TE Vfgh Erkenntnis 1989/9/26 B885/86

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Veröffentlicht am 26.09.1989
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Index

40 Verwaltungsverfahren
40/01 Verwaltungsverfahren außer Finanz- und Dienstrechtsverfahren

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
B-VG Art144 Abs3
StGG Art8 / Verletzung keine
VStG 1950 §35 litc
EGVG 1950 ArtIX Abs1 Z1

Leitsatz

Gesetzmäßige Festnehmung gemäß §35 litc VStG 1950; Betreten auf frischer Tat gegeben; Übertretung nach ArtIX Abs1 Z1 EGVG 1950; keine Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit

Spruch

Der Beschwerdeführer ist dadurch, daß er am 18. August 1986 gegen 16,30 Uhr von Organen der Bundespolizeidirektion Linz festgenommen und bis 19. August 1986, etwa 8,30 Uhr, in Haft angehalten wurde, weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wird abgewiesen.

Der Beschwerdeführer ist schuldig, dem Bund zuhanden der Finanzprokuratur die mit 10.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit der auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde wendet sich der Einschreiter dagegen, daß er am 18. August 1986 gegen 16,30 Uhr in Linz von Sicherheitswachebeamten festgenommen und nach Einlieferung in das Polizeigefangenenhaus dort bis 19. August 1986, etwa 8,30 Uhr, angehalten wurde. Er bringt - sinngemäß auf das Wesentliche zusammengefaßt - vor, daß er am 18. August 1986 zwei halbe Liter Bier getrunken und zwei verschiedene Medikamente eingenommen habe; hiedurch sei bei ihm eine Bewußtseinsstörung eingetreten. Daß er gegen 15,15 Uhr mit seinem Kraftwagen einen Verkehrsunfall (durch Auffahren auf ein stehendes Fahrzeug) verursacht habe, wisse er nur aus der polizeilichen Anzeige. Desgleichen sei ihm nur aufgrund der Anzeige bekannt, daß er nach dem Verlassen des Wachzimmers Ontlstraße (in welchem eine den Verkehrsunfall betreffende Amtshandlung stattgefunden hatte) gegen einen Pkw uriniert sowie durch Umherschreien und Gestikulieren die Ordnung gestört habe. Aus der Anzeige sei zu schließen, daß er aufgrund der Wahrnehmungen eines Passanten, der dieses Verhalten im Wachzimmer angezeigt habe, festgenommen worden sei. Wenn der Meldungsleger angebe, daß er trotz mehrmaliger Abmahnung wegen Störung der Ordnung sein Verhalten fortgesetzt habe, so sei "undefiniert", welches Verhalten er beim Einschreiten der Wachbeamten fortgesetzt habe. Der Beschwerdeführer hält seine Festnahme sowie seine darauffolgende Verwahrung für rechtswidrig, weil die Wachebeamten das für ihr Einschreiten maßgebende Verhalten (Urinieren zum Pkw) nicht selbst wahrgenommen hätten, er sohin nicht auf frischer Tat betreten worden sei. Sollte der Grund seiner Festnahme anhaltendes Umherschreien und/oder Gestikulieren gewesen sein, so liege nicht der Tatbestand des ArtIX Abs1 Z1 EGVG sondern allenfalls der nach Z2 dieser Gesetzesstelle vor; wegen Zuwiderhandlung gegen ArtIX Abs1 Z2 EGVG sei er jedoch nicht abgestraft und laut Anzeige auch nicht abgemahnt worden.

