TE Vwgh Erkenntnis 1992/3/26 90/16/0236

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Veröffentlicht am 26.03.1992
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Index

32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;
32/06 Verkehrsteuern;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §45 Abs2;
BAO §166;
BAO §167 Abs2;
BAO §183;
BAO §22 Abs1;
BAO §22 Abs2;
BAO §23 Abs1;
GrEStG 1987 §1 Abs1 Z1;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):90/16/0238

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Iro und die Hofräte Dr. Närr, Mag. Meinl, Dr. Kramer und Dr. Höfinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fritz, über die Beschwerden 1. der M-G.m.b.H. und 2. des FR, beide in W, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in W, gegen die Bescheide der Finanzlandesdirektion für Oberösterreich je vom 6. November 1990, 1. Zl. 396/2-9/Nd-1990 (hg. Zl. 90/16/0236), und 2. Zl. 397/2-9/Nd-1990 (hg. Zl. 90/16/0238), je betreffend Grunderwerbsteuer, zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

1.

Mit der im Spruch dieses Erkenntnisses unter 1. näher bezeichneten Berufungsentscheidung gab die Finanzlandesdirektion für Oberösterreich (in der Folge:

belangte Behörde) der Berufung der Erstbeschwerdeführerin

(einer vom Zweitbeschwerdeführer als geschäftsführender

Gesellschafter vertretenen Gesellschaft m.b.H. mit dem

Unternehmensgegenstand: Erwerb, Verwaltung und kommerzielle

Nutzung von Grundstücken) gegen den Bescheid des Finanzamtes

für Gebühren und Verkehrsteuern in Linz (in der Folge: FA) vom

13. Juli 1990, mit dem gegenüber der Erstbeschwerdeführerin für

einen noch zu erörternden, mit "Kaufvertrag vom 21. März 1990

... (Zweitbeschwerdeführer) beim Finanzamt erfaßt unter

Zahl 322.968/90" bezeichneten Erwerbsvorgang Grunderwerbsteuer

festgesetzt worden war, mit der Bezeichnung des betreffenden

Erwerbsvorganges "... (Zweitbeschwerdeführer) - ...

(Erstbeschwerdeführerin)" nicht Folge, und zwar im wesentlichen mit folgender Begründung:

Mit Kaufvertrag vom 23. August 1989 (in der Folge: Kaufvertrag I) habe der Zweitbeschwerdeführer von einer (in der

Folge als Verkäuferin bezeichneten) Realbüro M... Gesellschaft

m. b.H. die im Punkt I. dieses Vertrages näher bezeichneten Grundstücke (in Oberösterreich) um den Kaufpreis von S 34,500.000,-- erworben. Mit Stornierungsvertrag vom 21. März 1990 (in der Folge: Stornierungsvertrag) hätten die Vertragsparteien vereinbart, diesen Kaufvertrag rückgängig zu machen. Im Sinne des Punktes III. des Stornierungsvertrages habe sich die Verkäuferin verpflichtet, den genannten Kaufpreis innerhalb von acht Tagen ab Unterfertigung des Stornierungsvertrages dem Zweitbeschwerdeführer rückzuerstatten. Für den Rückerwerb (Stornierungsvertrag) habe der Zweitbeschwerdeführer die Befreiung von der Grunderwerbsteuer im Sinne des § 11 GrEStG 1987 (in der Folge: GrEStG) beantragt.

Nach dem Kaufvertrag vom 21. März 1990 (in der Folge: Kaufvertrag II) seien die betreffenden Grundstücke an die Erstbeschwerdeführerin zum Kaufpreis von S 34,500.000,-- veräußert worden.

Das FA habe den Kaufvertrag II abgabenrechtlich als Scheingeschäft qualifiziert und mit Bescheid vom 13. Juli 1990 Grunderwerbsteuer für den Erwerbsvorgang Zweitbeschwerdeführer - Erstbeschwerdeführerin festgesetzt.

