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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
KFG 1967 §66 Abs1 lita;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Onder und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des S in W, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 10. Juli 1991, Zl. I/7-St-R-9137, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.450,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 10. Juli 1991 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 die ihm erteilte Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppe B entzogen und gemäß § 73 Abs. 2 leg. cit. verfügt, daß ihm bis einschließlich 19. Jänner 1993 keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden darf.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die belangte Behörde ist in der Begründung des angefochtenen Bescheides im Hinblick auf das rechtskräftige und daher insoweit für sie bindende Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen vom 12. März 1991, mit dem der Beschwerdeführer einer am 19. Jänner 1991 begangenen Übertretung nach § 99 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit § 5 Abs. 2 StVO 1960 schuldig erkannt wurde, vom Vorliegen einer bestimmten Tatsache gemäß § 66 Abs. 2 lit. e KFG 1967 ausgegangen. Nach dieser Bestimmung hat als bestimmte Tatsache im Sinne des Absatzes 1 zu gelten, wenn jemand als Lenker eines Kraftfahrzeuges eine Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 StVO 1960 begangen hat, auch wenn die Tat nach Art. IX Abs. 1 Z. 3 EGVG zu beurteilen ist. Bei seinem Einwand, er habe weder wiederholt ein Kraftfahrzeug gelenkt oder in Betrieb genommen und hiebei eine Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 StVO 1960 begangen, ohne hiebei einen Verkehrsunfall verschuldet zu haben (sublit. aa), noch ein Kraftfahrzeug gelenkt oder in Betrieb genommmen und hiebei eine Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 StVO 1960 begangen, wobei er einen Verkehrsunfall verschuldet hat (sublit. bb), übersieht der Beschwerdeführer die diesbezüglich durch die 12. KFG-Novelle mit 15. Juli 1988 eingetretene Änderung der Rechtslage. Es genügte daher für die Annahme einer solchen bestimmten Tatsache die einmalige Begehung einer Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 StVO 1960, auch ohne daß hiebei ein Verkehrsunfall verschuldet worden ist. Würde aber nur diese bestimmte Tatsache vorliegen, so wäre von der belangten Behörde die (durch die 12. KFG-Novelle neu geschaffene) Bestimmung des § 73 Abs. 3 KFG 1967 zu beachten gewesen, wonach im Falle der erstmaligen Begehung einer Übertretung im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. e, sofern die Person bei Begehung dieser Übertretung nicht einen Verkehrsunfall verschuldet hat, die im Abs. 2 angeführte Zeit mit vier Wochen festzusetzen ist und dies auch hinsichtlich einer neuerlichen Begehung einer Übertretung im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. e gilt, jedoch nur, wenn die Strafe einer früheren derartigen Übertretung im Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens in erster Instanz getilgt ist. Diese Voraussetzungen waren gegeben, weil der Beschwerdeführer anläßlich des Vorfalles vom 19. Jänner 1991 unbestrittenermaßen keinen Verkehrsunfall verschuldet hat und die Strafe der von ihm im Jahre 1972 begangenen Übertretung nach § 5 Abs. 1 (in Verbindung mit § 99 Abs. 1 lit. a) StVO 1960 im Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens in erster Instanz gemäß § 55 Abs. 1 VStG bereits getilgt war.
