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10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art140 Abs7 zweiter SatzLeitsatz
Verletzung des Eigentumsrechtes wegen Abgabenfestsetzung aufgrund des infolge Erk. VfSlg. 11869/1988 nicht mehr dem Rechtsbestand angehörenden GesetzesSpruch
Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden.
Der Bescheid wird daher aufgehoben.
Das Land Wien ist schuldig, der Beschwerdeführerin die mit S 15.000,-- bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1. Mit Bescheid der Abgabenberufungskommission vom 29. Juni 1989, Z MDR - H 32/89, wurde einer Berufung der H KG gegen den Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Abteilung 4, Referat 7, vom 13. April 1989 keine Folge gegeben, der die Vorschreibung von Getränkesteuer für die Jahre 1986 und 1987 und die Festsetzung von Säumniszuschlägen für dieselben Jahre zum Gegenstand hatte. Grundlage der Abgabenfestsetzung sind insbesondere die §§1 und 3 des Getränkesteuergesetzes für Wien 1971, LGBl. für Wien Nr. 2, in der Fassung des Gesetzes vom 30. September 1983, mit dem das Getränkesteuergesetz für Wien 1971 authentisch interpretiert wird, LGBl. für Wien Nr. 43/1983.
1.2. Der Bescheid der Abgabenberufungskommission vom 29. Juni 1989 ist im wesentlichen damit begründet, daß aufgrund des Gesetzes vom 30. September 1983, mit dem das Getränkesteuergesetz für Wien 1971 authentisch interpretiert wird, LGBl. für Wien Nr. 43/1983, §3 des Getränkesteuergesetzes für Wien 1971 so auszulegen ist, daß zum Entgelt mit Ausnahme der im Gesetz genannten Faktoren alles gehört, was aufgewendet werden muß, damit der Verbraucher das Getränk erhält. Es seien daher auch der Wert der mitverkauften Gefäße und Trinkhalme umfaßt. Der Verfassungsgerichtshof habe mit Erkenntnis vom 10. Oktober 1988 G121/88 das Gesetz vom 30. September 1983 als verfassungswidrig aufgehoben und festgestellt, daß das aufgehobene Gesetz nicht mehr anzuwenden sei. Das aufgehobene Gesetz sei jedoch auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlaßfalles weiterhin anzuwenden, sofern der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis nichts anderes ausspreche.
2.1. Gegen diesen - letztinstanzlichen - Bescheid der Abgabenberufungskommission der Stadt Wien richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die H KG geltend macht, durch den angefochtenen Bescheid in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt zu sein, und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt.
2.2. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der die Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
3. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
Die Beschwerde ist im Recht.
Mit Erkenntnis vom 10. Oktober 1988 G121/88 hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen:
"Das Gesetz vom 30. September 1983, mit dem das Getränkesteuergesetz für Wien 1971 authentisch interpretiert wird, LGBl. für Wien Nr. 43/1983, wird als verfassungswidrig aufgehoben.
Das aufgehobene Gesetz ist nicht mehr anzuwenden.
§3 des Getränkesteuergesetzes für Wien 1971, Anlage der Kundmachung der Wiener Landesregierung vom 12. Jänner 1971, über die Wiederverlautbarung des Getränkesteuergesetzes für Wien, LGBl. für Wien Nr. 2/1971, tritt idF des LGBl. für Wien Nr. 12/1973 wieder in Kraft."
Mit diesem Erkenntnis hat der Verfassungsgerichtshof ein Gesetz aufgehoben, das als "authentische Interpretation" rückwirkend - für in der Vergangenheit liegende Sachverhalte - anzuwenden war; das Erkenntnis enthält die Aussage, daß die aufgehobene Regelung auf keinen Fall mehr anzuwenden ist und den weiteren Ausspruch über das Wiederinkrafttreten der Regelung, wie sie ohne das rückwirkende Gesetz bestand.
Die belangte Behörde ist im angefochtenen Bescheid so vorgegangen, als ob der Verfassungsgerichtshof sich mit der Aufhebung des Gesetzes vom 30. September 1983, mit dem das Getränkesteuergesetz für Wien 1971 authentisch interpretiert wird, ohne jeglichen weiteren Ausspruch begnügt hätte. Die belangte Behörde hat dabei ignoriert, daß sie das aufgehobene rückwirkende Gesetz aufgrund des Ausspruches, daß es nicht mehr anzuwenden ist, weder auf neueintretende noch auf in der Vergangenheit verwirklichte Sachverhalte anwenden durfte; da sich der angefochtene Bescheid auf eine Bestimmung stützt, die infolge des zitierten Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes dem Rechtsbestand nicht mehr angehörte, ist die Behörde gesetzlos vorgegangen. Ein solcher in das Eigentum eingreifender Bescheid verstößt nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfSlg. 10356/1983, 10482/1985) gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Unversehrtheit des Eigentums.
4. Der angefochtene Bescheid war daher aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG; in den zuerkannten Kosten ist Umsatzsteuer im Betrage von S 2.500,-- enthalten.
Dies konnte gemäß §19 Abs4 Z2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung entschieden werden.
Schlagworte
Getränkesteuer Wien, VfGH / Aufhebung Wirkung, EigentumseingriffEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1989:B852.1989Dokumentnummer
JFT_10108796_89B00852_00