In der rechtzeitigen Berufung gegen diesen erstinstanzlichen Bescheid führe die Erstbeschwerdeführerin folgendes aus:

Zum einen werde im angefochtenen Bescheid auf Grund des Kaufvertrages II Grunderwerbsteuer festgesetzt, zum anderen werde für den nicht existierenden Erwerbsvorgang Zweitbeschwerdeführer - Erstbeschwerdeführerin Grunderwerbsteuer festgesetzt. Tatsache sei, daß die Verkäuferin die Grundstücke an die Erstbeschwerdeführerin weiterveräußert habe. Von einem Scheingeschäft könne nicht die Rede sein, weil nach Stornierung des Kaufvertrages I die Verkäuferin wieder die volle Verfügungsgewalt über die Grundstücke erhalten und diese der Zweitbeschwerdeführer somit keinesfalls an die Erstbeschwerdeführerin weiterveräußert habe.

Die belangte Behörde habe über diese Berufung erwogen:

Im konkreten Fall stehe die Festsetzung einer Grunderwerbsteuer auf Grund des Erwerbsvorganges vom 21. März 1990 sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach außer Streit. Strittig hingegen sei die vom FA vertretene Rechtsauffassung, die diesen Erwerbsvorgang in abgabenrechtlicher Hinsicht als Scheingeschäft qualifiziere und als Rechtsgrundlage für die Festsetzung der Grunderwerbsteuer einen Erwerbsvorgang zwischen dem Zweitbeschwerdeführer (verkaufende Vertragspartei) und der Erstbeschwerdeführerin (kaufende Vertragspartei) unterstelle.

Die rechtliche Qualifikation des hier in Rede stehenden Erwerbsvorganges könne nur aus der Sicht der eingangs erwähnten Verträge erfolgen. Die Vertragsaufhebung mit Stornierungsvertrag sei - wie in der unter 2. dieses Erkenntnisses näher bezeichneten Berufungsentscheidung begründet - lediglich zum Zweck der gleichzeitigen Übertragung der Grundstücke an die Erstbeschwerdeführerin, die vom Zweitbeschwerdeführer als geschäftsführender Gesellschafter vertreten werde, erfolgt. Dadurch sei die Verkäuferin nicht wieder in die Stellung versetzt worden, in der sie sich vor Abschluß des Kaufvertrages I befunden habe.

Die belangte Behörde habe zur Prüfung dieser Frage den Zweitbeschwerdeführer aufgefordert, unter Mitnahme aller zur Klärung des Sachverhaltes dienlichen Unterlagen und Beweismittel zum festgesetzten Termin bei der belangten Behörde zwecks Einvernahme zu erscheinen. Gleichzeitig sei der Zweitbeschwerdeführer unter Bezugnahme auf seine Ausführungen in der Berufung vom 22. August 1990 aufgefordert worden, Bestätigungen von jenen Kaufinteressenten vorzulegen, mit denen angeblich ernstliche Kaufgespräche geführt worden seien. Zum vereinbarten Termin sei mit dem Zweitbeschwerdeführer eine Niederschrift aufgenommen worden, in der seine Antworten auf die wesentlichen Fragen festgehalten werden sollten. Der schriftlichen Aufforderung vom 11. September 1990, entsprechende Bestätigungen über Kaufgespräche mit Kaufinteressenten beizubringen, habe der Zweitbeschwerdeführer zum vereinbarten Termin am 1. Oktober 1990 nicht entsprechen können.

Während seiner Einvernahme sei der Zweitbeschwerdeführer mit der Tatsache konfrontiert worden, daß der Stornierungsvertrag am 21. März 1990 zwischen ihm und der Verkäuferin abgeschlossen worden und nahezu uno actu an demselben Tag ein Kaufvertrag zwischen der Verkäuferin und der Erstbeschwerdeführerin von den Vertragsparteien unterzeichnet und damit perfekt geworden sei.

Die damit zusammenhängende Frage, ab wann bzw. wie lange die wirtschaftliche Verfügungsmacht wieder bei der Verkäuferin gewesen sei, habe der Zweitbeschwerdeführer bei seiner Einvernahme ebensowenig beantworten können wie auf den Vorhalt des FA vom 17. Mai 1990.

Daraus sei ersichtlich geworden, daß es mit Abschluß des Stornierungsvertrages lediglich zu einer formalen Aufhebung des Kaufvertrages I gekommen und die Verfügungsmacht über die Grundstücke beim Zweitbeschwerdeführer verblieben sei; sei doch davon auszugehen, daß die Übertragung der vollen Verfügungsmacht in der ausschließlichen Dispositionsbefugnis des Zweitbeschwerdeführers als rückübertragender Vertragspartei gelegen gewesen sei.

