TE Vwgh Erkenntnis 1992/5/26 89/05/0180

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.05.1992
beobachten
merken

Index

L37153 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Niederösterreich;
L81703 Baulärm Umgebungslärm Niederösterreich;
L82000 Bauordnung;
L82003 Bauordnung Niederösterreich;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §8;
BauO NÖ 1976 §118 Abs9 Z4;
BauO NÖ 1976 §2 Z11;
BauO NÖ 1976 §21 Abs4 idF 8200-1;
BauO NÖ 1976 §21 Abs4;
BauRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Draxler und die Hofräte DDr. Hauer, Dr. Degischer, Dr. Giendl und Dr. Kail als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Unterer, über die Beschwerde der HS in S, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 25. Juli 1989, Zl. R/1-V-8923, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Parteien: 1. FF in H, 2. Marktgemeinde H, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Niederösterreich Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Auf Ansuchen des mitbeteiligten Bauwerbers um Erteilung einer Baubewilligung zwecks Errichtung eines Wohnhauses fand am 17. Juli 1978 eine Bauverhandlung an Ort und Stelle statt, an der auch die Beschwerdeführerin als Anrainerin teilnahm. Der Bauverhandlung lag ein Einreichplan zugrunde, welcher eine Lageskizze enthielt. Daraus ist ersichtlich, daß das Grundstück des Bauwerbers Gp. Nr. 1161 an seiner Nordseite vom Grundstück der Beschwerdeführerin (mit "Kath. S" bezeichnet) durch einen 1,50 bis 2,00 m breiten Gemeindegrund getrennt ist und die Bauführung an der Grundstücksgrenze beabsichtigt war. In der Verhandlungsschrift heißt es ausdrücklich, daß die Baulinie gegen den Gemeindegrund mit der Grundgrenze ident ist. Dem Protokoll über die Bauverhandlung sind Einwendungen der Beschwerdeführerin nicht zu entnehmen.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde vom 17. Juli 1978 wurde aufgrund des Ergebnisses der Bauverhandlung und des genehmigten Bauplanes die Bewilligung zum Neubau eines Einfamilienhauses und zur Errichtung einer Einfriedung unter zahlreichen Auflagen erteilt. Der Bürgermeister verfügte die Zustellung des Bescheides an "J. und H.S."; angeschlossen ist dem Bescheid ein Postaufgabeschein für Josef S., aber kein Zustellnachweis.

Wie aus einem Aktenvermerk vom 18. Oktober 1988 ersichtlich ist, erfolgte die Bescheidzustellung sodann antragsgemäß an den Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin, welche Berufung erhob. Darin macht die Beschwerdeführerin geltend, daß der Baubescheid seinerzeit nur an J.S. zugestellt worden sei, dieser aber nicht Grundstückseigentümer war. Erst jetzt sei eine Zustellung an sie erfolgt. Sie sei Anrainerin und habe Anspruch auf Einhaltung des Bauwiches gemäß § 21 Abs. 4 der NÖ Bauordnung; tatsächlich betrage der Abstand nur 1,00 bis 1,50 m. Dies habe sie bei der seinerzeitigen Bauverhandlung eingewendet, was aber keinen Niederschlag im Protokoll gefunden habe, weshalb sie die Unterschrift verweigert habe. Außerdem sei sie Eigentümerin des Weinkellers auf der Parzelle 1162. Im Gegensatz zu "früher" könne zu diesem Weinkeller nun nicht mehr zugefahren werden. Schließlich sei sie in ihrem Recht auf eine ausreichende Licht- und Luftzufuhr beeinträchtigt. Das Dach des errichteten Einfamilienhauses grenze fast unmittelbar an das Dach ihres Hauses. Weiters habe sie "seinerzeit" an ihrer zum Bauwerber gerichteten Grundstücksgrenze ein Tor angebracht. Bei einem Seitenabstand von stellenweise bloß 1,00 bis 1,50 m könne sie das Tor nicht mehr benützen.

Der Gemeinderat der Marktgemeinde H wies die Berufung mit Bescheid vom 24. Jänner 1989 ab. Die Einwendungen seien nicht rechtzeitig im Sinne des § 42 Abs. 1 und 2 AVG erhoben worden.

