TE Vfgh Erkenntnis 1989/9/26 B44/89

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Veröffentlicht am 26.09.1989
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Index

40 Verwaltungsverfahren
40/01 Verwaltungsverfahren außer Finanz- und Dienstrechtsverfahren

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
StGG Art8 / Verletzung keine
Wr ProstitutionsG §2 Abs2
VStG 1950 §35 lita

Leitsatz

Zurückweisung der gegen eine Durchsuchung von Räumlichkeiten gerichteten Beschwerde, soweit die behauptete Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt als nicht erwiesen anzusehen; Abweisung der gegen die Festnahme nach §35 lita VStG 1950 gerichteten Beschwerde; Betreten auf frischer Tat bei Anbahnung der Prostitution gemäß §2 Abs2 Wr. ProstitutionsG; keine Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit

Spruch

1. Die Beschwerdeführerinnen E N, B G und M R sind durch ihre am 5. Dezember 1988 in Wien von Organen der Bundespolizeidirektion Wien vorgenommene Festnahme weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerden dieser Beschwerdeführerinnen werden abgewiesen.

2. Die Beschwerde des G P wird zurückgewiesen.

3. Die vier Beschwerdeführer sind zur ungeteilten Hand schuldig, dem Bund zu Handen der Finanzprokuratur die mit

S 15.000,-- bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. In dem von den vier Beschwerdeführern eingebrachten - auf Art144 B-VG gestützten - Schriftsatz wird folgendes vorgebracht:

a) Am 5. Dezember 1988 seien die Beschwerdeführerinnen E N, B G und M R in 1030 Wien, Barichgasse 28, in den Lokalräumlichkeiten der Firma E-I, Internationale Begleitagentur, von Organen der Bundespolizeidirektion Wien festgenommen worden.

Die Voraussetzungen des §35 VStG seien nicht vorgelegen, da einerseits die festgenommenen Personen sich durch gültige Ausweisdokumente hätten ausweisen können und andererseits nicht davon gesprochen werden könne, daß die Beschwerdeführerinnen auf frischer Tat betreten worden seien. Festzuhalten sei - heißt es in dem Schriftsatz übergangslos -, daß "im Protokoll der Beschwerdeführerin E N ausgeführt" werde, sie werde wegen Ausübung der Geheimprostitution festgenommen. Es werde aber nicht dargetan, in welcher Weise diese Ausübung der Geheimprostitution vom Meldungsleger festgestellt worden sei.

Die Beschwerdeführerinnen beantragen sodann, der Verfassungsgerichtshof wolle erkennen, daß sie durch die am 5. Dezember 1988 erfolgte Festnahme im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden seien.

b) Hinsichtlich des Beschwerdeführers G P wird in dem Schriftsatz vorgebracht, dieser habe in den Lokalräumlichkeiten in 1030 Wien, Barichgasse 28, für sich ein Büro eingerichtet. Die Büroräumlichkeiten seien von den intervenierenden Beamten durchsucht worden, ein im Eigentum des Beschwerdeführers stehender Brief sei von den Beamten mitgenommen und nicht wieder ausgefolgt worden.

Es wird beantragt, der Verfassungsgerichtshof wolle erkennen, daß der Beschwerdeführer G P im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums "sowie in seinem Hausrecht" verletzt worden sei.

2. Die belangte Bundespolizeidirektion Wien, vertreten durch die Finanzprokuratur, hat in einer Gegenschrift beantragt, die Beschwerde zurück-, in eventu abzuweisen. In der Gegenschrift wird im wesentlichen folgendes vorgebracht:

Am 5. Dezember 1988 um 13.00 Uhr sei beim Sicherheitsbüro der Bundespolizeidirektion Wien ein anonymer Hinweis eingelangt, daß sich in Wien 3, Barichgasse 28, unter einer bestimmten Telefonnummer ein Bordell befinde, in dem Geheimprostitution betrieben werde. Ein "Kontrollanruf" durch Kriminalbeamte des Sicherheitsbüros um 21.00 Uhr dieses Tages habe ergeben, daß eine Frau, welche sich als "Babsi" ausgegeben habe, mitteilte, daß die Stunde S 1.200,-- koste und man alles machen könne. Es seien zwei Mädchen, eine klein und mollig, die andere groß und schlank, angeboten worden.

