TE Vfgh Erkenntnis 1989/11/27 B635/89

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Veröffentlicht am 27.11.1989
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Index

44 Zivildienst
44/01 Zivildienst

Norm

B-VG Art83 Abs2 / Kollegialbehörde
ZivildienstG §2 Abs1
ZivildienstG §47 Abs4

Leitsatz

Keine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung; kein schwerer Verstoß verfahrensrechtlicher Art im Bereich der freien Beweiswürdigung; keine Glaubhaftmachung der Gewissensgründe; rechtmäßige Zusammensetzung der belangten Behörde

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Zivildienstoberkommission beim Bundesministerium für Inneres vom 3. März 1989 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung - nach durchgeführter mündlicher Verhandlung - gemäß §2 Abs1 iVm §6 Abs1 ZDG abgewiesen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in welcher der Beschwerdeführer die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung sowie auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter geltend macht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Verfassungsbestimmung des §2 Abs1 ZDG besagt, daß Wehrpflichtige im Sinn des Wehrgesetzes 1978, BGBl. 150, auf ihren Antrag von der Wehrpflicht zu befreien sind, wenn sie es - von Fällen der persönlichen Notwehr oder Nothilfe abgesehen - aus schwerwiegenden, glaubhaften Gewissensgründen ablehnen, Waffengewalt gegen andere Menschen anzuwenden und daher bei Leistung des Wehrdienstes in schwere Gewissensnot geraten würden; sie sind zivildienstpflichtig. Der Verfassungsgerichtshof vertritt in seiner mit VfSlg. 8033/1977 eingeleiteten ständigen Rechtsprechung die Auffassung, daß diese Vorschrift das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung beinhaltet (vgl. zB VfSlg. 10021/1984; VfGH 26.9.1986 B243/86).

Dieses Grundrecht wird nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes nicht bloß dadurch verletzt, daß die Behörde die im §2 Abs1 ZDG umschriebenen materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Wehrpflichtbefreiung unrichtig beurteilt; eine solche Verletzung ist - da sich der Schutzumfang des Grundrechtes auf die für den Nachweis der Voraussetzungen maßgebende Vorgangsweise der Glaubhaftmachung (Bescheinigung) miterstreckt - auch dann gegeben, wenn der Behörde wesentliche Verstöße in diesem verfahrensrechtlichen Bereich unterlaufen oder wenn sie dem Antragsteller überhaupt die Möglichkeit nimmt, das Vorliegen der materiellen (Befreiungs-)Bedingungen glaubhaft zu machen (vgl. zB VfSlg. 9985/1984, 10056/1984; VfGH 26.9.1986 B243/86).

Wie der Verfassungsgerichtshof in diesem Zusammenhang schon wiederholt aussprach (vgl. zB die soeben zitierte Judikatur), zählen zu den hier wahrzunehmenden Verstößen auf verfahrensrechtlichem Gebiet auch wesentliche Fehler bei der Beweiswürdigung einschließlich der Würdigung der Parteiaussage als Bescheinigungsmittel.

2.a) Die belangte Behörde (ZDOK) geht richtig davon aus, daß der Beschwerdeführer, zieht man alle seine Einlassungen im Administrativverfahren gebührend in Betracht, den Standpunkt einnahm, infolge seiner - allgemeinen und vorbehaltlosen - Ablehnung der Anwendung von Waffengewalt in schwere Gewissensnot zu geraten, wenn er Wehrdienst leisten müßte.

Eine derartige (an sich taugliche) Behauptung muß aber, sollen die Voraussetzungen für die Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung erfüllt sein, nicht nur aufgestellt, sondern kraft §6 Abs2 ZDG auch glaubhaft gemacht werden (vgl. zB VfSlg. 9573/1982).

b) Die ZDOK legte dar, weshalb sie der Ansicht sei, daß hier schwerwiegende Gewissensgründe iS des ZDG nicht glaubhaft seien.

Sie begründete dies im wesentlichen wie folgt:

"Der Berufungswerber hat zwar, zieht man sein gesamtes Vorbringen in Betracht, sinngemäß zum Ausdruck gebracht, daß er die Anwendung von Waffengewalt gegen Menschen grundsätzlich ablehnt. Es kann somit von einer tauglichen Behauptung schwerwiegender Gewissensgründe gem. §2 Abs1 ZDG ausgegangen werden. Allerdings war er außerstande, eine gefestigte innere Überzeugung in der von ihm behaupteten Richtung glaubhaft zu machen, was aber im Hinblick auf §6 Abs2 ZDG unabdingbare Voraussetzung für die Anerkennung als Zivildienstpflichtiger wäre.

Die Berufungsbehörde mußte aufgrund des Auftretens des Berufungswerbers bei Ablegung seiner Parteiaussage zwangsläufig zu dieser Auffassung gelangen. Der Berufungswerber wirkte alles in allem in seinem ganzen durch auffallende Unsicherheit geprägten Verhalten gewiß nicht wie ein junger Mensch, der sich entsprechend seinen bildungsmäßigen Voraussetzungen - immerhin verfügt der Berufungswerber über Hochschulreife - auch nur einigermaßen mit dem Thema 'Wehrdienst - Zivildienst' gedanklich auseinandergesetzt hat und auf dieser Basis ein ernstes Anliegen vertritt, dem er nicht zuwiderhandeln kann, ohne schweren Schuldgefühlen ausgesetzt zu sein. Nach dem Eindruck des Berufungssenates hegt der Berufungswerber zwar gewisse Vorbehalte gegen die Anwendung von Waffengewalt gegen Menschen. Diese haben sich jedoch noch nicht derart verfestigt bzw. noch nicht jene Intensität erreicht, daß von einer gefestigten inneren Überzeugung, wie sie allein als Ausgangspunkt schwerer Gewissenskonflikte bei Leistung des Wehrdienstes in Betracht kommt, gesprochen werden könnte.

Für diese Beurteilung der Person des Berufungswerbers spricht auch der Inhalt seiner Argumentation, die sich keineswegs einheitlich und in sich geschlossen darstellt. Bei der Berufungsverhandlung führte er erstmals ins Treffen, den Befreiungsantrag gestellt zu haben, weil seiner Auffassung nach der Dienst mit der Waffe beim Bundesheer bedeute, über das Leben eines anderen Menschen zu entscheiden. Dieses Recht über Leben und Tod stehe aber nur Gott zu, es heiße daher 'Gott zu spielen', wenn man auf einen anderen Menschen schieße, um ihn zu töten. Der Berufungswerber schloß in diesem Zusammenhang ausdrücklich für sich eine Argumentation in religiöser Richtung aus. Als weiteren Grund machte er - wie etwa sinngemäß auch in der Berufungsschrift - geltend, beim Roten Kreuz gelernt zu haben, Leben zu retten, wogegen er beim Bundesheer genötigt - wäre, im Ernstfall das Gegenteil zu tun, nämlich Leben zu vernichten. Es bestehe in ihm eine aus kontinuierlicher Entwicklung entstandene innere Sperre dagegen, zur Waffe zu greifen und andere Menschen zu töten, selbst dann, wenn fremde Truppen an der Zivilbevölkerung Greueltaten verüben.

In der Verhandlung I. Instanz machte der Antragsteller in recht schlagwortartig anmutender Weise geltend, er lehne eine Konfliktlösung mit der Waffe ab, die Erfahrung habe gezeigt, daß eine derartige Konfliktlösung nichts bringe. Aus diesem Grunde könne er sich nicht vorstellen, beim Bundesheer im Ernstfall mit Waffengewalt gegen Menschen vorzugehen.

In der Antragsbegründung verwies der Berufungswerber zunächst auf die Ereignisse des Zweiten Weltkrieges, der so vielen Menschen Zerstörung, Leid, Elend und Tod gebracht habe und nannte dann als Grund für die Entstehung schwerer Gewissensnot bei Leistung des Wehrdienstes, daß er die Lösung von Konflikten mit Gewalt, also mit der Waffe in der Hand, nicht für richtig finde und daher nicht billigen könne. Er könne weder die Waffe zum Zwecke des Tötens, noch zum Zwecke des Tötenlernens in die Hand nehmen. Auch derjenige, den er töten solle, sei ein Mensch.

Abgesehen davon, daß der Berufungswerber später seine Argumentationslinie änderte, erscheinen diese Ausführungen weniger als Abbild der persönlichen Gewissenssituation des Antragstellers, sondern eher als die Wiedergabe von Überlegungen, wie sie erfahrungsgemäß immer wieder von Zivildienstwerbern vorgebracht werden.

Bei der Gesamtwürdigung der Person des Berufungswerbers wurde mit in Betracht gezogen, daß er nachweislich seit August 1987 als ehrenamtlicher Mitarbeiter des Roten Kreuzes durchaus anerkennungswert tätig ist und regelmäßige Dienstleistungen erbringt. Dies konnte jedoch auf das Endergebnis deshalb keinen entscheidenden Einfluß ausüben, weil der persönliche Eindruck, den der Berufungswerber bei Ablegung seiner Parteiaussage hinterließ, wesentlich schwerer wog. Der Vollständigkeit ist auch darauf hinzuweisen, daß erfahrungsgemäß die weitaus überwiegende Mehrzahl der aktiv tätigen Rotkreuzangehörigen keinerlei gewissensmäßige Hindernisse sieht, den Präsenzdienst beim österreichischen Bundesheer abzuleisten."

3.a) Entgegen der in der Beschwerdeschrift vertretenen Auffassung unterliefen der belangten Behörde dabei weder materielle noch gravierende prozessuale Rechtsverletzungen, und zwar auch nicht im Bereich der freien Würdigung des Bescheinigungsmaterials:

Der Beschwerdeführer bekämpft nämlich nach der unverkennbaren Zielsetzung der Beschwerdeeinreden in Wahrheit bloß die - nicht zu seinen Gunsten ausgefallene - behördliche Beweiswürdigung, indem er tatsächliche Schlußfolgerungen der ZDOK in der Glaubhaftmachungsfrage als unrichtig und verfehlt hinstellen will. Er vermag damit den Umständen nach allerdings keineswegs aufzuzeigen, daß die beweiswürdigenden Überlegungen der Berufungsbehörde der allgemeinen Lebenserfahrung oder den Gesetzen des logischen Denkens widersprechen: Nur in diesem Fall aber könnte im gegebenen Zusammenhang - nach gefestigter Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes - von einem verfassungsrechtlich relevanten, groben Verstoß verfahrensrechtlicher Art die Rede sein, der nach §2 ZDG aufzugreifen wäre (zB VfSlg. 9985/1984; VfGH 26.9.1986 B243/86).

b) Der Verfassungsgerichtshof kann der ZDOK nach Lage des Falles nicht entgegentreten, wenn sie in Prüfung und Würdigung der wesentlichen Verfahrensergebnisse, und zwar unter Bedachtnahme auf das bisherige Verhalten des Antragstellers (§6 Abs2 ZDG) sowie aufgrund seiner Argumentation im Administrativverfahren und des von ihm gewonnenen Eindrucks, in freier Beweiswürdigung zur Ansicht gelangte, daß Gewissensgründe nicht (im Sinne des §6 Abs2 ZDG) glaubhaft gemacht wurden (vgl. hiezu die Vorjudikatur, wonach (grundsätzlich) keine Verpflichtung besteht, die aufgrund unmittelbaren Eindruckes gebildete Überzeugung vom Beweiswert der Angaben einer Person (näher) zu begründen: zB VfSlg. 9573/1982, 9785/1983, 10249/1984, 10529/1985).

c) Abschließend folgt daraus, daß keine Verletzung des in §2 Abs1 ZDG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung vorliegt.

4.a) Der Beschwerdeführer erblickt die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter darin, daß der entscheidende Senat nicht rechtmäßig zusammengesetzt gewesen sei; im angefochtenen Bescheid finde sich nämlich kein Hinweis darauf, daß seine nach §47 Abs4 ZDG dem Senat als "nichtständiges Mitglied" angehörende Vertrauensperson - die überdies nicht in die Funktion eines Senatsmitgliedes eingewiesen und über die Rechte und Pflichten eines solchen belehrt worden sei - an der Erlassung des angefochtenen Bescheides mitgewirkt habe. Diese Rüge des Beschwerdeführers entzieht sich schon deswegen einer näheren Erörterung, weil die Vertrauensperson laut Verhandlungsschrift an der Berufungsverhandlung ohnedies teilnahm, ihre Mitwirkung aber im Bescheid nicht erwähnt werden muß.

b) Der Beschwerdeführer ist sohin auch nicht im zuletzt erwähnten Recht verletzt worden.

5. Angesichts des Umstandes, daß schließlich auch keine Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder eine Rechtsverletzung infolge Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm hervorkam, mußte die Beschwerde als unbegründet abgewiesen werden.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Zivildienst

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1989:B635.1989

Dokumentnummer

JFT_10108873_89B00635_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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