TE Vfgh Beschluss 1989/9/28 G195/88, G196/88

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Veröffentlicht am 28.09.1989
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
RAO §2 Abs2 idF BGBl 570/1973
RAO §2 Abs2 idF ArtII RechtsanwaltsprüfungsG
RechtsanwaltsprüfungsG ArtVI Abs3 und Abs4

Leitsatz

Zurückweisung von Individualanträgen auf Aufhebung des §2 Abs2 erster Satz RAO idF des ArtII RechtsanwaltsprüfungsG sowie von Übergangsbestimmungen im Zusammenhang mit der Neuregelung der Rechtsanwaltsprüfung; fehlende Legitimation; keine aktuelle Betroffenheit des Antragstellers; Beschreitung des Verwaltungsrechtsweges zumutbar

Spruch

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1.1. Mit Anträgen vom 24. August 1988 begehrt Dr. H M, den ersten Satz des §2 Abs2 RAO (idgF), die Worte "und bis spätestens 1. Jänner 1987 in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter eingetragen worden sind" im Abs3 des ArtVI sowie den Abs4 des ArtVI des Rechtsanwaltsprüfungsgesetzes - RAPG (idgF) als verfassungswidrig aufzuheben.

1.2. Bei den angefochtenen Bestimmungen handelt es sich um eine novellierte Fassung des §2 RAO und Übergangsbestimmungen im Zusammenhang mit der Neuregelung der Rechtsanwaltsprüfung. Die maßgeblichen Bestimmungen der alten und neuen Rechtslage - die bekämpften Gesetzesstellen sind hervorgehoben - haben folgenden Wortlaut:

§2 Abs1 und 2 der RAO idF BGBl. Nr. 570/1973 lautete:

"Die zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft erforderliche praktische Verwendung hat in der rechtsberuflichen Tätigkeit bei Gericht und bei einem Rechtsanwalt zu bestehen; sie kann außerdem in der rechtsberuflichen Tätigkeit bei einem Notar oder, wenn die Tätigkeit für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienlich ist, bei einer Verwaltungsbehörde, an einer Hochschule oder bei einem Beeideten Wirtschaftsprüfer und Steuerberater bestehen. Die Tätigkeit bei der Finanzprokuratur ist der bei einem Rechtsanwalt gleichzuhalten.

Die praktische Verwendung im Sinn des Abs1 hat 5 Jahre zu dauern. Hiervon sind im Inland mindestens 9 Monate bei Gericht und 3 Jahre bei einem Rechtsanwalt zu verbringen."

Durch ArtII des Rechtsanwaltsprüfungsgesetzes, BGBl. Nr. 556/1985 (künftig: RAPG), wurden diese Bestimmungen wie folgt geändert:

"Die zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft erforderliche praktische Verwendung hat in der rechtsberuflichen Tätigkeit bei Gericht und bei einem Rechtsanwalt zu bestehen; sie kann außerdem in der rechtsberuflichen Tätigkeit bei einem Notar oder, wenn die Tätigkeit für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienlich ist, bei einer Verwaltungsbehörde, an einer Hochschule oder bei einem beeideten Wirtschaftsprüfer und Steuerberater bestehen. Die Tätigkeit bei der Finanzprokuratur ist der bei einem Rechtsanwalt gleichzuhalten. Die praktische Verwendung bei einem Rechtsanwalt ist nur anrechenbar, soweit diese Tätigkeit hauptberuflich und ohne Beeinträchtigung durch eine andere berufliche Tätigkeit ausgeübt wird.

Die praktische Verwendung im Sinn des Abs1 hat sieben Jahre zu dauern. Hievon sind im Inland mindestens neun Monate bei Gericht und mindestens fünf Jahre bei einem Rechtsanwalt zu verbringen. Hat ein Rechtsanwaltsanwärter vor Antritt der praktischen Verwendung bei einem Rechtsanwalt an einer inländischen Universität den akademischen Grad eines Doktors der Rechtswissenschaften nach dem Bundesgesetz vom 2. März 1978, BGBl. Nr. 140, über das Studium der Rechtswissenschaften erlangt, so beträgt der im ersten Satz genannte Zeitraum sechs Jahre und der bei einem Rechtsanwalt zu verbringende Zeitraum vier Jahre."

Das RAPG schuf auch eine grundsätzliche Neuregelung der Rechtsanwaltsprüfung, die gemäß §2 leg.cit. nun aus zwei Teilprüfungen besteht:

"(1) ... Die erste Teilprüfung kann nach Erlangung des Doktorats der Rechte oder, für Absolventen des Diplomstudiums nach dem Bundesgesetz vom 2. März 1978, BGBl. Nr. 140, über das Studium der Rechtswissenschaften, des Magisteriums der Rechtswissenschaften und einer praktischen Verwendung im Ausmaß von zwei Jahren und neun Monaten, hievon mindestens neun Monate bei einem inländischen Gericht und mindestens ein Jahr und sechs Monate bei einem Rechtsanwalt, abgelegt werden. Die zweite Teilprüfung kann nach bestandener erster Teilprüfung und einer weiteren praktischen Verwendung im Ausmaß von einem Jahr und sechs Monaten, hievon mindestens ein Jahr bei einem Rechtsanwalt, abgelegt werden.

(2) Voraussetzung für die Ablegung der Teilprüfungen ist überdies die Teilnahme an den für Rechtsanwaltsanwärter verbindlichen Ausbildungsveranstaltungen."

ArtVI RAPG idF BGBl. Nr. 163/1987 ordnet des weiteren an, daß diese Bestimmungen mit 1. Juli 1986 in Kraft treten und sieht folgende Übergangsbestimmungen für die Ablegung der Rechtsanwaltsprüfung und die Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte vor:

"(3) Für Rechtsanwaltsanwärter, die vor dem 1. Jänner 1986 in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter eingetragen waren, es in diesem Zeitpunkt sind oder die praktische Verwendung bei Gericht begonnen haben und bis spätestens 1. Jänner 1987 in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter eingetragen worden sind, gelten, sofern sie bis spätestens 1. Jänner 1992 die Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte erwirken, hinsichtlich der Dauer der zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft erforderlichen praktischen Verwendung die bisherigen Bestimmungen.

(4) Rechtsanwaltsanwärter, die am 1. Jänner 1989 die Voraussetzungen für die Ablegung der Rechtsanwaltsprüfung nach den bisherigen Bestimmungen erfüllt und sich zur Prüfung angemeldet haben, können auf ihren Antrag die Prüfung nach den bisherigen Bestimmungen ablegen."

2. Der Antragsteller bringt zum Nachweis der Prozeßvoraussetzungen vor, er habe nach Abschluß seines Studiums seine Gerichtspraxis am 1. Feber 1985 beim Bezirksgericht Feldkirch begonnen und in der Folge zunächst bis 30. September 1985 beim Landesgericht Feldkirch fortgesetzt. Vom 1. Oktober 1985 bis 31. Mai 1986 habe er Zivildienst geleistet. Anschließend habe er vom 1. Juni 1986 bis 31. März 1987 die Gerichtspraxis fortgesetzt. Mit Wirksamkeit vom 1. Juli 1987 sei er als Rechtsanwaltsanwärter bei der Rechtsanwaltskammer für Vorarlberg eingetragen.

Die angefochtenen Bestimmungen seien für ihn ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder Erlassung eines Bescheides wirksam geworden; durch diese Bestimmungen erfolge ein unmittelbarer Eingriff in seine Rechtssphäre. Dadurch würden seine rechtlich geschützten Interessen in eindeutig bestimmter Weise aktuell beeinträchtigt. Es sei ihm verwehrt, nach einer Praxiszeit von fünf Jahren seine Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte zu erreichen sowie die Rechtsanwaltsprüfung nach den bisherigen Bestimmungen abzulegen. Die neuen Prüfungsbestimmungen des RAPG seien jedoch gegenüber den bisherigen erschwerend; gleiches gelte auch für die verlängerte Praxiszeit.

Der Antragsteller meint weiters, daß ihm auch kein anderer zumutbarer Weg zur Verfügung stehe, Rechtsschutz gegen die verfassungswidrigen Normen zu erlangen; insbesondere sei ihm nicht zumutbar, einen Antrag auf Zulassung zur Rechtsanwaltsprüfung nach den alten Bestimmungen sowie in der Folge auf Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte nach Absolvierung einer Praxiszeit von fünf Jahren zu stellen, da solche Anträge keine Aussicht auf Erfolg hätten. Die nach Art140 B-VG geforderten Prozeßvoraussetzungen seien daher erfüllt.

Zum Nachweis der Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Gesetzesstellen illustriert der Antragsteller deren Auswirkungen an Hand seines eigenen Falles. Die RAO in der alten Fassung habe dem einzelnen überlassen, von der erforderlichen Praxiszeit drei Jahre bei einem Rechtsanwalt und zwei Jahre bei Gericht oder vier Jahre und drei Monate bei einem Rechtsanwalt und nur neun Monate bei Gericht zu absolvieren. Lediglich aufgrund der Tatsache, daß er von dem Recht Gebrauch gemacht habe, mehr als neun Monate bei Gericht zu praktizieren, träfen ihn nun die erschwerten Bedingungen der neuen Prüfungsordnung und er sei zu einer längeren Ausbildungszeit gezwungen. Das am 20. Dezember 1985 kundgemachte Rechtsanwaltsprüfungsgesetz hätte im Abs3 der Übergangsbestimmungen (ArtVI RAPG) bei der Wahl des Stichtages auf solche Fälle Rücksicht nehmen müssen und die (mit 1. Jänner 1987 begrenzte) Frist zur Eintragung in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter bis 1. Jänner 1988 erstrecken müssen, um der vorgesehenen Möglichkeit einer Gerichtspraxis von zwei Jahren Rechnung zu tragen; damit erweise sich, daß auch die Bestimmung des Abs4 des ArtVI RAPG idgF, wonach am 1. Jänner 1989 die Voraussetzungen für die Ablegung der Rechtsanwaltsprüfung erbracht sein müßten, damit die Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte nach den bisherigen Bestimmungen verlangt werden könnte, rechtswidrig sei, und daß als Termin der 1. Jänner 1990 festzulegen gewesen wäre.

Es gebe keine sachliche Rechtfertigung dafür, daß Rechtsanwaltsanwärter, die mehr als neun Monate Gerichtspraxis hinter sich gebracht haben, gegenüber solchen benachteiligt werden, die nur eine neunmonatige Gerichtspraxis bei Gericht absolviert haben.

Des weiteren sei auch die Bevorzugung von Rechtsanwaltsanwärtern mit dem Titel eines Doktors der Rechtswissenschaften gegenüber solchen mit dem Titel Doktor der Rechte im Hinblick auf deren Ausbildung für den Beruf des Rechtsanwaltes nicht gerechtfertigt, denn der Zweck der grundsätzlichen Verlängerung der Praxiszeit habe mit jenem des Doktorates nach der neuen Studienordnung nichts zu tun.

3. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie die Zurückweisung, allenfalls die Abweisung dieser Anträge begehrt.

Sie meint, da der den Abs2 des §2 RAO betreffende Antrag nur die Aufhebung des ersten Satzes dieser Bestimmung begehre, erscheine die Antragstellung schon deshalb als unzulässig, weil die Aufhebung bloß des ersten Satzes des §2 Abs2 RAO den übrigen Text dieses Absatzes sinnlos erscheinen ließe, da dieser auf den ersten Satz verweise. Vom Verfassungsgerichtshof könne nicht verlangt werden, eine derartige - geradezu sinnlose - Rechtslage herzustellen.

Auch den Antrag, die bekämpfte Wortfolge des Abs3 und den Abs4 des ArtVI des RAPG als verfassungswidrig aufzuheben, hält die Bundesregierung für unzulässig. Der Antragsteller hätte nämlich die Möglichkeit, gemäß §§6 ff. RAPG seine Zulassung zur Rechtsanwaltsprüfung (bzw. zu den Teilprüfungen der Rechtsanwaltsprüfung) zu beantragen und gegen eine negative Entscheidung gemäß §8 RAPG Berufung an die OBDK zu erheben, gegen deren Entscheidung ihm das Recht der Beschwerde gemäß Art144 Abs1 B-VG an den Verfassungsgerichtshof offen stünde; dabei könnte er die Verfassungswidrigkeit der bekämpften Normen behaupten. Trotz der Verzögerung, die vom Antragsteller in Kauf zu nehmen wäre, erscheine es nicht von vornherein unzumutbar, den Antragsteller auf diesen Weg zu verweisen.

4. Der Individualantrag ist tatsächlich zur Gänze unzulässig.

Der Verfassungsgerichtshof hat seit dem Beschluß VfSlg. 8009/1977 in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt vertreten, die Antragslegitimation nach Art140 Abs1 B-VG setze voraus, daß durch die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt werden müssen, und daß der durch Art140 Abs1 B-VG dem einzelnen eingeräumte Rechtsbehelf dazu bestimmt ist, Rechtsschutz gegen rechtswidrige generelle Normen nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht (zB VfSlg. 10481/1985).

Was die Anfechtung des ersten Satzes des §2 Abs2 RAO idF des ArtII RAPG betrifft, liegt die für die Zulässigkeit eines Individualantrages geforderte aktuelle Betroffenheit des Antragstellers schon deshalb nicht vor, weil er auch nach §2 Abs2 RAO idF BGBl. 570/1973 die erforderliche praktische Verwendung in der Dauer von (damals) fünf Jahren noch für längere Zeit nicht erfüllt hat.

Dies wäre aber Voraussetzung dafür, daß der Antragsteller behaupten könnte, in seinen rechtlich geschützten Interessen, nämlich in seinem Interesse auf Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte, aktuell beeinträchtigt zu sein. Eine potentielle Beeinträchtigung, wie sie vorliegt, reicht für einen Individualantrag nach Art140 B-VG nicht aus.

Aber auch die Anfechtung der Wortfolge "und bis spätestens 1. Jänner 1987 in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter eingetragen worden sind" im Abs3 sowie des Abs4 des ArtVI des RAPG idF BGBl. 163/1987, ist nicht zulässig, da dem Antragsteller ein anderer Weg zumutbarerweise zur Verfügung steht. Er könnte nämlich um Zulassung zur "Prüfung nach den bisherigen Bestimmungen" ansuchen und gegen den hierüber letztinstanzlich ergehenden Bescheid Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erheben und auf diesem Wege seine Bedenken gegen die angefochtenen Bestimmungen geltend machen. Auch der Umstand, daß der Beschwerdeführer dabei im Administrativverfahren keine Aussicht auf Erfolg hat, bedeutet keineswegs, daß ihm dieser Weg deshalb unzumutbar wäre (vgl. VfSlg. 8187/1977, 8485/1979, 9285/1981, 9394/1982).

Die Anfechtungen sind daher insgesamt unzulässig.

5. Die Anträge sind daher zur Gänze zurückzuweisen.

Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lita und e VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Rechtsanwaltsprüfung, VfGH / Individualantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1989:G195.1988

Dokumentnummer

JFT_10109072_88G00195_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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