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16 MedienrechtNorm
B-VG Art83 Abs2 / Ablehnung der SachentscheidungLeitsatz
Verneinung der Zulässigkeitsvoraussetzungen zur Erhebung einer Beschwerde nach §27 Abs1 Z1 lita RundfunkG zu unrecht; unmittelbare Schädigung des beschwerdeführenden Jagdverbandes selbst durch einen Hörfunkbeitrag über das Jagdwesen möglich; Entziehung des gesetzlichen RichtersSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Vertreters die mit 5.500 S bestimmten Verfahrenskosten binnen vierzehn Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1. Am 11. Februar 1988 ab 15 Uhr strahlte der Österreichische Rundfunk (ORF) im (Hörfunk-)Programm Ö3 den Beitrag "Musikbox" aus, der sich (auch) mit dem Jagdwesen befaßte.
1.2.1. Am 24. März 1988 langte bei der Kommission zur Wahrung des Rundfunkgesetzes eine Beschwerde des Niederösterreichischen Landesjagdverbandes ein, in der geltend gemacht wurde, daß der eingangs erwähnte (Hörfunk-)Beitrag gegen das dem ORF gesetzlich auferlegte Gebot der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung verstoßen habe. Denn mit dieser Sendung sei ein ganzer Bevölkerungsteil, nämlich die Jägerschaft, durch "gefärbte Angriffe" verunglimpft, einseitig desavouiert und (in berechtigten Interessen) geschädigt worden.
1.2.2. Die Kommission zur Wahrung des Rundfunkgesetzes wies diese Beschwerde mit Bescheid vom 18. April 1988, Z436/4-RFK/88, als unzulässig zurück.
Zur Begründung wurde ua. wörtlich ausgeführt:
" . . . Gemäß §27 Abs1 Z1 RFG entscheidet die Kommission - soweit dafür nicht eine andere Verwaltungsbehörde oder ein Gericht zuständig ist - über die Verletzung von Bestimmungen dieses Bundesgesetzes auf Grund von Beschwerden einer Person, die durch eine Rechtsverletzung unmittelbar geschädigt zu sein behauptet (lita), oder aber eines Inhabers einer Rundfunk-(Fernsehrundfunk-)Hauptbewilligung, sofern eine solche Beschwerde von mindestens 500 weiteren Inhabern einer derartigen Bewilligung unterstützt wird (litb).
Da (der) Beschwerdeführer weder das Vorliegen einer Bewilligung noch die Unterstützung durch mindestens 500 Inhaber einer solchen behauptet (hat), ist die Legitimation nach dem §27 Abs1 Z1 lita RFG zu beurteilen.
Für die Beschwerdelegitimation nach §27 Abs1 Z1 lita RFG genügt es zwar, wenn sich aus dem Vorbringen in der Beschwerde die Möglichkeit ergibt, daß sich die behauptete Verletzung des Rundfunkgesetzes auf das Vermögen oder die davon verschiedenen Interessen der Beschwerdeführer nachteilig auswirkt. Zum Schaden gehört also auch der Nachteil an der Person, also der sogenannte immaterielle oder ideelle Schaden, wobei darunter jede Beeinträchtigung von Interessen fällt, die keinen Vermögenswert haben (vgl. RFK 22.8.1980, RfR 1980, 57). Wie das im Gesetz verwendete Wort 'unmittelbar' eindeutig zeigt, kommt aber nur ein Schaden in Betracht, der den Beschwerdeführern selbst entstanden ist oder entstehen kann (vgl. RFK 19.2.1987, RfR 1987, 40).
Weder dem Vorbringen (des) Beschwerdeführer(s) in der Beschwerde noch den Ausführungen (des) Vertreters bei der mündlichen Verhandlung vor der Kommission ist - außer der bloßen Behauptung - ein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, daß (der) Beschwerdeführer selbst durch die behaupteten Rechtsverletzungen geschädigt sein könnte.
