Index
19 Völkerrechtliche VerträgeNorm
B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelbLeitsatz
Verletzung des Art3 MRK durch einen gegen das WaffengebrauchsG verstoßenden, auf Befehl eines Beamten gegen die Beschwerdeführerin gerichteten Angriff eines Diensthundes und das Versetzen eines Schlages auf den HinterkopfSpruch
Die Beschwerdeführerin ist durch den am 26. September 1987 in Voitsdorf (Oberösterreich) von einem Organ der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf an der Krems veranlaßten Einsatz eines Diensthundes gegen ihre Person und dadurch, daß ihr dieses behördliche Organ zur genannten Zeit am genannten Ort einen Schlag auf den Hinterkopf versetzte, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterzogen zu werden, verletzt worden.
Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zu Handen ihres Vertreters die mit S 51.000,-- bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. In der auf Art144 Abs1 B-VG gestützten Beschwerde wird im wesentlichen vorgebracht, am 26. September 1987 habe an der Baustelle der Pyhrn Autobahn in Voitsdorf bei Kirchdorf an der Krems (Oberösterreich) eine Protestveranstaltung gegen den Bau dieser Autobahn stattgefunden, an welcher auch die Beschwerdeführerin teilgenommen habe. Die Baustelle sei durch einen Bauzaun hermetisch abgeriegelt gewesen.
Nachdem die Beschwerdeführerin den Bauzaun überklettert habe, sei sie über die dort befindliche Trasse und sodann über eine ca. 8 Meter lange Böschung zur nächsten Trasse in Richtung Bauplatz gelaufen. Im Laufen habe sie hinter ihr einen Hund ohne Beißkorb und hinter diesem einen Gendarmeriebeamten bemerkt, der dem Hund "Faß, faß!" zugerufen habe. Die Beschwerdeführerin sei noch ein kleines Stück weitergelaufen und habe sich dann auf den Boden gesetzt, als sie habe erkennen müssen, daß sie der Hund jedenfalls einholen würde, bevor sie die Baufahrzeuge erreicht hätte. Sie hätte vor dem Hund Angst gehabt und gedacht, daß der Hund sie nicht anspringen bzw. der Gendarmeriebeamte den Hund nicht weiter auf sie hetzen würde, wenn sie stehenbleibe und sich niedersetze.
Der Gendarmeriebeamte habe jedoch weiter "Faß!" gerufen und sie sei - obwohl schon auf dem Boden sitzend - vom Hund angesprungen worden. Der Hund habe mit seiner Schnauze gegen die rechte Seite des Kopfes der Beschwerdeführerin gestoßen, wodurch sie Prellungen im rechten Backenknochenbereich erlitten habe. Die Zähne des Hundes hätten die Beschwerdeführerin am rechten Gehörgang verletzt, sodaß sie stark geblutet habe. Kurz darauf sei auch der Gendarmeriebeamte bei ihr eingelangt und habe ihr mit einem harten Gegenstand - vermutlich mit dem Karabiner der Hundeleine - auf den Kopf geschlagen. Durch diesen Schlag habe die Beschwerdeführerin eine Schädelprellung und eine Rißquetschwunde erlitten, welche mit 5 Nähten habe versorgt werden müssen. Da der Verdacht auf einen Schädelbasisbruch bestanden habe, sei die Beschwerdeführerin 2 Tage in stationärer Behandlung im Landeskrankenhaus Kirchdorf an der Krems gelegen.
Es sei davon auszugehen - heißt es in der Beschwerde -, daß die Beschwerdeführerin durch das Überklettern des Bauzaunes und das Betreten der Baustelle gegen eine - näher bezeichnete - Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf an der Krems verstoßen und der Gendarmeriebeamte daher vertretbarer Weise habe annehmen können, daß die Beschwerdeführerin eine Verwaltungsübertretung begangen habe. Das Verharren in einer strafbaren Handlung oder der Versuch, sich einer Festnahme durch Davonlaufen zu entziehen, stelle jedoch mit Sicherheit keine Form eines aktiven gewalttätigen Widerstandes dar. Die gesetzlichen Voraussetzungen für den scharfen Einsatz eines Diensthundes nach §10 des Waffengebrauchsgesetzes seien somit nicht vorgelegen. Der scharfe Einsatz eines Diensthundes im Sinne dieser Gesetzesbestimmung sei aber gegeben gewesen, weil der Hundeführer dem Hund mehrmals den Befehl "Faß!" zugerufen habe.