Gegen 22.00 Uhr dieses Tages hätten sich zwei Kriminalbeamte des Sicherheitsbüros in das Lokal in Wien 3, Barichgasse 28, begeben. Von der Gasse her seien die Beamten in einen Empfangsraum mit Bar und Sofa gelangt. Im Empfangsraum seien zwei Mädchen (die späteren Beschwerdeführerinnen R und G) anwesend gewesen. Noch bevor es zu einer Ausweisleistung durch die - namentlich genannten - Kriminalbeamten gekommen sei, sei einer der Beamten von einem der Mädchen (G) in ein anliegendes Zimmer weitergebeten worden. Das andere Mädchen (R) sei mit dem anderen Kriminalbeamten allein im Empfangsraum geblieben und habe sich diesem gegen Bezahlung von S 1.200,-- zu einem Geschlechtsverkehr angeboten. Der Beamte, welcher von B G in ein anderes Zimmer gebracht worden sei, habe dort ein weiteres Mädchen (die spätere Beschwerdeführerin N) vorgefunden. Die beiden Mädchen hätten sich dem Kriminalbeamten gegen Bezahlung von S 1.200,-- zu einem Geschlechtsverkehr angeboten.

N, G und R seien nicht im Besitz einer Kontrollkarte und auch nicht als Prostituierte registriert gewesen. Einen anderen Ausweis hätten sie ebenfalls nicht vorweisen können. Da die Beschwerdeführerinnen bei der Begehung einer Verwaltungsübertretung auf frischer Tat betreten worden, den einschreitenden Beamten unbekannt gewesen seien, sich nicht ausgewiesen hätten und ihre Identität auch sonst nicht feststellbar gewesen sei, hätten die Kriminalbeamten sie am 5. Dezember 1988 um 22.45 Uhr gemäß §35 lita VStG iVm §2 Abs2 Wr. Prostitutionsgesetz festgenommen.

Noch während der Dauer der Amtshandlung sei der Beschwerdeführer P in das Lokal gekommen und habe erklärt, daß er der Chef sei. Schriftliche Aufzeichnungen über die im Lokal beschäftigten Mädchen führe er keine. Es sei im gänzlich unbekannt, daß die Mädchen in seinem Lokal die Geheimprostitution ausüben und er habe damit nichts zu tun. Bei dem von ihm geführten Betrieb handle es sich um eine Begleitagentur.

Die belangte Behörde betont, es habe weder eine Hausdurchsuchung noch die Beschlagnahme eines Briefes stattgefunden.

3. Die von der belangten Behörde vorgelegten Akten des Sicherheitsbüros der Bundespolizeidirektion Wien geben das Geschehen wieder, wie es in der Gegenschrift dargestellt wird.

Darüberhinaus enthalten die Akten mit E N, B G und M R aufgenommene und von den Vernommenen unterfertigte Niederschriften, in welchen die Ausübung der Prostitution ohne die gesetzlich vorgesehene Meldung in den Räumen der "Agentur" in Wien 3, Barichgasse 28, zugegeben wird.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Zu den Beschwerden der E N, B G und M R:

a) Es steht fest, daß diese Beschwerdeführerinnen am 5. Dezember 1988 um 22.45 Uhr von den beiden einschreitenden Kriminalbeamten der Bundespolizeidirektion Wien festgenommen wurden.

Art8 StGG gewährt - ebenso wie Art5 MRK (s. VfSlg. 7608/1975, 8815/1980) - Schutz gegen gesetzwidrige "Verhaftung" (s. VfSlg. 3315/1958 ua.):

Das Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit, das gemäß Art8 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger zum Bestandteil dieses Gesetzes erklärt ist und gemäß Art149 Abs1 B-VG als Verfassungsgesetz gilt, legt in seinem §4 fest, daß die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen dürfen.

