TE Vwgh Erkenntnis 1992/4/7 91/11/0010

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Veröffentlicht am 07.04.1992
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

AVG §52;
KDV 1967 §30 Abs1;
KDV 1967 §30 Abs2 idF 1987/362;
KDV 1967 §31a;
KFG 1967 §67 Abs2;
KFG 1967 §73 Abs1;
KFG 1967 §73 Abs2;
KFG 1967 §75 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Onder und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des B in G, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 7. Dezember 1990, Zl. 11-39 Pi 4-90, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Graz vom 16. Jänner 1990 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen A, C und F entzogen und gemäß § 73 Abs. 2 leg. cit. ausgesprochen, daß ihm vor Wiedererlangung der körperlichen und geistigen Eignung keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden darf. Weiters wurde gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppe B bis 28. November 1990 befristet. Gemäß § 64 Abs. 2 AVG wurde die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Berufung ausgeschlossen.

Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 7. Dezember 1990 wurde der Berufung des Beschwerdeführers keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid bestätigt. Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde. Eine Gegenschrift wurde nicht erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der angefochtene Bescheid beruht auf dem Gutachten eines ärztlichen Amtssachverständigen der belangten Behörde vom 17. Oktober 1990, in welchem der Beschwerdeführer als zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppen A, B, C und F körperlich und geistig "nicht geeignet" bezeichnet wurde. Der Sachverständige bezog sich dabei auf Befunde über das Ergebnis zweier verkehrspsychologischer Untersuchungen, wonach sich wesentliche Mängel der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit ergeben hätten; der Beschwerdeführer zeige das komplexe Bild der geringen Belastbarkeit, der herabgesetzten Überblicksgewinnung sowie der Störung der Koordination der Muskelbewegungen. Demnach liegt dem angefochtenen Bescheid die Annahme zugrunde, dem Beschwerdeführer fehle derzeit die erforderliche kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit im Sinne des § 30 Abs. 1 zweiter Satz KDV 1967.

Diese Eignungsvoraussetzung betrifft die körperliche UND GEISTIGE Eignung einer Person zum Lenken von Kraftfahrzeugen (Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Februar 1989, Zl. 88/11/0035). Der Beschwerdeführer ist daher nicht im Recht, wenn er meint, es sei nach der Aktenlage unerfindlich, worauf die belangte Behörde ihre Annahme betreffend seine geistige Nichteignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen stütze. Desgleichen ist für den Beschwerdeführer mit dem Hinweis auf positive internistische und neurologische Befundberichte deshalb nichts zu gewinnen, weil seine Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen auf Grund seiner nicht ausreichenden kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit verneint wurde und bei deren Beurteilung die genannten medizinischen Befunde nicht ausschlaggebend sind. Die weiteren vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Gutachten (vom 15. November 1989 über das Ergebnis einer Beobachtungsfahrt sowie jenes des Amtsarztes der Erstbehörde vom 28. November 1989) waren bei Erlassung des angefochtenen Bescheides bereits älter als ein Jahr und kamen im Hinblick auf § 67 Abs. 2 zweiter Satz KFG 1967, wonach das ärztliche Gutachten im Zeitpunkt der Entscheidung nicht älter als ein Jahr sein darf, als Grundlage für die getroffene Entscheidung nicht mehr in Betracht. Davon abgesehen wurde in diesen Gutachten die geistige und körperliche Eignung des Beschwerdeführers (für die Gruppe B) jeweils nur noch für die Dauer eines Jahres angenommen.

