TE Vfgh Beschluss 1989/9/26 B1020/87

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Veröffentlicht am 26.09.1989
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Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
MRK Art3

Leitsatz

Kein zweifelsfreier Nachweis der behaupteten Mißhandlungen durch Polizeibeamte; Zurückweisung der Beschwerde wegen Fehlens eines tauglichen Beschwerdegegenstandes

Spruch

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Beschwerdeführer ist schuldig, dem Bund (Bundesminister für Inneres) zu Handen der Finanzprokuratur die mit S 10.000,-

bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Begründung:

I. 1. M K begehrt mit seiner auf Art144 Abs1 B-VG gestützten Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof die kostenpflichtige Feststellung, er sei dadurch, daß ihm am 16. September 1987 von Organen der Bundespolizeidirektion Wien ein Stoffsack über den Kopf gestülpt und ihm mittels eines Metallstabes Stromschläge auf die Schulter und am Genick versetzt worden seien, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unterlassung unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (Art3 MRK) verletzt worden.

In der Beschwerde wird der Sache nach vorgebracht, daß sich der Beschwerdeführer - nachdem er erfahren habe, daß gegen ihn wegen des Todes des I G ein Haftbefehl erlassen worden sei - am 8. September 1987 freiwillig dem zuständigen Untersuchungsrichter gestellt habe. Im Zuge der Vernehmung vom 10. September 1987 sei ihm die Verhängung der Untersuchungshaft bekanntgegeben worden. In der Folge sei er am 16. September 1987 auf das Sicherheitsbüro der Bundespolizeidirektion Wien gebracht worden, wo er von vier Beamten vernommen worden sei. Bei dieser Vernehmung sei er wiederholt aufgefordert worden, zuzugeben, daß er gemeinsam mit L B, I G ermordet habe. Er habe jedoch diese Unterstellungen zurückgewiesen und auf die Vernehmungsprotokolle im Gerichtsakt verwiesen. Während der Vernehmung sei er mit Handschellen am Rücken gefesselt und es sei ihm ein Stoffsack über den Kopf gestülpt worden. Er habe "einen stabförmigen Gegenstand mit dessen Spitze auf die Schulter angedrückt (bekommen), wobei dieser Metallstab mit Strom geladen war". Auf diese Weise seien ihm "10-15 Stromschläge versetzt worden, zuletzt auch am Genick". Nach der Vernehmung seien auf seiner Schulter zahlreiche Hautverletzungen mit Blutaustritt wahrzunehmen gewesen. Der Beschwerdeführer habe "auch nach dieser Art der 'Vernehmung' seine Verantwortung wie vor dem Untersuchungsrichter wiederholt" und sei gegen 23 Uhr desselben Tages wieder auf das Landesgericht für Strafsachen Wien zurückgebracht worden.

2. Die - durch die Finanzprokuratur vertretene - Bundespolizeidirektion Wien als belangte Behörde legte die Verwaltungsakten (Z II-11.959/SB/87) vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrte.

In der Gegenschrift wird im wesentlichen ausgeführt, daß der wegen Verdachtes gemäß §§75, 142, 143 StGB in Untersuchungshaft genommene Beschwerdeführer mit Zustimmung des zuständigen Richters am 16. September 1987 im Sicherheitsbüro der Bundespolizeidirektion Wien einvernommen worden sei. Die Befragung des Beschwerdeführers sei durch GrInsp. A G und BezInsp. W S erfolgt. Während der gesamten Dauer der polizeilichen Gewahrsame, die von 10.20 Uhr bis 23.10 Uhr gedauert habe, sei der Beschwerdeführer nicht an seinem Körper mißhandelt worden. Er habe bei seiner Rückstellung in das Gefangenenhaus beim Landesgericht für Strafsachen Wien keine Verletzungen aufgewiesen, die ihm von Organen der Bundespolizeidirektion Wien zugefügt worden wären. Aufgrund der gegenständlichen Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof sei das Bezirkspolizeikommissariat Innere Stadt am 22. Oktober 1987 wegen des Verdachtes der Begehung gerichtlich strafbarer Handlungen durch Organe der belangten Behörde mit der Einleitung entsprechender Ermittlungen beauftragt worden. Die Staatsanwaltschaft Wien habe am 27. Oktober 1987 ebenfalls ein Erhebungsersuchen an das Bezirkspolizeikommissariat Innere Stadt betreffend denselben Tatvorwurf gestellt. Aufgrund der bis zur Erstattung der Gegenschrift durchgeführten Ermittlungen sei davon auszugehen, "daß die vom Beschwerdeführer aufgestellten Behauptungen jeglichen Wahrheitsgehaltes entbehren", weshalb die Abweisung der Beschwerde beantragt werde.