In konsequenter Fortführung dieser Spruchpraxis kann daher
durch (den) Beschwerdeführer eine Schädigung des Jagdwesens an sich
mit der Rundfunkbeschwerde nicht releviert werden. Zu verneinen ist
die lediglich behauptete, aber keineswegs substantiierte
unmittelbare Schädigung (des) Beschwerdeführer(s) durch die
Aggressivität der Rundfunksendung und die Herabsetzung der
Jägerschaft als Bevölkerungsgruppe. Im Hinblick auf die
jagdrechtliche Institutionalisierung (des) Beschwerdeführer(s) und
die damit verbundene Zwangsmitgliedschaft der . . . vertretenen
Mitglieder ist auch eine bloße Möglichkeit einer unmittelbaren
Schädigung nicht zu ersehen. . . "
1.3.1. Dagegen ergriff der Niederösterreichische Landesjagdverband Beschwerde nach Art144 (Abs1) B-VG an den Verfassungsgerichtshof, und zwar mit der Behauptung, durch den angefochtenen Verwaltungsakt in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, namentlich im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG), verletzt worden zu sein.
1.3.2. Die belangte Kommission legte die Administrativakten vor und verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift.
1.3.3. Hingegen brachten der Generalintendant für den ORF sowie die für die Sendung (mit-)verantwortlichen Mitarbeiter, und zwar der Hörfunkintendant E G und der Hauptabteilungsleiter für Gesellschaft, Jugend und Familie H G, als Mitbeteiligte des verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens eine - gemeinsam abgefaßte - Gegenschrift ein, in der sie für die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde eintraten.
2. Über die Beschwerde wurde erwogen:
2.1.1. Die Kommission zur Wahrung des Rundfunkgesetzes ist eine nach Art133 Z4 B-VG eingerichtete Verwaltungsbehörde. Ihre Entscheidungen unterliegen nach §29 Abs5 Rundfunkgesetz, BGBl. 379/1984, (RFG) nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungsweg. Der administrative Instanzenzug ist also ausgeschöpft (vgl. zB VfSlg. 11.062/86; VfGH 26.2.1987 B474/86, 10.12.1987 B446/87, 9.6.1988 B392/87).
2.1.2. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen zutreffen, ist die Beschwerde zulässig.
2.2.1. Nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes verletzt ein Bescheid das - vom beschwerdeführenden Landesjagdverband relevierte - verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter ua. dann, wenn die bescheiderlassende Verwaltungsbehörde in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie eine Sachentscheidung zu Unrecht verweigert (VfGH 25.2.1988 B1022/87 uva.).
Der Verfassungsgerichtshof hat folglich zu prüfen, ob die hier bekämpfte Zurückweisung der (Administrativ-)Beschwerde als unzulässig dem Gesetz entsprach.
2.2.2.1. Die Kommission zur Wahrung des Rundfunkgesetzes entscheidet gemäß §27 Abs1 Z1 lita RFG "über die Verletzung
von Bestimmungen dieses Bundesgesetzes . . . auf Grund von
Beschwerden . . . einer Person, die durch eine Rechtsverletzung
unmittelbar geschädigt zu sein behauptet" (soweit für diese Entscheidung nicht eine andere Verwaltungsbehörde oder ein Gericht zuständig ist). Als Zulässigkeitsvoraussetzung der Beschwerde (einer natürlichen oder juristischen Person) fordert das RFG demnach (nur) die Behauptung einer entsprechenden Rechtsverletzung (vgl. Art131 Abs1 Z1, 144 Abs1 B-VG), einer Verletzung, die freilich nicht von vornherein ausgeschlossen sein darf, vielmehr den Umständen nach zumindest im Bereich der Möglichkeit liegen muß, um die Beschwerdelegitimation zu begründen (vgl. zB Dolp-Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, 3. Aufl., Wien 1987, S 44, FN 4 (zu §34 Abs1 VwGG iVm Art131 Abs1 Z1 B-VG); VfSlg. 5038/1965, 6716/1972 (zu Art144 Abs1 B-VG)). Als zusätzliches Erfordernis tritt hinzu, daß die behauptete Rechtsverletzung von bestimmter Beschaffenheit zu sein hat: Sie muß den Beschwerdeführer - nach seinen Beschwerdebehauptungen - "unmittelbar", dh. (ihn) selbst "schädigen". Dabei ist eine derartige "Schädigung" in der Bedeutung des §27 Abs1 Z1 lita RFG nach dem Gesetzeswortlaut nicht auf den Kreis der in §1330 Abs2 ABGB umschriebenen Rechtsgüter beschränkt (zu §1330 ABGB s. ua. Wolff, in: Klang (Hrsg.), Kommentar zum Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch, 2. Aufl., Bd. 6, S 161); sie kann darum (auch) bloß immaterieller Natur sein, wie der Verfassungsgerichtshof schon in seinem Erkenntnis vom 27.2.1989, B1414/88, darlegte.
