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L3 FinanzrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz / Rechtspolitik - ExzeßLeitsatz
Feststellung der Verfassungswidrigkeit des §35 des Wr. VergnügungssteuerG 1963 idF der Vergnügungssteuergesetznovellen 1976 und 1981 wegen Verstoßes gegen Art91 B-VG und Art7 Abs1 B-VG; unterhalb der Schöffengerichtsbarkeit liegender Kernbereich der Strafgerichtsbarkeit von verfassungswegen vorgegeben; Verpflichtung des Landesgesetzgebers, für die Verhängung schwerwiegender Strafen die Zuständigkeit der Strafgerichte vorzusehen; Verstoß gegen das Gleichheitsgebot durch exzessives Mißverhältnis zwischen dem unter Strafsanktion gestellten Verhalten und der Höhe der GeldstrafeSpruch
§35 des Vergnügungssteuergesetzes für Wien 1963, LGBl. Nr. 11, in der Fassung der Vergnügungssteuergesetznovelle 1976, LGBl. Nr. 37, und der Vergnügungssteuergesetznovelle 1981, LGBl. Nr. 16, war verfassungswidrig.
Der Landeshauptmann von Wien ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruchs im Landesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Magistrat Wien befand den Beschwerdeführer des hg. Verfahrens B744/87 mit Straferkenntnis vom 24. Feber 1987 der Verwaltungsübertretung nach §35 Abs1 des Vergnügungssteuergesetzes für Wien 1963 schuldig und verhängte über ihn nach dieser Gesetzesstelle in Verbindung mit §9 Abs1 VStG 1950 eine Geldstrafe von 288.000 S (Ersatzarreststrafe von 10 Wochen), weil er es als Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung in näher beschriebener Weise unterlassen habe, Vergnügungssteuer rechtzeitig zu entrichten und dadurch diese Steuer im Betrag von insgesamt 96.000 S fahrlässig verkürzt habe. Der dagegen erhobenen Berufung gab die Wiener Landesregierung mit Bescheid vom 13. Mai 1987 im Schuldspruch keine Folge (dies mit der Maßgabe, daß sie den Verkürzungsbetrag aufgliederte (24.000 S, 36.000 S und 36.000 S) und bestimmten - kürzeren - Zeiträumen zuordnete); hingegen setzte sie in Anwendung des §51 Abs4 VStG 1950 die Geldstrafe auf 192.000 S und die Ersatzarreststrafe auf 6 Wochen herab. In der Begründung dieser Rechtsmittelentscheidung führte die Berufungsbehörde zur Strafbemessung im wesentlichen aus, im Hinblick darauf, daß §35 Abs1 des Vergnügungssteuergesetzes für Wien 1963 für Handlungen und Unterlassungen, wodurch die Steuer hinterzogen oder fahrlässig verkürzt wird, Strafe bis zum Dreißigfachen des Verkürzungsbetrages vorsehe, erscheine die nunmehr verhängte Strafe von 192.000 S, die dem Zweifachen des verkürzten Steuerbetrages entspreche, nicht hoch, weise doch der Rechtsmittelwerber mehrere gleichartige Verwaltungsvorstrafen auf, was als erschwerender Umstand zu werten gewesen sei. Die Strafe nehme auch auf die Vermögenslosigkeit des Rechtsmittelwerbers und sein bei Vorliegen von Sorgepflichten für zwei Kinder nicht ungünstiges Einkommen Bedacht. Weiters berücksichtige die vorgenommene Strafherabsetzung die Einschränkung des Tatzeitraumes.
2. §35 des Vergnügungssteuergesetzes für Wien 1963, LGBl. 11, idF der Vergnügungssteuergesetznovelle 1976, LGBl. 37, und der Vergnügungssteuergesetznovelle 1981, LGBl. 16, hat folgenden Wortlaut:
"(1) Handlungen oder Unterlassungen, durch die die Abgabe hinterzogen oder fahrlässig verkürzt wird, sind als Verwaltungsübertretungen mit Geld bis zum Dreißigfachen des Verkürzungsbetrages zu bestrafen. Läßt sich das Ausmaß der Steuerverkürzung oder -gefährdung nicht feststellen, so hat der im Steuerbescheid festgesetzte Steuerbetrag die Grundlage für die Bemessung der Strafe zu bilden. Im Falle der Uneinbringlichkeit tritt an Stelle der Geldstrafe eine Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten.