§35 VStG 1950 ist ein solches Gesetz (VfSlg. 7252/1974), doch setzt die Festnehmung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes in allen in dieser Gesetzesvorschrift angeführten Fällen (lita bis c) voraus, daß die festzunehmende Person "auf frischer Tat betreten" wird: Sie muß also eine als Verwaltungsübertretung strafbare Tat begehen und bei Begehung dieser Tat betreten werden, wobei die erste dieser beiden Bedingungen schon dann vorliegt, wenn das Organ die Verübung einer Verwaltungsübertretung mit gutem Grund annehmen konnte (s. VfSlg. 4143/1962, 9913/1984, 10480/1985).

b) Diese von der Judikatur geforderten Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit einer Festnahme lagen hier vor:

Die Beschwerdeführerinnen geben zu, am Ort der Festnahme die Prostitution ohne die vorgeschriebene Meldung ausgeübt zu haben, sie bestreiten auch in der Beschwerdeschrift nicht, den Kriminalbeamten - die sie zunächst für Kunden hielten - Geschlechtsverkehr gegen Entgelt angeboten zu haben. Es besteht daher kein Zweifel, daß die Kriminalbeamten die Beschwerdeführerinnen bei Anbahnung der Prostitution gemäß §2 Abs2 des Wr. Prostitutionsgesetzes, LGBl. 7/1984, iVm der Strafbestimmung des §8 Abs1 lig.cit. auf frischer Tat betreten haben.

Der Verfassungsgerichtshof kann die in der Beschwerde enthaltenen apodiktischen - der Aktenlage widersprechenden - Behauptungen nicht als erwiesen annehmen, die Beschwerdeführerinnen hätten sich "durch gültige Ausweisdokumente" (wobei überhaupt nicht spezifiziert wird, um welche Ausweise es sich dabei gehandelt haben soll) legitimieren können.

c) Da somit sämtliche Voraussetzungen für eine Festnahme gemäß §35 lita VStG gegeben waren, sind die Beschwerdeführerinnen E N,

B G und M R durch die bekämpfte Festnahme nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.

2. Zur Beschwerde des G P:

Die belangte Behörde stellt in Abrede, daß ein Brief beschlagnahmt oder eine Hausdurchsuchung vorgenommen worden sei; auch aus den vorgelegten Akten ergibt sich kein diesbezüglicher Hinweis.

Der Verfassungsgerichtshof kann das Beschwerdevorbringen, welches in der schlichten Behauptung besteht, die Büroräumlichkeiten seien von den Beamten "durchsucht" und "ein Brief, welcher im Eigentum des Beschwerdeführers G P steht," sei von den Beamten "mitgenommen" worden, ebenfalls nicht als erwiesen annehmen. In der Beschwerde wird überhaupt nicht ausgeführt, in welcher Weise die Durchsuchung ausgeführt wurde (zum Begriff der Hausdurchsuchung vgl. zB VfSlg. 10272/1984 S. 603), es wird nicht im geringsten spezifiziert, um welches Schreiben es sich bei dem angeblich beschlagnahmten Brief handelt und von wo oder aus wessen Gewahrsam der Brief "mitgenommen" worden sein soll. Da nicht einmal dargelegt wird, ob der Beschwerdeführer G P bei den von ihm inkriminierten Amtshandlungen (zur Gänze, zum Teil oder gar nicht) anwesend war und ob und welche Wahrnehmungen er dabei gemacht hat, besteht für den Verfassungsgerichtshof kein Anlaß, den Beschwerdeführer zu seinen substanzarmen, der Wahrscheinlichkeit entbehrenden Behauptungen als Partei zu vernehmen.

3. Die Beschwerde der Beschwerdeführerinnen E N, B G und M R ist daher als unbegründet abzuweisen und die Beschwerde des G P - da die von ihm in Beschwerde gezogene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt nicht erwiesen ist - als unzulässig zurückzuweisen.

Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz bzw. gemäß §19 Abs3 Z2 lita VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VerfGG.

Schlagworte

Prostitution, Festnehmung, Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1989:B44.1989

Dokumentnummer

JFT_10109074_89B00044_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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