TE Vwgh Erkenntnis 1992/5/26 88/05/0191

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Veröffentlicht am 26.05.1992
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Index

L37153 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Niederösterreich;
L81703 Baulärm Umgebungslärm Niederösterreich;
L82003 Bauordnung Niederösterreich;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §10 Abs1;
AVG §63 Abs1;
AVG §63 Abs3;
BauO NÖ 1976 §92;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Draxler und den Vizepräsidenten Dr. Jabloner sowie die Hofräte DDr. Hauer, Dr. Degischer und Dr. Giendl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Unterer, über die Beschwerde der S-KG in W, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 14. Juli 1988, Zl. R/1-V-8858, betreffend Versagung einer Baubewilligung und Entfernungsauftrag (mitbeteiligte Partei: Stadtgemeinde T, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von S 11.900,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit Schreiben der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom 25. September 1987 wurde A G als Eigentümer des Grundstückes Nr. 97, EZ. 2512, KG O, der Auftrag zur unverzüglichen Entfernung zweier Plakatwände erteilt.

2. Als Eigentümerin dieser Werbeanlage beantragte die beschwerdeführende Partei mit einem am 13. Oktober 1987 protokollierten Antrag die Erteilung einer Errichtungsbewilligung. Beigelegt wurden die Zustimmungserklärung des Grundeigentümers sowie die Baubeschreibung.

3. Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Stadtgemeinde als Baubehörde erster Instanz vom 25. Jänner 1988 wurde das Ansuchen um Erteilung der Baubewilligung zur Errichtung einer Werbeanlage abgewiesen und zugleich gemäß § 113 Abs. 2 Z. 3 der NÖ Bauordnung 1976, LGBl. 8200, der baupolizeiliche Auftrag erteilt, die bereits ohne baubehördliche Bewilligung aufgestellten Plakatwände bis längstens 12. Februar 1988 zu entfernen. In der Begründung dieses Bescheides heißt es unter Berufung auf einen unter Beiziehung eines Amtssachverständigen durchgeführten Lokalaugenschein im wesentlichen, daß es sich bei den beiden Plakatwänden um bauliche Anlagen im Sinne des § 2 Z. 5 der NÖ Bauordnung handle, deren Errichtung außerhalb der vorderen Baufluchtlinie nicht zulässig sei. Weiters fehle die Zustimmungserklärung der Grundeigentümer des Grundstückes Nr. 1199, KG W, obschon die Werbeanlage dieses Grundstück überrage. Gemäß § 113 Abs. 2 Z. 3 der NÖ Bauordnung habe die Baubehörde den Abbruch einer Baulichkeit anzuordnen, wenn für diese keine baubehördliche Bewilligung vorliegt und eine solche auch im Falle der nachträglichen Antragstellung nicht erteilt werden könnte.

4. In ihrer gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung machte die beschwerdeführende Partei geltend, daß das gegenständliche Bauvorhaben eine Werbeanlage im Sinne des § 89 Abs. 2 der NÖ Bauordnung sei, für deren Errichtung die üblichen Voraussetzungen der Bauordnung für Niederösterreich nicht gelten. Es sei daher insbesondere die Annahme unzutreffend, daß die Errichtung außerhalb der Baufluchtlinien unzulässig sei. Bewilligungsvoraussetzung für eine Werbeanlage sei lediglich, daß diese das Orts- und Landschaftsbild nicht beeinträchtigen dürfe und überdies so beschaffen sein müsse, daß sie mit amtlichen Hinweisen nicht verwechselt werden könne. Der angefochtene Bescheid spreche nun etwa nicht aus, daß eine diese Voraussetzungen für die Unzulässigkeit einer Werbeanlage gegeben sei. Die Frage der Zustimmung des Anrainers sei auf dem Zivilrechtsweg zu lösen. Die Baubehörde habe lediglich darüber abzusprechen, daß allfällige Einwendungen des Anrainers auf den Rechtsweg zu verweisen seien. Weiter heißt es: "Es ergeht der ANTRAG, der Berufung Folge zu geben und den angefochtenen Abbruchbescheid ersatzlos zu beheben."