Die belangte Behörde hat zwar auf Grund des weiteren Schuldspruches im genannten Straferkenntnis vom 12. März 1991 festgestellt, daß der Beschwerdeführer am 19. Jänner 1991 als Kraftfahrzeuglenker auch die Autobahn entgegen der vorgesehenen Fahrtrichtung befahren und dadurch eine Übertretung nach § 46 Abs. 4 lit. a StVO 1960 begangen hat. Sie hat aber diesen Umstand lediglich bei der Wertung der von ihr angenommenen bestimmten Tatsache gemäß § 66 Abs. 3 KFG 1967 mitberücksichtigt und im Zusammenhang damit nicht die (auch im Straferkenntnis nicht zum Ausdruck kommende) Ansicht vertreten, daß auch eine bestimmte Tatsache gemäß § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 vorliegt, weil auf diese Weise gegen die für das Lenken eines Kraftfahrzeuges maßgebenden Verkehrsvorschriften unter besonders gefährlichen Verhältnissen verstoßen worden sei. Dies hindert allerdings den Verwaltungsgerichtshof bei Überprüfung des angefochtenen Bescheides auf seine Rechtmäßigkeit gemäß § 41 Abs. 1 VwGG nicht, im vorliegenden Beschwerdefall auch diese bestimmte Tatsache als gegeben anzunehmen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine bei einem Verstoß gegen die für das Lenken eines Kraftfahrzeuges maßgebenden Verkehrsvorschriften unterlaufene Fahrlässigkeit "unter besonders gefährlichen Verhältnissen" dann anzunehmen, wenn sie entweder unter Umständen erfolgt, unter denen nach allgemeiner Erfahrung der Eintritt eines besonders umfangreichen und schweren und zunächst gar nicht überblickbaren Schadens zu erwarten ist, oder wenn die Wahrscheinlichkeit, daß ein umfangreicher und schwerer und zunächst gar nicht überblickbarer Schaden eintreten werde, wegen der vorliegenden Umstände besonders groß ist, und der Lenker, obwohl ihm die eine solche Verschärfung der Verkehrssituation bedingenden Umstände bewußt oder bei gehöriger Aufmerksamkeit erkennbar waren, sich auf diese vom Vorstellungselement der Fahrlässigkeit umfaßten höheren Gefahrenmomente dennoch eingelassen hat (vgl. unter anderem die Erkenntnisse vom 23. Oktober 1985, Zl. 85/11/0052, und vom 24. September 1991, Zl. 91/11/0037).
Diese Voraussetzungen treffen bei einem Verstoß gegen § 46 Abs. 4 lit. a StVO 1960 grundsätzlich zu, wobei es keiner näheren Erörterung bedarf, daß ein derartiges Fehlverhalten - das sich nach den vom Beschwerdeführer unbekämpft gebliebenen Feststellungen über ca. 1 km erstreckt hat - objektiv geeignet war, andere (nämlich entgegenkommende) Verkehrsteilnehmer in hohem Maße zu gefährden. Dies zeigen - worauf die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides und neuerlich in ihrer schriftlichen Äußerung vom 25. Februar 1992 mit Recht hingewiesen hat - mehrere durch sogenannte "Geisterfahrer" bisher verursachte und durch die Medien bekannt gewordene schwere Verkehrsunfälle mit tödlichen Verletzungsfolgen deutlich genug. Dafür, daß demgegenüber ein besonders gelagerter Ausnahmefall vorgelegen sei, der zu einer anderen rechtlichen Beurteilung führen würde, besteht nach der Aktenlage kein Anhaltspunkt. Der vom Beschwerdeführer in seiner schriftlichen Äußerung vom 28. Februar 1992 ins Treffen geführte Umstand, daß er die Autobahn an einem Samstag um ca. 6 Uhr (früh) befahren und daher (noch) ein geringes Verkehrsaufkommen geherrscht habe, fällt nicht entscheidend ins Gewicht, weil auch unter diesen Verhältnissen eine besondere Gefährdung entgegenkommender Fahrzeuglenker und -insassen, insbesondere beim Überholen mit einer auf Autobahnen im allgemeinen eingehaltenen sehr hohen Geschwindigkeit und bei Dunkelheit, - ungeachtet dessen, ob sie tasächlich eingetreten ist - nicht ausgeschlossen werden konnte. Die belangte Behörde hat zwar keine