TE Vwgh Erkenntnis 1992/5/20 92/01/0259

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.05.1992
beobachten
merken

Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1968 §1 idF 1974/796;
AsylG 1968 §1;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Großmann und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Kremla, Dr. Steiner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde der E in M, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 17. April 1991, Zl. 4.249.112/2-III/13/89, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 505,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine rumänische Staatsangehörige, reiste am 5. Dezember 1988 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte noch am gleichen Tag vor dem fremdenpolizeilichen Referat der BH Leibnitz einen Asylantrag, wobei sie Verfolgung wegen ihrer politischen Gesinnung behauptete. Sie habe sich in ihrer Heimat wegen der schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse regimekritisch geäußert und sei "von Herbst vorigen Jahres bis jetzt" vom Staatssicherheitsdienst "des öfteren verhört und überwacht" worden. Sie sei "immer für kurze Zeit, 12 bis 24 Stunden, in diversen Haftlokalen verwahrt und dann wieder freigelassen worden". Aus ihr nicht näher bekannten Gründen habe man "sie auf ihrem Arbeitsplatz gekündigt", wobei sie annehme, daß ihre Regimefeindlichkeit bzw. ihre kritische Einstellung daran schuld seien.

Bei ihrer niederschriftlichen Befragung durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 17. Dezember 1988 gab die Beschwerdeführerin an, nach Kanada auswandern zu wollen. Sie sei von 1982 bis März 1988 Mitglied der "U.T.C." und von März 1988 bis Juni 1988 Mitglied der kommunistischen Partei gewesen, letzteres zwangsweise. In der ersten Parteisitzung, an der sie teilgenommen habe, habe sie dagegen protestiert. Deshalb habe sie ihren Arbeitsplatz verloren und sei aus der Partei eliminiert worden. Schon vor 1986 sei sie aufgefordert worden, der Partei beizutreten. Weil sie sich geweigert hätte, sei sie an ihrem damaligen Arbeitsplatz benachteiligt und schließlich gekündigt worden.

In der erwähnten Parteisitzung habe sie die Partei unter anderem auch deswegen kritisiert, weil man in Rumänien so schlecht verdiene. Sie sei deshalb an ihrem Arbeitsplatz dreimal von der Miliz aufgesucht worden, zweimal sei die Miliz zu ihr nach Hause gekommen, sechsmal sei sie zu Verhören zur Miliz vorgeladen worden. Dabei sei sie einmal eine Nacht lang und einmal zwei Nächte lang festgehalten und befragt worden, warum sie gegen die Partei sei. Darüber hinaus habe man sie zur Mitarbeit beim Sicherheitsdienst überreden wollen und gewünscht, sie solle Wahrnehmungen über Personen sammeln, die das Regime kritisierten und aus dem Lande flüchten wollten. Darauf sei sie aber nicht eingegangen.

Seit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes im Juni 1988 habe sie keine Arbeit mehr gefunden. Als sie eines Tages auf den Markt gegangen sei, wo Jugoslawen verschiedene Waren verkauften, und dort 2 kg Gewürze, zwei Stangen Zigaretten und einen Jeansrock gekauft habe, sei sie von der Miliz angehalten und dazu befragt worden, warum sie ausländische Sachen kaufe. Es sei eine Hausdurchsuchung durchgeführt worden, wobei man einige Kleider, die sie auf dieselbe Art gekauft hätte, gefunden habe. Obwohl es sich um getragene Kleider gehandelt habe, habe man sie des Schmuggels bezichtigt und alles beschlagnahmt. Auf Grund der Tatsache, daß sie keine Anstellung gehabt habe, habe man ihr gedroht, "sie früher oder später gemäß § 153 ein oder zwei Jahre lang einzusperren".

Schon Ende 1987, als in Timisoara Flugblätter aufgetaucht seien, sei sie eine Woche in Haft genommen worden. Sie habe aber damit nichts zu tun gehabt.