Daß es sich beim Stornierungsvertrag um eine nicht ernstlich gemeinte Rückgängigmachung des Kaufvertrages I gehandelt und die Verkäuferin ihre ursprüngliche (freie) Rechtsstellung nicht wiedererlangt habe, also Vertragszweck die Ermöglichung der Weiterveräußerung "eines Liegenschaftsanteiles" unter Vermeidung einer neuerlichen Grunderwerbsteuerpflicht gewesen sei, werde aus dem Umstand deutlich, daß Punkt III. des Stornierungsvertrages durch die verpflichtete Vertragspartei mißachtet worden sei, da entgegen der dort getroffenen Vereinbarung der Kaufpreis von S 34,500.000,-- nicht innerhalb von acht Tagen ab Unterfertigung des Stornierungsvertrages, sondern den vorgelegten Kopien der Bankbelege zufolge erst am 8. Juni 1990, also mit mehr als zweimonatiger Verspätung, rückerstattet worden sei.

Wenn man bedenke, daß bei Bankgeschäften zu fremdüblichen Bedingungen der eingetretene Terminverlust bei einer Schuld in der Größe von S 34,500.000,-- im Hinblick auf den Zinsverlust zu unverzüglichen Konsequenzen führe, sei die eher passive Haltung des Zweitbeschwerdeführers hiezu dann unerklärlich, wenn man die von ihm vertretene Version des Bestehens schuldrechtlicher Beziehungen zwischen der Verkäuferin und der von ihm geführten Erstbeschwerdeführerin unterstelle. Diese Vorgangsweise erscheine nur dann nachvollziehbar, wenn der Zweitbeschwerdeführer kraft seiner Rechtsstellung als geschäftsführender Gesellschafter der Erstbeschwerdeführerin als Käuferin im zu beurteilenden Erwerbsvorgang die finanzielle Abwicklung des Geschäftes mit der von ihm vertretenen Erstbeschwerdeführerin besorgt habe.

Der Zweitbeschwerdeführer habe bezüglich der vertragswidrigen Abwicklung dieser Finanztransaktion nur die Erklärung abgeben können, es handle sich um eine bankinterne Angelegenheit.

Auch in den nachfolgenden Stellungnahmen vom 11. und 18. Oktober 1990 habe der Zweitbeschwerdeführer lediglich darzulegen versucht, welche persönlichen Überlegungen zu einem Kaufabschluß bzw. Stornierungsvertrag geführt hätten; für die Beurteilung der Frage, ob die Voraussetzungen für die anzuwendende Begünstigungsvorschrift erfüllt seien, mithin die volle Verfügungsmacht rückübertragen worden bzw. wie der Erwerbsvorgang vom 21. März 1990 zwischen Verkäuferin und Erstbeschwerdeführerin zu qualifizieren sei, seien diese Ausführungen unergiebig und zeigten weitere Widersprüche auf.

So sei etwa schon aus formalen juristischen Überlegungen die in der Stellungnahme vom 18. Oktober 1990 aufgestellte Behauptung schlichtweg unrichtig, wonach es einzig und allein in der Verfügungsmacht der Verkäuferin gelegen sei, an wen und zu welchen Konditionen die Grundstücke veräußert würden. Bestehe doch das Wesen eines Konsensualvertrages in der Willenseinigung BEIDER Vertragsparteien, und zwar im wesentlichen über Ware und Preis.

Darüber hinaus erscheine auch die vom Zweitbeschwerdeführer wiederholt vorgebrachte Argumentation unglaubwürdig, es seien (zum Beweis der wiedererlangten Verfügungsmacht) von der Verkäuferin auch mit anderen Interessenten ernstzunehmende Kaufverhandlungen bis zur Unterzeichnung des Kaufvertrages II geführt worden. Dagegen spreche vor allem die Tatsache, daß der Abschluß des Stornierungsvertrages ebenfalls erst am 21. März 1990 erfolgt sei und die Verkäuferin somit keinerlei Legitimation besessen habe, im eigenen Namen über die Grundstücke mit Dritten in Kaufverhandlungen einzutreten. Eine derartige Vorgangsweise widerspräche dem Grundsatz "nemo plus iure transferre potest, quam ipse habet".

In diesem Licht sei auch die beigebrachte Bestätigung vom 10. Oktober 1990 zu sehen, derzufolge die ...