Der eine der beiden vom Amtsarzt der belangten Behörde seinem Gutachten zugrunde gelegten Befunde stammt von der verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle des Kuratoriums für Verkehrssicherheit in Graz (vom 9. Juni 1990 über die Untersuchung des Beschwerdeführers am 5. Juni 1990). Nach der "Zusammenfassung" habe die Prüfung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit folgende Beeinträchtigungen ergeben: Die visuelle Auffassung sei hinsichtlich der Schnelligkeit reduziert, die Überblicksgewinnung liege deutlich außerhalb der Norm, die Reaktionssicherheit sei durch auffällig vermehrte Entscheidungs- und Reaktionsfehler erheblich beeinträchtigt. Auch unter Belastungsbedingungen im Test mit dem Determinationsgerät komme es zu deutlich reduzierten Leistungswerten; es zeigten sich in den Phasen 1 und 3 signifikant vermehrte verzögerte Reaktionen und Fehlreaktionen. Im Bereich der Konzentrationsfähigkeit sei im Q1-Test die Arbeitsgeschwindigkeit verlangsamt, im Meili-Test seien Sorgfaltsleistung und Arbeitstempo reduziert. Die sensomotorische Koordinationsfähigkeit (Wiener Fahrstand) sei durch vermehrte Koordinationsfehler beeinträchtigt. Somit bestünden Beeinträchtigungen in den Bereichen der Beobachtungsfähigkeit, des Reaktionsverhaltens, der Konzentrationsfähigkeit und der Sensomotorik. Angesichts dieser Leistungsbefunde könne eine ausreichende kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit nicht angenommen werden, der Beschwerdeführer sei aus verkehrspsychologischer Sicht zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppen A, B, C und E (richtig: F) "nicht geeignet".

Die verkehrspsychologische Untersuchungsstelle Salzburg gelangte (auf Grund einer vom Beschwerdeführer selbst veranlaßten Untersuchung am 4. Juli 1990) in ihrem Befund vom 5. Juli 1990 zu folgender zusammenfassender Beurteilung: Die kraftfahrspezifischen Leistungen seien in ingesamt herabgesetztem Ausmaß gegeben. Die visuelle Auffassung sei beeinträchtigt; wesentlich beeinträchtigt sei vor allem die Reaktionsfähigkeit durch eine hohe Fehlertendenz bzw. Fehlerzahl. In der "intellektuellen Leistungsfähigkeitsprüfung" zeigten sich zum Teil altersmäßige Veränderungen, zum Teil seien die Ergebnisse seiner übermäßig schnellen Vorgangsweise nicht ausreichend. Im Persönlichkeitsbefund zeige der Beschwerdeführer eine hohe Dissimulationstendenz. Als auffallender Wert zeige sich eine über der Norm liegende unkritische Selbstwahrnehmung im Hinblick auf den Straßenverkehr. Dadurch ergäben sich Bedenken, ob der Beschwerdeführer altersmäßige Leistungsverminderungen bzw. die im Test auftretenden Leistungsmängel effektiv kompensieren könne. Für die erhöhten Anforderungen an Kfz-Lenker der Gruppen A und C erscheine der Beschwerdeführer daher kaum mehr geeignet. Zum Lenken von Kfz der Gruppe B erscheine er unter der Voraussetzung einer zeitlichen Befristung der Fahrerlaubnis auf zwei Jahre geeignet, sofern seine Verkehrsvorgeschichte unauffällig sei.

Mit dem Befund der Untersuchungsstelle Graz konfrontiert und zur ergänzenden Beurteilung aufgefordert, äußerte sich die Untersuchungsstelle Salzburg in ihrer Stellungnahme vom 16. August 1990 dahin, daß im Persönlichkeitsbefund des Beschwerdeführers eine erhebliche Verschleierungstendenz festzustellen sei. Die vom Beschwerdeführer im Explorationsgespräch verschwiegene bzw. geleugnete "auffällige Verkehrsvorgeschichte" widerlege eine Kompensierbarkeit seiner Leistungsmängel im kraftfahrspezifischen Bereich. Ein befristetes Belassen der Lenkerberechtigung für die Gruppe B könne nicht mehr befürwortet werden, der Beschwerdeführer erscheine aus verkehrspsychologischer Sicht nicht geeignet, Kraftfahrzeuge der Gruppen A, B und C zu lenken.

Der Amtsarzt der belangten Behörde hielt dazu im Anschluß an seine, oben wiedergegebene, zusammenfassende Beurteilung fest, es falle auf, daß das Salzburger Gesamtergebnis im Detail noch schlechter sei als die bereits ungünstigen Grazer Ergebnisse. Fallweise sei bei einigen Testpersonen im Wiederholungsfall ein deutlicher Übungsgewinn zu bemerken. Dies sei beim Beschwerdeführer nicht der Fall, sodaß ein weiterer linearer Leistungsabfall nicht ausgeschlossen werden könne. Der Amtsarzt zog aus den vorliegenden Befunden den Schluß, der Beschwerdeführer sei aus ärztlicher Sicht zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppen A, B, C und F nicht geeignet.

