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90/01 Straßenverkehrsordnung;Norm
KFG 1967 §66 Abs2 litf;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Onder und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des V in W, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 23. Dezember 1991, Zl. I/7-St-B-9187, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.720,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppe B entzogen und gemäß § 73 Abs. 2 KFG 1967 ausgesprochen, daß ihm für die Dauer von zwei Jahren von der Zustellung des die Entziehung erstmals verfügenden Mandatsbescheides der Bundespolizeidirektion Wiener Neustadt am 5. Februar 1991 an keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden darf.
In seiner an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend und beantragt dessen kostenpflichtige Aufhebung. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die belangte Behörde begründete die bekämpfte Entziehungsmaßnahme damit, daß der Beschwerdeführer am 14. Dezember 1990 einen Verkehrsunfall verschuldet hat, indem er bei einem Überholvorgang gegen ein entgegenkommendes Fahrzeug stieß. Bei diesem Unfall wurden drei Personen (darunter der Beschwerdeführer selbst) schwer und zwei Personen leicht verletzt. Deswegen wurde er mit Strafverfügung des Bezirksgerichtes Wiener Neustadt des Vergehens nach § 88 Abs. 1 und 4 erster Fall StGB für schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe verurteilt. In dem Unfall erblickte die belangte Behörde eine bestimmte Tatsache nach § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967, aus der sich "eindeutig" die Verkehrsunzuverlässigkeit des Beschwerdeführers ergebe; die besondere Rücksichtslosigkeit des Beschwerdeführers gegenüber anderen Straßenbenützern lag nach der Begründung des angefochtenen Bescheides darin, daß er dem Gegenverkehr nicht die erforderliche Aufmerksamkeit geschenkt und in Kauf genommen habe, daß andere Straßenbenützer schwer verletzt würden. Dazu komme eine am 14. Mai 1990 begangene Übertretung nach § 5 Abs. 1 StVO 1960, im Zusammenhang mit der er zwei weitere Übertretungen der StVO 1960 begangen habe. Dazu kämen ferner noch Übertretungen des KFG 1967, darunter eine wegen Lenkens eines Kraftfahrzeuges, ohne im Besitze einer Lenkerberechtigung gewesen zu sein.
Zunächst ist zu prüfen, ob im Verhalten des Beschwerdeführers vom 14. Dezember 1990 eine bestimmte Tatsache nach § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 erblickt werden kann, die die Verkehrsunzuverlässigkeit des Beschwerdeführers indiziert. Nach der vom Beschwerdeführer zitierten ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann von einer solchen bestimmten Tatsache grundsätzlich nicht bereits dann die Rede sein, wenn eine Übertretung einer Verkehrsvorschrift mit der für eine solche Übertretung typischen Gefährlichkeit oder Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern erfolgt (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. Juni 1989, Zl. 89/11/0061, und vom 6. März 1990, Zl. 89/11/0183).
Die belangte Behörde nimmt an, daß der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit dem Unfall vom 14. Dezember 1990 eine Übertretung nach § 16 Abs. 1 lit. a StVO 1960 begangen hat, indem er überholt hat, obwohl er dabei andere Straßenbenützer gefährdet hat. Der Beschwerdeführer stellt das auch nicht in Abrede. Die Möglichkeit der Gefährdung anderer Straßenbenützer stellt aber ein Tatbestandselement einer Übertretung nach § 16 Abs. 1 lit. a StVO 1960 dar. Sie allein vermag die im § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 geforderte besondere Rücksichtslosigkeit nicht zu begründen. Dasselbe gilt für den Umstand, daß es sogar zu einem Unfall gekommen ist, wie für das Ausmaß der Unfallfolgen. Damit im gegebenen Zusammenhang von einer besonderen Rücksichtslosigkeit (oder Gefährlichkeit) gesprochen werden kann, bedürfte es noch weiterer Umstände. Solche vermag die belangte Behörde nicht aufzuzeigen. Insbesondere ergibt sich nichts derartiges aus dem Gutachten eines verkehrstechnischen Amtssachverständigen vom 28. November 1991. Der Sachverständige sprach nämlich nach Besichtigung des Unfallortes davon, daß "von der Verkehrssituation her keine besonders gefährlichen Verhältnisse vorlagen" und daß "der gegenständliche Unfall .... auf ein fahrtechnisch falsches Verhalten" des Beschwerdeführers zurückzuführen sei. Etwas anderes als die mit jeder Übertretung nach § 16 Abs. 1 lit. a StVO 1960 verbundene Fehleinschätzung oder Unachtsamkeit durch den überholenden Lenker liegt nicht vor. Der Verwaltungsgerichtshof kann solches auch dem Inhalt der Verwaltungsakten nicht entnehmen. Es gibt weder Anhaltspunkte für eine wesentlich höhere als die den Verkehrsverhältnissen entsprechende Fahrgeschwindigkeit noch für ein allfälliges hohes Verkehrsaufkommen noch für ungünstige Fahrbahnverhältnisse noch für eine witterungsbedingte Sichtbehinderung noch für eine Beeinträchtigung der physischen oder psychischen Verfassung des Beschwerdeführers zum Unfallzeitpunkt. Was feststeht, ist ein Überholmanöver, welches der Beschwerdeführer trotz eines entgegenkommenden Fahrzeuges durchgeführt hat, mit dem er dann frontal zusammengestoßen ist. Das kann aber für sich allein nicht als bestimmte Tatsache nach § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 qualifiziert werden.
Auch daß der Beschwerdeführer bereits einmal (am 14. Mai 1990) ein Alkoholdelikt begangen hat, kann im gegebenen Zusammenhang nicht zu seinen Lasten verwertet werden. Das wäre erst dann zulässig, wenn es um die Wertung einer bestimmten Tatsache im Sinne des § 66 Abs. 3 KFG 1967 ginge, insbesondere wenn unter dem Gesichtspunkt der Verwerflichkeit der Tat der Beschwerdeführer auf eine allfällige Neigung zur Gefährdung der Verkehrssicherheit (§ 66 Abs. 1 lit. a KFG 1967) hin zu beurteilen wäre. Das Lenken eines Kraftfahrzeuges ohne Lenkerberechtigung ist aus demselben Grund nicht zu berücksichtigen.
Da die belangte Behörde bereits dies verkannt hat - auf die Bemessung der Zeit im Sinne des § 73 Abs. 2 KFG 1967 war nicht mehr einzugehen -, hat sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Das hatte gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides zu führen.
Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil Eingaben ohne Rücksicht auf ihrem Umfang je Ausfertigung nur mit S 120,-- zu vergebühren sind.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1992110059.X00Im RIS seit
12.06.2001