Der Einsatz des Hundes sei jedoch nicht nur rechtswidrig gewesen, sondern habe die Beschwerdeführerin in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterzogen zu werden, verletzt. An der Protestkundgebung am 26. September 1987 - es sei dies keineswegs die erste derartige Veranstaltung gewesen - hätten nicht viele Demonstranten teilgenommen, denen aber viele Beamte gegenübergestanden seien. Erst nach der Beschwerdeführerin seien ca. 15 bis 20 weitere Personen über den Bauzaun geklettert und hätten die Baustelle betreten. Unter diesen Umständen seien die gesetzlichen Voraussetzungen für den scharfen Einsatz eines Diensthundes im Hinblick auf §4 Waffengebrauchsgesetz überhaupt nicht gegeben gewesen, die Behörde hätte vielmehr von gelinderen Mitteln Gebrauch machen müssen. Das Mißverhältnis zwischen der Tat der Beschwerdeführerin und dem scharfen Einsatz eines Diensthundes sei derartig kraß, daß er als unmenschlich zu bezeichnen sei.
Die Beschwerdeführerin beantragt, der Verfassungsgerichtshof wolle feststellen, sie sei am 26. September 1987 in Voitsdorf dadurch, daß ein Beamter der belangten Behörde den scharfen Einsatz eines Diensthundes gegen sie vorgenommen und ihr mit einem harten Gegenstand auf den Hinterkopf geschlagen habe, in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Handlung unterzogen zu werden, verletzt worden. Für den Fall der Abweisung der Beschwerde wird die Abtretung an den Verwaltungsgerichtshof beantragt.
2. Die belangte Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf an der Krems hat in einer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt und im wesentlichen folgendes ausgeführt:
Der Gendarmeriebeamte Rev.Insp. H L sei im Jahre 1987 bereits wiederholt mit seinem Diensthund "Eiko vom Schloß Schwendt" als Diensthundeführer zur Absicherung der Autobahnbaustelle Voitsdorf zugeteilt gewesen. Dies sei auch am 26. September 1987 der Fall gewesen, als auf dem Baugelände eine Demonstration gegen den Autobahnbau stattgefunden habe. Der Beamte sei mit dem Diensthund zur Absicherung innerhalb des eingezäunten Baugeländes eingeteilt worden. Gegen 12 Uhr dieses Tages hätten sich etwa
100 Demonstranten außerhalb des Sicherungszaunes aufgehalten. Abt.Insp. D habe an die neun zugeteilten Diensthundeführer die Weisung erteilt, die Diensthunde abzuleinen und den Diensthunden keinen Maulkorb anzulegen. Der Auftrag an die Beamten hätte gelautet zu verhindern, daß sich die Demonstranten in das Baugelände begeben und die Kräne erklettern. Die Diensthunde hätten sich innerhalb des Zaunes also frei bewegen können. Die neun Diensthunde hätten bestenfalls ausgereicht, die "hauptsächlichsten Belagerungsgebiete" westlich und östlich der Baustelle abzusichern. Gegen 12 Uhr seien die Demonstranten in dem Bereich, der RI H L zur Absicherung übertragen war, immer zahlreicher geworden. An die 50 Demonstranten hätten mit Holzstöcken teilweise im Takt gegen die Holzplanken geschlagen, hätten gesungen und den Beamten zugerufen, daß sie ohnehin die Diensthunde an die Leine nehmen müßten. Diese Situation hätte sich zusehends verschärft, den Beamten seien Schimpfwörter zugerufen worden und der Krawall habe sich verstärkt, bis er um etwa 12.30 Uhr seinen Höhepunkt erreicht habe und der erste Demonstrant über den ca. 2 Meter hohen Holzzaun "unter Hurrageschrei" in das Gelände gesprungen sei. Auf dem Holzzaun seien zu dieser Zeit ca. 20 bis 30 Personen gesessen.