(2) Die sonstigen Übertretungen der Vorschriften dieses Gesetzes oder der dazu erlassenen Durchführungsvorschriften werden mit Geldstrafen bis zu 6 000 S, im Falle der Uneinbringlichkeit mit einer Freiheitsstrafe bis zu 14 Tagen, geahndet.
(3) Mit der Strafe kann gleichzeitig der Verfall der Gegenstände, die mit der Verwaltungsübertretung im ursächlichen Zusammenhang stehen, ausgesprochen werden."
Das Vergnügungssteuergesetz für Wien 1963 (mithin auch sein wiedergegebener §35) trat zufolge §21 des Vergnügungssteuergesetzes 1987, LGBl. 43, mit 1. Jänner 1988 außer Kraft.
3. Der Magistrat Wien befand den Beschwerdeführer des hg. Verfahrens B1013/87 mit Straferkenntnis vom 24. März 1987 der Verwaltungsübertretung nach §35 Abs1 des Vergnügungssteuergesetzes für Wien 1963 schuldig und verhängte über ihn nach dieser Gesetzesstelle in Verbindung mit §9 Abs1 VStG 1950 eine Geldstrafe von 110.000 S (Ersatzarreststrafe von 60 Tagen), weil er es als Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung in näher beschriebener Weise unterlassen habe, Vergnügungssteuer rechtzeitig zu entrichten und dadurch diese Steuer im Betrag von insgesamt 24.000 S fahrlässig verkürzt habe. Der dagegen erhobenen Berufung gab die Wiener Landesregierung mit Bescheid vom 5. August 1987 im Schuldspruch keine Folge (dies mit der Maßgabe, daß sie den Verkürzungsbetrag aufgliederte und bestimmten - kürzeren - Zeiträumen zuordnete); hingegen setzte sie in Anwendung des §51 Abs4 VStG 1950 die Geldstrafe auf 72.000 S und die Ersatzarreststrafe auf 36 Tage herab.
4. Aus Anlaß der zu B744/87 und B1013/87 erhobenen Beschwerden nach Art144 B-VG beschloß der Verfassungsgerichtshof, gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen Verfahren zur Prüfung des §35 des Vergnügungssteuergesetzes für Wien 1963 in der erwähnten novellierten Fassung einzuleiten. Er legte - bezogen auf den Beschwerdefall B744/87 - zu den Prozeßvoraussetzungen und verfassungsrechtlichen Bedenken folgendes dar:
"1. Der Verfassungsgerichtshof geht davon aus, daß er über die vorliegende Beschwerde, der Verfahrenshindernisse anscheinend nicht entgegenstehen, meritorisch zu entscheiden und hiebei §35 des Vergnügungssteuergesetzes für Wien 1963 in der erwähnten Fassung (im folgenden gekürzt: VgStG) anzuwenden hätte.
2.a) Die verfassungsrechtlichen Bedenken des Gerichtshofs gegen §35 VgStG gehen zunächst - alternativ - dahin, daß entweder die Ahndung der hier umschriebenen Handlung(en) im Hinblick auf die zulässige Höhe der Geldstrafe nicht einer Verwaltungsbehörde zugewiesen werden darf oder die Festlegung der verwaltungsbehördlichen Zuständigkeit es ausschließt, Geldstrafen im angedrohten hohen Ausmaß vorzusehen.
