TE Vfgh Erkenntnis 1989/9/30 B1207/88

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Veröffentlicht am 30.09.1989
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Index

36 Wirtschaftstreuhänder
36/01 Wirtschaftstreuhänder

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz / Verletzung keine
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung / Gesetz
StGG Art18
Wirtschaftstreuhänder-BerufsO 1955 §10
Wirtschaftstreuhänder-BerufsO 1955 §19

Leitsatz

Erfordernis der hauptberuflichen Tätigkeit bei Wirtschaftstreuhändern als Voraussetzung für die Anerkennung als Berufsanwärter sachlich gerechtfertigt; kein unverhältnismäßiger Eingriff in die Erwerbsfreiheit und die Berufsausbildungsfreiheit

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Beschwerdeführerin ist seit 1. Jänner 1982 in Wirtschaftstreuhänderkanzleien mit einer Wochenarbeitszeit von 26 Stunden tätig. Seit 1. Mai 1983 ist sie überdies bei einem Bankinstitut im Ausmaß von 40 Wochenstunden beschäftigt.

Aufgrund einer Anmeldung der Beschwerdeführerin als Berufsanwärter bei der Kammer der Wirtschaftstreuhänder wurde ihr mit Bescheid vom 28. Juni 1982 die Anmeldebestätigung gemäß §19 Abs5 WT-BO erteilt.

Mit einem vom Präsidenten und vom Kammeramtsdirektor der Kammer der Wirtschaftstreuhänder gezeichneten Bescheid vom 15. Jänner 1988 wurde die Zugehörigkeit der Beschwerdeführerin zur Kammer der Wirtschaftstreuhänder als Berufsanwärter mit 30. April 1983 für beendet erklärt. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung an den Landeshauptmann von Wien, der den erstinstanzlichen Bescheid seinem Inhalt nach bestätigte.

2. In der gegen den Bescheid des Landeshauptmanns erhobenen, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof behauptet die Beschwerdeführerin, in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf Erwerbsfreiheit und auf Freiheit der Berufsausbildung verletzt zu sein und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in einer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Wirtschaftstreuhänder-Berufsanwärter im Sinne des §19 WT-BO kann nur eine Person sein, die - neben der Erfüllung anderer vom Gesetz aufgestellter Voraussetzungen - "hauptberuflich als Angestellter oder mitarbeitender Familienangehöriger bei einem Wirtschaftstreuhänder beschäftigt ist und dort eine Tätigkeit ausübt, die ihm ermöglicht, Kenntnisse und Erfahrungen für die Ausübung des Berufes eines Wirtschaftstreuhänders zu erwerben. Eine Beschäftigung, welche die übliche Arbeitszeit in einer Wirtschafstreuhandkanzlei nicht erreicht, ist nur verhältnismäßig anzurechnen." (§19 Abs4 leg.cit.)

2. Mit dem bekämpften Bescheid wurde der Beschwerdeführerin die Anerkennung ihrer Tätigkeit bei einem Wirtschaftstreuhänder als Tätigkeit eines Berufsanwärters versagt, weil sie diese Tätigkeit nicht hauptberuflich ausübe.

In der Beschwerde wird dazu die Auffassung vertreten, es sei verfassungswidrig, die Berufsanwärtereigenschaft vom Erfordernis einer hauptberuflichen Tätigkeit bei einem Wirtschaftstreuhänder abhängig zu machen. Denn dadurch werde es ausgeschlossen, daß Personen, die neben einer anders gearteten hauptberuflichen Tätigkeit auch bei einem Wirtschaftstreuhänder in einem ernsthaften (über bloß gelegentliche Verwendung hinausgehenden) Ausmaß beschäftigt sind, als Berufsanwärter anerkannt werden und die für die Wirtschaftstreuhänderprüfung erforderliche Praxis erwerben können. Die Regelung verstoße gegen das Grundrecht der Erwerbsfreiheit, weil sie eine nicht adäquate Beschränkung der Möglichkeit zum Erwerb der Berufsbefugnis eines Wirtschaftstreuhänders bewirke; auch sei sie unsachlich und daher gleichheitswidrig, weil sie Personen von der Möglichkeit zum Erwerb der Berufsbefugnis eines Wirtschaftstreuhänders ausschließe, die zwar nur nebenberuflich, aber (über eine längere Zeit) doch die für den Wirtschaftstreuhänderberuf notwendigen Kenntnisse und Erfahrungen erwerben, deretwegen das Gesetz die Praxis als Berufsanwärter vorschreibe. Weiters verstoße die Bestimmung gegen das Grundrecht der Freiheit der Berufsausbildung, weil es den Erwerb der Befugnis eines Wirtschaftstreuhänders nur solchen Personen eröffne, die sich vorher in volle wirtschaftliche Abhängigkeit zu den bereits zugelassenen Wirtschaftstreuhändern begeben hätten.

