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10 VerfassungsrechtNorm
StGG Art5 / Verwaltungsakt / VerletzungLeitsatz
Verhängung einer Geldstrafe wegen Verletzung der Anzeigepflicht für eine öffentliche Versammlung; Verletzung im Eigentumsrecht infolge denkunmöglicher Gesetzesanwendung; kein Vorliegen einer Versammlung iS des VersammlungsGSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen des Beschwerdevertreters die mit 15.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.a) Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol erkannte den Beschwerdeführer mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 18. April 1989 schuldig, dadurch eine Verwaltungsübertretung nach §2 Abs1 des Versammlungsgesetzes 1953 (VersG) begangen zu haben, daß er am 15. August 1988 um ca. 09,45 Uhr in Innsbruck, Berg-Isel-Weg, vor dem Aufgang zum Andreas-Hofer-Denkmal eine allgemein zugängliche Versammlung ohne Beschränkung auf geladene Gäste veranstaltet habe, an der seine Gattin und drei minderjährige Kinder teilgenommen hätten und bei der handgeschriebene Plakate hochgehalten worden seien, auf denen gegen ein seiner Meinung nach ihm zugefügtes Unrecht protestiert wurde und er es unterlassen habe, diese Versammlung wenigstens 24 Stunden vor der beabsichtigten Abhaltung unter Angabe des Zweckes, des Ortes und der Zeit der Versammlung der Bundespolizeidirektion Innsbruck schriftlich anzuzeigen.
Über den Beschwerdeführer wurden gemäß §19 VersG eine Geldstrafe von 300 S und eine Ersatzfreiheitsstrafe von 15 Stunden verhängt.
b) Gegen diesen Berufungsbescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich geschützten Versammlungsrechtes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, hilfsweise die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.
c) Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol als belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie der Sache nach die Abweisung der Beschwerde und den Zuspruch von Kosten begehrt.
2.a) Den Beschwerdeausführungen zufolge ist der Beschwerdeführer Bauer am Steinlechner-Hof in Arzl, einem Stadtteil von Innsbruck. Die Hofstelle müsse wegen des zunehmenden Straßenverkehrs verlegt werden, was aber aufgrund der bestehenden Flächenwidmung nicht möglich sei. Auf diesen Notstand habe er am 15. August 1988 durch eine Aktion aufmerksam machen wollen, die er in der vorliegenden Beschwerde wie folgt schildert:
"Als am 15.8.1988 (Landesfeiertag) in der Ehrenhalle am Bergisel Erbhoftafeln an Tiroler Bauernhöfe verliehen wurden, machte der Beschwerdeführer mit seiner Familie auf den Mißstand aufmerksam. Die Angehörigen der Familie des Beschwerdeführers und dieser selbst trugen Plakate mit folgendem Wortlaut:
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'Partl gib uns unser Recht! Amen!'
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'Warum wollt Ihr unseren Bauernhof zerstören?'
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'Die schwarze Brut zerstört unser Bauerngut!'
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'Partl deckt Nieschers Willkürakte!'
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'Man verwehrt uns das Recht auf Freiheit - Besitz - Arbeit - menschenwürdiges Wohnen auf dem eigenen Hof!'
Der Beschwerdeführer wollte den politisch Verantwortlichen den Vorhalt machen und sagen, es gehe nicht an, anläßlich der Verleihung von Erbhoftafeln ein Bekenntnis zum Bauernstand abzulegen und andererseits ihm als freien Tiroler Bauern den von Gesetzes wegen erlaubten Bau auf eigenem Grund zu verwehren.
Der Beschwerdeführer erschien daher mit seiner Familie am 15.8.1988 zur Landesfeier am Bergisel und machte mit Plakaten, die ausschließlich von Angehörigen seiner Familie getragen wurden, auf seinen Notstand aufmerksam. Er handelte daher in Wahrung seiner Interessen. ...."