Wohnbaugesellschaft ... als Kaufinteressent für die Grundstücke

"im Zeitraum von Oktober 1989 bis März 1990 in eingehendsten Kaufverhandlungen" mit der Verkäuferin gestanden sei.

Es sei auch darauf hinzuweisen, daß es im Falle erfolgreicher Verkaufsgespräche der Verkäuferin nicht zum Abschluß des Stornierungsvertrages gekommen wäre, wenn nicht Gründe für eine Steuerersparnis vorgelegen wären.

Bei Zugrundelegung des wahren Parteiwillens wäre es ohne Beachtung steuerlicher Auswirkungen auf einfache Weise und ohne vertraglichen Mehraufwand durch die Stornierung möglich gewesen, die Grundstücke an die Erstbeschwerdeführerin auch formal weiterzuveräußern.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes müsse unter Beachtung aller Umstände des Einzelfalles und unter Würdigung des wirklichen Parteiwillens eine durch formelle Vertragsaufhebung erfolgte Rückgängigmachung des Erwerbsvorganges wegen vom Gesetz mißbilligter (objektiver) Steuerumgehung, die zum Teil auf das Vorliegen eines Gestaltungsmißbrauches (§ 22 Abs. 1 BAO), zum Teil auf das Vorliegen eines Scheingeschäftes (§ 23 Abs. 1 BAO) gestützt worden sei, grunderwerbsteuerrechtlich unerheblich bleiben.

Vor diesem Hintergrund habe der Zweitbeschwerdeführer die belangte Behörde nicht davon zu überzeugen vermocht, daß dem hier in Rede stehenden Erwerbsvorgang die Verhältnisse zugrunde zu legen seien, wie sie sich im Kaufvertrag II darstellten. Dabei habe nicht übersehen werden können, daß der Zweitbeschwerdeführer unter Berücksichtigung des Treuhandvertrages vom 20. November 1989 geschäftsführender Gesellschafter der Erstbeschwerdeführerin sei. Die Besonderheit dieser rechtlichen Konstellation bringe es neben den anderen bereits dargelegten Gründen (auf die vorzitierte Berufungsentscheidung werde ergänzend verwiesen) mit sich, daß zwischen der Verkäuferin und der Erstbeschwerdeführerin keine schuldrechtlichen Beziehungen bestanden hätten.

2.

Mit der im Spruch dieses Erkenntnisses unter 2. näher bezeichneten Berufungsentscheidung gab die belangte Behörde der Berufung des Zweitbeschwerdeführers gegen den Bescheid des FA vom 25. Juli 1990 (im Spruch dieser Berufungsentscheidung offensichtlich irrtümlich "22. 8. 1990", Datum der betreffenden Berufung des Zweitbeschwerdeführers), "womit der Antrag vom 28. 3. 1990 auf Erstattung der Grunderwerbsteuer gemäß § 11 Abs. 1 Z. 1 GrEStG 1987 abgewiesen wurde," nicht Folge, und zwar weitestgehend mit gleichlautender Begründung wie die der unter 1. angeführten Berufungsentscheidung, jedoch im wesentlichen mit folgenden Zusätzen:

Zufolge Gesellschaftsvertrag vom 14. November 1989 habe sich die Erstbeschwerdeführerin u.a. den Erwerb, die Verwertung und kommerzielle Nutzung von Grundstücken zum Unternehmensgegenstand gemacht.

Das FA habe mit Vorhalt vom 17. Mai 1990 den Zweitbeschwerdeführer aufgefordert, darzutun, aus welchen Gründen der Kaufvertrag I storniert worden und auf welche Art und Weise die volle Verfügungsmacht an den Grundstücken wieder an die Verkäuferin übergegangen sei. Ferner sei ersucht worden, den Geldfluß durch die Vorlage von Belegen nachzuweisen.

Mit Anfragebeantwortung vom 12. Juni 1990 habe der Zweitbeschwerdeführer mitgeteilt, daß sich im Zuge von Überlegungen für die Verwertung der Grundstücke herausgestellt habe, eine wirtschaftlich sinnvolle Verwaltung könne nur im Rahmen einer konzessionierten Bauträgertätigkeit erfolgen. Da ihm jedoch eine gewerbliche Tätigkeit als Wirtschaftstreuhänder aus berufsrechtlichen Gründen nicht möglich sei, sei er an die Verkäuferin mit der Bitte um Vertragsauflösung herangetreten. Zur Frage, auf welche Art und Weise die volle Verfügungsmacht an den Grundstücken wieder an die Verkäuferin übergegangen sei, verweise der Zweitbeschwerdeführer in seiner Anfragebeantwortung auf Punkt IV. des Stornierungsvertrages.