5. Mit Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom 25. März 1988 wurde die Berufung gegen den Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Stadtgemeinde, mit welchem der beschwerdeführenden Partei "der baupolizeiliche Auftrag erteilt wurde, die ohne baubehördliche Bewilligung aufgestellten Plakatwände im Format von ...", als unbegründet abgewiesen und der angefochtene Bescheid bestätigt. Zugleich wurde eine neue Frist für die Befolgung des baupolizeilichen Auftrages verfügt.

In der Begründung heißt es im wesentlichen, daß die gegenständliche Werbeanlage - Werbetafeln im Format von

5.10 x 2.60 m auf einer Tragkonstruktion mit einer Gesamthöhe von über 4.00 m - als bauliche Anlage im Sinne des § 2 Z. 5 der NÖ Bauordnung nicht nur nach § 92 Abs. 1 Z. 8, sondern auch nach Z. 2 dieser Bestimmung bewilligungspflichtig sei. Der Bausachverständige habe im Verfahren der I. Instanz fundiert dargetan, daß die Plakatwände nicht als Kleinbauten anzusehen seien. Die Plakatwand im Format von 8.50 x 2.60 m sei samt ihrer Befestigungskonstruktion mit der Feuermauer des ehemaligen Preßhauses auf dem Grundstück fest verbunden. Die Plakatwand samt ihrer Befestigungskonstruktion sei daher ein Gebäudeteil des ehemaligen Preßhauses. Als Gebäudeteil überrage die Plakatwand samt Befestigungskonstruktion die Grundgrenze zum Nachbargrundstück. Gemäß § 21 Abs. 3 der NÖ Bauordnung 1976 dürfe ein Gebäude, abgesehen von Vorbauten im Sinne des § 23 Abs. 1 Z. 1 leg. cit., die Grenzen eines Bauplatzes nicht überragen. Diese Rechtsvorschrift begründe nach Ansicht der Berufungsbehörde ein subjektiv-öffentliches Anrainerrecht nach § 118 Abs. 9 der NÖ Bauordnung, das nicht nur der Anrainer in Form einer Einwendung bei der Bauverhandlung geltend machen könne, sondern das in erster Linie von der Baubehörde von Amts wegen wahrzunehmen wäre. Das Vorbringen der Anrainerin M G als Miteigentümerin des Nachbargrundstückes, daß beim Plakatieren der Plakatwand an der Feuermauer des ehemaligen Preßhauses der Liegenschaft T-Straße 1 ihr Grundstück betreten wird und daß sie keine Zustimmung zur Anbringung der Plakatwand auf ihrem Grundstück erteile, sei jedoch keine Einwendung im Rechtssinn, sondern eine Vorfrage gemäß § 38 AVG 1950, die von der Baubehörde zu lösen sei. Die Baubehörde I. Instanz habe die Vorfrage der verweigerten Zustimmung der Anrainerin M G unter Bedachtnahme auf § 21 Abs. 3 der NÖ Bauordnung zu Recht so gelöst, daß sie die beantragte nachträgliche Baubewilligung für die Plakatwand an der Feuermauer des ehemaligen Preßhauses der Liegenschaft O, T-Straße 1, versagt habe.

