Mit Schreiben vom 12. August 1991 an den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers wies die Tiroler Landesregierung auf die nach ihrer Meinung gegebene Notwendigkeit hin, das naturschutzrechtliche Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung im wasserrechtlichen Verfahren betreffend Festlegung eines Quellschutzgebietes für die genannten Quellen gemäß § 38 AVG auszusetzen. Mit Erledigung vom 14. Oktober 1991 nahm die Tiroler Landesregierung neuerlich Bezug auf das nach § 34 WRG 1959 idF BGBl. Nr. 252/1990 bei der Wasserrechtsbehörde anhängige Verfahren, wies abermals auf die von einem geologischen Sachverständigen befürchteten nachteiligen Auswirkungen des Vorhabens des Beschwerdeführers auf die "U-Quellen" hin und hielt dazu fest, daß aus naturschutzrechtlicher Sicht Lage und Ausmaß des Quellschutzgebietes entscheidungswesentlich seien. Die Frage der Beeinflussung des Quellgebietes durch das gegenständliche Vorhaben sei zwar "primär von wasserrechtlicher Bedeutung, aber auch von naturschutzrechtlicher Relevanz (Naturhaushalt)". Abschließend heißt es in dieser Erledigung:
"Das gegenständliche Berufungsverfahren wird daher bis zur rechtskräftigen Entscheidung des wasserrechtlichen Verfahrens (Quellschutzgebiet - § 34 Wasserrechtsgesetz) unterbrochen."
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Der Beschwerdeführer meint zunächst, diese Erledigung sei ungeachtet der fehlenden Bezeichnung als Bescheid anzusehen. In der Sache verneint der Beschwerdeführer das Vorliegen einer Vorfrage im Sinne des § 38 AVG. Im wasserrechtlichen Verfahren gehe es um eine künftige Rechtsgestaltung. Nach den für die Naturschutzbehörde maßgebenden Vorschriften bilde "die Frage eines Quellschutz- bzw. Schongebietes kein Tatbestandselement". Im übrigen lägen, selbst wenn es sich hier um eine Vorfrage handelte, die Voraussetzungen für eine Ermessensentscheidung nach § 38 AVG im Sinne der Aussetzung des Verfahrens nicht vor.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift mit dem Antrag auf Abweisung der Beschwerde erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Vorweg ist festzuhalten, daß die Erledigung der belangten Behörde vom 14. Oktober 1991 auch nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes ungeachtet der fehlenden Bescheidbezeichnung als Bescheid anzusehen ist.
Jeder Bescheid ist gemäß § 58 Abs. 1 AVG ausdrücklich als solcher zu bezeichnen und hat den Spruch und die Rechtsmittelbelehrung zu enthalten. Auf die ausdrückliche Bezeichnung als Bescheid kann nur dann verzichtet werden, wenn sich aus dem Spruch eindeutig ergibt, daß die Behörde einen individuellen Akt der Hoheitsverwaltung gesetzt hat, also daß sie normativ - entweder rechtsgestaltend oder rechtsfeststellend - entschieden hat. Der normative Inhalt muß sich aus der Formulierung der behördlichen Erledigung, also in diesem Sinne auch aus der Form der Erledigung, ergeben. Dazu ist erforderlich, daß im Wortlaut der behördlichen Erledigung selbst zum Ausdruck kommt, daß die Behörde eine Verwaltungssache in rechtsverbindlicher Weise erledigt. An eine behördliche Erledigung, die nicht ausdrücklich als Bescheid bezeichnet ist, ist hinsichtlich der Wertung als Bescheid nach ihrem Inhalt ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. den hg. Beschluß eines verstärkten Senates vom 15. Dezember 1977, Slg. 9458/A).
Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde eine Erledigung getroffen, die zwar nicht als Bescheid bezeichnet ist, ihrem Inhalt nach aber eindeutig den Willen zu einem normativen Abspruch erkennen läßt. Im Wortlaut der Erledigung selbst kommt unmißverständlich zum Ausdruck, daß die belangte Behörde damit das bei ihr anhängige Verfahren rechtsverbindlich aussetzen wollte, was sie im übrigen dem Beschwerdeführer zuvor auch ausdrücklich angekündigt hatte. Es steht daher auch bei Anlegung eines strengen Maßstabes außer Zweifel, daß die angefochtene Erledigung ungeachtet der fehlenden Bezeichnung als Bescheid als solcher zu werten ist. Im übrigen räumt auch die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift ein, daß es sich bei dieser Erledigung um einen Bescheid handelt.
Die Beschwerde ist auch insofern im Recht, als sie das Vorliegen einer Vorfrage im Sinne des § 38 AVG verneint.
Gemäß § 38 AVG ist die Behörde, sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zu Grunde zu legen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Behörde bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird.
Eine Vorfrage im Sinne dieser Gesetzesstelle ist eine für die Entscheidung der Verwaltungsbehörde präjudizielle Rechtsfrage, über die als Hauptfrage von einer anderen Verwaltungsbehörde oder von einem Gericht oder auch von derselben Behörde, jedoch in einem anderen Verfahren, zu entscheiden ist (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. Februar 1981, Slg. 10.383/A, mit weiteren Judikaturhinweisen). Präjudiziell - und somit Vorfragenentscheidung im verfahrensrechtlich relevanten Sinn - ist nur eine Entscheidung, die eine Rechtsfrage betrifft, deren Beantwortung für die Hauptfragenentscheidung unabdingbar - das heißt eine notwendige Grundlage - ist, und die diese Rechtsfrage in einer die Verwaltungsbehörde bindenden Weise regelt (vgl. etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. September 1986, Zl. 86/10/0129).
