TE Vwgh Erkenntnis 1992/3/30 91/10/0022

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Veröffentlicht am 30.03.1992
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Index

L55003 Baumschutz Landschaftsschutz Naturschutz Niederösterreich;
L55053 Nationalpark Biosphärenpark Niederösterreich;
L81503 Umweltschutz Niederösterreich;
L81513 Umweltanwalt Niederösterreich;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §8;
NatSchG NÖ 1977 §24;
NatSchG NÖ 1977 §9 Abs1;
NatSchG NÖ 1977 §9 Abs2;
NatSchG NÖ 1977 §9 Abs3;
UmweltschutzG NÖ 1984 §11 Abs1;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Puck, Dr. Waldner, Dr. Novak und Dr. Bumberger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Steiner, über die Beschwerde der Umweltanwaltschaft des Landes Niederösterreich gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 3. Jänner 1991, Zl. II/3-2515/3-90, betreffend Erklärung des Umgebungsbereiches eines Naturdenkmales zum Bestandteil desselben (mitbeteiligte Partei: A in X), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1.1. Mit Bescheid vom 30. August 1988 erklärte die Bezirkshauptmannschaft Gmünd die Wiesenfläche im Umkreis von 10 m Radius um das bereits bestehende Naturdenkmal "Felsgebilde" (Kolomanistein) auf Parz. 680, KG Eisgarn, zum Bestandteil dieses Naturdenkmales. Vom Veränderungsverbot werde folgende Nutzung ausgenommen: "Grasnutzung, aber keine Niveauveränderungen, Felssprengungen, Aufforstungen". Nach der Begründung dieses Bescheides sei im Zuge einer Überprüfung des bereits bestehenden und im Naturschutzbuch unter Einlageblatt 37 eingetragenen Naturdenkmales "Felsgebilde" (Kolomanistein) vom Sachverständigen für Naturschutz festgestellt worden, daß die Festlegung einer mitgeschützten Umgebung notwendig sei, da diese einen wesentlichen Anteil an der gesamten Felsgruppe darstelle. Der Bescheid stütze sich auf die §§ 9 Abs. 2 und 5 sowie 7 Abs. 2 des NÖ Naturschutzgesetzes, LGBl. 5500-3 (im folgenden: NÖ NSchG 1977).

Der Mitbeteiligte erhob Berufung mit der Begründung, die in Rede stehenden Flächen kämen im oberen Waldviertel in großem Umfange vor, seien nicht besonders schutzwürdig und erschwerten nur die Arbeit in der Landwirtschaft.

1.2. Mit Bescheid vom 3. Jänner 1991 gab die Niederösterreichische Landesregierung dieser Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG Folge und behob den erstinstanzlichen Bescheid.

Der Begründung dieses Bescheides zufolge sei das Felsgebilde "Kolomanistein" mit Verordnung des Landrates in Gmünd vom 23. Februar 1942, kundgemacht im Amtsblatt 6/7/8-1942 vom 26. März 1942, zum Naturdenkmal erklärt worden. Im Einlageblatt sei neben der Beschreibung des Naturdenkmales noch zu entnehmen, daß der Stein der Sage nach einst dem Heiligen Koloman bei seiner Pilgerfahrt als Rastplatz gedient habe.