6. Gegen diesen Bescheid erhob die beschwerdeführende Partei Vorstellung an die Niederösterreichische Landesregierung als Gemeindeaufsichtsbehörde. Begründend heißt es im wesentlichen, daß die Werbeanlage keine Baulichkeit im Sinne des § 2 Z. 5 der NÖ Bauordnung sei. Von einer baulichen Anlage könne nur gesprochen werden, wenn die Plakattafel freistehend wäre und ein derartiges Flächenausmaß hätte, daß mit nicht unerheblichen Windlasten zu rechnen wäre. Auch § 21 Abs. 3 leg. cit. sei nicht anzuwenden. Die Plakatwand sei zwar mit der Feuermauer eines Gebäudes fest verbunden, stelle aber keinen eigenen Gebäudeteil dar. Aus diesem Grund sei auch kein Anrainerrecht verletzt. Weiters sei es auch unzutreffend, daß der Einwand der M G im Zuge einer Vorfragenlösung zu behandeln sei. Abgesehen davon, daß die Genannte ihre Einwendung ausdrücklich wieder zurückgezogen habe, stelle der Einwand, beim Plakatieren müsse ihre Liegenschaft betreten werden, was sie nicht zulasse, kein taugliches Argument im Bauverfahren dar, weil es ja in diesem Verfahrensabschnitt um die Errichtung und nicht etwa um die Benützung gehe.

7. Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid wies die Niederösterreichische Landesregierung die Vorstellung ab. In der Begründung heißt es einleitend, daß der Bürgermeister der mitbeteiligten Stadtgemeinde in seinem Bescheid vom 25. Jänner 1988 zwei Entscheidungen getroffen habe, nämlich

a) die beantragte Baubewilligung für die beiden Werbeanlagen versagt und

b) deren Entfernung verfügt habe.

Dem Antrag der Berufung sei eindeutig zu entnehmen, daß der Bescheid der mitbeteiligten Stadtgemeinde nur in seinem Ausspruch über die Entfernung der Werbeanlagen bekämpft worden sei. Der Gemeinderat der mitbeteiligten Stadtgemeinde habe daher folgerichtig im Berufungsbescheid auch nur über die Berufung gegen den Entfernungsauftrag des Bürgermeisters abgesprochen. Daraus ergebe sich, daß die Versagung der beantragten Baubewilligung im Bescheid des Bürgermeisters vom 25. Jänner 1988 in Rechtskraft erwachsen sei. Die Frage, ob bei einer nachträglichen Antragstellung eine baubehördliche Bewilligung erteilt werden könnte, stelle sich im Verfahren zur Erteilung eines Abbruchauftrages als Vorfrage im Sinne des § 38 AVG 1950 dar. Im Falle einer rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage sei die Behörde an eine Sachentscheidung zufolge der Rechtskraftwirkung gebunden. Im vorliegenden Fall sei davon auszugehen, daß für die gegenständlichen Werbeanlagen die baubehördliche Bewilligung rechtskräftig versagt worden sei. Zur Werbeanlage, die über das Grundstück Nr. 1199, KG W, hinausragt, bemerke die Vorstellungsbehörde, die Baubehörden seien zu Recht davon ausgegangen, daß ohne Zustimmung der (mehrerer) Grundeigentümer die Erteilung einer baubehördlichen Bewilligung gar nicht möglich gewesen wäre. Es läge im übrigen eine bewilligungspflichtige Anlage im Sinne des § 2 Z. 5 in Verbindung mit § 92 Abs. 1 Z. 8 der NÖ Bauordnung 1976 vor.

8. Die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof begründet die beschwerdeführende Partei zunächst damit, es sei unrichtig, daß sie mit ihrer Berufung vom 10. Februar 1988 die Versagung der beantragten Bewilligung nicht angefochten hätte. Abgesehen davon, daß sich die Anfechtungserklärung auf den gesamten Bescheid und nicht bloß auf Teile des Spruches bezieht, wäre aus der Begründung klar erkennbar gewesen, daß die Einschreiterin auch gegen die Versagung der Bewilligung opponiert. Dagegen trete die zutreffende Tatsache in den Hintergrund, daß sich der Rechtsmittelantrag lediglich gegen den Abbruchbefehl richtete. Der angefochtene Bescheid sei daher schon deshalb unrichtig. Im übrigen verneint die beschwerdeführende Partei die Subsumtion der Anlage unter § 2 Z. 5 in Verbindung mit § 92 Abs. 1 Z. 8 der NÖ Bauordnung. Die einschlägige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes beziehe sich lediglich auf freistehende Werbeanlagen, nicht jedoch auf solche Anlagen, welche an der Schaufläche eines Hauses montiert sind und mit dieser eine Einheit bilden.

