Index
90 Straßenverkehrsrecht, KraftfahrrechtLeitsatz
Gesetzliche Ermächtigung an die Verwaltung zur Erlassung von Bodenmarkierungen als an die Allgemeinheit gerichtete Gebote und Verbote unter gleichzeitigem Ausschluß ihrer Qualität als förmliche Verordnung; wegen Widerspruchs zu Art18 B-VG und Art139 B-VG verfassungswidrigSpruch
§55 Abs8 der Straßenverkehrsordnung 1960 in der Fassung der 13. StVO-Novelle, BGBl. Nr. 105/1986, wird als verfassungswidrig aufgehoben.
Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30. September 1990 in Wirksamkeit.
Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.
Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Bundesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. §55 Abs8 StVO 1960 in der Fassung der 13. StVO-Novelle, BGBl. 105/1986, lautet:
"Bodenmarkierungen gelten als straßenbauliche Einrichtungen und sind gemäß §98 Abs3 anzubringen bzw. zu entfernen."
II. 1.a. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B112/88 ein Verfahren über die Beschwerde gegen einen im Berufungsweg ergangenen Bescheid der Wiener Landesregierung anhängig, mit dem der Beschwerdeführer wegen Übertretung des §24 Abs1 litc StVO 1960 bestraft wurde, weil er als Lenker eines Kraftfahrzeuges dieses auf einem durch Bodenmarkierungen gekennzeichneten Schutzweg abgestellt hatte. In seiner Beschwerde erachtet sich der Beschwerdeführer insbesondere wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt.
Die belangte Behörde teilte in jenem Verfahren dem Verfassungsgerichtshof aufgrund seiner Anfrage mit, daß die Bodenmarkierung, mit der der Schutzweg gekennzeichnet wurde, "bereits vor dem Inkrafttreten der 13. StVO-Novelle, nämlich am 27.8.1977 errichtet wurde, eine entsprechende Verordnung aber nicht auffindbar ist".
b. Derselbe Beschwerdeführer erhob beim Verfassungsgerichtshof zu B1067/88 Beschwerde gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Berufungssenates der Stadt Wien, mit dem ihm ein Kostenersatz gemäß §89 a Abs7 in Verbindung mit Abs2 a litg StVO 1960 für das Entfernen und Aufbewahren seines auf dem Schutzweg abgestellten Kraftfahrzeuges vorgeschrieben wurde. In seiner Beschwerde erachtet sich der Beschwerdeführer ebenfalls wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt.
c. Weiters ist beim Verfassungsgerichtshof zu B659/88 das Verfahren über eine Beschwerde gegen einen im Berufungsweg ergangenen Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung anhängig, mit dem die Beschwerdeführerin wegen Übertretung des §9 Abs7 StVO 1960 bestraft wurde, weil sie als Lenkerin eines Kraftfahrzeuges dieses außerhalb der durch Bodenmarkierungen für Personenkraftwagen vorgesehenen Abstellflächen abgestellt hatte. In ihrer Beschwerde erachtet sich die Beschwerdeführerin in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.
Über Anfrage des Verfassungsgerichtshofes gab die bel. Beh. bekannt, daß die Parkflächenbodenmarkierung, wegen deren Mißachtung die Beschwerdeführerin bestraft wurde, am 14. November 1986 angebracht wurde und auf keiner Verordnung beruht.
d. Der Verfassungsgerichtshof nahm vorläufig an, daß er bei seiner Entscheidung über die drei Beschwerden §55 Abs8 StVO 1960 in der Fassung der 13. StVO-Novelle, BGBl. 105/1986, anzuwenden habe und daß die Beschwerden zulässig seien. Er beschloß von Amts wegen gemäß Art140 Abs1 B-VG §55 Abs8 StVO 1960 auf seine Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen.
2. Der Verwaltungsgerichtshof stellte aus Anlaß der bei ihm zu Zl. 88/18/0363 anhängigen Beschwerde mit Beschluß vom 26. Mai 1989, Zl. A16/89, gemäß Art140 Abs1 B-VG an den Verfassungsgerichtshof den Antrag, §55 Abs8 StVO 1960 als verfassungswidrig aufzuheben.
Dieser Beschwerde liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Mit dem beim Verwaltungsgerichtshof angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Wiener Landesregierung vom 22. September 1988 (in der Fassung des Berichtigungsbescheides vom 13. Jänner 1989) wurde der Beschwerdeführer einer Verwaltungsübertretung nach §99 Abs3 lita in Verbindung mit §24 Abs1 litm StVO 1960 für schuldig erkannt, weil er seinen PKW mit drei Rädern auf einer durch eine entsprechende Bodenmarkierung gekennzeichneten Sperrfläche zum Halten abgestellt habe.
Der Verwaltungsgerichtshof geht davon aus, daß er bei seiner Entscheidung der geschilderten Beschwerdesache "unter anderem die rechtliche Qualifikation der am Tatort vorhanden gewesenen Bodenmarkierung ... zu prüfen" habe. Da laut Mitteilung der vor dem Verwaltungsgerichtshof belangten Behörde die Sperrflächenmarkierung vor dem 1. Mai 1986 ohne verordnungsmäßige Grundlage angebracht worden ist, würde nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes §55 Abs8 StVO 1960 in der Fassung der 13. StVO-Novelle, BGBl. 105/1986, "seine verfassungsmäßige Unbedenklichkeit vorausgesetzt, auch solche Bodenmarkierungen sanieren".
Im übrigen schließt sich der Verwaltungsgerichtshof den verfassungsrechtlichen Bedenken an, die der Verfassungsgerichtshof in seinem Beschluß vom 7. März 1989, B112/88, zum Ausdruck gebracht hat.
3. Der Verfassungsgerichtshof (und ihm folgend der Verwaltungsgerichtshof) hegte in den angeführten Prüfungsbeschlüssen die Bedenken, daß §55 Abs8 StVO 1960 in der Fassung der 13. StVO-Novelle, BGBl. 105/1986, verfassungswidrig sei, weil "durch eine derartige Konstruktion eine verfassungswidrige Beeinträchtigung oder Umgehung des durch Art139 B-VG gewährleisteten Rechtsschutzes gegen Verordnungen herbeigeführt" werde. Er führte aus:
"Zumindest soweit §55 Abs8 StVO 1960 dazu ermächtigt, mit Hilfe von Bodenmarkierungen die gleichen Rechtswirkungen wie mit Hilfe förmlicher Verordnungen nach den §§43 ff. StVO herbeizuführen, aber gleichzeitig ausschließt, daß diese Bodenmarkierungen, so wie dies aufgrund des vorhergehenden Rechtszustandes gem. VfSlg. 7177/1973 der Fall war, als Kundmachung von Verordnungsakten in Erscheinung treten, dürfte §55 Abs8 StVO 1960 verfassungswidrig sein."
Der Verfassungsgerichtshof hegte ferner das verfassungsrechtliche Bedenken,
"daß die vom Gesetzgeber gewählte Konstruktion zu einer Umgehung der verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung dadurch führt, daß Anordnungen straßenpolizeilicher Art nicht mehr nur von den nach Art11 Abs1 Z4 in Verbindung mit Art11 Abs3 B-VG allein zuständigen Straßenpolizeibehörden erlassen werden können. Wenn es dem Straßenerhalter gem. §55 Abs8 in Verbindung mit §98 Abs3 StVO 1960 ermöglicht wird, durch Bodenmarkierungen Gebote und Verbote zum Ausdruck zu bringen, die ansonsten den Inhalt von Verordnungen der Straßenpolizeibehörden bilden, dürfte der Gesetzgeber mit einer derartigen Regelung die bundesstaatliche Kompetenzverteilung unterlaufen und damit verletzt haben."
Schließlich nahm der Verfassungsgerichtshof an, daß §55 Abs8 in Verbindung mit §98 Abs3 StVO 1960 "den durch Art18 Abs2 B-VG aufgestellten Grundsätzen über die Erlassung einer Verordnung widerspreche", weil in den genannten gesetzlichen Bestimmungen die Ermächtigung liege,
"durch Anbringung von Bodenmarkierungen eine Parkverbotsverordnung kundzumachen, ohne daß ein Verordnungsgebungsverfahren durch die Straßenpolizeibehörde durchgeführt und abgeschlossen wurde, ohne daß also die generelle Norm durch die Straßenpolizeibehörde geschaffen worden ist".
4. Der Beschwerdeführer zu B112/88 hat sich in einer Äußerung den verfassungsrechtlichen Bedenken des Verfassungsgerichtshofes angeschlossen.
5. Die Bundesregierung hält hingegen in ihrer Äußerung §55 Abs8 StVO 1960 nicht für verfassungswidrig. Die Bundesregierung gibt zu erwägen, ob nicht entgegen den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage der in Prüfung gezogenen Bestimmung
"sowohl dem Wortlaut des §55 Abs8 StVO 1960 als auch der Einordnung dieser Bestimmung im System der StVO 1960 der Sinn entnommen werden kann, daß Bodenmarkierungen nach der geltenden Rechtslage als Verordnung des Straßenerhalters - welchem dabei die Funktion eines beliehenen Unternehmers zukommt - zu deuten sind. Dies wäre im Rahmen der - im Zweifel gebotenen - verfassungskonformen Auslegung von Bedeutung."
Zur Begründung ihrer Auffassung verweist die Bundesregierung auf den Wortlaut des §98 Abs3 StVO 1960, wonach
"der zur Anbringung von Bodenmarkierungen zuständige Straßenerhalter bei der Ausübung dieser Befugnis der Straßenpolizeibehörde unterstellt ist."
Auch der Anbringung von Bodenmarkierungen gehe - nach Meinung der Bundesregierung - jedenfalls ein Willensakt (freilich des Straßenerhalters) dahingehend voraus, daß beabsichtigt sei, damit eine Regelung zu treffen, an welche sich die Straßenbenützer zu halten hätten. Die Erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zur Stammfassung des §98 StVO 1960 (22 BlgNR IX. GP, S. 72) bezeichneten diesen Akt als "Verfügung". Damit habe aber die Anbringung von Bodenmarkierungen - auch wenn sie vom Straßenerhalter durchgeführt werde - den Charakter einer generell-abstrakten Norm, welche im Rechtssatzsystem des B-VG als Verordnung gedeutet werden könne.
Zwar werde im vorliegenden Fall die Beleihung des Straßenerhalters nicht durch einen behördlichen Akt der "Betrauung" im Einzelfall vorgenommen, jedoch erscheine der Bundesregierung auch eine Beleihung durch das Gesetz selbst verfassungsrechtlich zulässig, da jedenfalls klar sei, welcher Rechtsperson - nämlich dem Straßenerhalter - die Aufgabe der Anbringung von Bodenmarkierungen übertragen werde.
Eine Verletzung der verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung schließt die Bundesregierung deshalb aus,
"da der Straßenerhalter bei einer solchen Betrachtungsweise gemäß §98 Abs3 StVO 1960 als beliehener Unternehmer bezüglich der Anbringung von Bodenmarkierungen in funktioneller Hinsicht den nach den §§94 ff StVO 1960 zuständigen Behörden untersteht und sein Handeln diesen zuzurechnen ist".
Zur Frage des Fehlens eines Verordnungsgebungsverfahrens hebt die Bundesregierung hervor,
"daß der Straßenerhalter bei der Ausübung seiner Befugnis, Bodenmarkierungen anzubringen, nicht etwa im rechtsfreien Raum agiert, sondern an die genauen Vorschriften der §§55 Abs1 bis 7 und 9 StVO 1960 gebunden ist und hiebei sowohl nach der klaren Vorschrift des §98 Abs3 leg.cit., welcher auf §44 Abs1 StVO verweist, an die behördlich verfügten Verkehrsverbote, Verkehrserleichterungen und Hinweise, als auch an die ihm nach dem ersten Satz des §98 Abs3 StVO erteilten Aufträge gebunden ist".
Für die Qualifikation von Bodenmarkierungen als Verordnungen kann schließlich nach Meinung der Bundesregierung auch der Wortlaut des §55 Abs9 StVO 1960 sprechen, wonach bei der erstmaligen Anbringung von Sperrlinien, Sperrflächen und Zickzacklinien ein besonderes Anhörungsverfahren einzuhalten sei, das gemäß §94 f leg.cit. für den Erlaß von Verordnungen kennzeichnend sei.
Wolle man jedoch die Anbringung von Bodenmarkierungen als bloße Tatsachen ohne eigenständigen normativen Charakter werten, so könnte nach Meinung der Bundesregierung auch die Rechtskonstruktion, Bodenmarkierungen stellten bloße "Tatbestandsvoraussetzungen" dar, in verfassungsrechtlicher Hinsicht vertretbar erscheinen. Dies im Hinblick auf die Überwachungspflicht der zuständigen Straßenpolizeibehörde gemäß §98 Abs3 StVO 1960. Im übrigen weist die Bundesregierung darauf hin,
"daß der österreichischen Rechtsordnung die rechtliche Konstruktion, daß die Schaffung von bloßen Tatbestandsvoraussetzungen durch Akte, welche als solche unanfechtbar sind, jedoch in der Folge rechtlich erhebliche Auswirkungen entfalten, auch in Fällen nicht fremd ist, in welchen ein mit §98 Abs3 StVO 1960 vergleichbares Aufsichtsrecht fehlt. Zu verweisen wäre in diesem Zusammenhang etwa auf die Ausstellung eines Pareres gemäß §49 KAG als Tatbestandsvoraussetzung für die Zulässigkeit einer Freiheitsentziehung und Verbringung in eine Krankenanstalt für Geisteskranke (VfSlg. 4878/64, 4924/65, 7200/73)."
Für den Fall der Aufhebung stellt die Bundesregierung den Antrag, für das Außerkrafttreten des §55 Abs8 StVO 1960 eine Frist von einem Jahr gemäß Art140 Abs5 B-VG zu bestimmen, "um die allenfalls erforderlichen legistischen Vorkehrungen zu ermöglichen".
III. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis VfSlg. 7177/1973 Bodenmarkierungen gemäß §55 Abs4 zweiter Satz StVO 1960 (in der Fassung vor der 13. StVO-Novelle, BGBl. 105/1986) als Kundmachung von Verordnungen bezeichnet, die von der zuständigen Straßenpolizeibehörde zu erlassen sind, und die sohin nicht als vom Straßenerhalter anzubringende Einrichtungen zur Regelung und Sicherung des Verkehrs gemäß §98 Abs3 erster Halbsatz StVO 1960 angesehen werden dürfen. Eine durch das Anbringen von Bodenmarkierungskreuzen bewirkte Parkverbotsverordnung hob er im selben Erkenntnis als gesetzwidrig mit der Begründung auf, daß die Bodenmarkierungen "angebracht worden sind, ohne daß von der Straßenpolizeibehörde ein Verordnungsgebungsverfahren durchgeführt worden ist". Der Verfassungsgerichtshof gelangte zu diesem Verfahrensergebnis im Wege einer verfassungskonformen Auslegung des §55 Abs4 zweiter Satz (alte Fassung) und des §98 Abs3 erster Halbsatz StVO 1960, weil bei anderer Auslegung zufolge der jenes Gesetzesprüfungsverfahren einleitenden und begründenden verfassungsrechtlichen Bedenken
"in den genannten Gesetzesstellen ... die dem Straßenerhalter erteilte Ermächtigung zu liegen (scheine), durch Anbringung der Bodenmarkierungskreuze eine Parkverbotsverordnung kundzumachen, ohne daß ein Verordnungsgebungsverfahren durch die Straßenpolizeibehörde durchgeführt und abgeschlossen worden ist, ohne daß also die generelle Norm durch die Straßenpolizeibehörde geschaffen worden ist. Dies dürfte den von Art18 Abs2 B-VG erfaßten Grundsätzen über die Erlassung einer Verordnung widersprechen."
Auch der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 10.2.1982, Zl. 03/0838/80, ausgesprochen, daß es sich bei der Anbringung einer Sperrfläche (durch Bodenmarkierung gemäß §55 Abs4 erster Satz StVO 1960) um die Anordnung eines Verkehrsverbotes bzw. einer -beschränkung handle, die eines Verordnungsgebungsaktes der Behörde bedürfe. Anders als der Verfassungsgerichtshof nahm er an, daß der betreffenden Bodenmarkierung keine rechtsverbindliche Kraft zukomme, sofern ein solcher normativer Akt fehle. Diesen Rechtsgedanken hat der Verwaltungsgerichtshof in mehreren Erkenntnissen (vgl. zB vom 15.4.1983, Zl. 82/02/0219; 22.11.1984, Zl. 84/02B/0066) auf Sperrlinien sowie im Erkenntnis vom 27.4.1984, Zl. 84/02/0048, auf Richtungspfeile übertragen. Im Erkenntnis vom 26.9.1985, Zl. 85/02/0055, hat er angenommen, daß dasselbe auch für Schutzwege gelten müsse. An ihr Vorhandensein knüpfe das Gesetz eine Fülle von mit Strafe sanktionierten Verpflichtungen von Fahrzeuglenkern. So sei gemäß §24 Abs1 litc StVO 1960 auf Schutzwegen das Halten und das Parken verboten. Da der damals verfahrensgegenständlichen Schutzwegmarkierung keine straßenpolizeiliche Verordnung, sohin kein behördlicher Willensakt zugrundelag, erachtete der Verwaltungsgerichtshof die Bestrafung des Beschwerdeführers nach §24 Abs1 litc StVO 1960 als rechtswidrig und hob das angefochtene Straferkenntnis auf.
Mit der 13. StVO-Novelle, BGBl. 105/1986, hat der Gesetzgeber auf diese, im Wege der verfassungskonformen Auslegung von den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts bewirkte Klarstellung des Rechtszustands reagiert. Er ersetzte in §55 Abs4 StVO 1960 den zweiten Halbsatz "Flächen, auf denen nicht geparkt werden darf, sind, sofern das Parkverbot durch Bodenmarkierungen kundgemacht werden soll, mit einer Zickzacklinie zu kennzeichnen" durch den Satz: "Flächen, auf denen nicht geparkt werden darf, können mit einer Zickzacklinie gekennzeichnet werden." Ferner hat er dem §55 den oben (I.) wiedergegebenen Abs8 angefügt.
Das Motiv des Gesetzgebers für diese Änderung der Rechtslage wird im Bericht des Verkehrsausschusses des Nationalrates (898 BlgNR XVI. GP, S. 3) wie folgt umschrieben:
"Bezüglich der Bodenmarkierungen hat sich auf Grund von Erkenntnissen des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes die Situation ergeben, daß jede Bodenmarkierung, die ein Gebot oder Verbot beinhaltet (im wesentlichen Sperrlinien, Sperrflächen und Richtungspfeile) einer Verordnung der Behörde bedürfte. Dies war zur Zeit der Schaffung der StVO keineswegs beabsichtigt und führt in der Praxis zu unüberwindlichen Schwierigkeiten, weil die Kundmachung solcher Verordnungen in den weitaus überwiegenden Fällen mangelhaft bleiben müßte. Aus diesen Erwägungen sollen Bodenmarkierungen den straßenbaulichen Einrichtungen gleichgestellt werden, zumal in der StVO zahlreiche Bestimmungen vorhanden sind, die an gewisse Tatsachen bestimmte Rechtsfolgen knüpfen, ohne daß hiefür je das Vorliegen einer Verordnung der Behörde verlangt worden wäre. Dies betrifft zB Gehsteige, Straßen mit Gleisen von Straßenbahnen, unübersichtliche Straßenstellen, Brücken und Unterführungen ua. An alle diese Gegebenheiten sind in der StVO gewisse Verbote bzw. Gebote gebunden, ohne daß zB ein Gehsteig je einer Verordnung bedürfte. Den genannten Überlegungen soll mit der vorgeschlagenen Neufassung des §55 Abs4 und des §55 Abs8 Rechnung getragen werden, um eindeutige Rechtszustände herzustellen."
2. Da die Bestrafungen in den Anlaßfällen zu den, den Verfahren zu G52/89, G53/89 und G80/89 zugrundeliegenden Beschwerdefällen, sowie die administrative Maßnahme des Entfernens und Aufbewahrens des auf einem Schutzweg abgestellten Kraftfahrzeuges in dem, dem Verfahren zu G54/89 zugrundeliegenden Beschwerdefall auf Verboten beruhen, welche die StVO an bestimmte Bodenmarkierungen (nämlich Schutzweg- und Sperrflächenmarkierungen) knüpft, die ohne Erlassung einer Verordnung angebracht wurden, hängt die Rechtmäßigkeit der vor dem Verfassungsgerichtshof und Verwaltungsgerichtshof angefochtenen behördlichen Bescheide von der Rechtmäßigkeit der Anbringung jener Bodenmarkierungen ab. Weil weiters die Anbringung von Bodenmarkierungen in §55 Abs8 StVO 1960 in der Fassung der 13. StVO-Novelle, BGBl. 105/1986, geregelt wird, ist diese Vorschrift für die Entscheidung der geschilderten Beschwerdefälle präjudiziell.
Da auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen in den Beschwerdefällen vorliegen, sind sowohl die von Amts wegen eingeleiteten, als auch das auf Antrag des Verwaltungsgerichtshofes eingeleitete Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §55 Abs8 StVO 1960 zulässig.
3. §55 Abs8 StVO 1960 in der Fassung der 13. StVO-Novelle, BGBl. 105/1986, ist verfassungswidrig. Die Bestimmung widerspricht dem aus Art18 Abs2 in Verbindung mit Art139 B-VG
abzuleitenden verfassungsrechtlichen Gebot, von der Verwaltung gesetzte und mit allgemeiner Verbindlichkeit ausgestattete Normen als Verordnungen zu erlassen.
Wie nicht nur aus der unter 1. dargestellten Entstehungsgeschichte und dem Ausschußbericht zu §55 Abs8 StVO 1960 zu entnehmen, sondern auch aus dem insoweit eindeutigen Wortlaut dieser Gesetzesbestimmung ersichtlich ist, sollen Bodenmarkierungen - lediglich - als straßenbauliche Einrichtungen gelten und vom Straßenerhalter "auch ohne behördlichen Auftrag", sohin ohne Ingerenz, geschweige denn Willensbildung der für den Erlaß einer Verordnung unerläßlichen Behörde angebracht werden dürfen. Nach dem zweifelsfreien Willen des Gesetzgebers, wie er in §55 Abs8 StVO 1960 zum Ausdruck gelangt, liegen sohin Bodenmarkierungen durchwegs keine von der Behörde erlassenen Verordnungen zugrunde, gleichgültig ob sich an die Bodenmarkierung nach dem Willen des Gesetzgebers ein Gebot oder Verbot knüpft oder nicht.
Die von der Bundesregierung in Erwägung gezogene - verfassungskonforme - Deutung des §55 Abs8 StVO 1960 dahin, daß dadurch der Straßenerhalter gleichsam als "beliehener Unternehmer" zur Erlassung entsprechender Verordnungen ermächtigt werde, kommt nach Meinung des Verfassungsgerichtshofes nicht in Betracht. Wenn sowohl aufgrund des Wortlauts als auch nach der Entstehungsgeschichte eines Gesetzes diesem ein eindeutig bestimmter Sinn zuzumessen ist, so scheidet eine gegenteilige, sei es auch verfassungskonforme Deutung des betreffenden Gesetzes aus (vgl. z.B. VfSlg. 11036/1986). Angesichts des eindeutigen Sinngehalts des §55 Abs8 StVO 1960, dessen Erlassung durch die 13. StVO-Novelle, BGBl. 105/1986, ansonsten überhaupt überflüssig gewesen wäre, können sohin Bodenmarkierungen nicht als Verordnungen verstanden werden.
Anders als jene faktischen Maßnahmen, mit deren Hilfe der Straßenerhalter die Gestalt von Verkehrswegen verändert (wie z.B. durch die im (unter 1.) zitierten Bericht des Verkehrsausschusses genannten "Gehsteige, Straßen mit Gleisen von Straßenbahnen, unübersichtlichen Straßenstellen, Brücken und Unterführungen"), bilden nämlich bestimmte Bodenmarkierungen ähnlich den Verkehrszeichen Symbole, mit deren Hilfe von der StVO vorgesehene Gebote und Verbote (wie in den Anlaßfällen dieser Gesetzesprüfungsverfahren Halte- und Parkverbote) ausgedrückt werden sollen. Im Wege des §55 Abs8 StVO 1960 hat der Gesetzgeber mit den als Bodenmarkierungen in Erscheinung tretenden, insofern symbolhaft ausgedrückten - und in diesem Sinne "kundgemachten" - Zeichen die Erlassung von Normen durch die Verwaltung geregelt und ihnen gleichwohl die Qualität von Verordnungen genommen. Er hat damit die Verfassungsvorschrift des Art18 Abs2 B-VG verletzt, wonach Verwaltungsbehörden die von ihnen erzeugten, an die Allgemeinheit gerichteten Gebote und Verbote als Verordnungen zu erlassen haben. Darüber hinaus wird durch eine derartige gesetzliche Regelung auch der verfassungsrechtliche Rechtsschutzauftrag des Verfassungsgerichtshofes nach Art139 B-VG in unzulässiger Weise beeinträchtigt: Dem vom Verfassungsgesetzgeber gemäß Art139 B-VG mit dem Monopol der Verordnungskontrolle ausgestatteten Verfassungsgerichtshof wird dadurch verwehrt, von der Verwaltung erzeugte und an die Allgemeinheit gerichtete Gebote und Verbote zu überprüfen und im Falle ihrer Gesetzwidrigkeit mit allseitiger Wirkung aufzuheben. Insoweit §55 Abs8 StVO 1960 dazu ermächtigt, mit Hilfe von Bodenmarkierungen die gleichen Rechtswirkungen wie mit Hilfe förmlicher Verordnungen nach den §§43 ff. StVO 1960 herbeizuführen, aber gleichzeitig ausschließt, daß diese Bodenmarkierungen, so wie dies aufgrund des vorhergehenden Rechtszustandes gemäß den in VfSlg. 7177/1973 angestellten Überlegungen der Fall war, als Kundmachung von Verordnungen in Erscheinung treten, ist §55 Abs8 StVO 1960 mit Art18 Abs2 und Art139 B-VG unvereinbar und sohin als verfassungswidrig aufzuheben.
Angesichts dieses Prüfungsergebnisses erübrigt es sich für den Verfassungsgerichtshof, auf die kompetenzrechtlichen Bedenken gegen §55 Abs8 StVO 1960 einzugehen.
4. Gemäß Art140 Abs5 B-VG hat der Gerichtshof für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesvorschrift eine Frist bis 30. September 1990 bestimmt, sodaß dem Gesetzgeber die Möglichkeit eröffnet ist, hinsichtlich der Bodenmarkierungen, an die das Gesetz Gebote und Verbote knüpft, einen verfassungsrechtlich einwandfreien Rechtszustand zu schaffen. Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, stützt sich auf Art140 Abs6 erster Satz B-VG. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur Kundmachung der Aufhebung beruht auf Art140 Abs5 erster Satz B-VG und §64 Abs2 VerfGG 1953.
Schlagworte
Straßenpolizei, Bodenmarkierungen, Verordnungsbegriff, Verordnung Kundmachung, Rechtsstaatsprinzip, Verordnungsprüfung, AuslegungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1989:G52.1989Dokumentnummer
JFT_10109072_89G00052_00