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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AsylG 1968 §1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Großmann und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Kremla, Dr. Steiner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde des H in L, vertreten durch Dr. B, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 6. März 1992, Zl. 4.330.263/2-III/13/92, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 505,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, reiste am 9. November 1991 aus Ungarn kommend illegal in das österreichische Bundesgebiet ein. Am 10. Jänner 1992 stellte er einen Asylantrag mit der Begründung, er sei in Indien politisch verfolgt worden.
Bei seiner niederschriftlichen Vernehmung am 21. Jänner 1992 gab er im wesentlichen folgendes an:
Während seiner Schulzeit im Polytechnikum (1985-1989) sei er Mitglied der "A.I.S.S.F." (= Gesamtindische Sik-Studentenvereinigung) gewesen und habe für diese Spenden gesammelt. Hiebei habe er Kontakt zu der in Indien als terroristische Gruppe bekannten "BABBER KHALSA" bekommen. Angehörige dieser Gruppe hätten ihn "mit dem Umbringen" bedroht, wenn er seine Sammeltätigkeit fortsetze.
Im Oktober oder November 1989 habe er vier "Babber-Khalsa-Terroristen" in seinem Haus Unterschlupf gewährt, weil diese bewaffnet gewesen seien und er um sein Leben Angst gehabt habe. Er sei deswegen von der Polizei 10 Tage lang in Haft genommen und im Anschluß daran immer wieder kontrolliert worden.
Im Mai 1990 habe er sich zwecks Religionsausübung im "Gurdwara" in Agra aufgehalten. Er sei dort ohne einen ihm erkennbaren Grund von der Polizei festgenommen, in seinen Heimatort zurückgeschickt, dort von der Polizei 10 bis 12 Tage festgehalten und immer wieder zum derzeitigen Aufenthalt der "Babber-Khalsa-Terroristen" befragt worden. Er habe aber dazu keine Angaben machen können, weil ihm der Aufenthalt dieser Personen nicht bekannt gewesen sei. Aus Angst vor weiteren Festnahmen und Kontrollen durch die Polizei habe er Indien am 6. November 1991 per Flug nach Budapest verlassen.
Mit Bescheid vom 3. Februar 1992 stellte daraufhin die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich fest, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes sei. Dagegen berief der Beschwerdeführer mit der Behauptung "große Probleme in Indien zu haben"; 1990 sei sein Bruder von der Polizei getötet worden, "dann sei er geflüchtet".
Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab und sprach ebenfalls aus, der Beschwerdeführer sei nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes.
In ihrer Beweiswürdigung vertrat die belangte Behörde den Standpunkt, es sei den Angaben des Beschwerdeführers bei seiner ersten Einvernahme gegenüber den Steigerungen in der Berufung der Vorzug zu geben, weil Asylwerber erfahrungsgemäß anläßlich der ersten Einvernahme jene Angaben machten, die der Wahrheit am nächsten kämen. Es sei nicht zu ersehen, warum der Beschwerdeführer den in der Berufung behaupteten Tod seines Bruders nicht schon im erstinstanzlichen Verfahren angegeben habe. Davon abgesehen könnten den Beschwerdeführer betreffend nur Umstände berücksichtigt werden, die sich auf seine Person bezögen. Insoweit habe er aber Verfolgungshandlungen im Sinne der Genfer Konvention nicht glaubhaft gemacht. Wenn der Beschwerdeführer tatsächlich Terroristen Unterschlupf gewährte, so handle es sich dabei um kriminelle Delikte und stellten daher die vom Beschwerdeführer behaupteten Maßnahmen der Polizei keine Verfolgungen i.S. der Konvention dar. Die Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zur Volks- und Religionsgemeinschaft der Sikhs allein könne für eine Asylgewährung nicht ausreichen. Auch zu Unrecht gegen den Beschwerdeführer erhobene "Strafvorwürfe" (gemeint wohl: Vorwürfe der Begehung strafbarer Handlungen) könnten noch nicht die Annahme eines "politischen Aspektes" begründen.
Im Asylverfahren seien im besonderen Maße Erfahrungen und typische Geschehensabläufe zu berücksichtigen. Die Betroffenen und die Behörde stünden in solchen Verfahren vor schwierigen Beweisfragen. Sie seien deshalb auf die Verwertung allgemeiner Erfahrungssätze angewiesen. Die Bildung von Erfahrungssätzen sei nicht nur zugunsten des Asylwerbers möglich, sie könnten auch gegen ein Asylvorbringen sprechen. In Indien bestünde keine Staatsreligion; die Verfassung garantiere vielmehr jedem Bürger Religionsfreiheit.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Verwaltungsgerichtshofbeschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Der Beschwerdeführer erachtet sich - aus dem Beschwerdeinhalt erkennbar - in seinem Recht auf Feststellung seiner Flüchtlingseigenschaft verletzt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 1 AsylG (BGBl. 126/1968) i.V.m. Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer-Flüchtlingskonvention (BGBl. Nr. 55/1955 i.V.m. BGBl. Nr. 78/1974) ist jemand u.a. dann als Flüchtling anzusehen, wenn festgestellt wird, daß er sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
In Darstellung des Beschwerdegrundes der inhaltlichen Rechtswidrigkeit vertritt der Beschwerdeführer den Standpunkt, er habe - von der belangten Behörde unwiderlegt - konkrete Verfolgungshandlungen dargelegt, die den Kriterien der Genfer Flüchtlingskonvention entsprächen. Die belangte Behörde gehe Indien betreffend von unrichtigen Voraussetzungen aus. Die Tatsache, daß dort nach der Verfassung Religionsfreiheit bestehe, bedeute noch nicht, daß die vom Beschwerdeführer behauptete Verfolgungshandlung widerlegt wäre, weil es nicht auf die Verfassungsrechtslage in einem Staat ankomme sondern auf die konkrete Situation des Asylwerbers.
Insoweit ist dem Beschwerdeführer beizupflichten. Der allgemeinen Situation im Heimatland eines Asylwerbers kann nicht die allein ausschlaggebende Bedeutung bei der Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft des Asylwerbers zukommen. Maßgebend ist vielmehr die konkrete Situation des jeweiligen Asylwerbers selbst, und ausgehend davon ist zu beurteilen, ob bei ihm die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen oder nicht.
Selbst dann aber, wenn man im vorliegenden Fall die Angaben des Beschwerdeführers über seine Situation in Indien unter Außerachtlassung der Ausführungen der belangten Behörde über die allgemeine (Verfassungsrechts-) Lage zur Religionsfreiheit im Heimatstaat des Beschwerdeführers heranzieht, erweist sich, daß die behauptete inhaltliche Rechtswidrigkeit dem angefochtenen Bescheid im Ergebnis nicht anhaftet. Die vom Beschwerdeführer behaupteten Maßnahmen der indischen Polizei sind, wie die belangte Behörde richtig erkannt hat, nach seinen eigenen Angaben auch bei Anlegung großzügiger Maßstäbe keineswegs als Verfolgungshandlungen aus Konventionsgründen zu werten, sondern auf die Tatsache zurückzuführen, daß der Beschwerdeführer (wenn auch unter Zwang) Terroristen Unterschlupf gewährt hat. Wenn jemand aus Anlaß eines derartigen Verhaltens von der Polizei festgenommen, einige Tage festgehalten, befragt und in weiterer Folge wiederholt kontrolliert wird, so kann darin noch nicht eine gegen ihn aus Konventionsgründen gerichtete Maßnahme erblickt werden, die begründete Furcht vor weiterer Verfolgung aus Konventionsgründen rechtfertigen könnte.
Da auch die Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zur Gemeinschaft der Sikhs und die Tatsache allein, daß er von der Polizei aus Agra in seinen Heimatort zurückgeschickt wurde, noch nicht als Verfolgungen aus Konventionsgründen erachtet werden können, erweist sich der angefochtene Bescheid als frei von der behaupteten inhaltlichen Rechtswidrigkeit.
Was die erhobene Verfahrensrüge anlangt, so behauptet der Beschwerdeführer zunächst die Verletzung seines rechtlichen Gehörs, weil ihm die von der belangten Behörde vertretenen "Rechtsansichten" vor Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht zur Kenntnis gebracht worden seien. Diesem Argument kann kein Erfolg beschieden sein. Nach ständiger hg. Judikatur umfaßt das Parteiengehör nur den Sachverhaltsbereich, nicht jedoch die rechtliche Würdigung desselben. Es besteht keine Pflicht der Behörde, der Partei bekanntzugeben, in welcher Richtung sie einen Bescheid zu erlassen und wie sie diesen zu begründen gedenkt (vgl. dazu z.B. die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des Österreichischen Verwaltungsverfahrens4 Seite 235 unter ENr. 60 und 61 zu § 37 AVG referierte hg. Judikatur).
Insoweit der Beschwerdeführer schließlich rügt, die belangte Behörde habe keine konkreten Feststellungen über die politische Situation in Indien getroffen und nicht begründet, auf Grund welcher konkreten Beweisergebnisse sie zu ihren Schlußfolgerungen hinsichtlich der politischen Verhältnisse in Indien gelangte, ist dem Beschwerdeführer zwar zuzugeben, daß die Begründung des angefochtenen Bescheides in diesem Bereich mangelhaft ist, doch kommt dem im vorliegenden Fall deshalb keine Relevanz zu, weil - wie bei Behandlung der Rechtsrüge oben schon aufgezeigt - auch bei Unterbleiben der diesbezüglichen Ausführungen im angefochtenen Bescheid kein anderes Ergebnis zu erzielen ist.
Mit Rücksicht darauf, daß somit die belangte Behörde ihr Verfahren auch nicht mit Verfahrensmängeln belastet hat war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
Parteiengehör Rechtliche Beurteilung Parteiengehör Verletzung des Parteiengehörs Verfahrensmangel Verfahrensgrundsätze im Anwendungsbereich des AVG Allgemein VwRallg10/1European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1992010306.X00Im RIS seit
11.07.2001