Sie sei verheiratet, ihr Gatte habe von ihren Fluchtabsichten nichts gewußt. Sie sei seit einiger Zeit mit V befreundet, wovon ihr Mann nichts wisse. Ihr Freund sei zwar nicht die Ursache dafür gewesen, daß sie Rumänien verlassen habe, jedoch habe er ihr gesagt, Rumänien verlassen zu wollen. Da sie seit einiger Zeit dieselbe Absicht gehabt habe, habe sie sich ihm angeschlossen. Es sei aber ihr Wunsch, daß auch ihr Mann nachfolge.

Mit Bescheid vom 24. April 1989 sprach die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich aus, daß die Beschwerdeführerin nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes sei.

Dagegen berief die Beschwerdeführerin, wobei sie - wie auch schon bei ihrer niederschriftlichen Befragung vom 17. Dezember 1988 - beteuerte, zufolge der Strapazen der Flucht verwirrt und mit den Nerven am Ende gewesen zu sein. Sie habe deshalb nicht alles erzählt, "was wichtig sei". Sie habe auch Angst davor gehabt, wieder nach Rumänien abgeschoben zu werden und in die Hände der Sicherheitspolizei zu fallen. In Rumänien sei sie Mitglied einer kleinen Gruppe von Leuten gewesen, die politische Manifeste gegen das kommunistische System verteilt hätten. Diese Leute kämpften für einen politischen Pluralismus, gegen die Korruption, für mehr demokratische Rechte und gegen die Zerstörung der Dörfer.

Am 14. November 1988 um 21.30 Uhr habe sie am Bahnhof Temesvar handgeschriebene Manifeste entgegengenommen, die von S aus Deva gebracht worden seien. Vom Bahnhof seien sie zu einem Mitglied ihrer Gruppe gegangen und um 1.30 Uhr hätten sie begonnen, die Manifeste vor der Oper und dem "Begakomplex" zu verteilen. Sie sei mit ihren Kameraden dabei von der Miliz überrascht und erkannt worden. Von der Miliz verfolgt, seien sie in verschiedene Richtungen davongelaufen. Die Miliz habe sie zu Hause gesucht und habe sie sich deshalb tagelang bei ihrer Schwester versteckt. Nach einigen Tagen hätten ihre Kameraden ihr durch materielle Unterstützung die Flucht ermöglichen können.

In ihrer Berufung ging die Beschwerdeführerin nochmals darauf ein, im März 1988 gezwungen worden zu sein, Mitglied der kommunistischen Partei zu werden und brachte vor, es sei ihr damit praktisch die Teilnahme an religiösen Messen verboten worden.

In einer ergänzenden Eingabe zur Berufung brachte die Beschwerdeführerin am 9. April 1990 vor, sie hätte sich seit dem Vorfall vom 14. November 1988 am Bahnhofsgelände von Temesvar in akuter Lebensgefahr befunden. Erst die Vorfälle der letzten Monate hätten offenbar gemacht, in welchem Ausmaß politisch Andersdenkende in Rumänien verfolgt würden. Die Berichterstattung der letzten Monate habe erwiesen, daß die Beschwerdeführerin und tausende andere ihrer Landsleute nicht nur Verhaftung und rechtliche Nachteile, sondern auch den Tod durch Folter und Exekution durch die Geheimpolizei zu fürchten hätten. Es könne als behördenbekannt vorausgesetzt werden, daß in Rumänien und insbesondere in der Gegend von Temesvar Massengräber von Personen vorgefunden worden seien, die der Geheimpolizei durch ihre politische oder religiöse Einstellung aufgefallen seien.

Zur Bescheinigung dieses Vorbringens legte die Beschwerdeführerin Kopien von Artikeln deutscher und österreichischer Nachrichtenmagazine vor und behauptete ausdrücklich: "Auch ich war von diesen Verfolgungsmaßnahmen betroffen".

Ausdrücklich beantragte die Beschwerdeführerin die Vernehmung ihres Gatten und ihrer Geschwister "im diplomatischen Weg" als Zeugen.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab und sprach ebenfalls aus, daß die Beschwerdeführerin nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes sei. Sie vertrat dazu in ihrer Beweiswürdigung die Auffassung, es erscheine unglaubwürdig, daß die Beschwerdeführerin zur Mitgliedschaft in der kommunistischen Partei gezwungen worden sei, weil diese als Kaderpartei organisiert und die Mitgliedschaft dort mit zahlreichen Privilegien verbunden sei. Den gegenüber den Erstangaben der Beschwerdeführerin vorgenommenen Steigerungen versagte die belangte Behörde die Glaubwürdigkeit mit dem Argument, daß Asylwerber erfahrungsgemäß gerade bei der ersten Befragung spontan jene Angaben machten, die der Wahrheit am nächsten kämen. Es sei nicht glaubwürdig, daß die Beschwerdeführerin diese Tatsachen aus Angst vor einer Abschiebung nach Rumänien zunächst verschwiegen hätte. Ohne Vertrauen zu den österreichischen Behörden hätte sie keinen Asylantrag eingebracht.

In rechtlicher Hinsicht vertrat die belangte Behörde die Auffassung, daß eine Hausdurchsuchung wegen des Verdachtes des Schmuggels noch keine politische Verfolgung der Beschwerdeführerin erkennen lasse. Aus der Inhaftierung im Jahr 1987 seien für die Beschwerdeführerin keine weiteren Konsequenzen erwachsen. Behördliche Ermittlungen wegen strafbarer Verhaltensweisen könnten nicht als Verfolgung im Sinne der Genfer Konvention qualifiziert werden. Die von der Beschwerdeführerin in der Ergänzung zu ihrer Berufung dargelegte allgemeine Lage in Rumänien könne nichts über die allein relevante individuelle Situation eines Asylwerbers aussagen. Das Ermittlungsverfahren habe keine Anhaltspunkte für eine konkrete Verfolgung der Beschwerdeführerin ergeben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Verwaltungsgerichtshofbeschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihrem Recht auf richtige Anwendung der Genfer Konvention sowie auf ein gesetzmäßiges, fehlerfreies und nicht mit einer Nichtigkeit belastetes Verfahren nach dem AVG verletzt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin wendet sich in Ausführung ihrer Verfahrensrüge in erster Linie gegen die Begründung des angefochtenen Bescheides und macht eine Verletzung des § 60 AVG geltend. Es ist ihr in diesem Zusammenhang zwar zuzugeben, daß der angefochtene Bescheid nur äußerst knappe Begründungselemente enthält, jedoch vermag dies der Beschwerde im Ergebnis nicht zum Erfolg zu verhelfen. Der angefochtene Bescheid läßt nämlich eindeutig erkennen, daß die belangte Behörde im Wege einer keineswegs unschlüssigen Beweiswürdigung (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 8. November 1989, Zlen. 89/01/0287-0291 und die dort zitierte hg. Vorjudikatur) den Steigerungen im Vorbringen der Beschwerdeführerin die Glaubwürdigkeit versagte und ihrer rechtlichen Beurteilung die Erstangaben zugrunde gelegt hat. Davon ausgehend stellt es weder eine Verletzung von Verfahrensvorschriften noch eine inhaltliche Rechtswidrigkeit dar, daß sich die belangte Behörde in ihrem Bescheid vor allem mit den im Nachtrag zur Berufung geltend gemachten (und durch die Vorlage verschiedener Artikel aus Nachrichtenmagazinen bescheinigten) Argumenten der Beschwerdeführerin über die allgemeine Lage in Rumänien nicht auseinandergesetzt hat. Dazu war die belangte Behörde nicht gehalten, weil es nach der hg. ständigen Judikatur darauf ankommt, die individuell-konkrete Situation des Asylwerbers und nicht die allgemeine Lage in seinem Heimatland der Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling zugrunde zu legen (vgl. dazu das bereits oben zitierte hg. Erkenntnis Zlen. 89/01/0287-0291).

Geht man aber von den Angaben aus, die die Beschwerdeführerin bei ihrer Befragung am 6. Dezember 1988 machte, so erweist sich der angefochtene Bescheid im Ergebnis als richtig. Allein die Tatsache, daß sich ein Asylwerber in seiner Heimat wegen der schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse regimekritisch äußert und deshalb (wenn auch wiederholt) kurzfristig inhaftiert, dann aber wieder freigelassen wird, wobei der Verdacht naheliegt, daß er deshalb auch seinen Arbeitsplatz verliert, stellt noch keine Situation dar, die aus objektiver Sicht den weiteren Verbleib des davon Betroffenen in seiner Heimat als unerträglich erscheinen ließe (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 18. März 1992, Zl. 91/01/0211).

Der Rüge der Beschwerdeführerin, sie sei nicht entsprechend angeleitet worden, ihr Vorbringen zu gestalten, ist entgegenzuhalten, daß die Manuduktionspflicht nicht so weit geht, einen Asylwerber dahin zu unterweisen, wie er sein Vorbringen auszuführen habe, damit es von Erfolg gekrönt werde (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 26. Februar 1992, Zl. 92/01/0095).

Was die Behauptung der Beschwerdeführerin anlangt, sie sei nach ihrer Einreise nach Österreich "sofortigen Einschüchterungen" durch die Behörden in Gestalt des Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Leibnitz vom 6. Dezember 1988 (womit sie gemäß § 6 Abs. 1 AsylG zum Aufenthalt in der Überprüfungsstation des Flüchtlingslagers Traiskirchen verpflichtet worden sei) ausgesetzt gewesen, ist darauf zu verweisen, daß der erwähnte Bescheid noch keineswegs eine Situation nahelegt, die sämtliche von der Beschwerdeführerin in weiterer Folge vorgenommenen Steigerungen ihres Vorbringen als glaubhaft erscheinen ließe. Insbesondere die ausführlichen Angaben der Beschwerdeführerin bei ihrer Vernehmung durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 17. Dezember 1988 zeigen, daß sie jedenfalls damals bereits ganz offenbar zu den österreichischen Behörden das entsprechende Vertrauen gefaßt hatte und ist daher den in weiterer Folge von der Beschwerdeführerin in ihrer Berufung (vor allem aber im schriftlichen Nachtrag dazu) vorgenommenen Steigerungen von der belangten Behörde schlüssig und zu Recht die Glaubwürdigkeit versagt worden. Selbst wenn man aber der Beschwerdeführerin bezogen auf den 6. Dezember 1988 (insbesondere auch mit Rücksicht auf die von ihr behaupteten Strapazen ihrer "Flucht") eine gewisse Ausnahmesituation zubilligt und jene Steigerungen ihres Vorbringens, die die Beschwerdeführerin bei ihrer Vernehmung am 17. Dezember 1988 gegenüber ihren Erstangaben vom 6. Dezember 1988 machte, in die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft einbeziehen wollte, wäre für die Beschwerdeführerin im Ergebnis nichts gewonnen. Einerseits liegen die von ihr dabei geschilderten Vorfälle aus der Zeit bis März 1986 bzw. Ende 1987 zeitlich gesehen zu weit zurück (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 18. März 1992, Zl. 91/01/0211) und andererseits erreichen die von der Beschwerdeführerin für das Jahr 1988 behaupteten Vorfälle - wie oben schon dargelegt - noch nicht den Grad der Unerträglichkeit.

Dem angefochtenen Bescheid haftet somit weder die behauptete inhaltliche Rechtswidrigkeit an noch Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen, wobei von der beantragten mündlichen Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG Abstand genommen werden konnte.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

freie BeweiswürdigungSachverhalt Sachverhaltsfeststellung Freie Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1992010259.X00

Im RIS seit

20.05.1992

Zuletzt aktualisiert am

25.03.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten