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66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;Norm
ASVG §67 Abs4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Herberth, Dr. Knell, Dr. Novak und Dr. Händschke als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des MS in W, vertreten durch Dr. D, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 11. Juli 1990, Zl. MA 14-St 2/90, betreffend Betriebsnachfolgehaftung (mitbeteiligte Partei: Wiener Gebietskrankenkasse in 1101 Wien, Wienerbergstraße 15-19), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1.1. Mit Bescheid vom 20. Februar 1990 sprach die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse aus, daß der Beschwerdeführer als Betriebsnachfolger gemäß § 67 Abs. 6 Z. 1 und 3 und Abs. 7 ASVG verpflichtet sei, die auf dem Beitragskonto des Betriebsvorgängers AS, rückständigen Sozialversicherungsbeiträge ab 17. Oktober 1987 bis 16. Oktober 1988, erster Nachtrag Februar 1988, zweiter Nachtrag April 1988 samt Nebengebühren (Verzugszinsen verrechnet bis 14. Februar 1990) in der Höhe von S 332.470,09 zuzüglich Verzugszinsen seit 15. Februar 1990 in der sich nach § 59 Abs. 1 ASVG jeweils ergebenden Höhe (berechnet von S 282.596,11) binnen 14 Tagen nach Zustellung dieses Bescheides bei sonstigen Zwangsfolgen zu bezahlen.
Nach der Begründung habe der Betriebsvorgänger AS an der im Spruch genannten Anschrift eine Bau- und Möbeltischlerei geführt. Am 17. Oktober 1988 habe der Beschwerdeführer aufgrund eines mit dem Masseverwalter abgeschlossenen Veräußerungsgeschäftes Kundenstock, Kleinhandwerkzeug und Restmaterialien des Betriebes aus der Konkursmasse übernommen. Da der Beschwerdeführer als Sohn des bisherigen Betriebsinhabers ein Angehöriger gemäß § 67 Abs. 6 Z. 1 ASVG sei, habe er die angeführten Beiträge samt Nebengebühren zu bezahlen.
Nach der Aktenlage erfolgte die Eröffnung des Konkurses
über den Betrieb des AS am 16. September 1988.
Der Beschwerdeführer erhob Einspruch.
1.2. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Einspruch keine Folge gegeben und der Bescheid der Gebietskrankenkasse bestätigt.
Nach der Begründung habe der Beschwerdeführer in seinem Einspruch vorgebracht, im Zuge des Konkursverfahrens seines Vaters vom Masseverwalter Kleinhandwerkzeug und Restmaterialien gekauft und dem Masseverwalter den damals vorhandenen Kundenstock abgelöst zu haben. § 67 Abs. 6 ASVG sehe jedoch vor, daß im Falle einer Betriebsnachfolge auf einen nahen Angehörigen dieser wie ein Erwerber gemäß § 67 Abs. 4 ASVG hafte. Gemäß § 67 Abs. 5 ASVG trete eine Haftung gemäß § 67 Abs. 4 leg. cit. jedoch nicht ein, sofern der Erwerb aus einer Konkursmasse erfolge. Im übrigen habe er die Beitragsschulden seines Vaters für den Zeitraum Oktober 1987 bis Oktober 1988 nicht gekannt bzw. nicht kennen können. Wohl sei ihm bekannt gewesen, daß die Gebietskrankenkasse im Ausgleichsverfahren offene Forderungen angemeldet habe. Er sei jedoch davon ausgegangen, daß der im seinerzeitigen Ausgleichsverfahren angemeldete Betrag im wesentlichen gleichgeblieben sei, da ihn sein Vater immer so informiert habe, daß dieser die laufenden Abgabenverbindlichkeiten mehr oder weniger pünktlich beglichen habe.
In einer mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde am 8. Mai 1990 habe der Beschwerdeführer im wesentlichen angegeben, daß sein Vater bis Oktober 1988 am Betriebsort eine Bau- und Möbeltischlerei betrieben habe. Nachdem dessen Betriebstätigkeit beendet gewesen sei, habe er seine Tätigkeit (ebenfalls eine Tischlerei) am 17. Oktober 1988 in diesen Räumlichkeiten begonnen. Die Betriebsräumlichkeiten gehörten seiner Mutter ES und Frau BV. Von den Dienstnehmern seines Vaters habe er nur einen Lehrling weiterbeschäftigt. Außerdem sei er selbst im Betrieb seines Vaters angestellt gewesen. Das vorhandene Büroinventar, wie etwa Tisch, Wandkästen, Zeichenbrett etc. sowie die vorhandenen Hobelbänke, Kästen, Kleinhandwerkzeug und Bohrmaschinen habe er vom Masseverwalter erworben. Es selbst habe eine Fräse, zwei Hobelmaschinen, eine Schleifmaschine sowie einen Bus dem Betrieb seines Vaters zur Verfügung gestellt. Es sei möglich, daß er Kunden beliefere, die auch schon sein Vater beliefert habe, jedoch gebe es keine ständige Abnehmerschaft. Die Lieferanten seien nur zum Teil gleichgeblieben, er habe weitgehend einen anderen Lieferantenkreis. Der Betriebsgegenstand sei derselbe wie der seines Vaters, jedoch passe er sich in der Produktion den derzeitigen Gegebenheiten an.