Etwa 5 Minuten später - heißt es in der Gegenschrift weiter -, sei die Beschwerdeführerin über den Zaun in das Baugelände gesprungen und ebenfalls über die steil abfallende Böschung in Richtung Baugrube gelaufen. Rev.Insp. L sei ihr nachgelaufen, wobei ihn der nicht angeleinte Diensthund "Eiko" begleitet habe. Die Hundeleine habe L vorschriftsmäßig schräg über die linke Schulter und den Oberkörper gehängt gehabt. Der Karabiner der Leine sei an der Leinenschlaufe vor seinem Bauch festgeklemmt gewesen. Die Beschwerdeführerin sei die ca. 10 Meter lange steile und sehr holprige Böschung bis zur LKW-Trasse hinuntergelaufen und auf der Trasse schwer zu Sturz gekommen. Als die Beschwerdeführerin auf dem Boden gelegen sei, hätten sie der Diensthund und kurz darauf der Beamte eingeholt, wobei der Hund die Demonstrantin mit der Schnauze zwischen Schulter und Kopf gestoßen habe. Dabei habe "Eiko" nach der Wahrnehmung des Beamten nicht gebissen.
Es sei absolut unrichtig, wenn die Beschwerdeführerin behaupte, Rev.Insp. L hätte dem Diensthund das Kommando "Faß!" zugerufen. Dies entspreche ebenso nicht den Tatsachen wie die Behauptung, daß L der Beschwerdeführerin mit der Hand bzw. mit einem Gegenstand auf den Kopf geschlagen hätte. Die in der Beschwerde angeführten Verletzungen habe sich die Beschwerdeführerin - nach Ansicht der belangten Behörde und gestützt auf die Darstellungen des Gendarmeriebeamten - bei ihrem Sturz selbst zugefügt.
Das Vorgehen der belangten Behörde - wird in der Gegenschrift weiter ausgeführt - in Form des Gendarmerie- und Diensthundeeinsatzes zum Zweck der Verhinderung der Besetzung der eingezäunten Autobahnbaustelle stütze sich auf ArtII §4 Abs2 V-ÜG 1929. Die Absicherung der Baustelle durch Gendarmerie- und Diensthundeeinsatz innerhalb des eingezäunten Geländes sei das einzig wirksame und auch gelindere Mittel gewesen, um das Vordringen der Manifestanten auf die Baustelle sowie Aktionen gegen Exekutive und Arbeiter hintanzuhalten. Aus den bisherigen Erfahrungen mit den Demonstranten habe mit gutem Grund angenommen werden können, daß die gesetzten - keineswegs unverhältnismäßigen - Maßnahmen zum Schutz der gefährdeten körperlichen Sicherheit von Menschen oder des Eigentums erforderlich seien. Hiezu komme, daß der spezifischen Zielsetzung der behördlichen Maßnahme (Fernhalten der Manifestanten von der Baustelle) eine ganz anders geartete Motivation zugrunde gelegen sei, nicht aber eine die Menschenwürde beeinträchtigende gröbliche Mißachtung der Manifestanten, insbesondere der Beschwerdeführerin als Person (Hinweis auf VfSlg. 9385/1982).
3. In der Folge haben die Verfahrensparteien zur Untermauerung ihres Vorbringens weitere Schriftsätze erstattet, auf die - soweit erforderlich - noch zurückzukommen sein wird.
II. 1. Der Verfassungsgerichtshof hat Beweis erhoben durch die Einvernahme des Gendarmeriebeamten H L als Zeuge und der Beschwerdeführerin als Partei im Rechtshilfewege, durch (neuerliche) Vernehmung des Zeugen L vor dem Referenten des Verfassungsgerichtshofes sowie durch Einsichtnahme in von der Beschwerdeführerin anläßlich ihrer Vernehmung als Partei vorgelegte Fotografien, ebenso durch Einsichtnahme in die vorgelegten ärztlichen Atteste und in die beiden mit H L vom Landesgendarmeriekommando für Oberösterreich am 29.9.1987 und 15.2.1989 aufgenommenen Niederschriften.
a) Zwei der vorgelegten Fotos sind im hier maßgeblichen Zusammenhang entscheidungsrelevant:
Das mit der Nummer I versehene Foto zeigt die entlang einer - ebenen - Fahrbahn in der Baugrube laufende Beschwerdeführerin, den sie verfolgenden (etwa 2 - 3 Meter entfernten) Hund und einige Meter weiter hinten den (ebenfalls laufenden) Gendarmeriebeamten.