Die in diesem Zusammenhang erforderliche Beurteilung der zitierten Rechtsvorschrift bietet nun keineswegs Anlaß, eine allgemein gültige Antwort auf die Frage zu suchen, ob eine und bejahendenfalls welche verfassungsrechtliche Schranke für den (einfachen) Gesetzgeber besteht, die Zuordnung von Delikten zum Vollzugsbereich der Strafgerichte oder dem der Verwaltungsbehörden nach seinem Belieben vorzunehmen (vgl. zum Problemkreis der sogenannten materiellen Gewaltentrennung etwa Adamovich/Funk, Allgemeines Verwaltungsrecht3 (1987), S. 92ff). Es reichte vielmehr wohl eine Beantwortung der Frage hin, ob die Geldstrafe als ein sowohl für das Verwaltungsstrafrecht als auch das Justizstrafrecht charakteristisches Strafmittel dem Gesetzgeber für beide Vollzugsbereiche zur freien Disposition steht oder ob zumindest die Androhung besonders schwerwiegender Geldstrafen dem gerichtlichen Strafrecht vorbehalten ist. Der Verfassungsgerichtshof neigt - wie schon erwähnt - zur Annahme eines derartigen Vorbehaltes. Aus Art91 Abs2 und 3 B-VG geht hervor, daß sich sowohl die Abgrenzung zwischen der Zuständigkeit des Geschwornen- und der des Schöffengerichtes als auch jene zwischen dem Schöffengericht und der übrigen Strafgerichtsbarkeit - allgemein gesagt - an der Strenge der strafrechtlichen Sanktion zu orientieren hat. Ist aber dieses Kriterium innerhalb der Strafgerichtsbarkeit maßgebend, so ist es wohl für diese insgesamt in dem Sinn bestimmend, daß das Gewicht der strafrechtlichen Sanktion nicht nur für die unterschiedliche Zuweisung von Strafsachen innerhalb der Strafgerichtsbarkeit maßgeblich ist, sondern auch für die Zuweisung von Strafsachen an die Gerichtsbarkeit überhaupt (der Verfassungsgerichtshof verweist im gegebenen Zusammenhang auf in diese Richtung zielende Lehrmeinungen, so etwa Adamovich/Funk, a.a.O. S. 94, Melichar, Von der Gewaltentrennung im formellen und materiellen Sinn unter Berücksichtigung der Abgrenzung von Gerichtsbarkeit und Verwaltung, insbesondere auf dem Gebiete des Strafrechtes, Gutachten 4. ÖJT (1970), Bd I/1, S. 39f., Hellbling, Grenzen des Verwaltungsstrafrechtes, JBl. 1959 S. 252ff, insbesondere S. 256f.). Demgemäß wäre der einfache Gesetzgeber (was den Landesgesetzgeber anlangt: unter Bedachtnahme auf Art15 Abs9 B-VG) gehalten, die Ahndung strafbarer Handlungen jedenfalls dann den Strafgerichten zuzuweisen, wenn die angedrohte Geldstrafe ein nach dem allgemeinen Stand der Gesetzgebung für die Strafgerichtsbarkeit typisches hohes Ausmaß erreicht.
Geht man bei der Betrachtung einer solchen Gesetzeslage hingegen nicht von der angedrohten Strafsanktion, sondern vom Umstand aus, daß die Zuständigkeit einer Verwaltungsbehörde festgelegt ist, so erscheint die Regelung bezüglich der Strafdrohung als verfassungsrechtlich bedenklich, weil besonders hohe Strafdrohungen anscheinend den Strafgerichten vorbehalten sind.
b) Diesen - im Rahmen einer vorläufigen Beurteilung der Verfassungsrechtslage angenommenen - Grundsätzen scheint §35 VgStG zu widersprechen; durch diese Vorschrift wird anscheinend das erwähnte, für die Strafgerichtsbarkeit typische hohe Ausmaß der Geldstrafe nicht bloß erreicht, sondern sogar überschritten.
