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50 GewerberechtNorm
B-VG Art18 Abs2 / Verordnung Inhalt gesetzwidrigLeitsatz
Zu weiter örtlicher Untersagungsbereich der AutomatenV des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Spittal an der Drau vom 6. Feber 1986 für die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels Kaugummi- und ZuckerlautomatenSpruch
I. Die Z XVI des §1 der Verordnung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Spittal an der Drau vom 6. Feber 1986, mit welcher aufgrund des §52 Abs4 der Gewerbeordnung 1973 idF der Gewerbeordnungs-Novelle 1981, BGBl. Nr. 619, die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels Automaten (Kaugummi- und Zuckerlautomaten) zum Schutz von unmündigen Minderjährigen vor unüberlegten Geldausgaben untersagt wird, wird als gesetzwidrig aufgehoben.
II. Der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten ist verpflichtet, die Aufhebung unverzüglich im Bundesgesetzblatt kundzumachen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B386/89 ein Verfahren über eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde anhängig, die sich gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Kärnten vom 31. Jänner 1989 richtet. Mit diesem Bescheid wurde einer Berufung gegen ein Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Spittal an der Drau vom 4. März 1988, mit welchem der Beschwerdeführer wegen Übertretung nach §367 Z15 der Gewerbeordnung 1973 idF der Gewerbeordnungs-Novelle 1981, BGBl. Nr. 619 (künftig: GewO), iVm §1 Z XV Punkte 12), 14) und 15) der Verordnung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Spittal an der Drau vom 6. Feber 1986 (künftig: AutomatenV) zu einer Geldstrafe von dreimal S 3.000,--, im Falle der Uneinbringlichkeit zu einer Ersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von jeweils 4 Tagen, verurteilt wurde, insofern Folge gegeben, als die verhängte Strafe auf insgesamt S 3.000,--, im Uneinbringlichkeitsfall auf eine Ersatzfreiheitsstrafe von insgesamt 4 Tagen, herabgesetzt wurde; im übrigen wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen.
2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat aus Anlaß dieser Beschwerde beschlossen, die Z XVI des §1 der AutomatenV von Amts wegen zu prüfen.
2.2. Die Verordnung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Spittal an der Drau vom 6. Feber 1986 - die in Prüfung gezogene Stelle ist hervorgehoben - lautet im wesentlichen wie folgt:
"V E R O R D N U N G
des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Spittal a.d. Drau vom 06.02.1986, mit der die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels Automaten (Kaugummi- und Zuckerlautomaten) zum Schutz von unmündigen Minderjährigen vor unüberlegten Geldausgaben untersagt wird.
Gemäß §52 Abs(4) der Gewerbeordnung 1973, BGBl. Nr. 50/1973, in Verbindung mit §14 Abs(2) AGO 1982, LGBl. Nr. 8/1982, beide in der geltenden Fassung, wird verordnet:
§1
Die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels Automaten (Kaugummi- und Zuckerlautomaten) ist an nachstehend angeführten Standorten verboten:
I. Allgemeine Sonderschule (ASO), Dr. Albertini-Str. 2-4
II. Musikschule Spittal a.d. Drau, Dr. Albertini-Str. 2-4
III. Volksschule I und II, Lutherstraße 9
...
XIII. Hauptbahnhof Spittal - Millstättersee im gesamten Bahnhofsbereich
XIV. Bahnhof Rothenthurn im gesamten Bahnhofsbereich
XV. Schulbushaltestellen
1)
Bahnhof - Postamt II, Südtirolerplatz 4 bzw. 3
2)
nächst Fa. Brose, Ortenburger Straße 15
...
12) RAIKA Molzbichl, Molzbichl 28
...
14)
Postamt - Bahnhof Rothenthurn, Rothenthurn 45 bzw. 12
15)
Olsacher-Wirt, Olsach 7
...
XVI. im Umkreis von 100 m dieser Standorte
§2
Eine Nichtbeachtung dieser Verordnung stellt eine Verwaltungsübertretung dar, die gemäß §367 Zif. 15 der Gewerbeordnung 1973 mit einer Geldstrafe bis zu S 20.000,-- oder mit einer Arreststrafe bis zu vier Wochen zu ahnden ist.
§3
Diese Verordnung tritt am 15.02.1986 in Kraft."