Der Masseverwalter habe diese Angaben als richtig bestätigt und darüber hinaus mitgeteilt, daß der Betrieb des AS nicht ohne die vom Beschwerdeführer zur Verfügung gestellten Betriebsmittel hätte weitergeführt werden können. Bei dem an den Beschwerdeführer verkauften Inventar habe es sich im wesentlichen um wertlose Gegenstände gehandelt.
Von der belangten Behörde wurde dieser Sachverhalt als ein Fall des Betriebsüberganges auf einen nahen Angehörigen gemäß § 67 Abs. 6 Z. 1 ASVG beurteilt: So seien der Betriebsort sowie der Betriebsgegenstand, die Dienstnehmer, Lieferanten sowie teilweise die Kunden gleich geblieben und wesentliche Betriebsmittel durch den Beschwerdeführer dem Betrieb seines Vaters zur Verfügung gestellt worden.
Was die Kenntnis der Beitragsschulden des Betriebsvorgängers anlange, so habe der Vater des Beschwerdeführers angegeben, sich mit diesem anläßlich der Ausgleichseröffnung zerstritten und ihn über die finanzelle Situation nicht informiert zu haben. Da sein Sohn ab Jänner 1988 regelmäßig im Betrieb gearbeitet habe, sei anzunehmen, daß er gewußt habe, daß der Betrieb in starken Schwierigkeiten stecke, da Betriebsmittel versteigert worden seien und jeder Arbeitnehmer gewußt habe, "was los sei". Auch der Masseverwalter habe mitgeteilt, daß der Beschwerdeführer gewußt haben müsse, daß die finanzielle Situation der Firma nicht günstig gewesen sei, da ja bereits ein Ausgleichsverfahren stattgefunden habe.
Der Beschwerdeführer habe dazu dargelegt, daß er seit dem Zeitpunkt des Ausgleichsverfahrens gewußt habe, daß der Betrieb seines Vaters Beitragsschulden habe. Aufgrund der Ereignisse, die gegen Ende 1988 aufgetreten seien, sei ihm klar gewesen, daß der Betrieb offensichtlich in argen Schwierigkeiten stecke. Er habe sich allerdings dafür nicht interessiert, da er die Absicht gehabt habe, eine eigene Betriebstätigkeit an einem anderen Standort zu beginnen. Nach der Schließung des Betriebes seines Vaters habe er allerdings eine Neueröffnung am bisherigen Standort für günstiger gehalten. Im übrigen habe er mit dem Masseverwalter im Oktober 1988 über die Situation gesprochen.
Aufgrund dieser Ermittlungsergebnisse gelangte die belangte Behörde zur Auffassung, daß dem Beschwerdeführer der Nachweis, daß er die Beitragsschulden nicht gekannt habe bzw. trotz seiner Stellung im Betrieb des Vorgängers nicht habe kennen können, nicht gelungen sei, weshalb eine Haftung gemäß § 67 Abs. 6 ASVG habe angenommen werden müssen.
Was das Vorbringen des Beschwerdeführers in seinem Einspruch anlange, der Erwerb von Betriebsmitteln im Konkurs könne keine Haftung begründen, so sei darauf zu erwidern, daß lediglich unwesentliche Betriebsmittel durch den Masseverwalter an den Beschwerdeführer veräußert worden seien. Im Hinblick darauf, daß die für den Betrieb wesentlichen Betriebsmittel nicht im Wege des Erwerbes aus der Konkursmasse auf den Beschwerdeführer übergegangen seien, habe dem Einspruch der Erfolg versagt bleiben müssen.
1.3. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Beschluß vom 25. September 1990, B 1083/90-3, die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
1.4. In der über Auftrag des Verwaltungsgerichtshofes vorgenommenen Ergänzung der Beschwerde erachtet sich der Beschwerdeführer in seinem Recht auf Freiheit von einer Betriebsnachfolgehaftung verletzt. Er beantragt, den angefochenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
1.5. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und ebenso wie die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse eine Gegenschrift erstattet.
2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
2.1.1. § 67 Abs. 4 bis 6 ASVG in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung der 41. ASVG-Novelle, BGBl. Nr. 111/1986, lautet:
"(4) Wird ein Betrieb übereignet, so haftet der Erwerber für Beiträge, die sein Vorgänger zu zahlen gehabt hätte, unbeschadet der fortdauernden Haftung des Vorgängers sowie der Haftung des Betriebsnachfolgers nach § 1409 ABGB unter Bedachtnahme auf § 1409a ABGB und der Haftung des Erwerbers nach § 25 des Handelsgesetzbuches für die Zeit von höchstens zwölf Monaten vom Tag des Erwerbes zurückgerechnet. Im Fall einer Anfrage beim Versicherungsträger haftet er jedoch nur mit dem Betrag, der ihm als Rückstand ausgewiesen worden ist.
