Index
10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art83 Abs2 / ZuständigkeitLeitsatz
Unrechtmäßige Verweigerung einer Sachentscheidung durch Zurückweisung einer verfahrensrechtlich zulässigen Berufung gegen eine als Bescheid zu wertende Erledigung; unrechtmäßige Inanspruchnahme der Zuständigkeit durch Entscheidung im Devolutionsweg; Entziehung des gesetzlichen RichtersSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Das Land Steiermark ist schuldig, dem Beschwerdeführer, zu Handen des Beschwerdevertreters, die mit S 15.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.a) Der Beschwerdeführer - ein Tierarzt mit dem Praxissitz in Lannach - ersuchte am 6. September 1988 die Landeskammer für Land- und Forstwirtschaft Steiermark (im folgenden kurz: Landeskammer), um "Gewährung eines Samenliefervertrages", ihn also gemäß §19 des Steiermärkischen Tierzuchtgesetzes, LGBl. 155/1969 (Stmk. TierzuchtG) mit der Durchführung der künstlichen Besamung zu betrauen.
b) Daraufhin erging am 19. Oktober 1988 an den Beschwerdeführer - auf Briefpapier der "Landeskammer für Land- und Forstwirtschaft in Steiermark" - die folgende, vom Tierzuchtdirektor Dipl.Ing. O L unterschriebene Erledigung:
"Bescheid
Ihr Ansuchen um Besamungsgenehmigung wurde am 13.10.1988 im Hauptausschuß der Landeskammer für Land- und Forstwirtschaft in Steiermark behandelt. Diesem Ansuchen wird keine Folge geleistet, da die Versorgung der Bauern durch die kammereigenen Touren gegeben ist und bei Einführung der künstlichen Besamung ein Abkommen zwischen der Landwirtschaftskammer und der Tierärztekammer geschlossen wurde, nachdem im Einzugsbereich der kammereigenen Touren keine Besamungsgenehmigungen für Privattierärzte erteilt werden.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Bescheid kann binnen zwei Wochen bei der Landeskammer für Land- und Forstwirtschaft in Steiermark, 8010 Graz, Hamerlinggasse 3 Berufung erhoben werden."
c) Gegen diese Erledigung erhob der Beschwerdeführer am 27. Oktober 1988 Berufung.
In weiterer Folge - nämlich am 2. Mai 1989 - stellte er (offenbar in eventu) bei der Steiermärkischen Landesregierung einen - der Sache nach auf §73 AVG gestützten - Devolutionsantrag.
d) aa) Mit Pkt. I des Bescheides der Steiermärkischen Landesregierung vom 10. Mai 1989 wurde die vom Beschwerdeführer gegen die Erledigung der Landeskammer vom 19. Oktober 1988 (s.o. I.1.b) gemäß §66 Abs4 AVG 1950 erhobene Berufung als unzulässig zurückgewiesen.
Sie begründet diese Entscheidung wie folgt:
"Gemäß §19 Abs1 Steierm. Tierzuchtgesetz wird die Landeskammer für Land- und Forstwirtschaft (kurz: Landeskammer) mit der Durchführung der künstlichen Besamung betraut.
Gemäß §19 Abs2 leg.cit. sind die von der Landeskammer mit der Durchführung der künstlichen Besamung betrauten Tierärzte oder sonstigen Personen einem Vatertierhalter gleichzustellen.
Gemäß §12 Tierärztegesetz darf u.a. die künstliche Besamung von Haustieren, unbeschadet der anderen Personen zustehenden Befugnis zur künstlichen Besamung von Haustieren, nur von Tierärzten ausgeführt werden.
Gemäß §58 AVG 1950 ist jeder Bescheid ausdrücklich als solcher zu bezeichnen und hat den Spruch und die Rechtsmittelbelehrung zu enthalten. Bescheide sind zu begründen, wenn dem Standpunkte der Partei nicht vollinhaltlich Rechnung getragen oder über Einwendungen oder Anträge von Beteiligten abgesprochen wird. Im übrigen gelten auch für Bescheide die Vorschriften des §18 Abs4.
Gemäß §66 Abs4 AVG 1950 hat außer dem in Abs2 erwähnten Fall die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden.
Eine Berufung ist u.a. unzulässig, wenn die angefochtene Erledigung kein Bescheid ist. In diesem Zusammenhang ist den Berufungsausführungen beizupflichten, wonach die Erledigung in Bescheidform unter Beachtung der Mindesterfordernisse des §58 AVG 1950 ergehen hätte müssen, da §23 Steierm. Tierzuchtgesetz normiert, daß für das nach diesem Gesetz durchzuführende Verfahren der Landeskammer die Bestimmungen des AVG 1950 gelten. Jedenfalls fehlt im 'Bescheid' der Landeskammer die gem. §59 AVG 1950 im Spruch anzuführende, für die Entscheidung angewendete Gesetzesbestimmung und ist die angefochtene Erledigung lediglich vom Tierzuchtdirektor der genannten Kammer gefertigt.