Dieser Punkt enthalte eine Einverleibungsbewilligung betreffend die rückzuübertragenden Grundstücke sowie die Formalvereinbarung, daß diese wieder der Verkäuferin übergeben würden.

Vor diesem Hintergrund habe das FA mit Bescheid vom 25. Juli 1990 den Antrag des Zweitbeschwerdeführers auf Erstattung der Grunderwerbsteuer gemäß § 11 Abs. 1 Z. 1 GrEStG abgewiesen.

Die belangte Behörde habe unter Bedachtnahme auf die Bestimmungen des § 11 Abs. 1 Z. 1 GrEStG über die rechtzeitige Berufung des Beschwerdeführers gegen diesen Bescheid des FA vom 25. Juli 1990 erwogen:

Im Kaufvertrag I sei kein Rücktrittsrecht des Erwerbers bzw. Wiederkaufsrecht des Veräußerers vereinbart worden. Der Zweitbeschwerdeführer vertrete die Ansicht, der Stornierungsvertrag gelte als Vereinbarung, mit der im Sinne der zitierten Gesetzesstelle der ursprüngliche Erwerbsvorgang wieder rückgängig gemacht worden sei.

Wie bereits das FA in der Begründung seines zuletzt zitierten Bescheides sinngemäß zum Ausdruck bringe, komme § 11 Abs. 1 Z. 1 GrEStG als Begünstigungsbestimmung nur dann zum Tragen, wenn neben der Erfüllung anderer Voraussetzungen der Erwerbsvorgang rückgängig gemacht werde. Dies geschehe nur dadurch, daß der seinerzeitige Veräußerer die volle Verfügungsmacht über die Grundstücke wiedererlange. Sei dies nicht der Fall, so werde eine wesentliche Voraussetzung zur Anwendung dieser Begünstigungsvorschrift nicht erfüllt.

Erfolge nämlich eine Vertragsaufhebung lediglich zum Zweck der gleichzeitigen Übertragung des Grundstückes an eine dritte Person, so sei der Kaufvertrag lediglich formal aufgehoben und die Verkäuferin nicht in die rechtliche Lage zurückversetzt, in der sie sich vor Abschluß des Kaufvertrages befunden habe.

Zu 1. und 2.:

Gegen diese Berufungsentscheidungen richten sich die vorliegenden Beschwerden, in denen jeweils die Aufhebung der betreffenden Berufungsentscheidung (wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften) beantragt wird.

Der Bundesminister für Finanzen legte die Verwaltungsakten und die von der belangten Behörde erstatteten Gegenschriften vor. In diesen wird jeweils die Abweisung der betreffenden Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Verbindung beider Beschwerden wegen ihres engen persönlichen, sachlichen und rechtlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung beschlossen und danach erwogen:

Zu 1.:

Zunächst ist im Hinblick darauf, daß die Erstbeschwerdeführerin auch nach Punkt VIII. des Kaufvertrages II u.a. Abgaben jedweder Art, die mit der

Errichtung ... dieses Vertrages im Zusammenhang stehen, also

zweifellos auch die Grunderwerbsteuer, zu entrichten hätte, zur Vermeidung von Mißverständnissen folgendes zu bemerken:

Wesentliche Angelegenheit des Grunderwerbsteuerfestsetzungsverfahrens beider Instanzen (FA und belangte Behörde) war auch im vorliegenden Fall der Erwerb eines bestimmten Grundstückes durch eine bestimmte Käuferin von einem bestimmten Verkäufer (siehe z.B. das in gleicher Weise wie die in der Folge zitierten Erkenntnisse gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG angeführte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Februar 1992, Zl. 90/16/0181, mit weiterem Hinweis).