b) Die belangte Behörde wertet diese Aktion als öffentliche Versammlung und begründet dies im wesentlichen wie folgt:
"Die österreichische Rechtsordnung enthält keine Definition des Begriffes 'Versammlung'. Durch die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, diese ist maßgebend, ist jedoch 'Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes' definiert als Zusammenkunft mehrerer Personen, die in der Absicht veranstaltet wird, die Anwesenden zu einem gemeinsamen Wirken zu bringen, sodaß eine gewisse Assoziation der Zusammengekommenen entsteht. Dieser Versammlungsbegriff trifft auf das in Rede stehende Auftreten des Berufungswerbers und seiner Familie vollinhaltlich zu: Der Berufungswerber und seine aufgetretene Familie waren insgesamt fünf Personen, somit mehrere Personen. Der Berufungswerber als Veranstalter dieses Auftritts hatte zweifellos die Absicht (und ist ihm offensichtlich auch gelungen), die Teilnehmer der Versammlung (seine Familie), zu einem gemeinsamen Wirken zu bringen, dokumentiert durch das Hochhalten von selbstangefertigten Plakaten. Welcher Wortlaut tatsächlich auf den Plakaten gestanden ist, spielt bei Beurteilung der Frage, ob eine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes vorgelegen ist oder nicht, keine Rolle, auch nicht der Umstand, daß die Versammlungsteilnehmer, die Familie des Berufungswerbers, zum Veranstalter, dem Berufungswerber, in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen. Auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen dieses Kriteriums sowie auf das Alter von Versammlungsteilnehmern stellt das Versammlungsgesetz bzw. die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zum Versammlungsbegriff überhaupt nicht ab. Daß der in Rede stehende Auftritt sehr wohl eine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes war, gibt der Berufungswerber auch selbst zu, wenn er sagt, das sei keine öffentliche Versammlung gewesen. Daß die Teilnehmer vom Berufungswerber persönlich und individuell zum Erscheinen aufgefordert worden sind, mag sein, spielt aber, wie bereits gesagt, keine Rolle. Fest steht zweifellos, daß die Versammlung an einem allgemein zugänglichen (öffentlichen) Ort stattgefunden hat, daß jeder, der daran teilnehmen wollte, auch hätte teilnehmen können und daß der Berufungswerber als Veranstalter der Versammlung und somit als Verantwortlicher für die Versammlung keine Vorkehrungen getroffen hat, durch die die Nichtzulassung Ungeladener gesichert gewesen wäre (vgl. VfSlg. 7762/76). ....."
c) Der Beschwerdeführer hingegen qualifiziert die Aktion nicht als öffentliche Versammlung.
Es habe überhaupt keine Versammlung iS des VersG stattgefunden. Dem Beschwerdeführer sei es nämlich nicht darum gegangen, einer breiten Öffentlichkeit eine persönliche Meinung kundzutun, sondern einen Appell an den Landeshauptmann von Tirol Dr. Partl und andere politisch Verantwortliche zu richten, ihm das Recht zur Errichtung einer neuen Hofstelle zu gewähren; das ergebe sich vor allem aus dem mitgeführten Plakat "Partl gib uns unser Recht! Amen". Es sollten keine öffentlichen Angelegenheiten erörtert, sondern lediglich private Interessen des Beschwerdeführers durchgesetzt werden. Im übrigen seien nur einige nahe Angehörige des Beschwerdeführers zu diesem Appell mitgenommen worden, sodaß die Aktion keinesfalls als "öffentlich" bezeichnet werden könne.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Über den Beschwerdeführer wurde eine Verwaltungsstrafe verhängt, weil er seine Pflicht, eine öffentliche Versammlung iS des VersG der Behörde anzuzeigen, verletzt habe.
Es ist daher zunächst zu klären, ob er überhaupt eine Versammlung iS des VersG veranstaltet hat.
Der Verfassungsgerichtshof (zB VfSlg. 4586/1963, 5193/1966, 5195/1966, 5415/1966, 8685/1979, 9783/1983, 10443/1985, 10608/1985, 10955/1986; VfGH 12.3.1988 B926/87, 21.6.1988 B74/88 und 8.10.1988 B281/88) wertet eine Zusammenkunft mehrerer Menschen nur dann als Versammlung iS des VersG, wenn sie in der Absicht veranstaltet wird, die Anwesenden zu einem gemeinsamen Wirken (Debatte, Diskussion, Manifestation usw.) zu bringen, so daß eine gewisse Assoziation der Zusammengekommenen entsteht.
Sowohl nach der in der Beschwerde (s.o. I.2.a) als auch nach der im angefochtenen Bescheid (s.o. I.2.b) enthaltenen Sachverhaltsschilderung lagen hier diese Voraussetzungen offenkundig nicht vor: Es ging dem Beschwerdeführer ausschließlich darum, anderen Personen seine Meinung mitzuteilen, nicht aber darum, diese Meinung mit anderen Personen zu erörtern und sie zu einer gemeinsamen Aktion zu veranlassen.
Die belangte Behörde hat also in denkunmöglicher Anwendung des Gesetzes über den Beschwerdeführer eine Geldstrafe verhängt und ihn damit im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt (vgl. die ständige Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zu diesem Recht im allgemeinen, zB VfSlg. 10356/1985, 10482/1985).
Der angefochtene Bescheid war sohin aufzuheben.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG.
In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von 2.500 S enthalten.
Schlagworte
VersammlungsrechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1989:B706.1989Dokumentnummer
JFT_10109071_89B00706_00