Gemäß §15 Abs3 Landwirtschaftskammergesetz, LGBl. Nr. 14/1969 i.d.g.F. vertritt der Präsident die Landeskammer nach außen.
Gemäß §15 Abs5 leg.cit. beurkundet und fertigt der Präsident die Beschlüsse sowie alle Schriftstücke rechtsverbindlicher Art gemeinsam mit dem Kammeramtsdirektor. Bei zeitweiliger Verhinderung vertritt der Vizepräsident den Präsidenten.
Gemäß §18 Abs4 AVG 1950 müssen alle schriftlichen Ausfertigungen u.a. mit der abgegebenen Unterschrift dessen versehen sein, der die Erledigung genehmigt hat.
Einem Schriftstück einer Behörde, das nicht die Unterschrift der Genehmigenden enthält, kommt Bescheidcharakter nicht zu. Eine Berufung gegen ein solches Schriftstück ist daher mangels Bescheidcharakter der angefochtenen Erledigung als unzulässig zurückzuweisen.
Das als Bescheid bezeichnete Schriftstück vom 19.10.1988 ist nicht von den zur Fertigung befugten Organen gemäß §15 (5) Landwirtschaftskammergesetz unterschrieben, sodaß ein Bescheid im Sinne der Bestimmungen des AVG nicht vorliegt. Es war daher die dagegen erhobene Berufung vom 27.10.1988 gemäß §66 (4) AVG 1950 als unzulässig zurückzuweisen, ohne auf die weiteren Berufungsausführungen einzugehen."
bb) Mit Pkt. II desselben Bescheides entschied die Steiermärkische Landesregierung als Oberbehörde (s.u. II.1.b.) im Devolutionsweg (§73 AVG 1950) über den Antrag des Beschwerdeführers vom 6. September 1988 (s.o. I.1.a); sie wies dieses Ansuchen gemäß §19 des Stmk. TierzuchtG ab.
2. Gegen den erwähnten Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 10. Mai 1989 wendet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der der Sache nach die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Freiheit der Erwerbsausübung und die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes (nämlich des §19 des Stmk. TierzuchtG) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
3. Die Steiermärkische Landesregierung als belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie begehrt, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1.a) Die Erledigung vom 19. Oktober 1988 (s.o. I.1.b) ist ausdrücklich als Bescheid bezeichnet. Sie spricht verbindlich über einen Antrag des Beschwerdeführers (negativ) ab und gestaltet damit dessen Rechtssphäre. Sie stammt von einer an sich mit Hoheitsgewalt ausgestatteten Institution, nämlich der Landeskammer und ist eigenhändig von einem Organwalter unterfertigt (genehmigt). Sie ist sohin als Bescheid zu werten. Auch wenn die die Erledigung genehmigende Person nicht der nach den Organisationsvorschriften vorgesehene Organwalter war, ändert das an der Bescheidqualität der Erledigung nichts; die Frage der Berechtigung zur Genehmigung hat (jedenfalls dann, wenn nicht eine kollegiale Beschlußfassung vorgesehen ist) nur interne Bedeutung (vgl. etwa Mannlicher-Quell, Verwaltungsverfahren8, Anm. 5 zu §18 AVG, und die dort zitierte Judikatur).
b) Daraus ergibt sich zweierlei:
Zum einen wäre die Landesregierung verpflichtet gewesen, als zuständige Berufungsbehörde (vgl. etwa VwGH 16.3.1988 Zl. 87/01/0291) meritorisch über die Berufung gegen die (als Bescheid zu wertende) Erledigung der Landeskammer vom 19. Oktober 1988 zu entscheiden; sie hätte sohin die Berufung nicht - als nicht gegen einen Bescheid gerichtete Eingabe - als unzulässig zurückweisen dürfen.
Zum anderen war die Landesregierung nicht zuständig, über den Antrag des Beschwerdeführers (s.o. I.1.a) im Devolutionsweg (anstelle der Landeskammer) zu entscheiden, weil die Landeskammer bereits bescheidmäßig entschieden hatte.
Sohin hat die Landesregierung mit Pkt. I des angefochtenen Bescheides dem Beschwerdeführer zu Unrecht die Sachentscheidung verweigert und mit Pkt. II des Bescheides eine ihr nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch genommen.
Daraus folgt, daß der Beschwerdeführer durch beide Punkte des Bescheides im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt wurde. Der angefochtene Bescheid war mithin als verfassungswidrig aufzuheben.
2. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG.
In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 2.500,-- enthalten.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
VfGH / Bescheid, Behörde Organe, Tierärzte Berufsrecht, Bescheidbegriff, Berufung, Devolution, VerwaltungsverfahrenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1989:B677.1989Dokumentnummer
JFT_10108871_89B00677_00