Das Naturschutzgesetz definiere zwar nicht, was es unter "Naturgebilden" verstehe, gebe aber im § 9 Abs. 4 eine beispielsweise Aufzählung: Klammen, Schluchten, Bäume, Hecken, Baum- oder Gehölzgruppen, Alleen, Parkanlagen, Quellen, Wasserfälle, Teiche, Seen, Felsbildungen, erdgeschichtliche Aufschlüsse und Erscheinungsformen, fossile Tier- und Pflanzenvorkommen sowie Fundorte seltener Gesteine oder Minerale. Diese Aufzählung zeige deutlich, daß es sich bei den Naturdenkmalen "um Erscheinungsformen der gestaltenden Natur handle". Aus angefertigten Fotos und dem Erhebungsbericht der Behörde erster Instanz ergebe sich nun, daß es sich um eine aus zwei übereinander geschlichteten Blöcken gebildete Felsgruppe handle, auf der ein in barocker Form errichteter kapellenartiger Bildstock - mit einer steinernen Aufgangsstiege von Süden her - auffällig aufsitze. Dominierend sei sohin dieser kapellenartige Bildstock. Bei diesem Bildstock handle es sich um ein "künstliches Menschenwerk", dessen Zweck es sei, die Erinnerung an einen bedeutenden Menschen zu erhalten. Bei dem geschilderten Ensemble handle es sich um ein Denkmal im Sinne des Art. 10 Abs. 1 Z. 13 B-VG. Eine Erscheinungsform der "gestaltenden Natur" liege nicht vor. Da der "Kolomanistein" kein Naturgebilde im Sinne des § 9 Abs. 1 NÖ NSchG 1977 sei, komme § 9 Abs. 2 leg. cit. nicht zur Anwendung, da die Einbeziehung der mitgeschützten Umgebung ein Naturgebilde voraussetze.

1.3. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde der Umweltanwaltschaft des Landes Niederösterreich vor dem Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde sowie Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht werden. Es sei davon auszugehen, daß das Felsgebilde rechtskräftig zum Naturdenkmal erklärt worden sei und nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens gewesen sei. Damit könne die Frage, ob auf dem Felsgebilde ein Marterl stehe, nicht entscheidungserheblich sein. Insoweit habe die belangte Behörde ihre funktionelle Zuständigkeit überschritten. Der Bescheid sei aber jedenfalls auch inhaltlich rechtswidrig, da durch zwei Fachgutachten belegt sei, daß die Voraussetzungen des § 9 NÖ NSchG 1977 vorlägen. Dabei erwähne die belangte Behörde das von ihr selbst eingeholte, wesentlich aussagekräftigere Gutachten in ihrem Bescheid nicht. Beide Gutachten erwähnten zwar den Bildstock im Zuge der Lagebeschreibung, beurteilten aber die Schutzwürdigkeit des Umgebungsbereiches ganz offensichtlich aus diesem selbst heraus und ohne Bezugnahme auf den Bildstock. Das vorliegende Verfahren habe daher mit der Frage, ob der Bildstock selbst denkmalschutzwürdig sei, nichts zu tun.

1.4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie auch die Beschwerdelegitimation der Umweltanwaltschaft des Landes Niederösterreich in Zweifel zog.

2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

2.1. § 11 Abs. 1 des NÖ Umweltschutzgesetzes, LGBl. 8050-1, lautet:

"In behördlichen Verfahren im Vollziehungsbereich des Landes, die auch die Vermeidung einer erheblichen und dauernden Schädigung der Umwelt zum Gegenstand haben, hat die NÖ Umweltanwaltschaft Parteistellung im Sinne des § 8 AVG; sie kann jedoch auch auf ihre Parteienrechte verzichten. In Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinden besteht diese Parteistellung nur dann, wenn die erhebliche und dauernde Schädigung der Umwelt über den Bereich der Gemeinde hinauswirken würde. Soweit der NÖ Umweltanwaltschaft Parteistellung zukommt, steht ihr das Recht der Beschwerde gemäß Art. 131 Abs. 2 B-VG zu."

§ 9 NÖ NSchG 1977 in der Fassung LGBl. 5500-3 lautet auszugsweise:

"(1) Die Behörde kann Naturgebilde, die als gestaltende Elemente des Landschaftsbildes oder aus wissenschaftlichen oder kulturellen Gründen besondere Bedeutung haben, mit Bescheid zum Naturdenkmal erklären. Die Behörde hat das Naturdenkmal zu kennzeichnen.

(2) Wenn das Erscheinungsbild oder die Erhaltung eines Naturgebildes maßgeblich durch den unmittelbaren Umgebungsbereich mitbestimmt wird, so ist auch dieser zu einem Bestandteil des Naturdenkmales zu erklären.