Feststellungen über die näheren Umstände der Begehung der Tat getroffen; dies stellt aber keinen wesentlichen Verfahrensmangel dar, weil sich daran, daß der Beschwerdeführer sein Verhalten unter besonders gefährlichen Verhältnissen gesetzt hat, auch dann nichts geändert hätte, wenn die Fahrbahn mehr als zwei Fahrstreifen (oder zwei Fahrstreifen und einen Pannenstreifen) aufgewiesen hätte, sie in dem betreffenden Bereich gerade verlaufen und trocken gewesen wäre sowie keine Sichtbehinderung durch Nebel oder dgl. gegeben gewesen wäre. Eine Erhöhung der Gefahr ist aber darin zu erblicken, daß der Beschwerdeführer - wie von ihm selbst zugegeben wurde - vor Antritt der Fahrt Alkohol zu sich genommen hat, wodurch seine Reaktions- und Konzentrationsfähigkeit beim Lenken eines Kraftfahrzeuges beeinträchtigt worden ist. Die belangte Behörde wäre daher berechtigt gewesen, auch vom Vorliegen einer bestimmten Tatsache gemäß § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 auszugehen, wobei sich bei Wertung dieser bestimmten Tatsache damit bereits unmittelbar die besondere Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen die zugrundeliegende Handlung begangen wurde und die auf eine dem § 66 Abs. 1 lit. a leg. cit. entsprechende Sinnesart schließen läßt, ergibt, weshalb sie in der Regel, bezogen auf den Zeitpunkt der Begehung dieser strafbaren Handlung, auch die Annahme der Verkehrsunzuverlässigkeit der betreffenden Person rechtfertigt (vgl. u.a. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. September 1984, Zl. 83/11/0271).
Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers hätte mit einer Androhung der Entziehung der Lenkerberechtigung gemäß § 74 Abs. 3 KFG 1967 schon deshalb nicht vorgegangen werden dürfen, weil eine solche Maßnahme bei Vorliegen einer bestimmten Tatsache gemäß § 66 Abs. 2 lit. e leg. cit. im Hinblick auf die bereits erwähnte Bestimmung des § 73 Abs. 3 leg. cit. - aus der die Absicht des Gesetzgebers klar hervorgeht, in derartigen Fällen die Lenkerberechtigung zumindest für die Dauer von vier Wochen zu entziehen - von vornherein nicht in Betracht kommt. Trotz Vorliegens zweier bestimmter Tatsachen im Sinne des § 66 Abs. 1 KFG 1967 und ihrer Wertung gemäß § 66 Abs. 3 leg. cit., dessen Kriterien auch bei Bemessung der Zeit gemäß § 73 Abs. 2 leg. cit. heranzuziehen sind, kann aber auch der belangten Behörde darin nicht beigepflichtet werden, daß zur Erfüllung des Sicherungszweckes nur mit einer Entziehungsmaßnahme nach § 73 Abs. 1 leg. cit. das Auslangen hätte gefunden werden können. Die belangte Behörde hat dem Umstand zuwenig Bedeutung beigemessen, daß der Beschwerdeführer in den letzten 19 Jahren vor dem 19. Jänner 1991 nicht nachteilig in Erscheinung getreten ist und auf Grund der getroffenen Feststellungen auch nicht gesagt werden kann, daß bei ihm eine Neigung zur Begehung von Alkoholdelikten besteht. Es ist wohl - entsprechend der Begründung des angefochtenen Bescheides - richtig, daß "jedenfalls durch die Entziehungszeit eine Bewußtseinsbildung hinsichtlich der eminenten Gefahren im Straßenverkehr gewährleistet werden muß", was aber keineswegs den Schluß rechtfertigt, daß "durch die Ablegung einer neuerlichen Lenkerprüfung sichergestellt werden muß, daß Sie die Ihnen als Kraftfahrzeuglenker obliegenden Verpflichtungen kennen und sich auch entsprechend verhalten" und dies "nur durch eine Entziehungsdauer von zwei Jahren garantiert werden kann".
Der angefochtene Bescheid war somit wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
Beschwerdepunkt Beschwerdebegehren Rechtslage Rechtsgrundlage RechtsquellenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1991110116.X00Im RIS seit
12.06.2001