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43/01 Wehrrecht allgemein;Norm
ADV §3 Abs4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hoffmann und die Hofräte Mag. Meinl, Dr. Fürnsinn, Dr. Germ und Dr. Höß als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fritz, über die Beschwerde des W in A, vertreten durch Dr. F, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Kommandanten des Y-Bataillons n1 vom 6. Dezember 1991, Zl. 4069-3170/10/91, betreffend Disziplinarstrafe nach dem Heeresdisziplinargesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.510,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer leistete in der Zeit von April bis November 1991 seinen Grundwehrdienst; seine Dienststelle war die X-Kompanie des Y-Bataillons n1 in H.
Mit Bescheid des Einheitskommandanten der X-Kompanie vom 28. November 1991 wurde über den Beschwerdeführer gemäß §§ 42 und 61 des Heeresdisziplinargesetzes(HDG) die Disziplinarstrafe des Ausgehverbotes an fünf Tagen, bzw. gemäß § 47 Abs. 2 HDG eine Ersatzgeldstrafe in der Höhe von S 756,-- verhängt, weil er vor etwa einem Monat seine Feldjacke verloren und den Verlust nicht sofort gemeldet habe. Der Beschwerdeführer habe dadurch gegen § 9 Abs. 1 ADV (allgemeine Meldepflicht) und gegen § 3 Abs. 4 ADV (Pflege und Schonung von Heeresgut) verstoßen und eine Pflichtverletzung gemäß § 2 Abs. 1 HDG begangen. Begründend wurde im erstinstanzlichen Bescheid davon ausgegangen, daß nach der Aussage des Beschwerdeführers erwiesen sei, daß er vor ca. einem Monat seine Feldjacke in der Kompaniekanzlei hängen gelassen und sie am Tag darauf nicht mehr gefunden habe. Wäre er seiner Meldepflicht nachgekommen, dann hätten seine Vorgesetzten rechtzeitig Maßnahmen setzen können, um die Feldjacke wieder aufzufinden. Dadurch habe der Beschwerdeführer gegen die §§ 3 Abs. 4 und 9 Abs. 1 ADV verstoßen. Als erschwerend seien die vorsätzliche Mißachtung von Bestimmungen, welche die Disziplin und Ordnung im Dienstbetrieb regelten, sowie das schlechte Beispiel gewertet worden, das der Beschwerdeführer seinen Kameraden gegeben habe, als mildernd hingegen die bisherige Dienstleistung des Beschwerdeführers.
Gegen diesen Bescheid richtete der Beschwerdeführer eine Berufung folgenden Inhaltes:
"...
Ich habe die Jacke vor ca. 1 Monat in der versperrten KpKanzlei hängen gelassen und diese am nächsten Tag nicht mehr vorgefunden. Ich habe diesen Vorfall nicht gemeldet, da ich gehofft habe, daß die Jacke bei einem Bekleidungsappell oder bei der Bekleidungsabgabe wieder auftauchen würde.
Ich habe jedoch NICHT gegen § 3 Abs. 1 (Pflege und Schonung von Heeresgut) verstoßen, da ich die Jacke in der versperrten KpKanzlei (meinem Dienstort), über Nacht, auf dem Kleiderhaken hängengelassen habe und dies sicher einer der schonendsten Art und Weisen ist, eine Jacke aufzubewahren.
Ich fordere Sie daher auf, das Strafausmaß erheblich zu
senken.
..."
Dieser Berufung gab die belangte Behörde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid gemäß § 36 Abs. 2 HDG keine Folge. Das Faktum des Abhandenkommens der Feldjacke und das Faktum des Nichtmeldens würden vom Beschwerdeführer nicht bestritten. Gemäß § 3 Abs. 4 ADV seien Soldaten verpflichtet, auch die Bekleidung mit Sorgfalt zu behandeln. Diese Sorgfaltspflicht beinhalte die Verpflichtung, dafür Sorge zu tragen, daß die Bekleidung dem Soldaten jederzeit zur Verfügung stehe. Diese jederzeitige Verwendungsmöglichkeit sei dem Beschwerdeführer durch das Hängenlassen und Abhandenkommen der Jacke verloren gegangen. Somit sei die geforderte Sorgfaltspflicht verletzt. Der Ansicht des Beschwerdeführers, "daß die versperrte Kompaniekanzlei eine der schonendsten Art und Weisen der Aufbewahrung einer Jacke sei", sei nicht beizupflichten. In der Kompaniekanzlei verkehrten auch andere Personen. Da die Jacke aus dieser Kanzlei abhanden gekommen sei, könne die dortige Verwahrung nicht die schonendste Art und Weise der Aufbewahrung sein. Die Aufbewahrung im Spind sei bei weitem schonender (sicherer).
