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L40010 Anstandsverletzung Lärmerregung;Norm
AVG §45 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Waldner und Dr. Novak als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Steiner, über die Beschwerde des F in M, vertreten durch Dr. S, Rechtsanwalt in E, gegen den Bescheid der Burgenländischen Landesregierung vom 20. Dezember 1989, Zl. II-164/3-1989, betreffend Übertretungen des Burgenländischen Landes-Polizeistrafgesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich seines Strafausspruches zu Punkt 2) (Lärmerregung) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben; im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Das Land Burgenland hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1.1. Die Bundespolizeidirektion Eisenstadt erließ am 23. Dezember 1988 an den Beschwerdeführer ein Straferkenntnis mit folgendem Spruch:
"Der Beschuldigte hat am 22.12.1988 um 22.55 Uhr in Eisenstadt, Wertheimergasse - Ecke Esterhazystraße, 1) durch Urinieren auf das Schaufenster eines dort befindlichen Geschäftes, in Gegenwart mehrerer Passanten und von SWB den öffentlichen Anstand verletzt und 2) durch lautes Schreien im Zuge der folgenden Amtshandlung ungebührlicherweise störenden Lärm erregt."
Der Beschwerdeführer habe dadurch zu 1) gegen § 1 des Burgenländischen Landes-Polizeistrafgesetzes, LGBl. Nr.35/1986, (in der Folge: PolStG) und zu 2) gegen § 2 Abs. 1 PolStG verstoßen, weshalb über ihn zu 1) gemäß § 13 Abs. 1 Z. 1 PolStG und zu 2) gemäß § 13 Abs. 1 Z. 2 PolStG eine Geldstrafe von jeweils S 5.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe jeweils zwei Wochen) verhängt wurde.
Der Beschwerdeführer erhob Berufung.
1.2. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Berufung insoweit Folge gegeben, als die verhängte Geldstrafe zu 1) und
2) jeweils auf S 2.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe auf jeweils vier Tage) herabgesetzt wurde. Gleichzeitig sprach die belangte Behörde aus, daß im Spruch des Straferkenntnisses
"a)
vor den Worten "22.55 Uhr" das Wort "gegen" einzufügen ist,
b)
die Worte "mehrerer Passanten und" zu entfallen haben und
c)
nach den Worten "§ 13/1 Z. 1 Pol.StG." sowie nach den Worten "§ 13/1 Z. 2 Bgld. Pol.StG." jeweils die Worte "iVm § 13 Abs. 2 Z. 1 leg. cit." einzufügen sind."
Im übrigen wurde das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion bestätigt.
Nach der Begründung seien im Berufungsverfahren der Meldungsleger sowie Revierinspektor P, Inspektor T und Revierinspektor B als Zeugen zum gegenständlichen Vorfall einvernommen worden. Diese hätten angegeben, daß der Beschwerdeführer die die Amtshandlung führenden Beamten beschimpft und angeschrieen habe. Das Schreien sei aufgrund der Dauer, Heftigkeit und Lautstärke störend gewesen. Im Bereich des Tatortes habe zur Nachtzeit ein niedriger Geräuschpegel geherrscht. Durch das Schreien sei es zu einer über das objektiv zumutbare Maß hinausgehenden Lärmerregung gekommen.
Die als Zeugin vernommene Gattin des Beschwerdeführers habe die Zeugenaussage verweigert.
Die Stieftochter des Beschwerdeführers, CN, habe angegeben, sie wisse nicht mehr, ob der Beschwerdeführer die Sicherheitswachebeamten angeschrieen oder lediglich verlangt habe, seine Ehefrau zu sprechen. Sie glaube, den Beschwerdeführer "Hilfe" sowie den Namen ihrer Mutter schreien gehört zu haben. Er habe glaublich einige Minuten geschrieen. Zur Tatzeit habe ein niedriger Geräuschpegel geherrscht. Im Zuge der Amtshandlung seien sicherlich mehr als zehn Personen aus der in der Nähe befindlichen Pizzeria herausgekommen, um bei der Amtshandlung zuzusehen.
