Index
001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
ASVG §357;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Händschke als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde der A-GmbH in F, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 25. Juli 1991, Zl. Vd-3934/1, betreffend Nichtzuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 412 Abs. 2 ASVG (mitbeteiligte Partei: Tiroler Gebietskrankenkasse in 6020 Innsbruck, Klara-Pölt-Weg 2), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von S 10.110,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1.1. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Antrag der Beschwerdeführerin, einem Einspruch gegen den Bescheid der Tiroler Gebietskrankenkasse aufschiebende Wirkung gemäß § 412 Abs. 2 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG) zuzuerkennen, keine Folge gegeben. Nach der Begründung sei das Vorbringen der Beschwerdeführerin, "sie habe erhebliche Liquiditätsschwierigkeiten, die Einhebung des umstrittenen Betrages stelle eine erhebliche Härte dar", nicht geeignet, einen Aufschiebungsantrag entsprechend zu begründen.
1.2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden. Die Beschwerdeführerin erachtet sich dabei in ihrem Recht auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 412 Abs. 2 ASVG verletzt.
1.3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und ebenso wie die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
2.1. § 412 ASVG in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung der Novelle BGBl. Nr. 13/1962 hatte folgenden Wortlaut:
"§ 412. (1) Bescheide der Versicherungsträger in Verwaltungssachen können binnen einem Monat nach der Zustellung durch Einspruch an den zuständigen Landeshauptmann angefochten werden. Der Einspruch hat den Bescheid zu bezeichnen, gegen den er sich richtet, und einen begründeten Entscheidungsantrag zu enthalten. Der Einspruch ist beim Versicherungsträger, der den Bescheid erlassen hat, einzubringen. Der Versicherungsträger hat den Bescheid ungesäumt, längstens jedoch binnen zwei Wochen, unter Anschluß der Akten und seiner Stellungnahme dem Landeshauptmann vorzulegen.
(2) Der Einspruch hat keine aufschiebende Wirkung; der Landeshauptmann kann dem Einspruch auf Antrag aufschiebende Wirkung zuerkennen, wenn durch die vorzeitige Vollstreckung ein nicht wiedergutzumachender Schaden einträte und nicht öffentliche Interessen die sofortige Vollstreckung gebieten. Der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ist innerhalb der für die Einbringung des Einspruches vorgesehenen Frist (Abs. 1) beim Versicherungsträger zu stellen."
Durch Art. V Z. 12 der 50. ASVG-Novelle, BGBl. Nr. 676/1991, erhielt § 412 ASVG mit Wirksamkeit vom 1. Jänner 1992 eine neue Fassung.
2.2. Aus Anlaß des vorliegenden Beschwerdeverfahrens hat der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluß vom 26. November 1991, Zl. 91/08/0111, gemäß Art. 140 Abs. 1 B-VG an den Verfassungsgerichtshof den Antrag gestellt, § 412 Abs. 2 ASVG (in der Fassung VOR der 50. ASVG-Novelle) als verfassungswidrig aufzuheben.
2.3. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 28. Februar 1992, G 293/91 und Folgezahlen, ausgesprochen, daß die genannte Bestimmung verfassungswidrig war.
Die belangte Behörde hat ihre Entscheidung im vorliegenden Anlaßfall (vgl. Art. 140 Abs. 7 B-VG) auf eine Bestimmung gestützt, bezüglich der der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen hat, daß sie verfassungswidrig war. Die Prüfung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides hat auf dem Boden der durch das aufhebende Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes bereinigten Rechtslage zu erfolgen. (vgl. etwa das Erkenntnis vom 18. April 1989, Zl. 87/11/0231). Dabei erweist sich der angefochtene Bescheid aus folgenden Überlegungen als rechtswidrig: § 64 Abs. 1 AVG, wonach rechtzeitig eingebrachte Berufungen aufschiebende Wirkung haben, ist unter jenen Bestimmungen, die der Versicherungsträger anzuwenden hat, in § 357 ASVG nicht genannt, weil diesbezüglich § 412 Abs. 2 ASVG (der aus den erwähnten Gründen im Beschwerdeverfahren nicht mehr anzuwenden ist) eine abweichende Regelung getroffen hat. Unabhängig davon stellt sich aber ein Bescheid, gegen den noch ein ordentliches Rechtsmittel erhoben werden kann (oder erhoben worden ist) als Provisorium dar: ob die intendierten Rechtsfolgen dieses Bescheides eintreten, steht erst mit seiner Rechtskraft fest. Ob ein solcher - noch nicht rechtskräftiger - Bescheid Rechtswirkungen entfaltet und welche Rechtswirkungen dies sind, kann im Beschwerdefall unerörtert bleiben, da jedenfalls ein allgemeiner Rechtsgrundsatz angenommen werden muß, daß nicht rechtskräftige Bescheide im Zweifel (dh. solange nicht das Gegenteil im Gesetz ausdrücklich angeordnet ist oder aus ihm abgeleitet werden muß) auch (noch) nicht vollstreckbar sind (vgl. RINGHOFER, Verwaltungsverfahrensgesetze I, Anm. 4 zu § 64 AVG). Ob die "aufschiebende Wirkung" iS des § 64 Abs. 1 AVG darüber hinaus noch weitere Bescheidwirkungen "aufschiebt", ist im Beschwerdefall nicht von Belang, da der Antrag der Beschwerdeführerin auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung sich auf einen Bescheid bezieht, mit welchem der Beschwerdeführerin eine GELDLEISTUNG auferlegt worden ist und aus der Begründung ihres Antrages deutlich hervorgeht, daß dieser auf die Hinausschiebung der (vorläufigen) Vollstreckbarkeit abzielt. Da nach dem Gesagten (nach Entfall) des § 412 Abs. 2 ASVG) der erstinstanzliche Bescheid für die die Dauer des Einspruchsverfahrens ohnehin nicht vollstreckbar gewesen ist, geht der Antrag der Beschwerdeführerin (nunmehr) ins Leere und wäre daher richtigerweise zurückzuweisen gewesen. Durch die Abweisung ihres Antrages ist die Beschwerdeführerin jedoch weiterhin beschwert, weil in Verbindung mit dem gestellten Antrag dessen Ablehnung die normative Wirkung haben könnte, daß die Vollstreckung zulässig wäre. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, wobei sich eine Auseinandersetzung mit dem Beschwerdevorbringen erübrigte.
2.4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Wegen Unterschreitung des zur Zeit der Beschwerdeverfassung geltenden Ansatzes (vgl. die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, 3. Auflage, S 673, zitierte ständige Rechtsprechung) konnte nur der tatsächlich verzeichnete Betrag zuerkannt werden. Die geltend gemachten Bundesstempel konnten im Hinblick auf die auch für das verwaltungsgerichtliche Verfahren geltende sachliche Abgabenfreiheit des § 110 ASVG nicht zugesprochen werden.
Schlagworte
Besondere verfahrensrechtliche Aufgaben der Berufungsbehörde Spruch des Berufungsbescheides Rechtliche Wertung fehlerhafter Berufungsentscheidungen Rechtsverletzung durch solche EntscheidungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1992080078.X00Im RIS seit
11.07.2001