Nun sind gemäß § 9 Z. 4 GrEStG u.a. bei einem Kaufvertrag die am Erwerbsvorgang beteiligten Personen Steuerschuldner, und zwar auf Grund des § 6 Abs. 1 BAO Gesamtschuldner. Weiters ist es z.B. im Zusammenhang mit einem allfälligen (neuerlichen) Antrag auf Festsetzung oder Abänderung der Steuer nach § 11 GrEStG oder bei allfälliger Wiederaufnahme des Verfahrens rechtlich keineswegs irrelevant, welcher mit wem abgeschlossener Kaufvertrag der der Grunderwerbsteuer unterliegende Rechtsvorgang war.

Schon aus vorstehend angeführten Gründen bejaht der Verwaltungsgerichtshof die Berechtigung der Erstbeschwerdeführerin zur Erhebung ihrer vorliegenden Beschwerde.

Zu 1. und 2.:

Der Anspruch des Zweitbeschwerdeführers auf Erstattung der Grunderwerbsteuer für den Kaufvertrag I wäre begründet und die Grunderwerbsteuer gegenüber der Erstbeschwerdeführerin wäre für den Kaufvertrag II festzusetzen, wenn der Stornierungsvertrag nicht bloß dazu hätte dienen sollen, durch die Beseitigung der grunderwerbsteuerlichen Folgen des Kaufvertrages I jene grunderwerbsteuerliche Situation zu schaffen, die einem Verkauf der Grundstücke an die Erstbeschwerdeführerin ohne dem früheren Dazwischentreten des Zweitbeschwerdeführers entspräche.

Wären aber der Stornierungsvertrag und der Kaufvertrag II - die nach den vorliegenden Feststellungen der belangten Behörde nicht zuverlässig im Sinne der §§ 22 und 23 BAO beurteilt werden können - nur deshalb geschlossen worden, um durch die Beseitigung der grunderwerbsteuerlichen Folgen des Kaufvertrages I jene grunderwerbsteuerliche Situation zu schaffen, die einem Verkauf der Grundstücke an die Erstbeschwerdeführerin ohne dem früheren Dazwischentreten des Zweitbeschwerdeführers entspräche, dann läge eher kein Scheingeschäft (weil der Erwerb des Eigentumsrechtes an den hier in Rede stehenden Grundstücken durch die Erstbeschwerdeführerin ja tatsächlich gewollt war), wohl aber ein Mißbrauch von Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechtes im Sinne des § 22 Abs. 1 BAO vor.

Dies würde bedeuten, daß die Grunderwerbsteuer gemäß § 22 Abs. 2 BAO so zu erheben wäre, wie es bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen, Tatsachen und Verhältnissen angemessenen rechtlichen Gestaltung der Fall wäre, d.h. es wäre der Antrag des Zweitbeschwerdeführers auf Erstattung der Grunderwerbsteuer für den Kaufvertrag I abzuweisen, zumal auch die Verkäuferin ihr früheres freies Verfügungsrecht über die Grundstücke nicht wiedererlangt hätte (siehe z. B. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 2. April 1984, Zl. 82/16/0165, Slg. Nr. 5876/F), und es wäre die Grunderwerbsteuer gegenüber der Erstbeschwerdeführerin so festzusetzen, wie wenn der Anspruch auf Übertragung des Grundstückes nicht durch den Kaufvertrag II begründet worden wäre, sondern durch einen Kaufvertrag zwischen dem Zweitbeschwerdeführer und der Erstbeschwerdeführerin.

Wie bereits oben angedeutet, fehlen aber für eine einwandfreie rechtliche Beurteilung die erforderlichen - auf Grund eines mängelfreien Verfahrens getroffenen - Feststellungen.

Gewiß hat die Abgabenbehörde nach § 167 Abs. 2 BAO unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Abgabenverfahrens nach freier Beweiswürdigung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes genügt es hiebei, von mehreren Möglichkeiten jene als erwiesen anzunehmen, die gegenüber allen anderen Möglichkeiten eine überragende Wahrscheinlichkeit oder gar die Gewißheit für sich hat und alle anderen Möglichkeiten absolut oder mit Wahrscheinlichkeit ausschließt oder zumindest weniger wahrscheinlich erscheinen läßt (siehe z.B. das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zlen 90/16/0202, 0206, mit weiterem Hinweis).

