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DE-41 Innere Angelegenheiten Deutschland;Norm
AuslG-D 1990 §3 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Zeizinger und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des S in O, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 24. Oktober 1991, Zl. VwSen-230010/2/Gf/Kf, betreffend Bestrafung wegen Übertretung des Fremdenpolizeigesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf/Krems vom 27. September 1991 wurde der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, wegen der Übertretung nach § 14b Abs. 1 Z. 4 in Verbindung mit § 2 Abs. 2 Z. 1 Fremdenpolizeigesetz bestraft, weil er sich seit 20. August 1991 in Österreich aufhalte, ohne im Besitz eines gültigen Sichtvermerks zu sein.
2. In der dagegen erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer unter anderem vor, er sei "mit einem deutschen gültigen Visum legal in Österreich eingereist" und daher zumindest für drei Monate zum Aufenthalt in Österreich berechtigt.
3. Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ab und führte begründend aus, im Hinblick auf die unbefristete Aussetzung des Abkommens zwischen Österreich und der Türkei über die Aufhebung der Sichtvermerkspflicht, BGBl. Nr. 194/1955, bedürften türkische Staatsangehörige für die Einreise nach Österreich gemäß § 23 Abs. 1 Paßgesetz 1969 außer einem gültigen Reisedokument eines österreichischen Sichtvermerkes. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers ohne einen derartigen Sichtvermerk sei daher rechtswidrig und gemäß § 14b Abs. 1 Z. 4 Fremdenpolizeigesetz strafbar. Nach der Kundmachung des Bundeskanzlers vom 24. April 1990 betreffend die Aussetzung des oben genannten Abkommens wäre der Beschwerdeführer nur dann von der Sichtvermerkspflicht ausgenommen gewesen, wenn er eine deutsche oder schweizerische Aufenthaltsbewilligung besessen hätte. Da dies nicht zutreffe, sei er nicht zum Aufenthalt in Österreich berechtigt. Dem Beschwerdeführer gehe es darum, bei seiner Gattin in Österreich leben zu dürfen. Der deutsche Sichtvermerk habe somit offenkundig lediglich dazu gedient, sich die Einreise nach Österreich zu verschaffen und diese dann im Wege der nachträglichen Antragstellung um Erteilung eines Sichtvermerkes zu legalisieren.
4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
II.
1. Bei der für den Beschwerdefall entscheidenden Frage, ob der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet rechtswidrig war oder nicht, war von folgender Rechtslage auszugehen:
1.1. § 23 Abs. 1 bis 3 Paßgesetz 1969 lautet wie folgt:
(1) Fremde bedürfen zur Einreise in das Bundesgebiet außer einem gültigen Reisedokument (§ 22) eines österreichischen Sichtvermerkes; dies gilt nicht, wenn durch zwischenstaatliche Vereinbarung anderes bestimmt wird oder wenn der Fremde während einer Zwischenlandung auf einem österreichischen Flugplatz dessen Transitraum nicht verläßt (Transitreisender).
(2) Sofern die Bundesregierung zum Abschluß von Regierungsübereinkommen gemäß Artikel 66 Absatz 2 des Bundes-Verfassungsgesetzes in der Fassung von 1929 ermächtigt ist, kann sie zur Erleichterung des Reiseverkehrs unter der Voraussetzung, daß Gegenseitigkeit gewährt wird, zwischenstaatliche Vereinbarungen abschließen, durch die Fremde berechtigt werden, ohne Sichtvermerk zu einem zeitlich beschränkten Aufenthalt in das Bundesgebiet einzureisen.
(3) Wenn dies im öffentlichen Interesse liegt oder internationalen Gepflogenheiten entspricht, kann der Bundesminister für Inneres im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Auswärtige Angelegenheiten durch Verordnung Ausnahmen von der Sichtvermerkspflicht gewähren. Fremde, die auf Grund einer solchen Verordnung einreisen, sind berechtigt, sich drei Monate im Bundesgebiet aufzuhalten.