(3) Ein Naturdenkmal oder ein Naturgebilde, über das ein Verfahren zur Erklärung zum Naturdenkmal eingeleitet wurde, darf nicht verändert, entfernt oder zerstört werden.

(4) Zu den im Abs. 1 angeführten Naturgebilden gehören insbesondere Klammen, Schluchten, Bäume, Hecken, Baum- oder Gehölzgruppen, Alleen, Parkanlagen, Quellen, Wasserfälle, Teiche, Seen, Felsbildungen, erdgeschichtliche Aufschlüsse und Erscheinungsformen, fossile Tier- und Pflanzenvorkommen, sowie Fundorte seltener Gesteine und Minerale.

(5) Die Bestimmungen gemäß § 7 Abs. 2 bis 6 sind auf Naturdenkmale sinngemäß anzuwenden.

(6) ..."

§ 7 Abs. 2 bis 6 leg. cit. enthält Regelungen über den Naturgebietsschutz.

Das Veränderungs-, Entfernungs- und Zerstörungsverbot des § 9 Abs. 3 und 5 NÖ NSchG 1977 dient der Erhaltung des zum Naturdenkmal erklärten Naturgebildes und damit dem im § 1 Abs. 1 leg. cit. umschriebenen Ziel, die Natur in allen ihren Erscheinungsformen, insbesondere in ihrem Wirkungsgefüge und in ihrer Vielfalt, zu erhalten und zu pflegen, wozu auch das Bestreben gehört, die der Gesundheit des Menschen und seiner Erholung dienende Umwelt als bestmögliche Lebensgrundlage zu erhalten, wiederherzustellen oder zu verbessern. Nach § 1 Abs. 2 leg. cit. erstreckt sich die Erhaltung und Pflege der Natur auf alle ihre Erscheinungsformen, gleichgültig, ob sie sich in ihrem ursprünglichen Zustand befinden oder durch den Menschen gestaltet wurden (Kulturlandschaft). Ein Verfahren betreffend die Erweiterung des Naturdenkmalschutzes auf den unmittelbaren Umgebungsbereich eines Naturdenkmales gehört somit zu den Verfahren im Sinne des § 11 Abs. 1

NÖ UmweltschutzG, in denen der Umweltanwaltschaft des Landes Niederösterreich Parteistellung und Amtsbeschwerdeberechtigung zukommt (vgl. in diesem Zusammenhang auch das hg. Erkenntnis vom 29. Februar 1988, Slg. NF. Nr. 12.662/A, zu Verfahren nach § 5 NÖ NSchG, sowie die Erkenntnisse vom 20. Jänner 1992, Zl. 91/10/0095, und vom 27. Jänner 1992, Zl. 91/10/0184, zu § 4 in Verbindung mit § 25 Abs. 1 NÖ NSchG).

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, ist die Beschwerde zulässig.

2.2. Die Beschwerde der Umweltanwaltschaft ist auch begründet.

2.2.1. Die belangte Behörde befaßt sich im angefochtenen Bescheid nicht mit der Frage, die im Falle des Vorliegens eines Naturdenkmals den alleinigen Gegenstand eines Verfahrens nach § 9 Abs. 2 NÖ NSchG 1977 zu bilden hat, nämlich damit, ob das Erscheinungsbild oder die Erhaltung des Naturgebildes maßgeblich durch den unmittelbaren Umgebungsbereich mitbestimmt ist. Die belangte Behörde vertritt vielmehr die Auffassung, da es sich beim "Kolomanistein" um kein Naturgebilde im Sinne des § 9 Abs. 1 NÖ NSchG 1977 handle, komme § 9 Abs. 2 nicht zur Anwendung. Ein Naturgebilde sei nämlich für die Einbeziehung der mitgeschützten Umgebung notwendige Voraussetzung.