(5) Abs. 4 gilt nicht bei einem Erwerb aus einer Konkursmasse oder im Zuge eines Vollstreckungsverfahrens.
(6) Geht der Betrieb auf
1.
einen Angehörigen des Betriebsvorgängers gemäß Abs. 7,
2.
eine am Betrieb des Vorgängers wesentlich beteiligte Person gemäß Abs. 8 oder
3. eine Person mit wesentlichem Einfluß auf die Geschäftsführung des Betriebsvorgängers (z.B. Geschäftsführer, leitender Angestellter, Prokurist) über, so haftet dieser Betriebsnachfolger ohne Rücksicht auf das dem Betriebsübergang zugrundeliegende Rechtsgeschäft wie ein Erwerber gemäß Abs. 4, solange er nicht nachweist, daß er die Beitragsschulden nicht kannte bzw. trotz seiner Stellung im Betrieb des Vorgängers nicht kennen konnte."
§ 67 Abs. 7 Z. 2 ASVG lautet:
"(7) Angehörige gemäß Abs. 6 Z. 1 sind:
.....
2. die Verwandten in gerader Linie und die Verwandeten zweiten und dritten Grades in der Seitenlinie, und zwar auch dann, wenn die Verwandtschaft auf einer unehelichen Geburt beruht;"
2.1.2. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes stellt § 67 Abs. 4 ASVG die allgemeine Haftungsnorm für alle Betriebsnachfolger (unabhängig von einer Zugehörigkeit zum Personenkreis des § 67 Abs. 6 Z. 1 bis 3 ASVG) dar, die den Betrieb aufgrund eines Veräußerungsgeschäftes mit dem Betriebsvorgänger erworben haben. § 67 Abs. 6 ASVG bedeutet - soweit es den dort genannten Personenkreis betrifft - eine Erweiterung des Kreises der haftenden Betriebsnachfolger auf jene, auf die der Betrieb ohne ein mit dem Betriebsvorgänger abgeschlossenes Veräußerungsgeschäft übergegangen ist. Der Erwerb eines Betriebes aufgrund eines Veräußerungsgeschäftes mit dem Betriebsvorgänger ist auch dann unmittelbar dem Haftungstatbestand nach § 67 Abs. 4 ASVG zu unterstellen, wenn der Betriebsnachfolger dem Personenkreis des § 67 Abs. 6 ASVG angehört (vgl. das Erkenntnis vom 7. April 1992, Zl. 91/08/0061).
Davon ausgehend erscheint es geboten, die in § 67 Abs. 6 letzter Satz ASVG getroffene Anordnung, wonach der Betriebsnachfolger... "wie ein Erwerber gemäß Abs. 4" hafte, dahin auszulegen, daß auch einem Betriebsnachfolger, dessen Haftung im Sinne des Abs. 6 auf seiner Zugehörigkeit zu dem dort genannten Personenkreis und einem Betriebsübergang ohne Veräußerungsgeschäft beruht, im Sinne des Abs. 5 der Ausschluß der Haftung im Falle eines "Erwerbes" an einer Konkursmasse bzw. im Zuge eines Vollstreckungsverfahrens zugute kommt. Schon die grammatikalische Interpretation spricht für das Ergebnis, § 67 Abs. 5 ASVG als allgemein, auch für eine Betriebsnachfolgehaftung nach § 67 Abs. 6 ASVG anwendbaren Grundsatz des Ausschlusses der Haftung im Falle des Erwerbes aus einer Konkursmasse oder im Zuge eines Vollstreckungsverfahrens aufzufassen, weil § 67 Abs. 6 ASVG eine Haftung mit den in Abs. 4 normierten Wirkungen (arg.: "wie ein Erwerber gemäß § 4") anordnet (vgl. das Erkenntnis vom 7. April 1992, Zl. 91/08/0041).
2.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem zuletzt genannten Erkenntnis eine Haftung nach § 67 Abs. 6 ASVG schon dann verneint, wenn der Betriebsfortführung ein dem "Erwerb an einer Konkursmasse oder im Zuge eines Vollstreckungsverfahrens" gleichhaltender, wenngleich kein Veräußerungsgeschäft darstellender Vorgang, nämlich Abschluß eines Pachtvertrages über das konkursverhangene Unternehmen mit dem Masserverwalter, zugrundeliegt.
Umso mehr ist eine Haftung nach § 67 Abs. 6 ASVG zu verneinen, wenn - wie im Beschwerdefall - zum Zwecke der Fortführung eines konkursverhangenen Betriebes nur einzelne (wenn auch die wesentlichen) Betriebsmittel, nämlich der Kundenstock samt noch verhandenem Kleinmaterial, nach Eröffnung des Konkurses vom Masseverwalter, die übrigen Betriebsmittel hingegen aufgrund von Rechtsgeschäften mit anderen Personen erworben oder selbst in den Betrieb eingebracht werden.
2.3. Schon aufgrund dieser Erwägungen ergibt sich, daß die belangte Behörde ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet hat, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
2.4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1990080168.X00Im RIS seit
28.04.1992