Geht man nämlich davon aus, daß bei bestimmten Abgabentatbeständen des VgStG die je (begonnenem) Kalendermonat entstehende Abgabeschuld 12.000 S ausmacht (s. §26 Abs3 des Vergnügungssteuergesetzes für Wien 1963 idF der Novellen LGBl. 16/1981 und LGBl. 7/1983), so erscheint der im vorliegenden Beschwerdefall angenommene Betrag, um den die Vergnügungssteuer fahrlässig verkürzt wurde, in Höhe von 96.000 S jedenfalls nicht als außergewöhnlich hoch oder völlig atypisch. Unter Zugrundelegung eines Verkürzungsbetrages in dieser Höhe errechnet sich eine an sich mögliche Höchststrafe von 2,880.000 S. Selbst wenn man nun die durch §19 VStG 1950 festgelegten Grundsätze der Strafbemessung berücksichtigt, erscheint somit im Einzelfall die Bemessung einer Geldstrafe in beträchtlicher Höhe möglich. Ein Vergleich mit den höchsten Strafdrohungen des gerichtlichen Strafrechtes zeigt, daß diese im Verwaltungsstrafverfahren verhängbaren Geldstrafen an das Höchstmaß der gerichtlichen Geldstrafe herankommen oder dieses Höchstmaß sogar überschreiten (unter Zugrundelegung einer Strafe von 360 Tagessätzen im Ausmaß von - höchstens - 3.000 S (seit dem mit 1. März 1988 in Kraft getretenen Strafrechtsänderungsgesetz 1987, BGBl. 605, höchstens 4.500 S) errechnet sich ein Grenzbetrag von 1,080.000 S bzw. 1,620.000 S - vgl. in diesem Zusammenhang Platzgummer, in: Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Rz 10 zu §19; vgl. in diesem Zusammenhang aber auch §53 Abs1 litb FinStrG und §33 Abs5 leg.cit., denen zufolge für die Abgrenzung der gerichtlichen von der finanzstrafbehördlichen Zuständigkeit ein strafbestimmender Wertbetrag von 1 Million S maßgeblich ist und die Abgabenhinterziehung mit einer Geldstrafe bis zum zweifachen des Verkürzungsbetrages geahndet wird).
3. Der Gerichtshof hegt gegen §35 VgStG andererseits das Bedenken, daß diese Bestimmung gegen den auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitssatz verstößt. Es widerspricht nämlich anscheinend dem - sich aus dem Gleichheitssatz ergebenden - Sachlichkeitsgebot (s. zB VfSlg. 9901/1983), die Strafdrohung einer Verwaltungsübertretung in der unter II./2./b) näher beschriebenen außergewöhnlichen Höhe festzulegen."
II. Beim Verwaltungsgerichtshof sind zu dessen Zahlen 87/17/0306, 88/17/0061, 88/17/0134 und 88/17/0244 im wesentlichen gleichgelagerte Beschwerdefälle anhängig, in denen über die Beschwerdeführer im Instanzenzug in Handhabung des §35 VgStG Geldstrafen (von 80.000 S wegen einer fahrlässigen Abgabenverkürzung von 80.186 S; von 90.000 S wegen einer fahrlässigen Abgabenverkürzung von insgesamt 72.000 S; von 276.000 S wegen einer Abgabenhinterziehung von 276.000 S; von 11.500 S wegen einer fahrlässigen Abgabenverkürzung von 14.443 S) sowie Ersatzfreiheitsstrafen verhängt wurden. Der Verwaltungsgerichtshof beantragt anläßlich dieser Beschwerdesachen (zu A4/89, A5/89, A6/89 und A14/89) die Feststellung, daß §35 VgStG (in der Fassung der bezeichneten Novellen) verfassungswidrig war; inhaltlich schließt sich der Verwaltungsgerichtshof den verfassungsrechtlichen Bedenken des Verfassungsgerichtshofs an.
III. Die Wiener Landesregierung erstattete Äußerungen mit dem Begehren, die geprüfte Gesetzesbestimmung nicht als verfassungswidrig zu befinden. Im gleichen Sinn äußerten sich die Bundesregierung sowie die Kärntner, die Salzburger, die Steiermärkische sowie die Tiroler Landesregierung.
IV. Die - zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen - Prüfungsverfahren sind, da sämtliche Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, zulässig.
Der von der Wiener Landesregierung erhobene Einwand, daß im Hinblick auf den Gegenstand der Verwaltungsentscheidungen nur Abs1 des §35 VgStG präjudiziell sei, verkennt, daß die in Prüfung gezogene Vorschrift eine nicht trennbare Einheit bildet; sowohl Abs2 als auch Abs3 erhalten nämlich einen Teil ihres normativen Inhalts aus dem ersten Absatz.
