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50/01 Gewerbeordnung;Norm
ArbVG §8;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Händschke als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde der X Gesellschaft m.b.H. in W, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in K, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 18. Dezember 1990, Zl. Vd - 3643/10, betreffend Beitragsnachverrechnung und Verhängung eines Beitragszuschlages (mitbeteiligte Partei: Tiroler Gebietskrankenkasse in Innsbruck, Klara-Pölt-Weg 2), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem - einem Einspruch der Beschwerdeführerin teilweise stattgebenden - angefochtenen Bescheid verpflichtete die belangte Behörde die Beschwerdeführerin zur Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen von S 249.339,19 und eines Beitragszuschlages von S 72.552,01. Diesem Bescheid liegt u.a. folgender, für das Beschwerdeverfahren noch wesentliche Sachverhalt zugrunde:
Die Beschwerdeführerin ist Betreiberin einer privaten Krankenanstalt und einer damit in Verbindung stehenden Schule, in welcher sie Heilmasseure beschäftigt bzw. ausbildet. Darüberhinaus besitzt sie einen Gewerbeschein, aufgrund dessen sie Mitglied der Bundesinnung der Fußpfleger, Kosmetiker und Masseure der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft, Sektion Gewerbe, ist. Zwischen dieser Bundesinnung einerseits und dem Österreichischen Gewerkschaftsbund, Gewerkschaft Hotel, Gastgewerbe, Persönlicher Dienst andererseits, wurden ein Mantelkollektivvertrag sowie dazugehörige "Lohnverträge" abgeschlossen, die in den strittigen Beitragszeiträumen in Geltung standen. Diese gelten gemäß ihrem § 2 fachlich für alle "Mitgliedsbetriebe der dem Vertrag unterliegenden Landesinnungen" und persönlich für alle in diesen Betrieben beschäftigten Arbeitnehmer, einschließlich der Lehrlinge mit Ausnahme der Angestellten im Sinne des Angestelltengesetzes und der kaufmännischen Lehrlinge, und enthalten im § 3 unter anderem kollektivvertragliche Mindestlöhne für Fußpfleger, Kosmetiker und Masseure.
Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse hat ihrer Beitragsnachverrechnung diesen Kollektivvetrag zugrundegelegt und auf die bei der Beschwerdeführerin beschäftigten Heilmasseure angewendet. Die Beschwerdeführerin wendete dagegen ein, daß sie nur eine private Krankenanstalt betreibe, hingegen einen Betrieb oder einen Betriebszweig im Sinne des Gewerbescheines nicht unterhalte. Das Gewerbe sei allerdings nicht ruhend gemeldet.
Die belangte Behörde führt dazu im angefochtenen Bescheid folgendes aus:
"Aufgrund der unstrittigen Zugehörigkeit der Einspruchswerberin zur Landesinnung Tirol für Masseure sowie im Hinblick auf den in § 1 und § 2 des Kollektivvertrages für das Fußpfleger-, Kosmetiker- und Masseurgewerbe definierten persönlichen, räumlichen und fachlichen Geltungsbereich muß davon ausgegangen werden, daß dieser Kollektivvertrag für alle in ihrem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer, einschließlich der Lehrlinge, mit Ausnahme der Angestellten im Sinne des Angestelltengesetzes und der kaufmännischen Lehrlinge, anzuwenden ist. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß es sich um Heilmasseure zur Behandlung vorwiegend Kranker handelt. Die Einspruchswerberin ist aufgrund ihrer Gewerbeberechtigung Angehörige der Landesinnung der Masseure. Als solche ist sie Kollektivvertragspartner des von der Tiroler Gebietskrankenkasse angewendeten Kollektivvertrages. Da der Kollektivvertrag nach seinem § 2 persönlich für alle in diesen Betrieben beschäftigten Arbeitnehmer und Lehrlinge gilt und die Heilmasseure zweifellos nicht unter die einzige Ausnahme "Angestellte im Sinne des Angestelltengesetzes und kaufmännische Lehrlinge" fallen, ist auch auf sie der Kollektivvertrag für das Fußpfleger-, Kosmetiker- und Masseurgewerbe anzuwenden, auch wenn sonst für Heilmasseure kein eigener Kollektivvertrag besteht, wie die Einspruchswerberin zutreffend ausführt. Auch die sonst richtige Auskunft der Kammer der gewerblichen Wirtschaft, wonach zwischen dem Fachverband der Heil- und Kuranstalten und der Gewerkschaft kein Kollektivvertrag abgeschlossen wurde, erlaubt keine andere Betrachtungsweise. Dem dagegen erhobenen Einspruch konnte daher kein Erfolg beschieden sein."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 44 Abs. 1 erster Satz ASVG ist Grundlage für die Bemessung der allgemeinen Beiträge (allgemeine Beitragsgrundlage) für Pflichtversicherte, sofern im folgenden nichts anderes bestimmt wird, der im Beitragszeitraum gebührende, auf volle Schilling gerundete Arbeitsverdienst mit Ausnahme allfälliger Sonderzahlungen nach § 49 Abs. 2. Als Arbeitsverdienst in diesem Sinn gilt nach § 44 Abs. 1 Z. 1 ASVG bei den pflichtversicherten Dienstnehmern und Lehrlingen das Entgelt im Sinne des § 49 Abs. 1, 3, 4 und 6. Gemäß § 49 Abs. 1 ASVG (eine Anwendung der übrigen Bestimmungen scheidet im Beschwerdefall aus) sind unter Entgelte Geld- und Sachbezüge zu verstehen, auf die der pflichtversicherte Dienstnehmer (Lehrling) aus dem Dienst(Lehr)verhältnis Anspruch hat oder die er darüber hinaus aufgrund des Dienst(Lehr)verhältnisses vom Dienstgeber oder von einem Dritten erhält.
Für die Bemessung der Beiträge ist demnach nicht lediglich das tatsächlich gezahlte Entgelt (Geld- und Sachbezüge) maßgebend, sondern, wenn es das tatsächlich gezahlte Entgelt übersteigt, jenes Entgelt, auf dessen Bezahlung bei Fälligkeit des Beitrages ein Rechtsanspruch bestand. Ob aber ein Anspruch auf einen Geld- oder Sachbezug besteht, ist nach zivilrechtlichen (arbeitsrechtlichen) Grundsätzen zu beurteilen. Danach bleibt aber die Regelung der Frage, ob ein Arbeitnehmer überhaupt einen solchen Anspruch hat, unter welchen Bedingungen und Voraussetzungen und in welchem Umfang er besteht und wann er fällig ist, sofern nicht eine gesetzliche Grundlage besteht, einer Vereinbarung (Einzel- oder Kollektivvertrag), mangels einer solchen dem Ortsgebrauch überlassen (vgl. vor allem das ausführlich begründete Erkenntnis vom 26. Jänner 1984, Zl. 81/08/0211).
Zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist unbestritten, daß Grundlage der Beitragsnachverrechnung des angefochtenen Bescheides der Kollektivvertrag für das Fußpfleger-, Kosmetiker- und Masseurgewerbe ist. Die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides hängt somit von der Frage ab, ob dieser Kollektivvertrag auf die im Betrieb der Beschwerdeführerin bestehenden Beschäftigungsverhältnisse tatsächlich anzuwenden ist: Während die belangte Behörde dafür das Bestehen einer Gewerbeberechtigung bei der Beschwerdeführerin für ausreichend hält, vertritt die Beschwerdeführerin sinngemäß die Auffassung, daß für die Anwendung des Kollektivvertrages die Ausübung einer entsprechenden gewerblichen Tätigkeit Voraussetzung sei, welche sie (die nur eine private Krankenanstalt und eine Schule zur Ausbildung von Heilmasseuren betreibe) nicht entfalte.
Die für die Beurteilung der Kollektivvertragsangehörigkeit maßgebenden Gesetzesbestimmungen der §§ 8 bis 10 des Arbeitsverfassungsgesetzes lauten:
"Kollektivvertragsangehörigkeit
§ 8. Kollektivvertragsangehörig sind, sofern der Kollektivvertrag nicht anderes bestimmt, innerhalb seines räumlichen, fachlichen und persönlichen Geltungsbereiches
1. die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer, die zur Zeit des Abschlusses des Kollektivvertrages Mitglieder der am Kollektivvertrag beteiligten Parteien waren oder später werden;
2. die Arbeitgeber, auf die der Betrieb eines der in Z. 1 bezeichneten Arbeitgeber übergeht.
Fachlicher Geltungsbereich
§ 9. (1) Verfügt ein mehrfach kollektivvertragsangehöriger Arbeitgeber über zwei oder mehrere Betriebe, so findet auf die Arbeitnehmer der jeweilige dem Betrieb in fachlicher und örtlicher Beziehung entsprechende Kollektivvertrag Anwendung.
(2) Die Regelung des Abs. 1 findet sinngemäß Anwendung, wenn es sich um Haupt- und Nebenbetriebe oder um organisatorisch und fachlich abgegrenzte Betriebsabteilungen handelt.
(3) Liegt eine organisatorische Trennung in Haupt- und Nebenbetriebe oder eine organisatorische Abgrenzung in Betriebsabteilungen nicht vor, so findet jener Kollektivvertrag Anwendung, welcher für den fachlichen Wirtschaftsbereich gilt, der für den Betrieb die maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung hat; durch Betriebsvereinbarung kann festgestellt werden, welcher fachliche Wirtschaftsbereich für den Betrieb die maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung hat.
(4) Liegt weder eine organisatorische Trennung, eine organisatorische Abgrenzung noch die maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung eines fachlichen Wirtschaftsbereiches im Sinne des Abs. 3 vor, so findet der Kollektivvertrag jenes fachlichen Wirtschaftsbereiches Anwendung, dessen Geltungsbereich unbeschadet der Verhältnisse im Betrieb die größere Anzahl von Arbeitnehmern erfaßt.
Persönlicher Geltungsbereich
§ 10. (1) Wird ein Arbeitnehmer in zwei oder mehreren Betrieben eines Arbeitgebers oder in organisatorisch abgegrenzten Betriebsabteilungen beschäftigt, für die verschiedene Kollektivverträge gelten, so findet auf ihn jener Kollektivvertrag Anwendung, der seiner überwiegend ausgeübten Beschäftigung entspricht.
(2) Liegt eine überwiegende Beschäftigung im Sinne des Abs. 1 nicht vor, so findet jener Kollektivvertrag Anwendung, dessen Geltungsbereich unbeschadet der Verhältnisse im Betrieb die größere Zahl von Arbeitnehmern des fachlichen Wirtschaftsbereichs erfaßt."
Schon aus der Bestimmung des § 8 in Verbindung mit § 9 Abs. 1 ArbVG ergibt sich somit, daß die Kollektivvertragsangehörigkeit der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer nicht nur von ihrer Mitgliedschaft der am Kollektivvertrag beteiligten Parteien abhängt, sondern auch davon, ob der Arbeitgeber dem fachlichen Geltungsbereich unterliegt. Dies ist nach dem insoweit zweifelsfreien Wortlaut des § 9 ArbVG nur dann der Fall, wenn er einen dem fachlichen Geltungsbereich des Kollektivvertrages entsprechenden BETRIEB unterhält bzw. (zumindest) Betriebstätigkeiten in diese Richtung entfaltet. Dies ergibt sich aber auch aus der Bestimmung des § 2 Abs. 11 Satz 2 GewO 1973 idF der Novelle BGBl. Nr. 399/1988, worin hinsichtlich der Anwendung von Normen der kollektiven Rechtsgestaltung jenen Arbeitgebern, welche ihre TÄTIGKEIT aufgrund von Gewerbeberechtigungen (Konzessionen) ausüben, jene Arbeitgeber, welche eine solche Tätigkeit ohne die erforderliche Gewerbeberechtigung entfalten, gleichgestellt werden (zum Verhältnis einer - u.U. - Mehrfachmitgliedschaft des Arbeitgebers zur Handelskammerorganisation zur - von der tatsächlichen Ausübung der Gewerbeberechtigung abhängigen - Kollektivvertragsunterworfenheit in fachlicher Hinsicht, vgl. auch STRASSER, Arbeitsrecht II3, 132 f sowie OGH vom 28. Juni 1977, 4 0b 74/77, DRdA 1979, 41 ff mit zust. Anm. GRILLBERGERS = ZAS 1979, Nr. 1 mit z.T. krit. Anm. HANREICHS, der die hier maßgebende Frage jedoch nicht berührt).
Schon deshalb erweist sich die - eingangs wiedergegebene - Auffassung der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid, wonach die Zugehörigkeit der Beschwerdeführerin zur Landesinnung allein die Anwendbarkeit des Kollektivvertrages begründe, als rechtswidrig.
Da die belangte Behörde - ausgehend von ihrer vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilten Rechtsauffassung - das Vorliegen eines Betriebes, in dem eine Tätigkeit im Sinne des fachlichen Geltungsbereiches des Kollektivvertrages entfaltet wird, nicht geprüft hat, ist der angefochtene Bescheid schon deshalb mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet und gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die belangte Behörde wird im fortgesetzten Verfahren zu prüfen haben, ob die Beschwerdeführerin im Rahmen ihres Gewerbescheines Betriebstätigkeiten im Sinne der Gewerbeordnung entfaltet. Sollte die Beschwerdeführerin in ihrem Betrieb (Betrieben, Betriebsabteilungen) hingegen nur Betriebstätigkeiten entfalten, die von der Gewerbeordnung nicht erfaßt sind, so wäre der entsprechende Kollektivvertrag - ungeachtet des Umstandes, daß die Gewerbeberechtigung der Beschwerdeführerin nicht ruhend gemeldet ist - insoweit nicht anzuwenden. Sollte die Beschwerdeführerin hingegen sowohl Betriebstätigkeiten im Sinne des Gewerbescheines als auch andere entfalten, dann käme es im Sinne der §§ 9 und 10 ArbVG ferner darauf an, ob hinsichtlich der erstgenannten Tätigkeiten jeweils ein eigener Betrieb oder zumindest organisatorisch und fachlich abgegrenzte Betriebsabteilungen vorliegen, innerhalb derer für die dort bestehenden Dienstverhältnisse dieser Kollektivvertrag anzuwenden wäre. Soweit eine Tätigkeit im Sinne der Gewerbeordnung im Betrieb der Beschwerdeführerin zwar entfaltet würde, jedoch eine organisatorische Trennung zumindest in Betriebsabteilungen nicht vorläge, so wären die Kollisionsregeln des § 9 Abs. 3 und 4 ArbVG (die ihrem Wortlaut nach für das Zusammentreffen von mehreren Kollektivverträgen in einem Betrieb gelten) sinngemäß auch auf den Fall anzuwenden, daß Dienstverhältnisse, die einem Kollektivvertrag unterliegen, neben anderen Dienstverhältnissen, bei denen dies nicht der Fall ist, bestehen (vgl. in diesem Sinne auch die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 30. August 1989, 9 Ob A 201 - 203/89, RdW 1990, 24).
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Im Hinblick auf die gemäß § 110 ASVG auch im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren bestehende sachliche Gebührenbefreiung konnten die von der Beschwerdeführerin verzeichneten Stempelgebühren nicht zugesprochen werden.
Schlagworte
Entgelt Begriff Anspruchslohn KollektivvertragEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1992080002.X00Im RIS seit
18.06.2001