3. Der Verfassungsgerichtshof teilt diese Bedenken nicht und sieht sich unter keinem der genannten Aspekte veranlaßt, ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit jener Bestimmungen der WT-BO einzuleiten, die es nur hauptberuflich bei Wirtschaftstreuhändern beschäftigten Personen ermöglichen, Berufsanwärter zu sein und damit die für die Zulassung zu den Fachprüfungen erforderliche Praxis (§10 WT-BO) zu erwerben:

Der Beschwerdeführerin ist - was die Gegenschrift der belangten Behörde verkennt - zwar einzuräumen, daß die von ihr angegriffene Bestimmung, die die Möglichkeit der Tätigkeit als Berufsanwärter hauptberuflich bei Wirtschaftstreuhändern beschäftigten Personen vorbehält, angesichts des §10 WT-BO die Erwerbsantrittsmöglichkeit von Personen gravierend beeinträchtigt, die die für eine Wirtschaftstreuhändertätigkeit notwendigen Kenntnisse und Erfahrungen durch eine längerwährende Nebentätigkeit bei einem Wirtschaftstreuhänder oder durch eine Tätigkeit in anderen Berufen mit ähnlichen Aufgaben zu erwerben suchen. Der Gesetzgeber hat sich aber im Rahmen der ihm zukommenden rechtspolitischen Gestaltungsfreiheit gehalten, als er die subjektiven Antrittsvoraussetzungen der beschriebenen Art eingeführt hat:

Es ist nämlich sachlich gerechtfertigt und bewirkt keinen unverhältnismäßigen Eingriff in die Erwerbsfreiheit (Art6 StGG) und die Berufsausbildungsfreiheit (Art18 StGG), wenn das Gesetz vorsieht, daß nur solche Personen Berufsanwärter sein und als solche die notwendige Praxiszeit erwerben können, die sich durch ihre Tätigkeit bei einem Wirtschaftstreuhänder vorwiegend der Berufsvorbereitung auf den Wirtschaftstreuhänderberuf widmen. Das öffentliche Interesse an einer guten und eingehenden Ausbildung zu diesem für das Wirtschaftsleben wichtigen Beruf, der angesichts der Dichte der wirtschaftsrechtlichen und steuerrechtlichen Regelungen besondere Kenntnisse und Erfahrungen erfordert, mag eine derartige Einschränkung nicht verlangen, rechtfertigt sie aber. Auch geht der Gesetzgeber von einer erlaubten Durchschnittsbetrachtung aus, wenn er annimmt, daß sich Personen, die die Tätigkeit als Berufsanwärter neben einem anderen Hauptberuf ausüben, nicht in gleichem Ausmaß der Berufsvorbereitung werden widmen können, wie Personen, die als Berufsanwärter bei einem Wirtschaftstreuhänder vorwiegend Tätigkeiten ausüben, die direkt dem Erwerb der Erfahrungen und Kenntnisse des Wirtschaftstreuhänderberufs dienen. Der Gesetzgeber konnte dabei auch davon ausgehen, daß Personen, die zwar weniger als die übliche Arbeitszeit bei einem Wirtschaftstreuhänder tätig sind, aber diese Tätigkeit hauptberuflich ausüben, wenn und insoweit eine umfassende Ausbildung gewährleistet ist, als Berufsanwärter (mit entsprechend längerer Praxiszeit) tätig sein können, nicht aber jene Personen, die ebenfalls nur einen Teil ihrer Zeit in einer Wirtschaftstreuhänderkanzlei arbeiten, dies aber neben der vollen Belastung in einem anderen (Haupt-)Beruf tun.

Die Beschränkung des §19 WT-BO, derzufolge nur eine hauptberuflich bei einem Wirtschaftstreuhänder tätige Person Berufsanwärter sein kann, ist daher verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Wenn die Beschwerdeführerin der Auffassung anhängt, daß die für eine Tätigkeit als Wirtschaftstreuhänder notwendigen Kenntnisse und Erfahrungen auch bei Ausübung anderer Berufe (wie etwa in Revisions- oder Kreditprüfungsabteilungen von Banken) erworben werden können, so ist darauf hinzuweisen, daß der Gesetzgeber durch §10 WT-BO gewisse Anrechnungsmöglichkeiten geschaffen hat und daß ihm aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegengetreten werden kann, wenn er eine bestimmte Zeit der Praxis im angestrebten Beruf selbst für erforderlich hält und dafür eine - im Effekt zweieinhalbjährige - nicht substituierbare Praxis als Berufsanwärter vorsieht.

4. Bei der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsvorschrift könnte die Beschwerdeführerin in den geltend gemachten Grundrechten nur verletzt sein, wenn die Behörde das Gesetz denkunmöglich oder willkürlich angewendet hätte. Derartiges wurde weder behauptet, noch sind im Verfahren dafür Anhaltspunkte hervorgekommen.

Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß die Beschwerdeführerin in sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Wirtschaftstreuhänder, Berufsrecht, Berufsausbildungsfreiheit, Erwerbsausübungsfreiheit Eingriff

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1989:B1207.1988

Dokumentnummer

JFT_10109070_88B01207_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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