Erfüllt eine Beschwerde nach §27 Abs1 Z1 lita RFG diese Kriterien, ist sie also zulässig, dann kann die Entscheidung der Kommission nur in der Feststellung (materieller Art) bestehen, ob und - bejahendenfalls - durch welchen Sachverhalt eine Vorschrift des RFG verletzt wurde.
2.2.2.2. Der Verfassungsgerichtshof vermag der belangten Behörde nicht beizupflichten, wenn sie der Auffassung anhängt, daß es hier an den Zulässigkeitsbedingungen des §27 Abs1 Z1 lita RFG fehle. Die belangte Kommission ging zwar im Einklang mit den Ergebnissen des Administrativverfahrens erkennbar und zutreffend davon aus, es sei durchaus möglich, daß die besagte (Rundfunk-)Sendung Angehörige der Jägerschaft in berechtigten (immateriellen) Interessen geschädigt habe. Sie hält jedoch dafür, daß der Niederösterreichische Jagdverband im gegebenen Zusammenhang nicht unmittelbar geschädigt worden sein konnte.
Nun sind im Niederösterreichischen Landesjagdverband, einer
Körperschaft des öffentlichen Rechts, "die Inhaber der in
Niederösterreich gültigen Jagdkarten . . . zusammengeschlossen"
(§125 Abs1 und 2 des NÖ Jagdgesetzes 1974 (NÖ JG), LGBl. 6500).
Seine vornehmste Aufgabe ist die Förderung der Jagd und der
Jagdwirtschaft (§126 Abs1 NÖ JG); es obliegt ihm aber auch "die
Wahrung der Interessen der Berufsjäger und Jagdaufseher und die
Förderung und Pflege des Waidwerkes . . . " (§126 Abs2 NÖ JG).
Zur Erfüllung dieser Aufgaben ist der Niederösterreichische Landesjagdverband kraft §126 Abs4 litc NÖ JG zur Wahrnehmung der Interessen der Berufsjäger und Jagdaufseher befugt. Angesichts dieser Rechtslage kann es nicht zweifelhaft sein, daß die behauptete Schädigung die vom Jagdverband repräsentierten Mitglieder und damit notwendig auch den Verband selbst, dem die Interessen seiner Angehörigen zu wahren gesetzlich aufgetragen ist, unmittelbar treffen konnte. Es liefe dem Wortlaut und Sinn des NÖ JG zuwider, wollte man meinen, wie es der belangten Kommission vorzuschweben scheint, daß die Verbandsmitglieder trotz der gesetzlichen Vertretungspflicht des Verbandes zur unmittelbaren Antragstellung nach §27 RFG genötigt seien.
2.2.3. Daraus folgt aber, daß die belangte Behörde, die (Zulässigkeits-)Voraussetzungen des §27 Abs1 Z1 lita RFG zu Unrecht verneinend, dem beschwerdeführenden Jagdverband gesetzwidrig eine Sachentscheidung verweigerte, indem sie die Beschwerde - ohne sie einer sachlichen Prüfung zu unterziehen - als unzulässig abtat.
Dadurch wurde der Beschwerdeführer, wie er zutreffend rügt, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.
Der angefochtene Bescheid war daher als verfassungswidrig aufzuheben.
2.3. Der Kostenausspruch stützt sich auf §88 VerfGG 1953.
Die in der Beschwerde vom 17. Juni 1988 verzeichneten Kosten waren nur im halben Ausmaß zuzusprechen, weil sich dieser Schriftsatz sowohl auf das vorliegende Verfahren als auch auf die Rechtssache B1237/88 bezog.
Im zugesprochenen Kostenbetrag ist Umsatzsteuer in der Höhe von 500 S enthalten.
2.4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Satz 1 VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.
Schlagworte
Rundfunk, Jagdrecht, InteressenvertretungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1989:B367.1989Dokumentnummer
JFT_10109075_89B00367_00