2. Die namens der Bundespolizeidirektion Linz einschreitende Finanzprokuratur legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die Abweisung der Beschwerde begehrt wird.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Daß das auf einer von Fußgängern frequentierten Straße gesetzte Verhalten des Beschwerdeführers den Verdacht einer Übertretung nach ArtIX Abs1 Z1 EGVG begründete, bedarf nach Ansicht des Gerichtshofs im Hinblick auf seine ständige Rechtsprechung (s. zB VfSlg. 10974/1986 mit weiteren Judikaturhinweisen) keiner näheren Begründung und wird im übrigen auch vom Beschwerdeführer nicht in Zweifel gezogen. Strittig ist zwischen den Prozeßparteien ausschließlich, ob die im §35 litc VStG umschriebenen Voraussetzungen der Festnahme zum Zweck der Vorführung vor die Behörde vorlagen, nämlich daß die festzunehmende Person "auf frischer Tat betreten" wird sowie daß der Betretene trotz Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharrt oder sie zu wiederholen sucht (siehe auch dazu das schon angeführte Erk. VfSlg. 10974/1986 mit weiteren Judikaturzitaten).

Der Beschwerdeführer, welcher nach seiner eigenen Darstellung keine Erinnerung an sein damaliges Verhalten hat, stützt seine Annahme, daß die erwähnten Voraussetzungen der Festnahme nicht vorgelegen seien, lediglich auf seine Wertung der von ihm in diesem Punkt als "undefiniert" kritisierten Anzeige. Entgegen seiner Meinung geht aus der Anzeige jedoch klar hervor, daß die beiden intervenierenden Sicherheitswachebeamten (auch) das Urinieren des Beschwerdeführers wahrnahmen und ihn diesbezüglich abmahnten; daß die in der Anzeige geschilderte Handlung des Beschwerdeführers aus Anlaß der Angabe, der Beschwerdeführer sei abgemahnt worden, nicht neuerlich beschrieben sondern bloß festgehalten wurde, daß der Beschwerdeführer "sein Verhalten fortsetzte", erlaubt keineswegs den vom Beschwerdeführer gezogenen Schluß. Der Verfassungsgerichtshof hält diese rein spekulativen Zweifel des Beschwerdeführers an der Richtigkeit der Anzeige sohin für nicht gerechtfertigt, zumal beide einschreitenden Polizeibeamten überdies in den nach Beschwerdeerhebung erstatteten Berichten bekundeten, daß sie das Urinieren selbst wahrgenommen hatten.

Die auf die Festnahme folgende Verwahrung des Beschwerdeführers wird von ihm offenkundig bloß aufgrund der - eben als unzutreffend befundenen - Annahme in Beschwerde gezogen, daß sie auf einer rechtswidrigen Festnehmung beruht. Dafür, daß die Dauer der verwaltungsbehördlichen Verwahrung des Beschwerdeführers - entgegen §36 VStG (idF vor der Novelle BGBl. 516/1987) - nicht gerechtfertigt war, fehlt nach der Aktenlage jeder Anhaltspunkt.

Zusammenfassend ist festzuhalten, daß weder die Festnehmung noch die darauffolgende Verwahrung des Beschwerdeführers dem Gesetz widersprach und somit eine Verletzung des durch Art8 StGG und Art5 MRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf persönliche Freiheit nicht stattfand.

2. Da im Verfahren schließlich weder eine Verletzung anderer verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hervorkam noch verfassungsrechtliche Bedenken gegen die den bekämpften Verwaltungsakten zugrundeliegenden Rechtsvorschriften entstanden, war die Beschwerde abzuweisen.

Der Verfassungsgerichtshof hatte die Gesetzmäßigkeit der Festnehmung und Verwahrung des Beschwerdeführers schlechthin zu untersuchen, weshalb für eine Prüfung unter dem Gesichtspunkt einfachgesetzlich garantierter Rechte kein Raum bleibt. Der vom Beschwerdeführer hilfsweise gestellte Antrag auf Beschwerdeabtretung an den Verwaltungsgerichtshof war daher abzuweisen (vgl. auch dazu VfSlg. 10974/1986).

3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG.

III. Von einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß §19 Abs4 Z1 und 2 VerfGG abgesehen.

Schlagworte

Festnehmung, Verwaltungsstrafrecht, Ordnungsstörung, Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1989:B885.1986

Dokumentnummer

JFT_10109074_86B00885_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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