Index
10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt / WillkürLeitsatz
Bestimmung einer Berufsunfähigkeitsrente für einen Rechtsanwalt aufgrund beschlossener, aber noch nicht kundgemachter Leistungsordnungen; gesetzlos ergangener Bescheid; WillkürSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
Der Bescheid wird daher aufgehoben.
Die Oberösterreichische Rechtsanwaltskammer ist schuldig, dem Beschwerdeführer die mit S 27.000,-- bestimmten Kosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1. Mit Beschluß der Abteilung II des Ausschusses der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 28. Dezember 1987 wurde aufgrund der Leistungsordnung 1988 der Versorgungseinrichtung der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer, beschlossen am 28. November 1987, die monatliche Berufsunfähigkeitsrente des Dr. A-H S für das Jahr 1988 mit S 15.500,-- (14 x jährlich) zuzüglich einer Sonderzahlung von S 8.500,-- festgesetzt.
1.2. Mit Beschluß des Ausschusses der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 24. März 1988 wurde der gegen diesen Bescheid erhobenen Vorstellung keine Folge gegeben.
Begründend wurde im wesentlichen ausgeführt:
"Die im Beschluß vom 28.12.1987 festgelegte Berechnung der Berufsunfähigkeitsrente des Vorstellungswerbers entspricht voll und ganz der in der ordentlichen Plenarversammlung der OÖ Rechtsanwaltskammer vom 28.11.1987 bzw der außerordentlichen Plenarversammlung vom 30.1.1988 beschlossenen Leistungsordnung 1988."
2.1. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie die Verfassungswidrigkeit der Leistungsordnung 1988 der Versorgungseinrichtung der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer behauptet werden und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides, hilfsweise die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.
2.2. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde begehrt.
3. Der Verfassungsgerichtshof hat nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
3.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, mit dem angefochtenen Bescheid werde sein Anspruch auf Versorgungsrente ab Jänner 1988 um S 500,-- gekürzt; diese Kürzung werde auf die am 28. November 1987 bei der ordentlichen Plenarversammlung und am 30. Jänner 1988 bei der außerordentlichen Plenarversammlung beschlossenen Leistungsordnungen 1988 gestützt. Gerade beim Berufsstand der Rechtsanwälte sei auf einen gewissen Standard der Lebensführung Bedacht zu nehmen und müsse auf die "schlimmen finanziellen und wirtschaftlichen Folgen, die den Beschwerdeführer unverschuldet getroffen haben, Bedacht" genommen werden. Im Hinblick darauf, daß sich die Anzahl der Rechtsanwälte in Oberösterreich von Jahr zur Jahr vergrößere und der Beschwerdeführer möglicherweise sogar der einzige Bezieher einer Berufsunfähigkeitsrente sei, erscheine ein sachbezogener Grund für eine Kürzung eines ursprünglich bescheidmäßig zugesprochenen Rentenbezuges ungerechtfertigt und dem Gleichheitsgebot widersprechend. Hinzuweisen sei auch auf die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes zu §40a des Pensionsgesetzes 1965 vom 16.3.1988 G184-194/87 ua., wonach Bezieher von Pensionen keine Kürzungen erleiden dürften, damit der Standard der Lebensführung während der Pensionszeit erhalten werden könne.
3.2. Die Beschwerde ist - wenn auch aus anderen Gründen als in der Beschwerde geltend gemacht - im Ergebnis begründet:
Mit dem angefochtenen Bescheid wird - materiell-rechtlich gestützt auf die in der ordentlichen Plenarversammlung vom 28. November 1987 und der außerordentlichen Plenarversammlung vom 30. Jänner 1988 der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer beschlossenen Leistungsordnungen 1988 - der Vorstellung des Beschwerdeführers gegen den Beschluß der Abteilung II des Ausschusses der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer keine Folge gegeben und damit bestätigt, daß die monatliche Rente des Beschwerdeführers "für das Jahr 1988" (also ab 1. Jänner 1988) S 15.500,-- (14 x jährlich) zuzüglich einer Sonderzahlung von S 8.500,-- betrage; bis dahin hatte der Beschwerdeführer eine monatliche Rente von S 16.000,--.
Die bei der ordentlichen Plenarversammlung der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer am 28. November 1987 beschlossene Leistungsordnung 1988 wurde im Anwaltsblatt im März 1988, die bei der außerordentlichen Plenarversammlung der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer am 30. Jänner 1988 beschlossene Leistungsordnung 1988 im Anwaltsblatt im Juli 1988 kundgemacht. Die Leistungsordnung einer Rechtsanwaltskammer ist eine generelle, abstrakte Norm, die nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. zB VfSlg. 7281/1974, 7375/1974) einer Kundmachung bedarf, um Bestandteil der österreichischen Rechtsordnung zu werden. Diesem Gebot wird - wie der Verfassungsgerichtshof im eben zitierten Erkenntnis VfSlg. 7281/1974 ausgesagt hat - für den Bereich der Anwaltschaft durch eine Kundmachung im Anwaltsblatt (vormals Nachrichtenblatt) entsprochen.
Da die am 28. November 1987 bei der ordentlichen Plenarversammlung der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer beschlossene Leistungsordnung 1988 erst im März 1988 und die am 30. Jänner 1988 bei der außerordentlichen Plenarversammlung der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer beschlossene Leistungsordnung 1988 erst im Juli 1988 im Anwaltsblatt kundgemacht wurde, sind sie erst zu diesen Zeitpunkten mit Wirksamkeit für die Zukunft - keine der beiden Leistungsordnungen enthält eine Rückwirkungsklausel, wofür auch eine gesetzliche Deckung nicht vorläge - als Verordnung in den Bestand der österreichischen Rechtsordnung eingegangen.
Die belangte Behörde hat dessen ungeachtet den dem Beschwerdeführer am 30. März 1988 zugestellten Bescheid vom 24. März 1988 auf die am 28. November 1987 und am 30. Jänner 1988 beschlossenen Leistungsordnungen 1988 gestützt und ist damit (i.w.S.) gesetzlos vorgegangen.
In einem solchen Vorgehen liegt ein gehäuftes Verkennen der Rechtslage in einem besonderen Maße; ein solches Vorgehen ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. zB VfSlg. 10337/1985) als Willkür zu werten. Der Beschwerdeführer ist daher durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
Aufgrund seiner sprachlichen Fassung war der angefochtene Bescheid zur Gänze aufzuheben.
4. Die Kostentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG (in den zuerkannten Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von S 4.500,-- enthalten).
Schlagworte
Verordnungsbegriff, Verordnung Kundmachung, Rechtsanwälte, Geltungsbereich einer VerordnungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1989:B1058.1988Dokumentnummer
JFT_10108998_88B01058_00