Der Beschwerdeführer habe zum Ergebnis des ergänzend durchgeführten Ermittlungsverfahrens im Rahmen des Parteiengehörs im wesentlichen vorgebracht, daß keiner der einvernommenen Zeugen Angaben darüber gemacht habe, wie lange er angeblich geschrieen habe. Es sei fraglich, ob Schreien an sich überhaupt so laut sein könne, daß es als "störend" empfunden werde. Fraglich sei auch, von wem der Lärm als störend empfunden worden sei. Es sei auch zu prüfen, ob der Lärm nicht durch das Zusammenwirken aller Lärmquellen entstanden sei. Schreien sei im übrigen dann nicht als "ungebührlich" anzusehen, wenn sich jemand gegen Polizeibeamte wehre, von denen er sich zumindest subjektiv ungerechtfertigt behandelt gefühlt habe. Was den Vorwurf der Verletzung des öffentlichen Anstandes anlange, so sei es fraglich, ob Urinieren gegen ein Schaufenster um 22.50 Uhr tatsächlich den öffentlichen Anstand verletzte. Der öffentliche Anstand könne nur verletzt werden, wenn das vorgeworfene Verhalten von der Öffentlichkeit überhaupt wahrgenommen werde. Die einschreitenden Polizeibeamten würden jedoch nicht die erforderliche Öffentlichkeit darstellen. Überdies habe der Beschwerdeführer nicht uriniert, um den öffentlichen Anstand zu verletzen, sondern wegen eines dringenden Bedürfnisses. Der Vorsatz des Beschwerdeführer müßte die Öffentlichkeit und die Verletzung des Anstandes umfassen. Diesbezüglich seien jedoch keine entsprechenden Erhebungen durchgeführt worden. Nach dem Straferkenntnis sei als Tatzeit für das Urinieren 22.55 Uhr angegeben worden. Nach der zugrundeliegenden Anzeige sei die Tat jedoch um 22.50 Uhr bemerkt worden. Daß das inkriminierte Verhalten fünf Minuten gedauert habe, sei jedoch absolut unmöglich.
Zu diesem Vorbringen bemerkte die belangte Behörde zunächst, es liege auf der Hand, daß Urinieren an einem öffentlichen Ort - wie gegenständlich unbestritten feststehe - dem Grundsatz der Schicklichkeit widerspreche und grob gegen die von jedermann in der Öffentlichkeit zu beachtenden Pflichten verstoße bzw. die Grenzen der guten Sitten überschreite. Zum Tatbild der Anstandsverletzung gehöre jedoch, daß die konkrete Möglichkeit der Kenntnisnahme des verpönten Verhaltens über den Kreis der Beteiligten hinaus gegeben sein müsse. Im Beschwerdefall sei davon auszugehen, daß die vom Gesetz geforderte Öffentlichkeit - insbesondere aufgrund der Anwesenheit der Sicherheitwacheorgane - gegeben gewesen sei. Daß die Gegenwart von Passanten nicht als zweifelsfrei habe erwiesen werden können, schade insofern nicht. Der Spruch des Straferkenntnisses sei deshalb zu berichtigen gewesen.
Auf das Vorbringen des Beschwerdeführers, er habe nicht uriniert, um den öffentlichen Anstand zu verletzen, sondern wegen eines entsprechenden Bedürfnisses, sei zu erwidern, daß dieser Umstand die Annahme eines Notstandes im Sinne des § 6 VStG nicht zurechtfertigen vermöge. Vielmehr wäre es dem Beschwerdeführer durchaus zumutbar gewesen, die Toiletteanlage in der Pizzeria, die er kurz zuvor verlassen habe, aufzusuchen und dort seine Notdurft zu verrichten.
Dem Einwand des Beschwerdeführers, dem Spruch des Straferkenntnisses fehle jede Absprache über die Schuld, sei entgegenzuhalten, daß es im Sinne des § 5 Abs. 1 VStG der Anführung subjektiver Tatbestandsmerkmale nur dort bedürfe, wo das Gesetz ausdrücklich nur die vorsätzliche Tatbegehung unter Strafe stelle. Dies werde jedoch von der zur Anwendung kommenden Bestimmung des Landes-Polizeistrafgesetzes nicht gefordert. Die Behörde sei daher berechtigt, Fahrlässigkeit des Täters anzunehmen, sofern er nicht glaubhaft mache, daß ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden treffe. Der Beschwerdeführer hätte also initiativ darlegen müssen, was für seine Entlastung spreche. Sein Vorbringen, daß er - wenn er den öffentlichen Anstand hätte verletzen wollen - gewartet hätte, bis sein Verhalten von anderen tatsächlich wahrgenommen worden wäre, reiche dazu allerdings nicht aus.
Zum Vorbringen des Beschwerdeführers, daß Tatzeit und Tatort nicht ausreichend konkretisiert seien, bemerkte die belangte Behörde, daß laut Anzeige die Tat um 22.50 Uhr bemerkt worden sei. Die im Straferkenntnis mit "22.55 Uhr" festgesetzte Tatzeit, sei daher auf "gegen 22.55 Uhr" abgeändert worden. Dem gesamten Akentinhalt sei zu entnehmen, daß im Beschwerdefall in zeitlicher Hinsicht ein von vornherein nicht exakt auf eine einzige Minute beschränktes Verhalten des Beschwerdeführers, sondern dessen, eine gewisse Zeitspanne dauerndes Verhalten zugrunde liege. Die Neufassung des Spruches stelle daher keine Auswechslung der Tat, sondern lediglich eine durch § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 24 VStG gedeckte Berichtigung dar. Dementsprechend liege auch in Ansehung der Tatzeit keine Verfolgungsverjährung vor.
Auch die Bezeichnung des Tatortes mit "E, Wertheimergasse - Ecke Esterhazystraße" stelle eine dem § 44a lit. a VStG entsprechende Umschreibung des Tatortes dar. Es dürfe als amtsbekannt vorausgesetzt werden, daß sich am gegenständlichen Tatort Schaufenster (und zwar vom Konsumentschutzverein) befänden. Eine Präzisierung bezüglich des in Frage kommenden Schaufensters sei nicht erforderlich, da das Fehlen einer detaillierten Angabe des Tatortes den Beschwerdeführer im Hinblick auf die gegenständlichen Begleitumstände weder in seinem Verteidigungsrecht einschränke noch ihn der Gefahr aussetze, wegen desselben Verhaltens nochmals zur Verantwortung gezogen zu werden.
Was die ungebührliche Erregung störenden Lärms anlange, so stehe aufgrund der unbedenklichen und glaubhaften Zeugenaussagen der die Amtshandlung durchführenden Sicherheitswachebeamten zweifelsfrei fest, daß der Beschwerdeführer die einschreitenden Organe angeschrieen habe. Auch die vom Beschwerdeführer namhaft gemachte Zeugin CN habe anläßlich ihrer niederschriftlichen Einvernahme wiederholt angegeben, daß der Beschwerdeführer geschrieen habe. Schreien mit Polizeibeamten verstoße nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gegen ein Verhalten, wie es im Zusammenleben mit anderen verlangt werden müsse. Der Auffassung des Beschwerdeführers, es habe der Lärmerregung schon deshalb an der Ungebührlichkeit gefehlt, weil er sich nur gegen die einschreitenden Beamten habe wehren und seine Frau rufen wollen, könne nicht gefolgt werden. Nach der Rechtsprechung könne z.B. die behauptete, angeblich durch eine Festnahme hervorgerufene Erregtheit des Beschuldigten sein Schreien während der Eskortierung zum Streifenwagen keineswegs rechtfertigen. Auch die Rechtswidrigkeit einer Amtshandlung gegenüber anderen Mitbürgern könne einer angelasteten Lärmerregung - selbst wenn die Behauptung zuträfe - die Ungebührlichkeit nicht nehmen. Da es gegenständlich unerheblich sei, ob die Festnahme gesetzwidrig erfolgt sei oder nicht, sei die Durchführung eines diesbezüglichen Beweisverfahrens entbehrlich. Dem Antrag des Beschwerdeführer auf Einvernahme von Zeugen habe deshalb nicht Folge gegeben werden können.
Was das Tatbestandsmerkmal des "Störenden" beträfe, so werde auf die übereinstimmenden Angaben der zeugenschaftlich einvernommenen Sicherheitswacheorgane verwiesen. Danach sei das Schreien des Beschwerdeführers aufgrund der Dauer, Heftigkeit und Lautstärke störend gewesen. Es werde auch betont, daß der Beschwerdeführer in voller Lautstärke geschrieen habe. Aus der Anzeige gehe auch eindeutig hervor, daß sich der Beschwerdeführer trotz Abmahnung nicht habe beruhigen lassen und sich in einem sehr erregten Zustand befunden habe. Daß der Lärm störend gewesen sei, ergebe sich im übrigen schon aus der Uhrzeit (22.55 Uhr). Auch sei von den einvernommenen Polizeibeamten sowie von der Zeugin CN bestätigt worden, daß zur Tatzeit am Tatort ein niedriger Lärmpegel geherrscht habe. Vom Gesetz sei nicht gefordert, daß durch die Erregung von Lärm Personen gestört würden. Zur Strafbarkeit genüge es, daß die Lärmerregung nach einem objektiven Maßstab geeignet erscheine, von nichtbeteiligten Personen als ungebührlich und störend empfunden zu werden.
Hinsichtlich der Berichtigung der Tatzeit sei auf die Ausführungen im Zusammenhang mit der Verletzung des öffentlichen Anstandes zu verweisen.
Bei der Strafbemessung sei die verwaltungsstrafrechtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers berücksichtigt worden. Dem Beschwerdeführer werde auch zugestanden, daß er sich in einer allgemein begreiflichen, heftigen Gemütsbewegung zur Tat habe hinreißen lassen. Er beziehe laut eigenen Angaben eine monatliche Sozialhilfe von S 3.300,--, habe kein Vermögen und keine Sorgepflichten. Die belangte Behörde sei daher der Ansicht, daß die herabgesetzten Strafen ausreichten, den Beschwerdeführer von einer neuerlichen Wiederholung der Tat abzuschrecken.
1.3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.
1.4. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsstrafakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 11 Abs. 1 VwGG gebildeten Strafsenat erwogen:
2.1. Die im Beschwerdefall relevanten Bestimmungen des Burgenländischen Landes-Polizeistrafgesetzes haben folgenden Inhalt:
"§ 1
Wahrung des öffentlichen Anstandes
Es ist verboten, den öffentlichen Anstand zu verletzen."
"§ 2
Schutz vor störendem Lärm...
(1) Es ist verboten, ungebührlicherweise störenden Lärm ... hervorzurufen.
(2) Unter störendem Lärm sind alle wegen ihrer Dauer,
Lautstärke oder Schallfrequenz ... für das menschliche
Empfinden unangenehm in Erscheinung tretenden Einwirkungen zu
verstehen.
(3) Störender Lärm ... (ist) dann als ungebührlichweise
hervorgerufen anzusehen, wenn das Tun oder Unterlassen, das zur
Lärmerregung ... führt, gegen ein Verhalten verstößt, wie es im
Zusammenleben mit anderen verlangt werden muß und jene
Rücksichtnahme vermissen läßt, die die Umwelt verlangen kann."
"§ 13
Strafbestimmungen
(1) Wenn hinsichtlich der §§ 1,2 ... die Tat nicht den
Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden
strafbaren Handlung bildet oder nach einer anderen
Verwaltungsbestimmung mit einer strengeren Strafe bedroht ist,
begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der
Bezirksbehörde, im Wirkungsbereich der Bundespolizeidirektion
Eisenstandt hinsichtlich der Verwaltungsübertretungen gemäß der
§§ 1,2 ... von dieser zu bestrafen, wer
1. entgegen § 1 den öffentlichen Anstand verletzt;
2. entgegen § 2 ungebührlich störenden Lärm ... hervorruft...
(2) Die Strafe ist für Verwaltungsübertretungen
1. nach Abs. 1 Z. 1, 2, ... Geldstrafe bis zu S 5.000,--;
im Falle der Uneinbringlichkeit Freiheitsstrafe bis zu vier Wochen, bei Wiederholung Geldstrafe bis S 200.000,--. Im Falle der Uneinbringlichkeit Freiheitsstrafe bis zu acht Wochen."
2.2.1. Im Zusammenhang mit dem Vorwurf der Verletzung des öffentlichen Anstandes erachtet der Beschwerdeführer zunächst die "Öffentlichkeit" als nicht gegeben. Mit dem angefochtenen Bescheid werde ihm vorgeworfen, den öffentlichen Anstand in Gegenwart von Sicherheitswachebeamten verletzt zu haben. Diese seien Organe, die unter anderem die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen sichern sollten. Ihnen komme daher die Funktion des Beobachters und Verfolgers zu, somit eine besondere Organstellung. Sie seien als Beteiligte des inkriminierten Vorganges anzusehen. Dem angefochtenen Bescheid fehle ferner ein Ausspruch über die Schuldform der Begehung.
2.2.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshof wird der Tatbestand der Verletzung des öffentlichen Anstandes durch ein Verhalten erfüllt, das mit den allgemeinen Grundsätzen der Schicklichkeit nicht im Einklang steht und das einen groben Verstoß gegen diejenigen Pflichten darstellt, die jedermann in der Öffentlichkeit zu beachten hat. Bei der Beurteilung der Verletzung jener Formen des äußeren Verhaltens, die nach Auffassung gesitteter Menschen der Würde des Menschen als sittlicher Person bei jedem Heraustreten aus dem Privatleben in die Öffentlichkeit entsprechen, ist ein objektiver Maßstab anzulegen. Zum Tatbild der Anstandsverletzung gehört nicht, daß das Delikt an einem öffentlichen Ort begangen wird, jedoch muß die konkrete Möglichkeit der Kenntnisnahme über den Kreis der Beteiligten hinaus gegeben sein. Zeugen einer öffentlichen Anstandsverletzung sind dabei keineswegs als "Beteiligte" an derselben anzusehen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 18. Juni 1984, Zl. 84/10/0023, VwSlg. 11.472/A). Das Verrichten der kleinen Notdurft ist geeignet, den Tatbestand der Anstandsverletzung im Sinne des § 1 PolStG zu erfüllen (vgl. das zum O.ö. Polizeistrafgesetz ergangene Erkenntnis vom 22. März 1991, Zl. 89/10/0207).
Der Beschwerdeführer stellt nicht in Abrede, daß die eingeschrittenen Sicherheitswachebeamten das ihm vorgeworfene Verhalten wahrgenommen haben. Daraus kann jedoch nicht der Schluß gezogen werden, daß sie an der anstandsverletzenden Handlung des Beschwerdeführers "beteiligt" waren. Die Sicherheitswachebeamten sind daher als Zeugen der Tathandlung anzusehen, wobei dieser Qualifikation ihre amtliche Stellung keinen Abbruch zu leisten vermag (vgl. das Erkenntnis vom 29. Juni 1987, Zl. 85/10/0084). Die gegenständliche Anstandsverletzung ist daher als "öffentlich" begangen anzusehen.
Neben der Anführung des objektiven Tatbestandes bedarf es der Nennung subjektiver Tatbestandsmerkmale (der Schuldform) im Spruch in der Regel nur dort, wo der betreffende Tatbestand ein spezifisches Verschulden erfordert (vgl. z.B. Hauer-Leukauf, Handbuch des Österreichischen Verwaltungsverfahrens,
4. Auflage, E. 130a zu § 44a lit. a VStG). Da § 1 PolStG dies nicht verlangt, erübrigte sich im Beschwerdefall ein Ausspruch über die Schuldform.
2.3.1. Im Zusammenhang mit dem Vorwurf der Lärmerregung bringt der Beschwerdeführer im wesentlichen vor, die belangte Behörde habe nicht festgestellt, wer den "störenden" Lärm wahrgenommen habe bzw. ob dieser überhaupt wahrgenommen worden sei. Da der störende Lärm in der Beschimpfung der Polizeibeamten bestanden habe, seien diese wohl als "Beteiligte" anzusehen. Zur Bestätigung seines Vorbringens, daß der Vorfall von dritten Personen nicht wahrgenommen worden sei, habe der Beschwerdeführer die Einvernahme von Zeugen beantragt. Die Verweigerung der Einvernahme durch die belangte Behörde stelle eine Verletzung von Verfahrensvorschriften dar.
2.3.2. Der Beschwerdeführer stellt nicht in Abrede, "ungebührlicherweise" Lärm hervorgerufen zu haben. Da nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes lautes Schreien mit einem Polizeibeamten gegen ein Verhalten verstößt, wie es im Zusammenleben mit anderen verlangt werden kann (vgl. etwa das Erkenntnis vom 12. Oktober 1987, Zl. 87/10/0116), ist dieser Umstand im Beschwerdefall auch zweifellos gegeben. Daß auch störender Lärm vorlag, konnte die Behörde aufgrund der übereinstimmenden Angaben der eingeschrittenen Polizeibeamten als erwiesen annehmen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, von der abzugehen der vorliegende Beschwerdefall keinen Anlaß bietet, braucht die Befähigung von Polizeibeamten, die objektive Zumutbarkeit der Lärmerregung für die Nachbarschaft zu qualifizieren, nicht bezweifelt werden (vgl. etwa das Erkenntnis vom 30. Juni 1986, Zl. 83/10/0311, mit weiteren Judikaturhinweisen). Da der Beschwerdeführer nach den Angaben der Polizeibeamten "in voller Lautstärke geschrieen" habe, kann auch im Hinblick auf die Tatzeit (22.55 Uhr) kein Zweifel daran bestehen, daß die Lärmerregung des Beschwerdeführers "störend" im Sinne des § 2 Abs. 2 PolStG war. Die Vernehmung von weiteren Zeugen war daher entbehrlich, weshalb die vom Beschwerdeführer behauptete Verletzung von Verfahrenvorschriften nicht vorliegt.
2.4. Was die Umschreibung von Tatort und Tatzeit anlangt, so hat der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem - ebenfalls den Beschwerdeführer betreffenden - Erkenntnis vom 26. Februar 1990, Zl. 89/10/0215, unter Hinweis auf die Vorjudikatur ausführlich dargelegt, daß die Tatzeitangabe "gegen 22.55 Uhr" und die Umschreibung des Tatortes mit "Eisenstadt, Wertheimergasse - Ecke Esterhazystraße" dem Konkretisierungsgebot des § 44a lit. a VStG entspricht.
2.5.1. Der Beschwerdeführer bringt weiters vor, die belangte Behörde habe - entgegen § 19a VStG - die erlittene verwaltungsbehördliche Vorhaft nicht angerechnet. Diese Haft habe vom 22. Dezember 1988, 23.05 Uhr, bis 23. Dezember 1988,
11.45 Uhr, somit fast 13 Stunden, gedauert. Im Verfahren vor der belangten Behörde habe er mit Schriftsatz vom 28. Juli 1989 ausdrücklich darauf hingewiesen, ohne daß die belangte Behörde darauf eingegangen wäre.
2.5.2. § 19a VStG in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 117/1978 bestimmt:
"§ 19a. (1) Die verwaltungsbehördliche und eine allfällige gerichtliche Verwahrungs- oder Untersuchungshaft sind auf die zu verhängende Strafe insoweit, als sie nicht bereits auf eine andere Strafe angerechnet worden sind, anzurechnen, wenn sie der Täter
1.
wegen der Tat, für die er bestraft wird, oder
2.
sonst nach der Begehung dieser Tat wegen des Verdachtes einer Verwaltungsübertretung
erlitten hat.
(2) Werden Strafen verschiedener Art verhängt, so ist die Vorhaft zunächst auf die Freiheitsstrafe anzurechnen.
(3) Für die Anrechnung der Vorhaft auf in Geld bemessene Unrechtsfolgen ist die an deren Stelle tretende Ersatzfreiheitsstrafe maßgebend.
(4) Eine Anrechnung gemäß Abs. 1 ist nur vorzunehmen, wenn der Behörde die anzurechnende Haft bekannt ist oder der Beschuldigte eine Anrechnung vor Erlassung des Straferkenntnisses beantragt."
2.5.3. Nach Lage der Verwaltungsakten wurde der Beschwerdeführer gemäß § 35 lit. c VStG festgenommen, weil er trotz Abmahnung weiter ungebührlicherweise störenden Lärm hervorrief (vgl. die Anzeige vom 23. Dezember 1988). Dieser Befund wird auch durch die übereinstimmenden Aussagen der im Verfahren vor der belangten Behörde vernommenen Sicherheitswachebeamten bestätigt (vgl. die im Verwaltungsstrafakt unter der ONr. 30 ff erliegenden Aussagen vom 30. März 1989). In der Anzeige vom 23. Dezember 1988 findet sich allerdings auch der Hinweis, daß gegenüber dem Beschwerdeführer, der seiner Festnahme gewaltsamen Widerstand entgegensetzte, eine Festnahme gemäß § 177 Abs. 1 in Verbindung mit § 175 Abs. 1 StPO ausgesprochen worden ist.
Die belangte Behörde vertritt nunmehr in ihrer Gegenschrift - zutreffend - die Auffassung, daß zwischen der verwaltungsbehördlich geahndeten Tat und der Verpflichtung zur Anrechnung der Zeit einer Vorhaft hinsichtlich des Grundes der Verhaftung "ein gewisser Zusammenhang" bestehen müsse. Die belangte Behörde ist jedoch auch der Ansicht, sie habe die Vorhaft im Rahmen der von ihr zu beurteilenden Verwaltungsübertretung nicht zu berücksichtigen, weil der Beschwerdeführer wegen des Widerstandes gegen die Staatsgewalt und seines renitenten Verhaltens festgenommen worden sei.
Dabei kann ihr jedoch nicht gefolgt werden: Da im Beschwerdefall jedenfalls eine Festnahme nach § 35 lit. c VStG im Zusammenhang mit der Lärmerregung des Beschwerdeführers ausgesprochen worden ist, wäre die belangte Behörde, der diese Haft zweifellos bekannt war, verpflichtet gewesen, diese Haft im Rahmen des Strafausspruches zu Punkt 2) des angefochtenen Bescheides (Lärmerregung) zu berücksichtigen. Daß eine Anrechnung bereits im Verfahren vor den ordentlichen Gerichten erfolgt sei, was einer Berücksichtigung nach § 19a VStG entgegenstünde, wird von der belangten Behörde nicht behauptet.
2.6. Da die belangte Behörde die verwaltungsbehördliche Vorhaft des Beschwerdeführers beim Strafausspruch zu Punkt 2) des angefochtenen Bescheides nicht berücksichtigt hat, belastete sie insofern ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes; dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Im übrigen (Verletzung des öffentlichen Anstandes) war die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
2.7. Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Da die Beschwerde nur in zweifacher Ausfertigung vorzulegen war, war dafür nur ein Stempelgebührenersatz in der Höhe von S 240,-- zuzusprechen. Neben dem pauschalierten Schriftsatzaufwand konnte ein Anspruch auf Ersatz der Umsatzsteuer nicht zuerkannt werden.
Schlagworte
Beteiligter"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatbild Beschreibung (siehe auch Umfang der Konkretisierung)Beweismittel Zeugenbeweis Zeugenaussagen von AmtspersonenStrafnorm Mängel im Spruch ErsatzfreiheitsstrafeMängel im Spruch Fehlen von wesentlichen TatbestandsmerkmalenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1990100039.X00Im RIS seit
03.04.2001Zuletzt aktualisiert am
30.04.2009