TE Vwgh Erkenntnis 1992/5/27 92/02/0129

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Veröffentlicht am 27.05.1992
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

AVG §45 Abs2;
AVG §46;
AVG §52;
StVO 1960 §11 Abs1;
StVO 1960 §99 Abs3 lita;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Seiler und die Hofräte Dr. Bernard und DDr. Jakusch als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Strohmaier, über die Beschwerde des J in W, vertreten durch Dr. O, Rechtsanwalt in K, gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 20. Jänner 1992, Zl. VerkR-15.275/3-1991/Kof, beteffend Übertretung der StVO 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Oberösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.510,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 20. Jänner 1992 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, am 5. März 1990 um 03.45 Uhr einen dem Kennzeichen nach bestimmten Kraftwagenzug auf einem näher bestimmten Ort auf der Westautobahn gelenkt zu haben, wobei er den Fahrstreifen nach links gewechselt habe, ohne sich vorher zu überzeugen, daß dies ohne Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer möglich sei. Er habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 11 Abs. 1 in Verbindung mit § 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960 begangen, weshalb über ihn eine Geldstrafe (Ersatzarreststrafe) verhängt wurde. Zur Begründung führte die belangte Behörde im wesentlichen aus, der Lenker des behinderten PKWs habe anläßlich seiner Vernehmung vor der Gendarmerie ausgesagt, er habe zur Tatzeit den vom Beschwerdeführer gelenkten LKW-Zug überholen wollen und habe sich gerade auf der Überholspur befunden, als der LKW-Zug plötzlich auf die Überholspur gewechselt habe. Um einen Auffahrunfall zu vermeiden habe der PKW-Lenker sein Fahrzeug äußerst links auf den Grünstreifen abgelenkt. In der Folge als Zeuge vernommen, habe der PKW-Lenker diese Angaben sinngemäß wiederholt und bestätigt. Die Zeugin Manuela W. habe als Zeugin ausgesagt, der LKW habe zur Überholspur gelenkt, ohne zu blinken. Der Lenker des PKWs sei auf den Grünstreifen zugefahren, um nicht zu kollidieren. Soweit sich die Angaben dieser beiden Personen auf das Fahrverhalten des Beschwerdeführers und auf das unvermittelte Ablenken des PKWs bezogen hätten, hätten sich für die Berufungsbehörde keine Zweifel an ihrer Richtigkeit ergeben. Ob der LKW beim gegenständigen Vorfall die Leitschiene gestreift habe und damit Blech und Lackschäden entstanden seien, oder ob eine Schneestange den Außenspiegel beschädigt habe, könne dahingestellt bleiben, da die Klärung dieser Frage für das Verwaltungsstrafverfahren ohne jede Bedeutung sei. Ebenso sei es für das Verwaltungsstrafverfahren ohne jede Bedeutung, warum der Geschädigte erst ca. 8 Stunden nach dem Verkehrsunfall Anzeige bei der Gendarmerie erstattet habe. Abgesehen davon, daß für den Geschädigten keine Verpflichtung bestanden habe, den Unfall sofort zu melden, stehe die verspätete Meldung in keinerlei Zusammenhang mit dem Fahrverhalten des Beschwerdeführers. Dem Einwand des Beschwerdeführers, es seien keine Spuren gefunden worden, sei entgegenzuhalten, daß nach der allgemeinen Lebenserfahrung ein derartiger Vorfall auch ohne jede erkennbare Spur geschehen könne. So sei es durchaus möglich, daß eine Fahrt von wenigen Metern über den Grünstreifen des Mittelstreifens der Autobahn hinterher nicht mehr erkennbar sei, sowie daß allfällige Glassplitter, welche in den Grünstreifen fielen, im nachhinein nicht mehr gefunden würden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer bestreitet, wie auch bereits im Verwaltungsstrafverfahren, am Tatort zur Tatzeit einen Fahrstreifenwechsel vorgenommen und hiebei einen PKW-Lenker behindert zu haben. Er bekämpft damit die Beweiswürdigung der belangten Behörde.

Gemäß § 45 AVG (§ 24 VStG) hat die Behörde, sofern es sich nicht um offenkundige Tatsachen oder um solche handelt, für deren Vorhandensein das Gesetz eine Vermutung aufstellt, unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht.

Der sogenannte Grundsatz der freien Beweiswürdigung bedeutet nicht, daß der in der Begründung des Bescheides niederzulegende Denkvorgang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle entzogen ist. Die Bestimmung des § 45 Abs. 2 AVG hat nur zur Folge, daß die Würdigung der Beweise keiner anderen gesetzlichen Regelung unterworfen ist. Sie schließt aber nicht eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle in der Richtung aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, das heißt, mit den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut im Einklang stehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Mai 1974, Slg. N.F. Nr. 8.619/A).

Der angefochtene Bescheid hält einer solchen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht stand:

Da im vorliegenden Fall strittig ist, ob der dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Sachverhalt, nämlich Spurwechsel verbunden mit Abdrängen eines PKWs, überhaupt stattgefunden hat, hätte die belangte Behörde im Hinblick auf die in § 46 AVG (§ 24 VStG) normierte Unbeschränktheit der Beweismittel alle im Zuge des Ermittlungsverfahrens hervorgekommenen Umstände, die einen Rückschluß auf diese Tatfrage zulassen, in ihre Erwägungen anläßlich der Beweiswürdigung einbeziehen müssen. Dazu gehören auch Widersprüche zwischen den Aussagen von Zeugen über für die Tatbestandsverwirklichung nicht maßgebliche Sachverhaltsumstände. Dazu gehören aber auch Feststellungen über das Ausmaß der Beschädigungen am PKW, weil daraus Rückschlüsse darauf gezogen werden können, ob es tatsächlich möglich ist, wie die belangte Behörde meint, daß davon keine sichtbaren Spuren auf der Leitschiene des Mittelstreifens der Autobahn zurückgeblieben sind. Bei der zuletzt genannten Frage handelt es sich im übrigen um eine solche technischer Natur, deren Beantwortung die Beiziehung eines Sachverständigen erforderlich macht.

Da sich die belangte Behörde mit diesen Fragen nicht auseinandersetzte und damit ihre Beweiswürdigung unschlüssig blieb, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Beweismittel Sachverständigenbeweis Technischer Sachverständiger Beweismittel Zeugen Grundsatz der Unbeschränktheit Sachverständiger Techniker freie Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1992020129.X00

Im RIS seit

12.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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