V. In der Sache hat der Verfassungsgerichtshof erwogen:
1. Die auf Art91 B-VG gegründeten verfassungsrechtlichen Bedenken erweisen sich im Ergebnis als gerechtfertigt.
a) Aus dem Zusammenhalt von Art92 Abs1 B-VG (betreffend den OGH), Art140 Abs1 B-VG (worin von dem "zur Entscheidung in zweiter Instanz berufenen Gericht" die Rede ist) und §8 Abs5 litd des Übergangsgesetzes 1920 (der ua. eine die Bezirksgerichte betreffende Regelung enthält) ergibt sich deutlich, daß der Bundesverfassungsgesetzgeber von einem dreistufigen organisatorischen Aufbau der Zivil- und Strafgerichtsbarkeit ausgeht. Ungeachtet des Umstandes wie nun der Instanzenzug im einzelnen gestaltet ist, ist aus der Organisationsstruktur der Strafgerichtsbarkeit jedenfalls ableitbar, daß die Zuweisung eines durchaus erheblichen Teilbereichs der Strafsachen an die Strafgerichtsbarkeit von Verfassungs wegen vorausgesetzt wird.
Wenn die Absätze 2 und 3 im Art91 B-VG die Geschwornen- und die Schöffengerichtsbarkeit (abgesehen vom Fall der politischen Delikte, der hier außer Betracht bleiben kann) voneinander sowie die Schöffengerichtsbarkeit von der übrigen Strafgerichtsbarkeit - wie dies schon im Einleitungsbeschluß in allgemeiner Weise gesagt wurde - nach der Strenge der strafrechtlichen Sanktion abgrenzen, so liegt diesen Grenzziehungen die Vorstellung eines (auch) nach den Strafdrohungen klassifizierbaren strafrechtlichen Systems zugrunde. Bezeichnend hiefür ist nicht zuletzt die in den bezogenen Verfassungsvorschriften getroffene, für ein solches strafrechtliches System geradezu typische Wortwahl (wie etwa Verbrechen, Vergehen, Maß der zu verhängenden Strafe). Es unterliegt also auch der gleichsam unterhalb der Schöffengerichtsbarkeit liegende Teil der Strafgerichtsbarkeit jedenfalls einer derartigen, an der Strenge der strafrechtlichen Sanktion orientierten Gliederung.
Erfaßt man nun die eben herausgestellten Umstände quantitativer und qualitativer Natur im selben Blickfeld, so wird erkennbar, daß der unterhalb der (Geschwornen- und) Schöffengerichtsbarkeit liegende Teil der Strafgerichtsbarkeit einen für diesen typischen Kernbereich strafbarer Handlungen enthält. Der Gerichtshof zweifelt zwar nicht daran, daß der einfache Bundesgesetzgeber im Rahmen des Art91 B-VG eine verhältnismäßig weite rechtspolitische Gestaltungsfreiheit (auch) in der Richtung hat, welchem Vollzugsbereich er die Ahndung einer bestimmten strafbaren Handlung zuweist. Wenn die strafbare Handlung aber wegen der vom Bundesgesetzgeber bewerteten hohen Sozialschädlichkeit mit einer schwerwiegenden Strafe bedroht ist, so fällt sie notwendig in den eben erwähnten Kernbereich; der Bundesgesetzgeber ist in diesem Fall von Verfassungs wegen gehalten, mit der Ahndung dieser strafbaren Handlung die (wegen ihrer Unabhängigkeit hiezu besonders qualifizierten) Organe der Strafgerichtsbarkeit zu betrauen. Eine genauere Abgrenzung dieses unterhalb der Schöffengerichtsbarkeit liegenden Kernbereichs ist im hier gegebenen Zusammenhang nicht erforderlich; es genügt die Feststellung, daß eine strafbare Handlung diesem Bereich jedenfalls dann zugehört, wenn die angedrohte Strafe vor dem Hintergrund des in der Strafrechtsordnung enthaltenen, unterhalb der Grenze zur Schöffengerichtsbarkeit liegenden Systems von Strafen unterschiedlicher Höhe als für den Bestraften besonders empfindlich einzustufen ist. Daß dazu jedenfalls nach der umfassenden Strafrechtsreform durch die Erlassung des Strafgesetzbuchs im Jahre 1974 auch Geldstrafen zählen, ist - wenn man sich den schon im Einleitungsbeschluß erwähnten Tagessatz von 4.500 S (vor dem Inkrafttreten des Strafrechtsänderungsgesetzes 1987 von 3.000 S) sowie den errechenbaren Grenzbetrag von 1,620.000 S (vor dem Inkrafttreten des Strafrechtsänderungsgesetzes 1987 von 1,080.000 S) vergegenwärtigt und die Höhe der verhängbaren Geldstrafen dem Einkommen der Bevölkerung gegenüberstellt sowie überdies auf die Höhe der angedrohten Ersatzfreiheitsstrafen bis zu sechs Monaten Bedacht nimmt - nicht im mindesten zweifelhaft.