3.1. Der Verfassungsgerichtshof hat im Einleitungsbeschluß ausgeführt:
"Im angefochtenen Bescheid wurde über den Beschwerdeführer eine Verwaltungsstrafe ua. deshalb verhängt, weil sich ein von ihm betriebener Warenautomat 'gegenüber dem Postamt (Rothenthurn) bzw. Bahnhofsgebäude (Rothenthurn) in einer Entfernung von 70 Metern von der Haltestelle' befand. Auch aus den vorgelegten Verwaltungsakten (Bericht der Gemeinde Spittal an der Drau an die Bezirkshauptmannschaft Spittal an der Drau vom 5. Juli 1988) und aus dem von der belangten Behörde vorgelegten Lageplan ergibt sich übereinstimmend, daß dieser Automat nicht unmittelbar an der im Bescheid angesprochenen Schulbushaltestelle, sondern 70 m von dieser entfernt aufgestellt war. Da er sich somit im Umkreis der in §1 Z XV Punkt 14) der Verordnung genannten Haltestelle befand, scheint jedenfalls implizit auch die Z XVI des §1 der Verordnung angewendet worden zu sein. Die in Prüfung gezogene Verordnungsstelle scheint daher präjudiziell zu sein (vgl. VfSlg. 5373/1966, 8647/1979, 10617/1985).
...
Mit der in Prüfung gezogenen Regelung werden unterschiedslos Verbotszonen in einem Umkreis von 100 m von Schulen, Bahnhöfen und Schulbushaltestellen verfügt. Die in Prüfung gezogene Verordnungsstelle scheint §52 Abs4 GewO daher jedenfalls insofern zu widersprechen, als die Festlegung eines 'näheren Umkreises' als Verbotszone nur nach Z1 und 5 des §52 Abs4 GewO, also für Schulen und Plätze, die von unmündigen Minderjährigen frequentiert werden, vorgesehen ist, nicht aber nach dessen Z2 und 3, die Aufnahmestellen des öffentlichen Verkehrs und Schulbushaltestellen betreffen und ein Verbot, Automaten aufzustellen, lediglich in unmittelbarer Nähe der Haltestellen zulassen (vgl. VfSlg. 10594/1985, 11001/1986, 11002/1986 und 11004/1986).
Der Verfassungsgerichtshof hat aber auch das weitere Bedenken, daß die in Prüfung gezogene Verordnungsstelle dem Einleitungssatz des Abs4 des §52 GewO widerspricht, wonach die Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit mittels Automaten nur untersagt werden darf, soweit dies für die im Gesetz genannten Zielsetzungen 'erforderlich' ist (vgl. hiezu VfSlg. 10050/1984). Hieran gemessen ist nicht einsichtig, daß ein solches Erfordernis im Umkreis von 100 m von einer Schulbushaltestelle gegeben ist.
Der Verfassungsgerichtshof hegt daher das Bedenken, daß die in Prüfung gezogene Regelung mit der gesetzlichen Ermächtigung nicht in Einklang zu bringen ist."
3.2. Weder der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten noch der Bürgermeister von Spittal an der Drau haben von der ihnen eröffneten Möglichkeit, eine Äußerung zu erstatten, Gebrauch gemacht.
4. Das Verfahren ist zulässig:
Es ist nichts hervorgekommen, was an der Zulässigkeit der Anlaßbeschwerde und der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Stelle der Verordnung zweifeln ließe.
5. Der Verfassungsgerichtshof hat in der Sache selbst erwogen:
5.1. Die in Prüfung gezogene Regelung stützt sich auf §52 Abs4 GewO. Diese Bestimmung lautet:
"(4) Soweit dies zum Schutz von unmündigen Minderjährigen vor unüberlegten Geldausgaben erforderlich ist, kann die Gemeinde durch Verordnung die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels Automaten, die erfahrungsgemäß besonders auf die Inanspruchnahme durch unmündige Minderjährige ausgerichtet sind,
1. im näheren Umkreis von Schulen, die von unmündigen Minderjährigen besucht werden,
2. bei Aufnahmestellen des öffentlichen Verkehrs, die erfahrungsgemäß viel von unmündigen Minderjährigen auf dem Wege zur oder von der Schule benützt werden,
3. bei Schulbushaltestellen, die von unmündigen Minderjährigen benützt werden,
4. auf Plätzen oder in Räumen, die erfahrungsgemäß viel von unmündigen Minderjährigen besucht werden, oder
5. im näheren Umkreis der in Z4 angeführten Plätze und Räume
untersagen."
