Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §58 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Onder und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des P in I, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 15. April 1992, Zl. IIb2-K-2443/8-1992, betreffend vorübergehende Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.600,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 74 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen A, B, C, F und G für die Dauer von sechs Monaten (vom 3. Februar bis zum 3. August 1992) vorübergehend entzogen.
In seiner an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. Der Beschwerdeführer hat eine Replik zur Gegenschrift der belangten Behörde eingebracht.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die belangte Behörde stützte die bekämpfte Entziehungsmaßnahme darauf, daß der Beschwerdeführer am 3. Februar 1992 als Lenker eines Kraftfahrzeuges einen Verkehrsunfall mit tödlichem Ausgang verschuldet hat; er hat eine Fußgängerin, die auf einem Schutzweg die Fahrbahn überqueren wollte, niedergestoßen. Dabei habe er eine überhöhte Fahrgeschwindigkeit eingehalten. Darin erblickte die belangte Behörde eine bestimmte Tatsache gemäß § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967, aus der sich die Verkehrsunzuverlässigkeit des Beschwerdeführers ergebe.
Gemäß § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 gilt als bestimmte Tatsache, die die Verkehrsunzuverlässigkeit der betreffenden Person indiziert, wenn jemand als Lenker eines Kraftfahrzeuges unter besonders gefährlichen Verhältnissen oder mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern gegen die für das Lenken eines Kraftfahrzeuges maßgebenden Verkehrsvorschriften verstoßen hat.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt eine bestimmte Tatsache im Sinne der zitierten Bestimmung nur dann vor, wenn zu der mit der Übertretung der Verkehrsvorschrift verbundenen Gefährlichkeit noch weitere, die BESONDERE Gefährlichkeit der Verhältnisse bewirkende Umstände hinzutreten (vgl. zuletzt das Erkenntnis vom 19. Mai 1992, Zl. 92/11/0059). Als solche kommen die Fahrweise der betreffenden Person, die Sicht- und Witterungsverhältnisse, die Beschaffenheit der Straße, die Beschaffenheit des gelenkten Fahrzeuges sowie die Verfassung des Lenkers in Betracht.
Unbestritten ist, daß der Beschwerdeführer die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten hat. Nach dem zweiten Satz des § 9 Abs. 2 StVO 1960 darf sich der Lenker eines Fahrzeuges einem Schutzweg nur mit einer solchen Geschwindigkeit nähern, daß er das Fahrzeug vor dem Schutzweg anhalten kann. Der Beschwerdeführer ist seinen Angaben zufolge vor der im Ortsgebiet befindlichen Unfallstelle mit 55 km/h - also in jedem Fall zu schnell - gefahren. Der kraftfahrzeugtechnische Sachverständige errechnete aus den Unfallsskizzen eine Fahrgeschwindigkeit des Beschwerdeführers im Bereich von 58 bis 65 km/h. Der Sachverständige führte aber weiter aus, daß der Beschwerdeführer bei Einhaltung einer Fahrgeschwindigkeit von 48 km/h den Unfall hätte vermeiden können. Eine Verzögerung der Reaktion (etwa durch Unachtsamkeit) könne dem Beschwerdeführer nicht vorgeworfen werden. Die Auffälligkeit der Fußgängerin sei äußerst gering gewesen: Die Farbe der Büsche am Straßenrand sei der Farbe der Kleidung sehr ähnlich gewesen, die Fußgängerin habe sich nur sehr langsam bewegt und sie habe sich zum Zeitpunkt, als sie vom Beschwerdeführer bemerkt werden mußte, erst etwa 0,6 m "in der Fahrbahn befunden" (wobei er davon ausging, "daß sich Fußgänger ca. 0,5 m in die Fahrbahn hineinbewegen müssen, um einen ausreichenden Auffälligkeitswert zu erreichen"). Zu den übrigen Verhältnissen zur Unfallszeit stellte die belangte Behörde fest, daß sich die Unfallstelle im Ortsgebiet befindet, daß der Schutzweg deutlich gekennzeichnet ist, daß zur Unfallzeit kein Verkehr herrschte, daß die Unfallstelle übersichtlich ist, daß zum Unfallszeitpunkt Dämmerung herrschte, daß die vom Beschwerdeführer benützte Fahrspur "auf Grund geringer auftretender Rauhreifbildung etwas rutschig, aber nicht vereist" war. Aus dem Akt ergibt sich kein Anhaltspunkt für eine Beeinträchtigung der geistigen und körperlichen Verfassung des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt des Unfalles. Die Beschaffenheit des vom Beschwerdeführer gelenkten Kraftfahrzeuges war laut Unfallbericht technisch einwandfrei.
Es kann dahinstehen, ob in dem geschilderten Sachverhalt überhaupt eine bestimmte Tatsache nach § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 erblickt werden kann, war doch die vom Beschwerdeführer eingehaltene Fahrgeschwindigkeit nur geringfügig überhöht, und zwar auch in Ansehung der beeinträchtigten Sicht- und Fahrbahnverhältnisse. Selbst wenn - in Übereinstimmung mit der belangten Behörde - von besonders gefährlichen Verhältnissen auszugehen wäre, hat die belangte Behörde übersehen, daß eine bestimmte Tatsache anhand der Kriterien des § 66 Abs. 3 KFG 1967 zu werten ist, bevor aus ihr die Verkehrsunzuverlässigkeit der betreffenden Person abgeleitet wird. Dabei hätte sie zu berücksichtigen gehabt, daß die Gefährlichkeit der Verhältnisse, die sich zwar bei Annahme einer bestimmten Tatsache nach § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 bereits begrifflich von selbst ergibt, im konkreten Fall im untersten Bereich anzusehen wäre. Die belangte Behörde hätte aber vor allem zu berücksichtigen gehabt, daß der Beschwerdeführer - ein Berufskraftfahrer - ungeachtet seiner 30-jährigen Fahrpraxis gerichtlich und verwaltungsstrafbehördlich völlig unbescholten ist und daß daher davon auszugehen ist, daß sein Verhalten vor dem Unfall gegenüber seinem übrigen Verhalten im Straßenverkehr untypisch ist. Angesichts dessen ist der Schluß auf eine Sinnesart des Beschwerdeführers nicht zulässig, daß er im Zukunft die Verkehrssicherheit durch rücksichtsloses Verhalten gefährden wird (§ 66 Abs. 1 lit. a KFG 1967).
Da die belangte Behörde dies verkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil Stempelgebührenersatz nur im Ausmaß von S 480,-- (S 360,-- für drei Beschwerdeausfertigungen und S 120,-- für eine Ausfertigung des angefochtenen Bescheides) zugesprochen werden konnte.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1992110123.X00Im RIS seit
19.03.2001