3. Über Ersuchen des Verfassungsgerichtshofes übermittelte das Landesgericht für Strafsachen Wien die Akten in der Strafsache gegen M K und L B(Z 6e Vr 9388/87, Hv 3224/88) sowie die Akten in der Strafsache gegen E K, A G, J M, G S und W S (Z 21a Vr 13962/87) zur Einsichtnahme.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Aus den Verwaltungs- bzw. gerichtlichen Strafakten geht hervor, daß sich der Beschwerdeführer ab 9. September 1987 wegen des Verdachtes nach §§75, 142, 143 StGB in Untersuchungshaft befand. Am 16. September 1987 wurde M K zur Einvernahme in das Sicherheitsbüro der Bundespolizeidirektion Wien ausgeführt, wo er von GrInsp. A G und BezInsp. W S (Kriminalbeamte der "Gruppe K") mehrere Stunden einvernommen wurde. Am 21. September 1987 traf M K im Halbgesperre des Landesgerichts für Strafsachen Wien mit seinem Verteidiger Dr. Z zusammen. Bei diesem Gespräch waren auch M H, Kanzleiangestellte bei Dr. Z, und Mag. E S, als Rechtspraktikantin beim Landesgericht für Strafsachen Wien mit der Gesprächsaufsicht betraut, anwesend. Im Verlaufe des Gesprächs stellte M K seinem Verteidiger den - in der Folge u.a. mit Beschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof vorgebrachten - Verlauf der Vernehmung vom 16. September 1987 dar. Dabei entblößte er auch seinen Oberkörper und zeigte den Anwesenden seinen Rücken.

Aufgrund einer an das Landesgericht für Strafsachen Wien gerichteten "Sachverhaltsdarstellung" des M K vom 27. September 1987 sowie seiner Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof wurden gegen E K, A G, J M, G S und W S vorerst polizeiliche, in der Folge gerichtliche Vorerhebungen wegen des Verdachtes strafbarer Handlungen nach §§83 Abs1, 15, 105 Abs1, 313 StGB geführt. Im Laufe der Erhebungen wurde der Beschwerdeführer am 6. November 1987 sowie am 17. Dezember 1987 (auf der Polizeiabteilung bei der Staatsanwaltschaft) als Zeuge einvernommen. Er war jedoch nicht bereit, eine Aussage zu machen, sondern wollte erst mit seinem Rechtsanwalt Rücksprache halten. Im Zuge der gegen ihn als Beschuldigten geführten Untersuchungen wurde er am 7. Dezember 1987 vom zuständigen Untersuchungsrichter zu dem von ihm erhobenen Vorwurf der Mißhandlung durch Organe der Bundespolizeidirektion Wien befragt. Am 12. November 1987 wurden GrInsp. A G, BezInsp. W S, BezInsp. J M und BezInsp. G S vor dem Bezirkspolizeikommissariat Innere Stadt einvernommen. Dabei stellte GrInsp. A G entschieden in Abrede, daß der Beschwerdeführer mißhandelt worden sei. Er könne mit Sicherheit sagen, daß an seiner Dienststelle ein Gerät zur Verabreichung von Elektroschocks nicht vorhanden sei. BezInsp. W S schloß sich dieser Aussage an, während BezInsp. J M und BezInsp. G S angaben, daß sie nicht mit der Vernehmung des Beschwerdeführers sondern mit der des Zweitbeschuldigten L B betraut gewesen seien.