Nach diesem in dem § 167 Abs. 2 BAO verankerten Grundsatz der freien Beweiswürdigung hat sich die Abgabenbehörde - zwar ohne an formale Regeln gebunden zu sein, aber unter Wahrung aller Verfahrensgrundsätze (ordnungsgemäß und vollständig durchgeführtes Ermittlungsverfahren, Parteiengehör) - Klarheit über den maßgebenden Sachverhalt zu verschaffen. Die freie Beweiswürdigung bezieht sich jedoch nur auf die bereits vorliegenden Ergebnisse eines Ermittlungsverfahrens und läßt es keineswegs zu, ein vermutetes Ergebnis noch nicht aufgenommener Beweise vorzunehmen (siehe z.B. das zuletzt angeführte Erkenntnis, auch hier mit weiterem Hinweis).

Auf Grund des § 115 Abs. 1 BAO haben die Abgabenbehörden die abgabepflichtigen Fälle zu erforschen und von Amts wegen die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu ermitteln, die für die Abgabepflicht und die Erhebung der Abgaben wesentlich sind.

Gemäß § 115 Abs. 3 BAO haben die Abgabenbehörden Angaben der Abgabepflichtigen und amtsbekannte Umstände auch zugunsten der Abgabepflichtigen zu prüfen und zu würdigen.

Nach § 183 Abs. 1 BAO sind Beweise von Amts wegen oder auf Antrag aufzunehmen.

Auf Grund des § 183 Abs. 3 erster Satz BAO sind von den Parteien beantragte Beweise aufzunehmen, soweit nicht eine Beweiserhebung gemäß § 167 Abs. 1 zu entfallen hat.

Gegen diese Verfahrensgrundsätze wurde im vorliegenden Fall von der belangten Behörde schon im Hinblick auf die - nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes bereits einem Beweisantrag gleichzusetzenden - Angaben des Zweitbeschwerdeführers bei seiner Vernehmung am 1. Oktober 1990

"Diese Frage kann nur ... M ... beantworten" verstoßen, zumal

in erster Linie dieser nach der gesamten Aktenlage maßgebende Vertreter der Verkäuferin hätte wissen müssen, ob diese die ursprüngliche (freie) Verfügungsmacht über die Grundstücke (etwa schon im Oktober 1989?) wiedererlangt hatte oder nicht.

Ganz abgesehen davon, daß auch die Organwalter der Abgabenbehörden eine sachliche Grenzlinie zwischen Vermutbarkeit und Beweisbarkeit zu ziehen haben, belastet bereits dieser von der Erstbeschwerdeführerin gerügte Verfahrensmangel die angefochtene Berufungsentscheidung mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weil der Verwaltungsgerichtshof nicht auszuschließen vermag, daß die belangte Behörde bei Einhaltung der zitierten Verfahrensvorschriften zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.

Da der Verwaltungsgerichtshof aber u.a. Verletzungen von Verfahrensvorschriften gemäß § 41 Abs. 1 erster Satz VwGG von Amts wegen wahrzunehmen hat, wird aus Gründen der Prozeßökonomie für das fortgesetzte Verfahren noch folgendes bemerkt:

Es fällt auf, daß sowohl der Kaufvertrag I als auch der Stornierungsvertrag und der Kaufvertrag II auf dem Kanzleipapier des Vertreters der Beschwerdeführer geschrieben wurde und dieser vom Zweitbeschwerdeführer in dessen Sachverhaltsdarstellung vom 11. Oktober 1990 auch als Anwalt

des ... M ... bezeichnet wurde.

Die belangte Behörde hätte daher nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes zumindest den Versuch unternehmen müssen, den Vertreter der Beschwerdeführer, aber auch den in dem zuletzt genannten Schreiben angeführten Architekten und je einen informierten Vertreter des in der Sachverhaltsdarstellung der Erstbeschwerdeführerin vom 18. Oktober 1990 genannten Planungsbüros sowie der der Verkäuferin die Bestätigung vom 10. Oktober 1990 ausstellenden Wohnbaugesellschaft als Zeugen zu dem hier wesentlichen Beweisthema zu vernehmen, zumal auch mittelbare oder Indizien-Beweise letztlich ausschlaggebend sein können.

Die angefochtenen Berufungsentscheidungen sind daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Zur Vermeidung von Mißverständnissen wird abschließend bemerkt, daß die Beschwerdeführer Anträge gemäß § 59 VwGG nicht stellten.

Schlagworte

Beweiswürdigung Wertung der Beweismittel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1990160236.X00

Im RIS seit

03.04.2001

Zuletzt aktualisiert am

23.03.2012
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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