Auf dem Foto II (welches die Fahrbahn etliche Meter weiter in der Laufrichtung der Beschwerdeführerin zeigt) ist die Beschwerdeführerin sitzend am Fahrbahnrand zu sehen, wo ein Steilabfall (nach unten) beginnt. Die Beschwerdeführerin hält sich mit ihrer linken Hand den Kopf (die rechte Hand ist nicht sichtbar). Der Hund befindet sich auf der Fahrbahn auf der rechten Seite der Beschwerdeführerin, sein Kopf (unmittelbar neben dem Kopf der Beschwerdeführerin) ist durch den Kopf der Beschwerdeführerin verdeckt, die Haltung seines Körpers und seiner Hinterbeine lassen darauf schließen, daß das Tier auf die Beschwerdeführerin loszugehen versucht. Vor dem Hund (ebenfalls rechts neben der Beschwerdeführerin) steht der Gendarmeriebeamte und versucht, mit beiden (durch den Kopf der Beschwerdeführerin teilweise verdeckten) Händen den Hund von der Beschwerdeführerin abzuhalten.
b) Der Zeuge L gab - in Unkenntnis der von der Beschwerdeführerin erst später vorgelegten Fotografien - bei seiner Vernehmung im Rechtshilfeweg im wesentlichen an, der Diensthund sei der Beschwerdeführerin in der Baugrube nachgelaufen und er (der Zeuge) dem Hund. Da die Böschung sehr steil gewesen sei, sei die Beschwerdeführerin kopfüber zu Sturz gekommen, sie habe sich überschlagen und sei "auf der ersten Ebene bevor wieder das Gelände weiter abfällt" auf dem Bauch zu liegen gekommen. Der Hund sei zur Beschwerdeführerin hingelaufen und habe mit der Schnauze zwischen deren Schulter und Kopf gestoßen. Dabei habe der Hund das Maul nicht offengehabt, sonst hätte er gar nicht zustoßen können. Er (der Zeuge) habe den Befehl "aus", "laß das", "hier", gegeben, genau könne er das heute nicht mehr sagen.
Wenn ihm (dem Zeugen) vorgehalten werde, daß die Beschwerdeführerin nach den Beschwerdeausführungen nicht zu Sturz gekommen sei, sondern sich aus Angst vor dem Hund hingesetzt hätte, dann sei das nicht richtig. Er habe dem Hund während der Verfolgung der Demonstrantin keine Kommandos gegeben. Die Behauptung, er hätte dem Hund "Faß!" zugerufen, sei daher nicht richtig. Er habe dieses Kommando auch nicht gegeben, als der Hund bei der liegenden Beschwerdeführerin gewesen sei.
Auf ausdrückliches Befragen hob der Zeuge hervor, die Beschwerdeführerin sei nicht, nachdem sie zu Sturz gekommen sei, wieder auf die Beine gekommen und weitergelaufen, sondern vom Hund unmittelbar nach dem Sturz, während sie noch gelegen sei, erreicht worden.
Nachdem die belangte Behörde eine mit Rev.Insp. L am 15.2.1989 vor dem Landesgendarmeriekommando für Oberösterreich aufgenommene Niederschrift vorgelegt hatte, in welcher der Beamte nach Vorhalt der von der Beschwerdeführerin vorgelegten Fotos (s. den vorangegangenen Pkt. a) erklärte, es sei ihm bei seiner bisherigen Darstellung des Geschehens möglicherweise ein Irrtum unterlaufen (Verwechslung der Beschwerdeführerin mit einer vor ihr in die Baugrube gelaufenen Demonstrantin namens K P), wurde der Zeuge L durch den Referenten des Verfassungsgerichtshofes (ergänzend) vernommen.