5.2. Wortlaut und Sinn des Einleitungssatzes des §52 Abs4 leg.cit. erweisen, daß das Gesetz den Bürgermeister zur Erlassung einer Verordnung, die die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels Automaten untersagt, nur dann ermächtigt, wenn dies zum Schutz unmündiger Minderjähriger vor unüberlegten Geldausgaben erforderlich ist. Der Formulierung der Z1 bis 4 ist zusätzlich zu entnehmen, daß der Gesetzgeber die Erforderlichkeit von Schutzmaßnahmen für den Bereich der aufgezählten Örtlichkeiten - nämlich Schulen, Schulbushaltestellen, Aufnahmestellen des öffentlichen Verkehrs und andere Plätze und Räume - unterschiedlich wertet. Aufbau und Inhalt des Gesetzes erweisen schließlich, daß der Gesetzgeber den Kaugummi- und Zuckerlvertrieb durch Automaten, die erfahrungsgemäß besonders auf die Inanspruchnahme durch unmündige Minderjährige ausgerichtet sind, nicht zur Gänze unterbinden will. Sein Ziel war es offensichtlich nur, dem Bürgermeister die Möglichkeit zu geben, durch Erlassung von Verordnungen zu verhindern, daß durch eine allzu leichte Erreichbarkeit einschlägiger Automaten ein besonderer Anreiz zu unüberlegten Geldausgaben stattfindet und damit unmündige Minderjährige aus den Automaten gleichsam spielerisch Waren beziehen (vgl. insbesondere VfSlg. 10050/1984, aber auch 798 BlgNR XVI.GP). Das Gesetz läßt damit eine - zum Schutzzweck - unverhältnismäßige Beschränkung der gewerblichen Tätigkeit mittels Automaten durch Verordnungen nicht zu.
5.3. Ausgehend von diesem Gesetzesinhalt erweisen sich die im Einleitungsbeschluß geäußerten Bedenken gegen die in Prüfung gezogene Verordnungsstelle als begründet.
Der Sache nach hat der Verfassungsgerichtshof gegen diese AutomatenV dieselben Bedenken geäußert, die ihn im Erkenntnis VfSlg. 10594/1985 zur Aufhebung der dort geprüften Verordnung bewogen haben. In diesem Erkenntnis hat der Verfassungsgerichtshof zur Frage, was unter "bei" einer Haltestelle verfassungskonform zu verstehen ist, folgendes ausgeführt:
"Der Verfassungsgerichtshof verschließt sich auch nicht den Überlegungen des Bürgermeisters, daß die konkreten Umstände dafür maßgeblich sind, ob ein Untersagungsbereich weiter oder enger zu ziehen ist. Der Verfassungsgerichtshof ist jedoch der Meinung, daß für Haltestellen im Ortsbereich die Festlegung eines Umkreises von 300 m im Gesetz keinesfalls Deckung findet; das ergibt sich schon aus dem Wortlaut des Gesetzes, da bei einer größeren Distanz als 50 m nicht mehr davon gesprochen werden kann, daß sich ein Warenautomat 'bei einer Haltestelle' befindet."
Der Verfassungsgerichtshof sieht keinen Anlaß, von dieser Auslegung des §52 Abs4 GewO abzugehen.
Daraus ergibt sich, daß die aufgeworfenen Bedenken zutreffen und die in Prüfung gezogene Verordnungsstelle zumindest im Hinblick auf die in Z XV angeführten Schulbushaltestellen nicht dem Gesetz entspricht.
6. Obwohl sich die Z XVI des §1 der AutomatenV auch auf Schulen und Bahnhöfe bezieht und im vorliegenden Fall nur hinsichtlich einer Schulbushaltestelle angewendet wurde, war die in Prüfung gezogene Verordnungsstelle wegen ihrer sprachlichen Untrennbarkeit dennoch zur Gänze aufzuheben.
7. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Gewerberecht AutomatenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1989:V89.1989Dokumentnummer
JFT_10108796_89V00089_00