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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §71 Abs1 lita;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Zeizinger und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über den Antrag der L Gesellschaft m.b.H. in W, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in W, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 28. November 1990, Zl. 61.021/128-3/90, betreffend Einrichtung einer betriebsärztlichen Betreuung, den Beschluß gefaßt:
Spruch
Dem Antrag wird stattgegeben.
Begründung
I.
Mit hg. Verfügung vom 23. Jänner 1992, Zl. 92/18/0020-2, war der Antragstellerin die gegen den obzitierten Bescheid eingebrachte - zunächst an den Verfassungsgerichtshof gerichtete und von diesem dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetretene - Beschwerde gemäß § 34 Abs. 2 VwGG zur Behebung einer Reihe von Mängeln zurückgestellt worden. Mit hg. Beschluß vom 9. März 1992, Zl. 92/18/0020-4, wurde das Verfahren über die genannte Beschwerde infolge nur teilweiser Erfüllung des Verbesserungsauftrages gemäß § 33 Abs. 1 in Verbindung mit § 34 Abs. 2 VwGG eingestellt. Der Einstellungsbeschluß wurde der Antragstellerin am 2. April 1992 zugestellt.
Mit am 15. April 1992 unmittelbar beim Verwaltungsgerichtshof eingebrachter Eingabe vom 14. April 1992 begehrte die Antragstellerin - unter gleichzeitiger Nachholung der versäumten Prozeßhandlung - die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist, in eventu die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 45 Abs. 1 Z. 2 VwGG.
II.
Wenn eine Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, so ist gemäß § 46 Abs. 1 VwGG dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich dabei nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Das Versehen eines Kanzleiangestellten eines bevollmächtigten Rechtsanwaltes stellt dann ein Ereignis gemäß § 46 Abs. 1 VwGG dar, wenn der Anwalt der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht jenem Bediensteten gegenüber nachgekommen ist, wobei hinzuzufügen ist, daß mechanische Vorgänge, wie etwa das Kuvertieren oder die Postaufgabe, in einen Bereich fällt, der grundsätzlich der alleinigen Erledigung der Kanzlei überlassen werden kann (vgl. dazu PICHLER, Zur Wiedereinsetzungspraxis des Verwaltungsgerichtshofes, Anw. 1990, 180, mit Judikaturnachweisen).
Im vorliegenden Fall geht der Verwaltungsgerichtshof davon aus, daß es zur Fristversäumung auf die Weise gekommen ist, wie sie im Wiedereinsetzungsantrag und den diesem beigeschlossenen eidesstättigen Erklärungen des Rechtsvertreters der Antragstellerin und der Kanzleileiterin beschrieben worden ist. Demnach habe letztere den vom Rechtsanwalt bereits unterfertigten Ergänzungsschriftsatz und die diesem angeschlossen gewesenen, vom Anwalt auf ihre Vollständigkeit geprüften Beilagen, darunter auch die Beschwerde, insofern nicht dem Auftrag des Rechtsanwaltes entsprechend kuvertiert, als sie die Beilagen im Gegensatz zum Schriftsatz selbst versehentlich nur in einfacher, statt in dreifacher Ausfertigung in den Briefumschlag gegeben habe.
Der der - geeigneten und verläßlichen - Kanzleikraft im Zuge der Kuvertierung, und somit bei einem Vorgang, der keine besondere Überwachung durch den Anwalt erfordert, unterlaufene Fehler begründet weder alleiniges noch geteiltes Verschulden des Rechtsanwaltes und damit der Partei selbst.
Da sohin die Fristversäumung auf ein für die Antragstellerin unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis, an dessen Eintritt sie kein Verschulden trifft, zurückzuführen ist, war dem rechtzeitig gestellten Wiedereinsetzungsantrag (vgl. § 46 Abs. 3 VwGG) im Grunde des § 46 Abs. 1 VwGG stattzugeben.
Im Hinblick auf die Regelung des § 46 Abs. 5 VwGG und die gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag nachgeholte versäumte Handlung (Wiedervorlage der Beschwerde in dreifacher Ausfertigung) wird nunmehr die Beschwerde als rechtzeitig eingebracht zu behandeln sein; eine das Beschwerdeverfahren selbst betreffende Verfügung wird gesondert ergehen.
Aufgrund der positiven Erledigung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war auf den in eventu gestellten Wiederaufnahmeantrag nicht mehr einzugehen.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1992180140.X00Im RIS seit
11.05.1992Zuletzt aktualisiert am
28.08.2009