Hiebei erklärte der Zeuge, er sei "in der Zwischenzeit" wegen der Verletzung der Beschwerdeführerin P am Hals der Meinung, daß er die Beschwerdeführerin doch nicht mit der Demonstrantin P verwechselt habe, weil der Diensthund mit der zweiten weiblichen Demonstrantin, die in die Baugrube gelaufen war, überhaupt nicht in Berührung gekommen sei, sondern nur mit der ersten in die Baugrube gelangten Manifestantin. Der Zeuge gab nach Vorhalt der Fotos I und II an, er könne sich nicht erinnern, mit der zweiten Demonstrantin körperlichen Kontakt gehabt zu haben. Auch der Diensthund habe diese Demonstrantin nicht angegriffen, obwohl es auf dem Foto II so aussehe, als ob der Hund auf die Demonstrantin losgehe. Er (L) habe bei der ersten Demonstrantin eine Verletzung in Form einer leichten Blutspur aus dem Ohr bemerkt, bei der zweiten Frau habe er keine Verletzungen wahrgenommen. Der Zeuge räumte ein, daß auf den Fotos zu sehen sei, daß er sich mit dem Diensthund ganz nahe bei der zweiten Demonstrantin befunden habe, er könne sich aber an diesen Umstand nicht mehr erinnern.
c) Die Beschwerdeführerin hat bei ihrer Vernehmung als Partei im wesentlichen ihr Beschwerdevorbringen wiederholt und zur Untermauerung ihrer Darstellung zwei Fotos vorgelegt (s. Punkt a). Die Beschwerdeführerin hob hervor, sie sei auf der Trasse gelaufen und habe sich schließlich aus Angst vor dem Hund auf den Boden gesetzt, in der Meinung, der Hund werde sie dann nicht angreifen. Als sie sich gerade niedergesetzt habe, sei auch der Hund schon bei ihr gewesen und habe sie beim rechten Ohr erfaßt; der Hund habe nicht fest zugebissen, am rechten Ohr sei aber von einem Zahn des Hundes eine Verletzung sichtbar gewesen. Unmittelbar darauf sei der Gendarmeriebeamte bei ihr eingelangt und sie habe einen Schlag auf ihren Kopf mit einem harten Gegenstand verspürt. Sie habe dadurch eine Rißquetschwunde rechts am Hinterkopf erlitten.
d) Aus der vorgelegten Krankengeschichte des Krankenhauses Kirchdorf an der Krems sowie einem weiteren ärztlichen Attest ist zu ersehen, daß die Beschwerdeführerin eine Verletzung am rechten äußeren Gehörgang und eine ca. 1,5 cm lange Rißquetschwunde am Hinterkopf erlitten hat.
2. Der Verfassungsgerichtshof stellt aufgrund dieser Beweisergebnisse folgenden Sachverhalt fest:
Am 26. September 1987 fand in Voitsdorf bei Kirchdorf an der Krems bei einer Baustelle für die A9 Pyhrn Autobahn eine Demonstration gegen den Bau dieser Autobahn statt. Die Baustelle war von einem ca. 2 Meter hohen massiven Holzzaun umgeben. Innerhalb der Baustelle befanden sich - wie bereits anläßlich früherer ähnlicher Demonstrationen - Gendarmeriebeamte mit Diensthunden, welche im Auftrag der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf an der Krems die Baustelle absichern sollten. Die Diensthunde waren weisungsgemäß nicht angeleint und trugen keinen Maulkorb.
Gegen 12.35 Uhr des genannten Tages kletterte die Beschwerdeführerin - nach einer anderen Demonstrantin namens K P - über den Bauzaun, sprang in das Baugelände und lief in die Baugrube hinunter. In diesem Bereich der Baustelle versah der Gendarmeriebeamte H L mit dem Hund "Eiko vom Schloß Schwendt" Dienst.
Als die Beschwerdeführerin in der Baugrube an einer Fahrbahn entlang lief, folgten ihr der Diensthund "Eiko" und der Beamte L , der dem Hund "Faß!" zurief. Schließlich setzte sich die Beschwerdeführerin, als sie merkte, sie werde dem Hund nicht länger entkommen können, an der (abfallenden) Fahrbahnböschung nieder. Der Hund stieß mit seinem Kopf gegen das rechte Ohr der Beschwerdeführerin und der hinzugekommene Beamte versetzte ihr mit einem harten Gegenstand (etwa dem Karabiner der Hundeleine) einen Schlag auf den Hinterkopf. Die Beschwerdeführerin erlitt hiedurch Verletzungen am rechten Ohr sowie eine Rißquetschwunde am Hinterkopf.
3. Zu diesen Feststellungen gelangte der Verfassungsgerichtshof aufgrund der Angaben der Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit den von ihr vorgelegten Fotografien und ihren durch Atteste nachgewiesenen Verletzungen. Der Verfassungsgerichtshof hält die Darstellung des Sachverhaltes durch den Zeugen L für unglaubwürdig, weil sie mit den oben (s. Punkt 1.c) im einzelnen beschriebenen Fotos völlig unvereinbar ist. Nach den Behauptungen des Zeugen ist die Beschwerdeführerin über die steile Böschung kopfüber zu Sturz gekommen, hat sich überschlagen und ist auf dem Bauch zu liegen gekommen. Die Beschwerdeführerin ist nach den Angaben des Zeugen nach ihrem Sturz nicht wieder auf die Beine gekommen und weitergelaufen, sondern unmittelbar nach dem Sturz, noch liegend, vom Hund erreicht worden. Bei einem derartigen Ablauf des Geschehens wäre es nicht erklärbar, wieso die Beschwerdeführerin auf den Fotos zunächst entlang der ebenen Fahrbahn vor dem Hund herlaufend und sodann in sitzender Haltung am (talwärts gelegenen) Rand der relativ breiten Fahrbahn zu sehen ist, während der Beamte den sie bedrängenden Hund abzuhalten sucht. Eine solche Situation kann unmöglich eingetreten sein, wenn die Beschwerdeführerin - wie es der Zeuge darstellt - kopfüber über die Böschung heruntergestürzt, auf dem Bauch zu liegen gekommen und unmittelbar nach dem Sturz, während sie noch lag, vom Hund erreicht worden wäre. Wenn die Schilderung des Beamten den Tatsachen entsprechen würde, kann die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt des Angriffs durch den Diensthund nicht gesessen sein, noch dazu am anderen Fahrbahnrand, von der Böschung (über die sie gefallen sein soll) ziemlich weit entfernt.
Der Zeuge Rev.Insp. L ist auch nach Vorhalt der Fotos I und II bei seiner (ergänzenden) Einvernahme durch den Referenten des Verfassungsgerichtshofes im wesentlichen bei seiner Darstellung des Sachverhaltes geblieben und ist von der Möglichkeit, er habe die Beschwerdeführerin mit einer anderen Demonstrantin verwechselt, wieder abgerückt. Aber selbst wenn dem Zeugen eine Personenverwechslung unterlaufen sein sollte, weisen seine wechselnden Angaben nicht im entferntesten jenen Grad an Verläßlichkeit auf, der erforderlich wäre, um darauf gerichtliche Feststellungen stützen zu können.
Der Verfassungsgerichtshof nimmt daher das durch die Fotos untermauerte Vorbringen der Beschwerdeführerin insgesamt als erwiesen an, auch den behaupteten Schlag auf den Kopf, zumal ansonsten (da die Beschwerdeführerin nicht zu Sturz gekommen ist, sondern sich hingesetzt hat) keine andere plausible Erklärung für das Zustandekommen der Rißquetschwunde am Hinterkopf der Beschwerdeführerin vorhanden wäre.
4. Der Verfassungsgerichtshof hält bei der gegebenen Beweislage die weitere Aufnahme von Beweisen für entbehrlich. Insbesondere ist es entbehrlich, der von der belangten Behörde in einem ergänzenden Schriftsatz aufgeworfenen Frage nachzugehen, ob die die Verletzungen der Beschwerdeführerin im Landeskrankenhaus Kirchdorf an der Krems behandelnde Ärztin dann, wenn sie die Verletzungen "zweifelsfrei" auf einen Hund oder eine Fremdeinwirkung (Schlag) zurückgeführt hätte, dies in der Anamnese angeführt hätte. Die oben getroffene Feststellung des Verfassungsgerichtshofes über das Zustandekommen der Verletzungen der Beschwerdeführerin stützt sich nämlich nicht auf ein ärztliches Attest, sondern auf die glaubwürdigen, schlüssigen Angaben der Beschwerdeführerin, die mit den Attesten nicht in Widerspruch stehen. Daß das Zustandekommen der Verletzungen der Beschwerdeführerin aber auf die von ihr geschilderte Art und Weise medizinisch auszuschließen sei, behauptet auch die belangte Behörde nicht.
III. Der festgestellte Sachverhalt führt zu folgender rechtlicher Beurteilung:
1. Der gegen eine bestimmte Person gerichtete - hier mit dem Befehl "Faß!" bewirkte - Einsatz eines Diensthundes stellt die Ausübung von Zwangsgewalt iSd Art144 Abs1 B-VG dar, ebenso das Versetzen eines Schlages.
Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde zulässig.
2. Der Verfassungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung (VfSlg. 7377/1974, 8145/1977, 8146/1977, 10427/1985) die Auffassung, daß ein nach den Bestimmungen des WaffengebrauchsG 1969, BGBl. 149/1969 idF BGBl. 422/1974, zulässiger Waffengebrauch (gegen Menschen) im Rahmen exekutiver Zwangsbefugnisse nicht als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung iSd Art3 EMRK angesehen werden kann. Gleiches gilt für einen - gegen Menschen gerichteten - scharfen Einsatz eines Diensthundes (als Mittel, dessen Wirkung der einer Waffe gleichkommt), wenn die Voraussetzungen der Vorschriften des §10 WaffengebrauchsG 1969 erfüllt sind. (So erlaubt §10 WaffengebrauchsG 1969 diesen Einsatz nur (1.) im Fall gerechter Notwehr, (2.) zur Überwindung eines aktiven gewaltsamen Widerstandes gegen die Staatsgewalt oder (3.) zur Erzwingung der rechtmäßigen Festnahme oder zur Verhinderung des Entkommens einer rechtmäßig festgehaltenen Person, die eines Verbrechens überwiesen oder dringend verdächtig ist, oder eines Geisteskranken, der für die Sicherheit der Person oder des Eigentums als allgemein gefährlich anzusehen ist, und überdies (iVm §4 leg.cit.) nur dann, wenn ungefährliche oder weniger gefährliche Maßnahmen ungenügend erscheinen oder sich als wirkungslos erwiesen haben.) Daraus folgt zwar nicht, daß ein - wie hier - offenkundig gegen das WaffengebrauchsG 1969 verstoßender (Dienst-)Hundeeinsatz bereits zwingend Art3 EMRK verletzt. Der Verfassungsgerichtshof geht aber davon aus, daß eine derartige gesetzwidrige Verwendung eines Diensthundes im allgemeinen als Akt, dem eine die Menschenwürde beeinträchtigende gröbliche Mißachtung des Betroffenen als Person innewohnt (vgl. dazu VfSlg. 8145/1977 uam.), und damit als unmenschliche und erniedrigende Behandlung iSd Art3 EMRK zu werten ist: Wenn auch Diensthunde darauf abgerichtet sind, die verfolgte Person in möglichst glimpflicher Weise zu stellen (und angriffs-, widerstands- oder fluchtunfähig zu machen), beruht die Wirkung ihres Einsatzes doch auf der Unberechenbarkeit des im Kampf meist überlegenen Tieres aus dem Blickwinkel des Angegriffenen, der sich mit ihm - unabhängig von den Absichten des den Hund einsetzenden Beamten - auf dieselbe Stufe gestellt sieht. Dieser erniedrigende Charakter kann zwar im Einzelfall durch besondere, den enggezogenen Bedingungen des §10 WaffengebrauchsG 1969 bedeutungs- und gewichtsmäßig gleichzuhaltende Gründe aufgewogen werden, doch liegen solche Gründe hier nicht vor.
Auch die belangte Behörde behauptet nichts Gegenteiliges, sondern stellt einen scharfen Einsatz überhaupt in Abrede. Dabei setzte sich die Beschwerdeführerin nach dem festgestellten Sachverhalt nicht etwa lediglich selbst dem Angriff eines bloß sichernden Hundes aus, sie wurde vielmehr von einem Tier auf Befehl des Beamten angegriffen. Damit hat die belangte Behörde aber die Beschwerdeführerin nach dem bereits Gesagten einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung unterworfen und Art3 EMRK verletzt.
3. Es ist daher festzustellen, daß die Beschwerdeführerin durch die in Beschwerde gezogene Amtshandlung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden, verletzt wurde.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 8.500,-- enthalten.
Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Waffengebrauch, MißhandlungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1989:B1172.1987Dokumentnummer
JFT_10108989_87B01172_00