Die belangte Behörde und die mitbeteiligte Stadtgemeinde haben Gegenschriften erstattet.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 63 Abs. 3 AVG hat die Berufung den Bescheid zu bezeichnen, gegen den sie sich richtet und einen begründeten Berufungsantrag zu enthalten. Die Berufung ist somit nur dann gesetzmäßig erhoben worden, wenn sie einen Berufungsantrag und eine Berufungsbegründung enthält. In seiner ständigen Rechtsprechung hat der Verwaltungsgerichtshof dazu erkannt, daß § 63 Abs. 3 AVG im Geiste des Gesetzes nicht formalistisch ausgelegt werden dürfe; die Berufung müsse allerdings wenigstens erkennen lassen, was die Partei anstrebt und womit sie ihren Standpunkt vertreten zu können glaubt. Der offensichtliche Sinn des § 63 Abs. 3 AVG sei nur der, daß einerseits das Berufungsbegehren, andererseits die Begründung hiefür ersichtlich sein müssen, keinesfalls sollte aber damit ein dem Geist des AVG fremder, übertriebener Formalismus in das Verwaltungsverfahren eingeführt werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 3. Dezember 1985, Zl. 85/04/0140, sowie die dort zitierte weitere Rechtsprechung).

Die Berufung der beschwerdeführenden Partei ist damit begründet, daß eine Werbeanlage als Kleinbau nicht den "üblichen Voraussetzungen der Bauordnung für NÖ" unterworfen sei. Der textlich danach gestellte Antrag geht dahin, "der Berufung Folge zu geben und den angefochtenen Abbruchbescheid ersatzlos zu beheben". Die beschwerdeführende Partei ist im Recht, wenn sie darauf hinweist, daß aus dem Zusammenhang der Berufung ersichtlich sei, daß sich der Antrag nicht nur gegen den Abbruchbefehl richtete.

Die belangte Behörde räumt in ihrer Gegenschrift ein, daß nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bei der Auslegung des Merkmales eines begründeten Berufungsantrages kein strenger Maßstab anzulegen sei, weil es sich bei § 63 Abs. 3 AVG um eine Vorschrift handelt, die sich auch an rechtsunkundige Parteien richtet. Im vorliegenden Fall sei aber die Berufung durch einen Rechtsanwalt eingebracht und ausdrücklich nur die Aufhebung des Abbruchbescheides beantragt worden.

Der Verwaltungsgerichtshof kann nicht finden, daß bei der Qualifikation als begründeter Berufungsantrag im Sinne des § 63 Abs. 3 AVG dahingehend unterschieden werden könnte, ob die Partei im Verwaltungsverfahren anwaltlich vertreten ist oder nicht. Mag es auch zutreffen, daß der Grund für die Vermeidung eines übertriebenen Formalismus im weiten Adressatenkreis des § 63 Abs. 3 AVG gelegen ist, so kann bei Handhabung dieser Bestimmung doch nur einer einheitlichen Auslegung gefolgt werden.

Der Gemeinderat der mitbeteiligten Stadtgemeinde hat somit über die Berufung der beschwerdeführenden Partei zu Unrecht nicht vollständig abgesprochen. Da die belangte Behörde dies nicht erkannte und davon ausging, daß der die Abweisung des Bauansuchens betreffende Bescheidteil in Rechtskraft erwachsen ist, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit; dieser Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff. VwGG und die Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991, insbesondere deren Art. III Abs. 2.

Schlagworte

Berufungsrecht Begriff des Rechtsmittels bzw der Berufung Wertung von Eingaben als Berufungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1988050191.X00

Im RIS seit

29.01.2002

Zuletzt aktualisiert am

07.08.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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