Sieht sich der Landesgesetzgeber (in einer Angelegenheit, in der ihm dem Regelungsinhalt nach sonst die Kompetenz zukäme) im Hinblick auf die nach seiner Wertung gegebene hohe Sozialschädlichkeit eines Verhaltens veranlaßt, zu dessen Hintanhaltung eine schwerwiegende, nach den vorstehenden Darlegungen in den strafrechtlichen Kernbereich fallende Strafdrohung festzulegen, so betritt er damit notwendig das Gebiet des Strafrechts, was ihm nur aufgrund und nach Maßgabe des Art15 Abs9 B-VG gestattet ist. Der Landesgesetzgeber hat demnach in einem solchen Fall die Zuständigkeit des Strafgerichtes vorzusehen. Der Einwand, Art15 Abs9 B-VG sei bloß als eine Ermächtigung des Landesgesetzgebers (arg. "befugt") zu verstehen, nicht aber als eine Verpflichtung zur Aufgabe der Vollziehungskompetenz von Landesbehörden, ist nicht berechtigt; er übergeht nämlich, daß die hier beschriebene Lage des Landesgesetzgebers durch den Grundsatz des Art82 Abs1 B-VG mitbestimmt ist, demzufolge alle Gerichtsbarkeit vom Bund ausgeht. Daß im übrigen Art83 Abs1 B-VG unberührt bleibt, der die gerichtsorganisatorischen Belange dem Bundesgesetzgeber zuweist, braucht nicht besonders hervorgehoben zu werden.
In gegebenem Zusammenhang ist noch anzumerken, daß der Verfassungsgerichtshof die im rechtswissenschaftlichen Schrifttum (Pernthaler, Ist die landesgesetzliche Festlegung eines Wirkungskreises der Zivil- und Strafgerichte gemäß Art15 Abs9 B-VG eine "Mitwirkung von Bundesorganen" im Sinne des Art97 Abs2 B-VG?, JBl. 1972, S. 68ff) vertretene Auffassung teilt, die derart vorgenommene Begründung einer gerichtlichen Zuständigkeit bedürfe keiner Zustimmung nach Art97 Abs2 B-VG.
b) Die konkret zu betrachtende Vorschrift des §35 VgStG erweist sich nach dem Vorgesagten im Hinblick auf die zulässige Höchststrafe, nämlich die - sogar für den Fall bloß fahrlässiger Abgabenverkürzung festgelegte - Höchststrafe im Ausmaß des Dreißigfachen des Verkürzungsbetrages, als verfassungswidrig.
2. Gerechtfertigt sind aber auch jene verfassungsrechtlichen Bedenken des Einleitungsbeschlusses, welche unter dem Aspekt des - sich aus dem Gleichheitssatz ergebenden - Sachlichkeitsgebotes geltend gemacht wurden.