Im übrigen habe der Beschwerdeführer auf einem Sammelausweis über verlorenes Versorgungsgut bestätigt, daß er den von ihm schuldhaft verursachten Schaden durch Bezahlung von S 543,-- ersetzt habe; damit habe er zugegeben, gegen § 3 Abs. 4 ADV verstoßen zu haben.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Vorweg ist festzuhalten, daß nach der Aktenlage der angefochtene Bescheid mit 6. Dezember 1991 datiert ist und am 11. Dezember 1991 zugestellt wurde. Er ist daher nicht bereits am 6. Dezember 1991 in Rechtskraft erwachsen, doch ist die auf dem angefochtenen Bescheid angebrachte, insofern unrichtige Rechtskraftklausel nicht Gegenstand der verwaltungsgerichtlichen Prüfung. Es ist auch nicht ersichtlich, daß und inwieweit es infolge dieser Rechtskraftklausel zu einer Verletzung von Rechten des Beschwerdeführers gekommen wäre.
Das Disziplinarverfahren nach dem HDG ist als "Kommandantenverfahren" (§§ 55 bis 63) oder als "Kommissionsverfahren" (§§ 64 bis 74) durchzuführen. Im Kommandantenverfahren ist gemäß § 55 Z. 1 HDG u.a. über Pflichtverletzungen von Soldaten, die Präsenzdienst leisten, zu entscheiden. Da die Disziplinargewalt rechtlich der Befehlsgewalt folgt, haben nach dem HDG alle Truppenführer im hierarchischen Aufbau des Bundesheeres vom Kompaniechef über den Bataillonskommandanten bis zum Bundesminister für Landesverteidigung Disziplinargewalt.
Im Beschwerdefall ist der erstinstanzliche Bescheid mit "Y-Bataillon n1 - X-Kompanie H - Disziplinarbehörde" bezeichnet und vom Einheitskommandanten unterfertigt; der angefochtene Bescheid ist mit "Y-Bataillon n1 - Kommando - Disziplinarbehörde" bezeichnet und vom Kommandanten als dem "Disziplinarvorgesetzten" unterfertigt. Entgegen dem diesbezüglichen Beschwerdevorbringen ist daraus klar ersichtlich, daß diese Bescheide jeweils vom Kommandanten als der zuständigen Disziplinarbehörde im Kommandantenverfahren erlassen worden sind.
Gemäß § 2 Abs. 1 Z. 1 HDG sind Soldaten wegen Verletzung der ihnen im Präsenzstand auferlegten Pflichten disziplinär zur Verantwortung zu ziehen. Gemäß § 2 Abs. 4 HDG ist disziplinär nur strafbar, wer schuldhaft handelt.
Gemäß § 3 Abs. 4 ADV zählt es zu den allgemeinen Pflichten des Soldaten, Waffen, Ausrüstung, Gerät, Bekleidung und anderes Heeresgut mit Sorgfalt zu pflegen und zu behandeln.
Nach § 9 Abs. 1 ADV ist der Untergebene verpflichtet, seinem Vorgesetzten alle militärisch bedeutsamen Tatsachen und sonstige für den Dienst wichtigen Vorfälle, Nachrichten und Vorhaben unaufgefordert zu melden. Nach dem letzten Satz des § 9 Abs. 2 ADV sind Meldungen, sofern kein besonderer Zeitpunkt angeordnet wurde, unverzüglich zu erstatten.