Der Beschwerdeführer hat es im Verwaltungsverfahren unterlassen, diesem ihm bekannt gegebenen Gutachten auf gleicher fachlicher Ebene entgegenzutreten. Das Beschwerdevorbringen ist nicht geeignet, einen wesentlichen Mangel dieses Gutachtens aufzuzeigen. Der Einwand, es hätte angesichts der zunächst unterschiedlich lautenden Beurteilung der Testergebnisse durch die verkehrspsychologischen Untersuchungsstellen in Graz und in Salzburg einer gutächtlichen Stellungnahme einer übergeordneten Stelle im Sinne eines "Fakultätsgutachtens" bedurft, läßt außer acht, daß dies schon im Hinblick auf die Aufgabe des ärztlichen Sachverständigen gegenüber verkehrspsychologischen Befunden entbehrlich war. Diesen kommt nämlich keine eigenständige Bedeutung zu, vielmehr sind sie erst im Rahmen des ärztlichen Gutachtens zu verwerten. Dabei hat sie der Sachverständige mit Hilfe seines spezifischen ärztlichen Sachwissens zu überprüfen und sie in sein Gutachten zu integrieren (vgl. zur ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes etwa die Erkenntnisse vom 22. Dezember 1982, Slg. Nr. 10939/A, und vom 16. Mai 1989, Zl. 89/11/0051). Es lag daher am Amtsarzt der belangten Behörde, die aufgezeigte Divergenz im Rahmen seines Gutachtens entsprechend zu berücksichtigen. Dies ist im vorliegenden Fall auch geschehen. Mit dem Hinweis auf einzelne im Normbereich gelegene Testergebnisse vermag der Beschwerdeführer die nicht entsprechenden Ergebnisse in anderen Bereichen der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit nicht zu entkräften. Der Einwand, die verkehrspsychologischen Testergebnisse seien "natürlich nur beschränkt verwertbar", weil sie "mit dem praktischen Fahrbetrieb überhaupt nichts zu tun" hätten und dabei insbesondere auch seine "langjährige Fahrpraxis und Routine als Kraftfahrer" samt der daraus resultierenden Kompensationswirkung hinsichtlich einzelner Mängel nicht einbezogen würden, ist schon wegen seiner Allgemeinheit nicht geeignet, die Unrichtigkeit der vorliegenden Beurteilung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers darzutun. Hiebei ist festzuhalten, daß bei festgestelltem Fehlen der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit ein Ausgleich des Mangels durch erlangte Geübtheit im Sinne des § 30 Abs. 2 KDV 1967 nicht in Betracht kommt (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Februar 1989, Zl. 88/11/0035). Bei seiner Behauptung, er lenke "seit 30 Jahren ständig und anstandslos" Kraftfahrzeuge, entfernt sich der Beschwerdeführer insofern von der Aktenlage, als das gegenständliche Entziehungsverfahren durch den Bericht der Bundespolizeidirektion Graz vom 23. September 1989 ausgelöst wurde, laut dem der Beschwerdeführer am 23. Oktober 1988 einen Verkehrsunfall mit Sachschaden verschuldet habe, weshalb es in der Folge zu einem gerichtlichen Verfahren gekommen sei. In diesem habe der mit der Sache befaßte Richter zum einen den Eindruck gewonnen, dem (im Jahre 1917 geborenen) Beschwerdeführer fehlten vermutlich auf Grund seines Alters wesentliche Grundkenntnisse, und zum anderen bei ihm erhebliche, für das Lenken von Kraftfahrzeugen relevante Mängel festgestellt, wie z.B. völlig unrealistische Einschätzung von Entfernungen. Daraufhin habe der Richter ausdrücklich eine Überprüfung der Eignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen angeregt. Die belangte Behörde konnte, ohne Rechte des Beschwerdeführers zu verletzen, angesichts der ihr vorliegenden Beweisergebnisse annehmen, es mangle ihm derzeit die nötige kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit und er sei deshalb zum Lenken von Kraftfahrzeugen nicht geeignet.

Aus den dargelegten Erwägungen hat sich die Beschwerde als nicht begründet erwiesen. Sie war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Schlagworte

Gutachten Auswertung fremder BefundeAnforderung an ein GutachtenGutachten Parteiengehör ParteieneinwendungenGutachten Beweiswürdigung der Behörde widersprechende Privatgutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1991110010.X00

Im RIS seit

12.06.2001

Zuletzt aktualisiert am

22.06.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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