Der Verfassungsgerichtshof hat bereits in seinem Erk. VfSlg. 8934/1980, welches eine vom Landesgesetzgeber an eine strafgerichtliche Verurteilung geknüpfte administrativrechtliche Rechtsfolge betraf, aus dem Gleichheitsgebot den Grundgedanken abgeleitet, daß eine derartige Regelung bei zusammenschauender Betrachtung des (der strafgerichtlichen Verurteilung zugrunde gelegten) Verhaltens und der vom Landesgesetzgeber vorgesehenen Rechtsfolge sachlich begründbar sein muß (im gleichen Sinn auch VfSlg. 10512/1985). Dieses Sachlichkeitsgebot hat der Gerichtshof insbesondere in seinen die Strafe des Verfalls (der Einziehung) unter dem Blickwinkel des Gleichheitsgebotes wertenden Gesetzesprüfungserkenntnissen VfSlg. 9901/1983, 10597/1985 und 10904/1986 bekräftigt. Der Verfassungsgerichtshof hat es als unzulässig angesehen, daß der Verfall als absolute Strafdrohung unabhängig vom Grad des Verschuldens und unabhängig von der Höhe des durch das Finanzvergehen bewirkten Schadens (etwa der Abgabenverkürzung) vorgesehen ist (VfSlg. 9901/1983), daß eine Regelung offenbar ein exzessives Mißverhältnis zwischen der Höhe der Strafe des Verfalls und dem Wert einer den Gegenstand der strafbaren Handlung bildenden Ware nach ihrem System in sich schließt (VfSlg. 10597/1985) oder daß eine Regelung nach ihrem System ein exzessives Mißverhältnis zwischen der Höhe der Strafe der Einziehung einerseits und dem Grad des Verschuldens und der Höhe des verursachten Schadens andererseits einschließt (VfSlg. 10904/1986).
An dieser Rechtsprechung hält der Gerichtshof fest. Das in den bezogenen Gesetzesprüfungssachen umschriebene Sachlichkeitsgebot verpönt in gleicher Weise den Fall, in dem ein exzessives Mißverhältnis zwischen dem unter Strafsanktion gestellten Verhalten und der als primäre Rechtsfolge vorgesehenen Geldstrafe gegeben ist.
Legt der Gesetzgeber die Obergrenze der Strafe für die - auch bloß fahrlässig begangene - Verkürzung einer Abgabe mit dem Dreißigfachen des Verkürzungsbetrages fest, so bewirkt er hiedurch in zweierlei Hinsicht ein extremes Mißverhältnis zwischen dem Gewicht der strafbaren Handlung und der Sanktion: Einerseits führt eine solcherart festgelegte Obergrenze zu Strafdrohungen in einer betragsmäßigen Höhe, die mit den hergebrachten, der Rechtsordnung immanenten Zwecken der Verwaltungsstrafe nicht mehr vereinbar sind; so sei auch in diesem Zusammenhang auf die im Einleitungsbeschluß aufgrund der Sachlage des Beschwerdefalles B744/87 aus dem Verkürzungsbetrag von 96.000 S errechnete mögliche Höchststrafe von 2,880.000 S hingewiesen. Die Festlegung des Dreißigfachen steht andererseits in einem extremen Mißverhältnis zum Erfolg des Abgabendeliktes, der geahndet werden soll. Ein Verhältnis zwischen Verkürzungsbetrag und möglicher Höchststrafe von 1 : 30 - sogar bei bloß fahrlässig begangener Abgabenverkürzung - läßt sich durch sachbezogene strafrechtspolitische Argumente schlechthin nicht mehr erklären. Zu beiden festgehaltenen Aspekten ist noch anzumerken, daß auch die Strafzumessungsvorschriften des §19 VStG 1950 keine die exzessive Regelung ausgleichende Milderung bewirken, weil bei ihrer Handhabung auch der Strafdrohung - und damit der Höhe der angedrohten Strafe - wesentliche Bedeutung zukommt.
3. Die geprüfte Gesetzesvorschrift verstößt sohin sowohl gegen die aus Art91 B-VG abzuleitenden Grundsätze als auch gegen das auch den Gesetzgeber bindende Gleichheitsgebot. Da sie zufolge §21 des Vergnügungssteuergesetzes 1987, LGBl. 43, mit 1. Jänner 1988 außer Kraft getreten ist, hatte sich der Verfassungsgerichtshof auf den Ausspruch zu beschränken, daß sie verfassungswidrig war.
4. Die Verpflichtung zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruchs im Landesgesetzblatt stützt sich auf Art140 Abs5 zweiter Satz B-VG.
Schlagworte
Vergnügungssteuer, Verwaltungsstrafrecht, Strafbemessung, Strafgerichtsbarkeit (Kernbereich), Finanzstrafrecht, Gerichtsbarkeit Trennung von der Verwaltung, Kompetenz Bund - Länder / StrafrechtswesenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1989:G6.1989Dokumentnummer
JFT_10109073_89G00006_00