Nach der Übergangsbestimmung des Art. III Abs. 8 der Novelle zum Tiroler Naturschutzgesetz LGBl. Nr. 52/1990 (nunmehr Art. III Abs. 8 der Kundmachung über die Wiederverlautbarung des Tiroler Naturschutzgesetzes, LGBl. Nr. 29/1991) sind Verwaltungsverfahren auf Grund des Tiroler Naturschutzgesetzes, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Novelle bereits anhängig sind, nach den gesetzlichen Bestimmungen, wie sie beim Inkrafttreten dieses Gesetzes in Geltung standen, weiterzuführen. Die Novelle trat am 1. September 1990 in Kraft. Für das gegenständliche Verfahren sind daher die Bestimmungen des Tiroler Naturschutzgesetzes in der Stammfassung (LGBl. Nr. 15/1975; im folgenden: TNSchG 1975) maßgeblich. Die Bewilligungspflicht für das gegenständliche Vorhaben ergibt sich aus § 5 Abs. 1 lit. b Z. 2 TNSchG 1975 ("Errichtung, Aufstellung ... von Anlagen zur Gewinnung oder Aufbereitung von Gesteinen, Schotter ..."). Nach § 13 Abs. 1 lit. a TNSchG 1975 ist Voraussetzung für eine Bewilligung u.a., daß das Vorhaben, für das die Bewilligung beantragt wurde, den Naturhaushalt nicht in einer Weise beeinträchtigt, die dem öffentlichen Interesse, das durch die Festsetzung der Bewilligungspflicht geschützt werden soll, zuwiderläuft.
§ 34 des Wasserrechtsgesetzes 1959 in der Fassung der Wasserrechtsgesetz-Novelle 1990, BGBl. Nr. 252, regelt den Schutz von Wasserversorgungsanlagen und ermächtigt in seinem Abs. 1 die Wasserrechtsbehörden, zum Schutze solcher Anlagen gegenüber Verunreinigung oder gegen eine Beeinträchtigung ihrer Ergiebigkeit wasserpolizeiliche Anordnungen zu treffen, unter anderem die Errichtung bestimmter Anlagen zu untersagen und entsprechende Schutzgebiete zu bestimmen. Abs. 2 ermächtigt den Landeshauptmann, erforderlichenfalls mit Verordnung zu bestimmen, daß in einem näher zu bezeichnenden Teil des Einzugsgebietes (Schongebiet) Maßnahmen anzeige- oder bewilligungspflichtig sind oder nicht oder nur in bestimmter Weise zulässig sind.
§ 34 des Wasserrechtsgesetzes 1959 hat den Schutz von Wasservorkommen, die für Wasserversorgungsanlagen genutzt werden, vor den im Gesetz angeführten Beeinträchtigungen zum Gegenstand, nicht jedoch den Schutz des "Naturhaushaltes". Darunter ist das Wirkungsgefüge aus den Wechselbeziehungen der Lebewesen untereinander und zu ihrer Umwelt zu verstehen (vgl. "Naturschutz-Begriffsdefinitionen", hrsg. von der Verbindungsstelle der Bundesländer, Wien 1981, S. 21). Daß dieses Verständnis auch dem TNSchG 1975 zu Grunde liegt, läßt auch dessen Entstehungsgeschichte erkennen (EB zur RV, Stenographische Berichte des Tiroler Landtages, VII. GP,
27. Tagung, S. 8), wenn es darin in bezug auf das Ziel "eine in ihrem Wirkungsgefüge möglichst unbeeinträchtigte Natur zu erhalten" (§ 1 Abs. 1) heißt, der Ausdruck "Wirkungsgefüge" entspreche der im folgenden durchgängig verwendeten Bezeichnung "Naturhaushalt". Maßnahmen zum Schutz von Wasserversorgungsanlagen nach § 34 des Wasserrechtsgesetzes 1959 können faktische Auswirkungen auf den Naturhaushalt haben. Für die Wasserrechtsbehörde spielt gleichwohl bei der Anwendung dieses Paragraphen der Naturhaushalt begrifflich keine Rolle. Die hier maßgebliche Frage, ob die vom Beschwerdeführer geplante Maßnahme "den Naturhaushalt beeinträchtigt", ist einzig und allein von der Naturschutzbehörde zu entscheiden und daher für sie Hauptfrage. Die belangte Behörde hat daher die Rechtslage verkannt und die verfügte Aussetzung des Verfahrens mit Rechtswidrigkeit behaftet.
Aus diesem Grund ist der angefochtene Bescheid, ohne daß noch auf das weitere Beschwerdevorbringen, insbesondere auf die "in eventu" erhobene Säumnisbeschwerde, einzugehen ist, gemäß § 42 Abs. 1 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1991100244.X00Im RIS seit
12.11.2001Zuletzt aktualisiert am
17.05.2009