Diese Frage ist aber dann, wenn das Verfahren über die Erklärung des Naturgebildes selbst zum Naturdenkmal und jenes über die Naturdenkmalerklärung des Umgebungsbereiches nicht gleichzeitig, sondern zweistufig erfolgen, keiner neuerlichen Prüfung mehr zugänglich. Ist das Naturgebilde rechtskräftig zum Naturdenkmal erklärt, kann die Erklärung "auch" des Umgebungsbereiches zum "Bestandteil des Naturdenkmals" nicht mit der Begründung versagt werden, es liege überhaupt kein zum Naturdenkmal erklärbares Naturgebilde im Sinne des § 9 Abs. 1 und 3 NÖ NSchG 1977 vor. Die Denkmaleigenschaft des Naturgebildes, zu dessen "Bestandteil" der Umgebungsbereich erklärt werden soll, ist in einem solchen Fall bereits vorweggenommen.

2.2.2. Im Beschwerdefall geht nun die belangte Behörde in ihren Sachverhaltsfeststellungen selbst davon aus, es sei das Felsgebilde Kolomanistein mit Verordnung des Landrates in Gmünd vom 23. Februar 1942, kundgemacht im Amtsblatt vom 26. März 1942, zum Naturdenkmal erklärt worden. Der Verwaltungsgerichtshof hat keinen Anlaß, daran zu zweifeln, daß eine Eintragungsverfügung in die Liste der Naturdenkmäler vorgenommen wurde, die der genannten Verordnung zugrundelag (insoweit ist die gewählte Formulierung nicht völlig zutreffend). Gemäß § 13 des Reichsnaturschutzgesetzes, RGBl. 1935 I 821 (GBlÖ Nr. 245/1939), erfolgte nämlich die Eintragung eines Naturdenkmals in das Naturdenkmalbuch, wodurch die darin bezeichneten Gegenstände und Bodenteile gemäß § 12 leg. cit. den Schutz dieses Gesetzes erhielten, durch Verfügung der unteren Naturschutzbehörde. Nach § 7 Abs. 1 und 2 der Verordnung zur Durchführung des Reichsnaturschutzgesetzes, RGBl. 1935 I 1275 in der Fassung 1938 I 1184 (ebenfalls GBlÖ Nr. 245/1939) waren vor der Neueintragung von Naturdenkmalen auch die fachlich beteiligten amtlichen Stellen zu hören und die von der Eintragung Betroffenen zu benachrichtigen; die Beschwerde war zulässig; die Neueintragung von Naturdenkmalen war sodann durch Verordnung der unteren Naturschutzbehörde bekanntzugeben.

Es ist daher nicht unzutreffend, wenn die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid selbst vom Vorliegen einer Erklärung des Kolomanisteines zum Naturdenkmal ausgeht. Denn im Hinblick auf die Verordnung des Landrates von Gmünd aus dem Jahr 1942 darf angenommen werden, daß eine Eintragungsverfügung in das Naturdenkmalbuch erfolgt ist und auf Grund der dargestellten Rechtslage diese Verfügung als eine dem Rechtsbestand angehörende Erklärung zum Naturdenkmal zu werten ist. Als solche wurde sie von der Übergangsvorschrift des § 24 NaturschutzG LGBl. Nr. 40/1952 erfaßt, derzufolge die bereits erfolgten Erklärungen zu Naturdenkmalen aufrecht blieben. Der aufrechte Bestand dieser rechtskräftigen Erklärung wird vom NÖ NSchG 1977, das eine im wesentlichen gleichartige materielle Regelung der Naturdenkmalerklärung kennt, vorausgesetzt (vgl. auch § 27 Abs. 3 leg. cit.).

2.2.3. Da die belangte Behörde die Einbeziehung des Umgebungsbereiches des Kolomanisteines ausschließlich mit Argumenten verneint hat, die die Eigenschaft des Naturdenkmals "Felsgebilde Kolomanistein" als Naturgebilde - entgegen der rechtswirksamen Erklärung zum Naturdenkmal - in Frage stellen, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes.

Der angefochtene Bescheid war infolgedessen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

2.4. Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1991100022.X00

Im RIS seit

30.03.1992

Zuletzt aktualisiert am

19.07.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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