1.2. Die zunächst nur vorübergehend für die Dauer von drei Monaten verfügte Aussetzung (vgl. BGBl. Nr. 66/1990) des Abkommens zwischen der österreichischen Bundesregierung und der türkischen Regierung über die Aufhebung des Sichtvermerkszwanges BGBl. Nr. 194/1955 wurde laut Kundmachung des Bundeskanzlers vom 24. April 1990, BGBl. Nr. 222, bis auf weiteres verlängert. In der kundgemachten Verbalnote wird unter anderem ausgeführt, daß von der durch die vorübergehende Aussetzung verfügten Wiedereinführung der Sichtvermerkspflicht für türkische Staatsangehörige die Inhaber von Diplomaten-, Spezial- und Dienstpässen ausgenommen gewesen seien und in der Folge auch Inhaber gewöhnlicher Reisepässe türkischer Staatsangehörigkeit, sofern sie in der Bundesrepublik Deutschland oder in der Schweiz eine Aufenthaltserlaubnis besaßen, von der Sichtvermerkspflicht ausgenommen worden seien, um die zunächst entstandenen erheblichen Schwierigkeiten dieses Personenkreises bei der Erlangung österreichischer Sichtvermerke zu beseitigen. In der Verbalnote wird abschließend erwähnt, daß die vorhin bezeichneten Ausnahmen von der Sichtvermerkspflicht bestehen blieben.
1.3. Mit diesen Ausführungen nimmt die Verbalnote Bezug auf die Verordnung des Bundesministers für Inneres vom 9. Februar 1990 über eine Ausnahme von der Sichtvermerkspflicht, BGBl. Nr. 95a/1990, die am 15. Februar 1990 in Kraft getreten ist und deren § 2 wie folgt lautet:
"§ 2. Türkische Staatsangehörige sind von der Sichtvermerkspflicht befreit, wenn sie einen gültigen gewöhnlichen türkischen Reisepaß und eine der nachstehend angeführten Einreiseerlaubnisse der Bundesrepublik Deutschland vorweisen:
1.
gültiger Sichtvermerk,
2.
gültige Aufenthaltserlaubnis,
3.
Aufenthaltsberechtigung.
Ferner sind türkische Staatsangehörige, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und über keine auf ihren Namen lautende Einreiseerlaubnis für die Bundesrepublik Deutschland verfügen, von der Sichtvermerkspflicht befreit, wenn sie in Begleitung eines Elternteiles reisen, der eine gültige Einreiseerlaubnis für die Bundesrepublik Deutschland besitzt oder falls sie allein reisen, wenn sie eine Bescheinigung einer Ausländerbehörde der Bundesrepublik Deutschland vorweisen, daß im Zeitpunkt der Einreise zumindest ein Elternteil in der Bundesrepublik Deutschland zum Aufenthalt berechtigt ist."
2. In der Begründung des angefochtenen Bescheides hat die belangte Behörde - ohne auf die zuletzt genannte Verordnung des Bundesministers für Inneres vom 9. Februar 1990 einzugehen - die Auffassung vertreten, der "deutsche Sichtvermerk" schaffe keine Ausnahme von der Sichtvermerkspflicht, weshalb der Beschwerdeführer für die Einreise nach Österreich eines österreichischen Sichtvermerkes bedurft hätte. Diese Auffassung erweist sich aus folgenden Erwägungen als unrichtig:
2.1. § 2 der zitierten Verordnung des Bundesministers für Inneres zählt bestimmte Einreiseerlaubnisse der Bundesrepublik Deutschland auf und verwendet dabei Begriffe des deutschen Ausländerrechts. Bis 31. Dezember 1990 - also auch zur Zeit der Erlassung der zitierten Verordnung des Bundesministers für Inneres - galt in der Bundesrepublik Deutschland das Ausländergesetz vom 28. April 1965 (dBGBl. I S. 353). Dieses bestimmte in § 2 Abs. 1, daß Ausländer, die in den Geltungsbereich dieses Gesetzes einreisen und sich darin aufhalten wollen, einer Aufenthaltserlaubnis bedürfen. Die Aufenthaltserlaubnis durfte erteilt werden, wenn die Anwesenheit des Ausländers Belange der Bundesrepublik Deutschland nicht beeinträchtigt.
Gemäß § 5 Abs. 1 dieses Gesetzes konnte die Aufenthaltserlaubnis (§ 2 Abs. 1) vor der Einreise oder nach der Einreise erteilt werden. Nach Abs. 2 dieser Gesetzesstelle konnte durch Verordnung bestimmt werden, daß die Aufenthaltserlaubnis vor der Einreise oder vor der Einreise in der Form des Sichtvermerks eingeholt werden muß.
Nach § 8 Abs. 1 des zitierten Gesetzes konnte Ausländern, die sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzes aufhalten und sich in das wirtschaftliche und soziale Leben in der Bundesrepublik Deutschland eingefügt haben, die Erlaubnis zum Aufenthalt als Aufenthaltsberechtigung erteilt werden, die gemäß Abs. 2 dieser Gesetzesstelle räumlich und zeitlich unbeschränkt war und nicht mit Bedingungen versehen werden konnte.
