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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AlVG 1977 §12 Abs3 litf;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Händschke als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des M in G, vertreten durch Dr. T, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landesarbeitsamtes Oberösterreich vom 7. November 1991, Zl. IVa-AlV-7022/O/B/VNR. 2908 231270/Grieskirchen, wegen Zuerkennung des Arbeitslosengeldes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Gemäß der Sachverhaltsdarstellung in der Beschwerde habe der Beschwerdeführer in G in der H-Mühle das Müllerhandwerk erlernt und sei anschließend elf Monate in einer Mühle in Vorarlberg als Müllergeselle tätig gewesen. Nach seiner Tätigkeit in Vorarlberg sei er wieder einige Monate als Schichtmüller in der H-Mühle in G in Arbeit gestanden. Sein Arbeitsverhältnis sei vom Arbeitgeber mit Wirkung vom 11. September 1990 beendet worden, da die Dienstposten in seinem Betrieb mit Müllergesellen voll besetzt gewesen seien; es sei dem Beschwerdeführer aber zugesagt worden, daß er nach Absolvierung der Meisterschule und Ablegung der Meisterprüfung wieder in diesem Betrieb als Müllermeister eingestellt werden würde. Der Beschwerdeführer sei daher in die Meisterschule für Müllerei in Wels eingetreten, um wieder einen gesicherten Arbeitsplatz zu erhalten.
Am 10. Oktober 1990 beantragte der Beschwerdeführer beim Arbeitsamt G die Zuerkennung des Arbeitslosengeldes.
Mit Bescheid vom 31. Oktober 1990 des Arbeitsamtes G wurde dem Beschwerdeführer die Zuerkennung des Arbeitslosengeldes mangels Arbeitslosigkeit versagt, weil er ab 12. September 1990 die Meisterschule für Müllerei Wels besuche und eine Ausnahme gemäß § 12 Abs. 4 AlVG nicht zugelassen werde.
Am 13. November 1990 erhob der Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid Berufung und begründete dies im wesentlichen damit, daß auch zwei seiner Mitschüler Arbeitslosengeld zugesichert erhalten hätten, und er auf Gleichbehandlung plädiere. Er habe nach seiner Lehrzeit seine Lehrstelle verlassen müssen und erst in Vorarlberg einen für seine berufliche Zukunft förderlichen Arbeitsplatz gefunden, was ihm hohe Kosten verursacht habe. Um die Gefahr einer drohenden Arbeitslosigkeit in seinem Beruf hintanzustellen, sei es unumgänglich gewesen, sich in die Meisterschule für Müllerei einzuschreiben, da nur mit positivem Abschluß dieser Schule die Möglichkeit geboten werde, eine qualifizierte Anstellung bzw. die Leitung eines Mühlenbetriebes zu erhalten.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab das Landesarbeitsamt Oberösterreich der Berufung des Beschwerdeführers nicht statt. Es begründete seine Entscheidung im wesentlichen und zusammengefaßt damit, daß die Zulassung einer Ausnahmegenehmigung im Sinne des § 12 Abs. 4 AlVG beim Besuch schulischer Ausbildungen nur dann zulässig sei, wenn durch den Besuch eine Saisonarbeitslosigkeit überbrückt werde oder wenn die schulische Ausbildung nebenberuflich besucht werden könne. Da die Meisterschule für Müller nebenberuflich nicht besucht werden könne (ganztägiger Unterricht, Anwesenheitspflicht), stünde der Beschwerdeführer während des gesamten Schuljahres (12. September 1990 bis voraussichtlich 5. Juli 1991) dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung. Zweifelsfrei könne im vorliegenden Fall auch nicht von Überbrückung einer Saisonarbeitslosigkeit ausgegangen werden (das Schuljahr dauere zehn Monate), sodaß die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung im Sinn des § 12 Abs. 4 AlVG unzulässig sei. Der Beschwerdeführer gelte daher nicht als arbeitslos.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, die Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes durch fehlerhafte Anwendung der Bestimmung des § 12 Abs. 4 Arbeitslosenversicherungsgesetz bzw. des darin eingeräumten Ermessens geltend macht.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 12 Abs. 3 lit. f AlVG gilt insbesondere nicht als arbeitslos im Sinne der Abs. 1 und 2 leg. cit., wer in einer Schule oder einem geregelten Lehrgang - so als ordentlicher Hörer einer Hochschule, als Schüler einer Fachschule oder mittleren Lehranstalt - ausgebildet wird oder, ohne daß ein Dienstverhältnis vorliegt, sich einer praktischen Ausbildung unterzieht. Nach Abs. 4 des § 12 AlVG kann das Arbeitsamt von den Bestimmungen des Abs. 3 lit. f in berücksichtigungswürdigen Fällen Ausnahmen zulassen, insbesondere, wenn der Arbeitslose dem Studium oder der praktischen Ausbildung bereits während des Dienstverhältnisses, das der Arbeitslosigkeit unmittelbar vorangegangen ist, oblag.
Unstrittig ist, daß der Beschwerdeführer im gegenständlichen Zeitraum (12. September 1990 bis 5. Juli 1991) einen Ausbildungslehrgang besucht hat, der den Tatbestand des § 12 Abs. 3 lit. f AlVG erfüllt; er macht aber geltend, daß auf ihn die Ausnahmebestimmung des § 12 Abs. 4 AlVG Anwendung zu finden habe.
Voraussetzung für eine positive Ausübung des den Arbeitsämtern in § 12 Abs. 4 AlVG eingeräumten Ermessens ist das Vorliegen eines in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilenden "berücksichtigungswürdigen Falles" (vgl. zuletzt das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. Mai 1990, Zl. 90/08/0066, und den darin enthaltenen Hinweis auf die Vorjudikatur). Unstrittig ist ferner, daß der im Gesetz demonstrativ genannte berücksichtigungswürdige Fall eines Schul- und Lehrgangsbesuches schon WÄHREND des vorangegangenen Dienstverhältnisses hier nicht vorlag. Im Hinblick darauf, daß nach § 12 Abs. 5 AlVG Nach- und Umschulung und der Besuch einzelner Lehrkurse zur Erweiterung der fachlichen oder Allgemeinbildung nicht als Beschäftigung iSd Abs. 1 und 2 leg. cit. gelten (und daher auch nicht als "Ausbildung" iSd Abs. 3 lit. f leg. cit.), erscheint dem Verwaltungsgerichtshof die Auslegung zulässig, wonach auch der Gesichtspunkt der eigenen beruflichen (Höher-)Qualifikation in Verbindung mit Erfordernissen des Arbeitsmarktes einen "berücksichtigungswürdigen Fall" iSd § 12 Abs. 4 AlVG darstellen kann. Im Beschwerdefall hätte die belangte Behörde daher die individuelle Situation, des Arbeitslosen einerseits und die Lage auf dem Arbeitsmarkt, insbesondere die regionale Situation andererseits zu würdigen und danach zu beurteilen gehabt, ob auf Grund dieser Prämissen ein "berücksichtigungswürdiger Fall" vorliegt. Derartige Erhebungen wurden aber weder vom Arbeitsamt noch von der belangten Behörde gepflogen; der Bescheid des Arbeitsamtes G enthält zur Frage der Anwendbarkeit der Ausnahmebestimmung des § 12 Abs. 4 AlVG überhaupt keine Begründung, die Berufungsentscheidung der belangten Behörde stellt die Anwendbarkeit der im § 12 Abs. 4 AlVG genannten Ausnahme nur auf die Möglichkeit der Überbrückung von Saisonarbeitslosigkeit bzw. der Möglichkeit des nebenberuflichen Besuches der schulischen Ausbildung ab. Diese einschränkende Interpretation findet aber im Gesetzeswortlaut keine Deckung. Der aus dem Akteninhalt erkennbar als Rechtsgrundlage der von der belangten Behörde vertretenen Rechtsansicht zitierte Erlaß des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 26. Juni 1990, Zl. 35.803/29-7/90, ist in einem gesetzlich hiefür vorgesehenen Medium nicht veröffentlicht worden und stellt damit keine gehörig kundgemachte Rechtsverordnung dar. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt ein Erlaß einer Verwaltungsbehörde, der nicht in einem gesetzlich vorgesehenen Veröffentlichungsorgan kundgemacht worden ist, keine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren maßgebende Rechtsquelle dar, die der Verwaltungsgerichtshof zu beachten hätte (vgl. insbesondere auch das Erkenntnis vom 7. Juli 1987, Zl. 87/12/0089).
Es bleibt daher im vorliegenden Fall zu prüfen, ob die Sachverhaltsgrundlagen für die Ausübung des Ermessens von der Behörde amtswegig, das heißt ohne präzise diesbezügliche Behauptungen des Antragstellers und nunmehrigen Beschwerdeführers hätten erhoben werden müssen.
Auf das behördliche Verfahren vor den Arbeitsämtern bzw. den Landesarbeitsämtern findet das AVG insoweit Anwendung, als im AlVG keine abweichenden Regelungen getroffen wurden; angesichts der zitierten Rechtsquellen gelten daher im Leistungsverfahren unter anderem das Prinzip der Amtswegigkeit, der Grundsatz des Parteiengehörs sowie die Grundsätze der freien Beweiswürdigung und der Unbeschränktheit der Beweismittel. Das Offizialprinzip im Leistungsverfahren verpflichtet die Behörde, den für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt von Amts wegen festzustellen. Sie bestimmt daher den Gang des Verfahrens, das heißt der Ablauf des Verwaltungsverfahrens nach Geltendmachung des Anspruches ist grundsätzlich der Disposition der Partei entzogen. Daher obliegt es dem Arbeitsamt, Erhebungen, die zur Klärung des Sachverhalts benötigt werden, durchzuführen (vgl. Erkenntnis vom 12. Jänner 1961, Slg. Nr. 5466/A). Dabei erstreckt sich die Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes auf die Ermittlung aller unter dem Gesichtspunkt der anzuwendenden Rechtsvorschriften im konkreten Fall in Betracht kommenden Tatsachen und deren Erhärtung durch Beweise (vgl. Erkenntnis vom 28. September 1978, Zl. 1158/77). Insbesondere einer rechtsunkundigen und nicht rechtsfreundlich vertretenen Partei gegenüber ist die Verwaltungsbehörde zur Manuduktion verpflichtet (vgl. Erkenntnis vom 15. April 1977, Zl. 2698/78).
Der Beschwerdeführer macht nun in diesem Zusammenhang geltend, die belangte Behörde hätte sich mit seiner individuellen Situation eingehender auseinanderzusetzen gehabt. Die nunmehr besuchte Fachschule sei auf Grund der Situation auf dem Arbeitsmarkt für Müller ein "berufliches Muß". Bereits in der dem Arbeitsamt G vorliegenden Bestätigung der H-Mühle G vom 23. Oktober 1990 sei der für die Entscheidung relevante Umstand zu entnehmen, daß der Beschwerdeführer mit Wirkung vom 11. September 1990 habe entlassen werden müssen, "da die Dienstposten im" ... "Betrieb mit Müllergesellen zur Zeit voll besetzt" seien und der Inhaber der H-Mühle feststellte, daß er den Beschwerdeführer "nach absolvierter Meisterschule und Ablegung der Meisterprüfung wiederum in" seinem "Betrieb als Müllermeister einstellen werde". Zwar kommt es bei Prüfung der arbeitsmarktpolitischen Situation nicht auf die individuellen Arbeitsplatzgegebenheiten an, doch könnte in der zitierten Erklärung des bisherigen Dienstgebers des Beschwerdeführers hiefür ein Indiz gesehen werden, das zumindest mit ins Kalkül zu ziehen wäre.
Aus welchen Gründen in concreto die belangte Behörde vom Nichtvorliegen eines "berücksichtigungswürdigen Falles" im Sinn des § 12 Abs. 4 AlVG ausgegangen ist, läßt sich aus dem angefochtenen Bescheid nicht entnehmen.
Ausgehende von einer vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht hat es die belangte Behörde unterlassen, Feststellungen darüber zu treffen, ob die Beschwerdebehauptungen zutreffen, ob nämlich im erlernten Beruf des Beschwerdeführers keine oder kaum freie Stellen für Gesellen, wohl aber für Meister vorhanden wären, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
Auslegung unbestimmter Begriffe VwRallg3/4 Beweiswürdigung Sachverhalt angenommener geklärter Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Materielle Wahrheit Sachverhaltsermittlung Verfahrensgrundsätze im Anwendungsbereich des AVG Offizialmaxime Mitwirkungspflicht Manuduktionspflicht VwRallg10/1/1European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1991080188.X00Im RIS seit
18.10.2001