Die Kanzleiangestellte M H wurde vor dem Bezirkspolizeikommissariat Innere Stadt am 10. Dezember 1987 als Zeugin vernommen. Sie gab dabei an, daß sie am 21. September 1987 bei dem Gespräch des Beschwerdeführers mit seinem Verteidiger Dr. Z anwesend gewesen sei. Im Laufe dieses Gespräches habe der Beschwerdeführer vorgebracht, daß er von Beamten des Sicherheitsbüros durch elektrische Schläge mißhandelt und verletzt worden sei. Sie habe im oberen Rückenbereich des Beschwerdeführers ca. 5 kreisrunde Blutschorfwunden feststellen können. Mag. E S, die am 21. September 1987 mit der Gesprächsaufsicht betraut gewesen war, wurde am 29. Dezember 1987 vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien als Zeugin einvernommen. Sie gab an, daß M K seinen Oberkörper entblößt und sie wohl nur flüchtig hingesehen, jedoch keine Verletzungen wahrgenommen habe. Dr. Z, der am 21. Jänner 1988 als Zeuge vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien einvernommen wurde, gab an, daß er etwa 10 kreisförmige, blutverkrustete Ringe im Bereich des Genicks, der Schultern und des Rückens des Beschwerdeführers wahrgenommen habe. Aus dem von Dr. H W (ständig beeideter gerichtlicher Sachverständiger für Chirurgie und Arbeitsmedizin) erstellten Gutachten geht hervor, daß er anläßlich der Untersuchung des Beschwerdeführers am 23. Dezember 1988 keine Verletzungsfolgen am Rücken festgestellt habe. Der Sachverständige kommt zusammengefaßt zu dem Ergebnis, daß die von der Zeugin H beschriebenen Wunden nicht die typischen Zeichen einer Strommarke aufwiesen. Da der Beschwerdeführer angegeben habe, an den Händen gefesselt gewesen zu sein, wäre es denkbar, daß es auch an den Handgelenken zu einer Verbrennung gekommen wäre. Es sei auch nicht auszuschließen, daß die genannten Blutschorfwunden von einer glühenden Zigarette herrühren könnten.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 26. April 1989, Z 14 Os 20/89-10, wurde M K wegen

§99 Abs1 und Abs2, 2. Fall, §§15, 105 Abs1, 106 Abs1 Z2,

§83 Abs2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren verurteilt.

Am 6. Juni 1989 gab der Staatsanwalt gemäß §90 Abs1 StPO die Erklärung ab, "daß zur Verfolgung der Angezeigten E K, A G, J M, G S und W S wegen der §§83 Abs1, 15, 105 Abs1, 313 StGB kein Grund gefunden wird". Dies wurde auch mit einer Note vom selben Tag dem Verfassungsgerichtshof zum gegenständlichen Beschwerdeverfahren mitgeteilt.

2. Angesichts dieser Verfahrensergebnisse - insbesondere auch in Anbetracht der Einstellung des Verfahrens gegen die vom Beschwerdeführer beschuldigten Polizeibeamten gemäß §90 Abs1 StPO - sieht sich der Verfassungsgerichtshof außer Stande, den Angaben des Beschwerdeführers beizutreten und die in der Beschwerdeschrift behaupteten Mißhandlungen als zweifelsfrei erwiesen anzusehen. (Auch) im verfassungsgerichtlichen Verfahren war - zusammenfassend gesehen - eine hinreichende Klärung der Ursachen der Verletzungen des Beschwerdeführers und damit ein Nachweis der behaupteten Menschenrechtsverletzung nicht möglich.

Die Beschwerde war daher - mangels eines tauglichen Beschwerdegegenstandes - als unzulässig zurückzuweisen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VerfGG 1953.

4. Diese Entscheidung konnte der Verfassungsgerichtshof gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 in nichtöffentlicher Sitzung treffen.

Schlagworte

Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Mißhandlung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1989:B1020.1987

Dokumentnummer

JFT_10109074_87B01020_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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