In der dagegen erhobenen Vorstellung wiederholte die Beschwerdeführerin im wesentlichen die schon in der Berufung vorgebrachten Einwendungen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die Niederösterreichische Landesregierung die Vorstellung als unbegründet ab. Da für das betreffende Gebiet kein Bebauungsplan bestehe, könne die Vorstellungswerberin aus § 21 Abs. 4 der NÖ Bauordnung kein subjektiv-öffentliches Recht ableiten. Auch aus § 2 Z. 8 des Gesetzes sei für die Vorstellungswerberin nichts zu gewinnen, weil diese Bestimmung durch die Novelle LGBl. 8200-6 neugefaßt sei. Die Beschränkung der Nutzbarkeit ihres Grundstückes (Zufahrt zur Einfahrt) sei eine zivilrechtliche Einwendung. Es gebe keine Bebauungsvorschrift, wonach das Grundstück des Bauwerbers unbebaubar sei und zur Belichtung und Belüftung des Gebäudes der Vorstellungswerberin verwendet werden müsse.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und "Mangelhaftigkeit des Verfahrens" geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde legte die Bauakten vor und erstattete ebenso wie der mitbeteiligte Bauwerber eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Vorauszuschicken ist, daß die Bauordnungsnovelle 1981, LGBl. 8200-1, dem § 121 Abs. 1 der NÖ Bauordnung 1976, LGBl. 8200-0, folgende Fassung gegeben hat: "(1) Bewilligungen, die am 31. Dezember 1969 bereits bestanden, bleiben bestehen. Rechtsmittel übergangener Nachbarn sind nach den zur Zeit der angefochtenen Entscheidung gültigen Bestimmungen zu behandeln."

Damit hat der Niederösterreichische Landesgesetzgeber für Verfahren über Rechtsmittel übergangener Nachbarn - unter Durchbrechung des Grundsatzes, daß jeweils die Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung der Berufungsbehörde anzuwenden ist - eine Sonderregelung getroffen. Im Beschwerdefall bedeutet dies, daß die Bewilligungsfähigkeit des gegenständlichen Einfamilienhauses an den Bestimmungen zu messen ist, die zum Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Baubewilligungsbescheides gegolten haben; diese sind im Beschwerdefall die Niederösterreichische Bauordnung 1976 in der Fassung der Wiederverlautbarung LGBl. 8200-0 (im folgenden: BO genannt).

Die Beschwerdeführerin versucht, die Bestimmung des § 21 Abs. 4 BO isoliert und losgelöst von den Bestimmungen über die BAUWEISE zu betrachten. Die Begriffsbestimmung im § 2 Z. 11 BO unterscheidet aber u.a. zwischen einer

a) geschlossenen Bebauung, wenn die Gebäude beiderseits an die seitlichen Grundstücksgrenzen anzubauen sind;

b) gekuppelten Bebauung, wenn die Gebäude lediglich an einer seitlichen Grundgrenze anzubauen sind, und zwar jeweils zwei Anrainer an der selben Grundgrenze;

c) offenen Bebauung, wenn beiderseits ein entsprechender Bauwich einzuhalten ist oder auch alle Gebäude an einer seitlichen in der selben Straßenrichtung gelegenen Grundgrenze anzubauen sind.

Dementsprechend sprach der Verwaltungsgerichtshof zu § 21 Abs. 4 BO ("Der Bauwich muß eine Mindestbreite im Ausmaß der halben Gebäudehöhe, mindestens 3 m, aufweisen") aus, daß damit nicht eine generelle Anordnung über die Notwendigkeit der Einhaltung eines Bauwichs, sondern lediglich bestimmt wird, welche Mindestbreite ein Bauwich aufweisen muß, wenn nach der im Bebauungsplan festgesetzten Bebauungsweise überhaupt ein Bauwich einzuhalten ist (Slg. 8114/A; Erkenntnis vom 13. Dezember 1976, Zl. 116/76, sowie zur geltenden Rechtslage die Erkenntnisse vom 27. Mai 1986, Zl. 84/05/0197,

18. Juni 1991, Zl. 90/05/0239, u.v.a.).

§ 118 Abs. 9 Z. 4 BO gewährt dem Nachbarn einen subjektiv-öffentlichrechtlichen Anspruch auf Einhaltung der Bestimmungen über die Bebauungsweise. Die Rechtsauffassung der Beschwerdeführerin, daß ein Abstand von 3,00 m zur Grundgrenze unbedingt und ständig einzuhalten sei, wäre mit einer gerade in Ortskernen vorherrschenden und im Gesetz gebilligten geschlossenen oder gekuppelten Bebauungsweise unvereinbar.