Der Verwaltungsgerichtshof vermag der Beschwerde darin nicht zu folgen, daß der Verlust einer Feldjacke keine militärisch bedeutsame Tatsache bzw. kein sonst für den Dienst wichtiger Vorfall, und daher nicht im Sinne des § 9 ADV zu melden wäre. Keinesfalls konnte es dem Beschwerdeführer überlassen bleiben, den Zeitpunkt für eine solche Meldung selbst zu bestimmen, zumal er jederzeit in der Lage sein mußte, seinen Dienstverpflichtungen in ordnungsgemäßer Adjustierung nachzukommen. Die somit zu bejahende Verletzung der Meldepflicht hat der Beschwerdeführer im übrigen in seiner Berufung als Tatsache ausdrücklich zugestanden; das von ihm dafür angegebene Motiv vermag ihn insoweit nicht zu entlasten. Nach der Aktenlage kann aber nicht ausgeschlossen werden, daß dieser Vorwurf für sich allein die Geringfügigkeitsgrenze (vgl. § 58 Abs. 3 Z. 4 HDG, aber auch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 31. Mai 1990, Zl. 90/09/0020) nicht überschreitet.
Der Beschwerdeführer ist in beiden Instanzen nicht nur wegen Verletzung der Meldepflicht, sondern auch wegen mangelnder Pflege und Schonung von Heeresgut (§ 3 Abs. 4 ADV) schuldig erkannt worden, wobei die mehrfache Verletzung von Bestimmungen, die die Disziplin und Ordnung im Dienstbetrieb regeln, ausdrücklich als Erschwerungsumstand bei der Strafbemessung herangezogen wurde. Diesbezüglich weist der Beschwerdeführer mit Recht auf einen Widerspruch zwischen Spruch und Begründung des mit dem angefochtenen Bescheid bestätigten erstinstanzlichen Bescheides hin, da es im Spruch heißt, der Beschwerdeführer habe die Feldjacke "verloren", während in der Begründung als erwiesen angenommen wird, der Beschwerdeführer habe die Jacke in der Kompaniekanzlei hängen gelassen und am Tag darauf nicht mehr gefunden. Die belangte Behörde ist trotz des darauf abzielenden Berufungsvorbringens des Beschwerdeführers darauf nicht näher eingegangen, weil sie eine schuldhafte Verletzung der Sorgfaltspflicht nach § 3 Abs. 4 ADV durch den Beschwerdeführer bereits darin erblickte, daß der Beschwerdeführer die Jacke in der Kompaniekanzlei habe hängen lassen. Schon aus der Tatsache, daß die Jacke dort abhanden gekommen sei, schließt die belangte Behörde, daß die Verwahrung in der Kompaniekanzlei dem Beschwerdeführer zum Verschulden anzurechnen sei. Daraus leitet sie eine Verpflichtung des Beschwerdeführers ab, die Jacke in seinem Spind aufzubewahren.
Dem vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht zu folgen. § 3 Abs. 4 ADV verpflichtet den Soldaten keinesfalls, seine Jacke immer dann, wenn er sie gerade nicht am Körper trägt, in seinem Spind (verschlossen) aufzubewahren. Die belangte Behörde geht im angefochtenen Bescheid selbst davon aus, daß die Kompaniekanzlei die Dienststelle des Beschwerdeführers gewesen und daß diese Kanzlei über Nacht versperrt gewesen sei. Im bloßen Hängenlassen der Jacke in dieser Kanzlei kann demnach noch kein schuldhaftes Verlieren der Jacke und damit auch kein Verstoß gegen die vorgeschriebene Pflege und Schonung von Heeresgut erblickt werden. Ein solches, für eine Verurteilung nach dem HDG erforderliches Verschulden kann auch nicht nachträglich daraus abgeleitet werden, daß der Beschwerdeführer den Zeitwert dieser Jacke ersetzt hat.
Der Beschwerdeführer macht somit zu Recht geltend, daß seiner auf § 3 Abs. 4 AVG gestützten Verurteilung und Bestrafung keine Pflichtverletzung jener Art zugrunde lag, die gemäß § 2 HDG seine disziplinäre Bestrafung gerechtfertigt hätte. Damit erweist sich der angefochtene Bescheid als mit der behaupteten inhaltlichen Rechtswidrigkeit belastet, weshalb er - ohne daß auf das weitere Beschwerdevorbringen zu § 57 HDG und zur Strafhöhe einzugehen war - gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit Art. I A Z. 1 der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1992090019.X00Im RIS seit
23.04.1992