Aus diesen Bestimmungen folgt, daß Ausländern das Recht, sich in der Bundesrepublik Deutschland aufzuhalten, - sofern eine Aufenthaltserlaubnis überhaupt erforderlich war (§ 2 Abs. 2 und 3 leg. cit.) - in Form der (einfachen) Aufenthaltserlaubnis oder der (qualifizierten) Aufenthaltsberechtigung eingeräumt werden konnte, wobei der Sichtvermerk eine Form der Aufenthaltserlaubnis darstellte (§ 5 Abs. 2).
2.2. Mit 1. Jänner 1991 trat in der Bundesrepublik Deutschland das Gesetz zur Neuregelung des Ausländerrechts vom 9. Juli 1990 (dBGBl. I S. 1354) in Kraft, durch dessen Art. 1 ein neues Ausländergesetz geschaffen wurde. Nach dessen § 3 Abs. 1 bedürfen Ausländer für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet einer Aufenthaltsgenehmigung. Durch Verordnung können Befreiungen vom Erfordernis der Aufenthaltsgenehmigung vorgesehen werden. Gemäß § 3 Abs. 3 ist die Aufenthaltsgenehmigung vor der Einreise in der Form des Sichtvermerks (Visum) einzuholen. Davon abweichende Regelungen können durch Verordnung geschaffen werden. Gemäß § 5 wird die Aufenthaltsgenehmigung erteilt als 1. Aufenthaltserlaubnis (§§ 15, 17), 2. Aufenthaltsberechtigung (§ 27),
3. Aufenthaltsbewilligung (§§ 28, 29), 4. Aufenthaltsbefugnis (§ 30).
3. Die belangte Behörde argumentiert in der Gegenschrift damit, aus der Kopie des Reisepasses des Beschwerdeführers ergebe sich, daß diesem von der deutschen Botschaft in Ankara am 15. August 1991 eine "nur als Busbegleiter gültige Aufenthaltsgenehmigung" für den Zeitraum vom 16. August bis 15. November 1991 erteilt worden sei; unter einem seien die "Alternativberechtigungen", nämlich "Aufenthaltserlaubnis" oder "Sichtvermerk", durchgestrichen worden. Damit habe der Beschwerdeführer keine der im § 2 der Verordnung des Bundesministers für Inneres vom 9. Februar 1990 genannten Einreiseerlaubnisse besessen. Dem Verordnungsgeber könne nicht unterstellt werden, daß die Begriffswahl bloß rein zufällig erfolgt sei, sondern man müsse davon ausgehen, daß dies in sorgfältiger Abstimmung mit der schweizerischen und deutschen Rechtsterminologie vorgenommen worden sei.
Bei diesen Ausführungen hat die belangte Behörde die oben beschriebene Änderung der Rechtslage in der Bundesrepublik Deutschland übersehen. Der Begriff Aufenthaltsgenehmigung wurde, wie erwähnt, erst durch das ab 1. Jänner 1991 geltende (neue) Ausländergesetz eingeführt, sodaß der aus der Verwendung dieses Begriffes durch die deutsche Botschaft in Ankara von der belangten Behörde gezogene Schluß verfehlt ist. Vielmehr bewirkte die dem Beschwerdeführer erteilte Aufenthaltsgenehmigung im Hinblick auf § 3 Abs. 3 erster Satz des neuen deutschen Ausländergesetzes, daß er im Besitz einer deutschen Einreiseerlaubnis gemäß § 2 der Verordnung, BGBl. Nr. 95a/1990, und zwar in Form eines gültigen Sichtvermerkes, war.
Er war daher von der Sichtvermerkspflicht befreit. Ihm wurde zu Recht am 20. August 1991 auch ohne österreichischen Sichtvermerk die Einreise erlaubt. Gemäß § 23 Abs. 3 zweiter Satz Paßgesetz 1969 war er demnach berechtigt, sich drei Monate im Bundesgebiet aufzuhalten.
4. Da die belangte Behörde auf Grund ihrer unrichtigen Rechtsansicht den Aufenthalt des Beschwerdeführers als unrechtmäßig angesehen hat, hat sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verorndung BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
Verwaltungsrecht Internationales Rechtsbeziehungen zum Ausland VwRallg12European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1991190357.X00Im RIS seit
06.08.2001