Unbekämpft blieb die Ausführung im angefochtenen Bescheid, daß für das hier maßgebende Gebiet kein Bebauungsplan, also auch kein vereinfachter Bebauungsplan erlassen worden sei. Sache der Beschwerdeführerin wäre es daher gewesen, darzutun, daß gemäß § 120 Abs. 8 BO auf die Bestimmung des § 120 Abs. 7 BO nicht Bedacht genommen worden wäre, daß also insbesondere das Vorhaben zur bestehenden Bebauungsweise in auffallendem Widerspruch gestanden wäre. Nichts dergleichen ist jedoch hervorgekommen, zumal auch die Beschwerdeführerin selbst unmittelbar an der Grundstücksgrenze gebaut hat. Auch unter dem Gesichtspunkt der tatsächlich gegebenen Bebauung war daher ein Bauwich nicht einzuhalten.

Da somit die behauptete Bauordnungswidrigkeit nicht vorliegt, kann die Beschwerdeführerin auch aus § 118 Abs. 9 Z. 4 BO (ausreichende Belichtung) nichts für sich gewinnen, weil damit nicht ein gesonderter Anspruch geschaffen wird. Ganz im Gegenteil muß nach dieser Bestimmung eine allenfalls vorliegende Bauordnungswidrigkeit noch darauf geprüft werden, ob sie überhaupt eine beeinträchtigende Wirkung im Hinblick auf die Belichtung entfalten kann.

Hinsichtlich aller weiteren Einwendungen ist zunächst darauf zu verweisen, daß die Beschwerdeführerin selbst nur behauptet, sie hätte bei der Bauverhandlung den zu geringen Abstand beanstandet; andere Einwendungen hat sie in der Bauverhandlung auch nach ihrer eigenen Darstellung nicht erhoben, sodaß diesbezüglich Präklusion (§ 42 AVG) eingetreten ist. Aus ihrer Beschwerde ist nicht ersichtlich, ob das "seinerzeit" angebrachte Tor zur Zeit der Bauverhandlung schon vorhanden war; eine entsprechende Einwendung lag nicht vor, sodaß dahingestellt bleiben kann, ob mit diesem Zufahrtsrecht eine öffentlich-rechtliche Einwendung geltend gemacht werden kann.

Der damalige Eigentümer der Parzelle 1162 (Weinkeller), Franz E., war nicht nur bei der Bauverhandlung anwesend, sondern hat auch die Niederschrift unterfertigt und jedenfalls keine Einwendungen erhoben. Aus der dinglichen Bescheidwirkung (§ 119 BO) kann nur gefolgert werden, daß sich der Rechtsnachfolger die Verschweigung des Vorgängers anrechnen lassen muß, weil diese Bescheidwirkung Rechte UND Pflichten erfaßt.

Während in der Vorstellung noch gerügt wurde, daß die Dächer der beiden Häuser einander beinahe berühren, wird erstmals in der Beschwerde behauptet, das Dach des Nachbarn überrage das Grundstück der Beschwerdeführerin. Dabei wird verkannt, daß das Baubewilligungsverfahren ein PROJEKTbewilligungsverfahren darstellt.

Die Beschwerdeführerin macht "Mangelhaftigkeit des Verfahrens", also offenbar Rechtswidrigkeit zufolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend. Dabei läßt sie aber außer acht, daß die belangte Behörde ohnehin davon ausgegangen ist, daß die Beschwerdeführerin in der Bauverhandlung die behaupteten Einwendungen tatsächlich erhoben hat und sie alle Rechte einer übergangenen Partei geltend machen kann. Damit erwies sich die Beschwerde zur Gänze als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war; gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG war eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich.

Der Zuspruch vom Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG und die Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Nachbarrecht Nachbar Anrainer Grundnachbar subjektiv-öffentliche Rechte, Abstandsvorschriften BauRallg5/1/1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1989050180.X00

Im RIS seit

03.05.2001

Zuletzt aktualisiert am

07.08.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten