TE Vwgh Erkenntnis 1992/5/19 91/08/0177

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Veröffentlicht am 19.05.1992
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §12 Abs3 litf;
AlVG 1977 §12 Abs4;
AlVG 1977 §16 Abs3;
AVG §39 Abs2;
VwGG §41 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Händschke als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des P in F, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in X, gegen den Bescheid des Landesarbeitsamtes Oberösterreich vom 6. November 1991, Zl. IVa-AlV-7022-O-B/2578 250769/Ried, betreffend Einstellung des Arbeitslosengeldes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.600,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Nach dem Akteninhalt war der Beschwerdeführer in der Zeit vom 1. August 1984 bis 15. August 1990 als Büroangestellter in der Brauerei X beschäftigt; dieses Dienstverhältnis wurde durch Auflösung im beiderseitigen Einverständnis beendet. Ab 16. August 1990 gelangte über Antrag des Beschwerdeführers Arbeitslosengeld im Ausmaß von täglich S 297,70 zur Auszahlung. Bereits in dem der Zuerkennung des Arbeitslosengeldes zugrundeliegenden Antrag hatte der Beschwerdeführer angegeben, ab 11. September 1990 bis voraussichtlich Juli 1992 die Fachschule für Getränketechnik in Gräfelfing/München/BRD besuchen zu wollen.

Mit Bescheid des Arbeitsamtes X vom 1. Oktober 1990 wurde gemäß § 24 Abs. 1 in Verbindung mit §§ 7 und 12 AlVG das Arbeitslosengeld ab 11. September 1990 eingestellt.

Der vom Beschwerdeführer dagegen gerichteten Berufung gab das Landesarbeitsamt Oberösterreich mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid nicht statt, wobei die belangte Behörde die Auffassung vertrat, die Zulassung einer Ausnahmegenehmigung im Sinn des § 12 Abs. 4 AlVG sei beim Besuch schulischer Ausbildungen nur zulässig, wenn durch den Besuch eine Saisonarbeitslosigkeit überbrückt werde oder wenn die schulische Ausbildung nebenberuflich besucht werden könne. Da der Lehrgang nebenberuflich nicht besucht werden könne (ganztägiger Unterricht, Anwesenheitspflicht), stünde der Beschwerdeführer während der gesamten Ausbildungszeit dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung. Zweifelsfrei könne im vorliegenden Fall auch nicht von Überbrückung einer Saisonarbeitslosigkeit ausgegangen werden, sodaß die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung im Sinn des § 12 Abs. 4 AlVG unzulässig sei. Der Beschwerdeführer gelte daher nicht als arbeitslos.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, die Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend macht.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Einstellung des Bezugs des Arbeitslosengeldes erfolgte

mit 11. September 1990, das heißt mit Schulbeginn.

Voraussetzung für den Ausspruch auf Arbeitslosengeld ist gemäß § 7 Z. 1 AlVG, daß der Arbeitslose arbeitsfähig, arbeitswillig und arbeitslos ist.

Gemäß § 12 Abs. 3 lit. f AlVG gilt insbesondere nicht als arbeitslos im Sinne der Abs. 1 und 2 leg. cit., wer in einer Schule oder einem geregelten Lehrgang - so als ordentlicher Hörer einer Hochschule, als Schüler einer Fachschule oder mittleren Lehranstalt - ausgebildet wird oder, ohne daß ein Dienstverhältnis vorliegt, sich einer praktischen Ausbildung unterzieht. Nach Abs. 4 des § 12 AlVG kann das Arbeitsamt von den Bestimmungen des Abs. 3 lit. f in berücksichtigungswürdigen Fällen Ausnahmen zulassen, insbesondere, wenn der Arbeitslose dem Studium oder der praktischen Ausbildung bereits während des Dienstverhältnisses, das der Arbeitslosigkeit unmittelbar vorangegangen ist, oblag.

Unstrittig ist, daß der Beschwerdeführer einen Ausbildungslehrgang besuchte bzw. besucht, der den Tatbestand des § 12 Abs. 3 lit. f AlVG erfüllt; er macht aber geltend, daß auf ihn die Ausnahmebestimmung des § 12 Abs. 4 AlVG Anwendung zu finden habe.

Voraussetzung für eine positive Ausübung des den Arbeitsämtern in § 12 Abs. 4 AlVG eingeräumten Ermessens ist das Vorliegen eines in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilenden "berücksichtigungswürdigen Falles" (vgl. zuletzt das hg. Erkenntnis vom 8. Mai 1990, Zl. 90/08/0066, und den darin enthaltenen Hinweis auf die Vorjudikatur).

Der im Gesetz demonstrativ genannte berücksichtigungswürdige Fall eines Schul- und Lehrgangsbesuches schon WÄHREND des vorangegangenen Dienstverhältnisses wurde - entgegen dem Neuerungsverbot entsprechend dem § 41 Abs. 1 VwGG - erstmals in der vorliegenden Beschwerde behauptet.

Der Bescheid des Arbeitsamtes X enthält zur Frage der Anwendbarkeit der Ausnahmebestimmung des § 12 Abs. 4 AlVG überhaupt keine Begründung, die belangte Behörde stellt die Anwendbarkeit der im § 12 Abs. 4 AlVG genannten Ausnahme ausschließlich auf die Möglichkeit der Überbrückung von Saisonarbeitslosigkeit bzw. auf die Möglichkeit des nebenberuflichen Besuches der schulischen Ausbildung ab. Diese einschränkende Interpretation findet aber im Gesetzeswortlaut keine Deckung.

Der aus dem Akteninhalt erkennbar als Rechtsgrundlage der von der belangten Behörde vertretenen Rechtsansicht zitierte "Arbeitsbehelf" vom 26. Juli 1990, Zl. IIb/IVa-6201/7111 A, ist in einem gesetzlich hiefür vorgesehenen Medium nicht veröffentlicht worden und stellt damit keine gehörig kundgemachte Rechtsverordnung dar, die der Verwaltungsgerichtshof zu beachten hätte (vgl. Erkenntnis vom 7. Juli 1987, Zl. 87/12/0089).

Der vorliegende Fall ist ferner dadurch gekennzeichnet, daß der Beschwerdeführer den Schulbesuch nicht im Inland, sondern in einer Meisterschule in Gräfelfing bei München/BRD absolviert, sodaß der Anspruch auf Leistung aus der Arbeitslosenversicherung gemäß § 16 Abs. 1 lit. g AlVG ruht, sofern nicht die Ausnahmebestimmung des § 16 Abs. 3 leg. cit. zur Anwendung gelangt. § 16 Abs. 3 AlVG lautet:

"Auf Antrag des Arbeitslosen ist das Ruhen des Arbeitslosengeldes gemäß Abs. 1 lit. g bei Vorliegen berücksichtigungswürdiger Umstände nach Anhörung des Vermittlungsausschusses des Arbeitsamtes bis zu acht Wochen während eines Leistungsanspruches (§ 18) nachzusehen. Berücksichtigungswürdige Umstände sind Umstände, die im Interesse der Beendigung der Arbeitslosigkeit gelegen sind, insbesondere wenn sich der Arbeitslose ins Ausland begibt, um nachweislich einen Arbeitsplatz zu suchen oder um sich nachweislich beim Arbeitgeber vorzustellen oder um sich einer Ausbildung zu unterziehen, oder Umstände die auf zwingenden familiären Gründen beruhen. In besonders gelagerten Fällen kann aus zwingenden Gründen auch über die acht Wochen hinausgegangen werden."

Berücksichtigungswürdige Umstände liegen daher vor, wenn sich der Arbeitslose nachweislich ins Ausland begibt, um dort an Maßnahmen der beruflichen Aus- und Weiterbildung teilzunehmen, die im Inland nicht oder nicht in dieser Qualität angeboten werden. Darauf aber zielen die Behauptungen des Beschwerdeführers ab, wenn er in diesem Zusammenhang geltend macht, die belangte Behörde hätte sich mit seiner individuellen Situation eingehender auseinanderzusetzen gehabt. Insbesondere hätte die belangte Behörde nachvollziehbar zu prüfen gehabt, weshalb der Beschwerdeführer die von ihm gewählte Fachschule besucht; bei vollständiger Klärung des Sachverhaltes wäre von der belangten Behörde festzustellen gewesen, ob dies - wie behauptet - auf Grund des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers in Zusammenhalt mit seiner Ausbildung als Brauer und Mälzer geboten schien und der Beruf des Getränketechnikers ein relativ gefragter in Österreich sei. Dazu hat die belangte Behörde zwar in einer Stellungnahme zur Berufung vom 15. Oktober 1990 - ohne die Erkenntnisgrundlagen hiefür zu nennen - festgehalten, daß eine Nachfrage nach Getränketechnikern nicht bestehe, hat dieses Erhebungsergebnis aber in ihrer Entscheidung keinen Niederschlag finden lassen, sodaß dem Beschwerdeführer die diesbezüglichen Erwägungen der belangten Behörde nicht mitgeteilt wurden, ganz davon abgesehen, daß er in seinem Antrag als Berufsziel "Brauereimeister" angegeben hat.

Aus welchen Gründen die belangte Behörde vom Nichtvorliegen eines "berücksichtigungswürdigen Falles" im Sinn des § 12 Abs. 4 bzw. des § 16 Abs. 3 AlVG ausgegangen ist, läßt sich - offenbar infolge der einschränkenden Interpretation dieser Bestimmungen durch die belangte Behörde - aus dem angefochtenen BESCHEID nicht entnehmen, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1991080177.X00

Im RIS seit

18.10.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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