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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1968 §1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Großmann und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Kremla, Dr. Steiner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde des F in I, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 11. Oktober 1991, Zl. 4.311.823/1-III/13/91, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 505,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste am 6. August 1990 in das Bundesgebiet ein und stellte am 5. September 1990 einen Asylantrag. Bei der am 26. November 1990 durchgeführten niederschriftlichen Befragung gab er an, er sei in der Türkei nicht politisch verfolgt worden. Er suche um politisches Asyl an, weil sein Vater im März 1989 verstorben sei und er nun für seine Brüder zu sorgen habe. Da sein geringer Verdienst in der Türkei dies nicht ermögliche, wolle er in Österreich arbeiten. Bei einer niederschriftlichen Befragung am 14. Dezember 1990 wiederholte der Beschwerdeführer diese Angaben.
Mit Bescheid vom 11. Jänner 1991 wies die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol den Antrag des Beschwerdeführers ab und stellte fest, daß die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge beim Beschwerdeführer nicht zuträfen.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer zunächst vor, es sei richtig, daß er sein Heimatland vorwiegend aus wirtschaftlichen Gründen verlassen habe und zwecks Arbeitsaufnahme nach Österreich gekommen sei. Seit seiner Flucht aus der Türkei hätten sich die Ereignisse in seiner Heimat jedoch derart verändert, daß nunmehr die Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft zuträfen. Seine Familie habe ihm nämlich mitgeteilt, daß er infolge der Golfkrise zum Militärdienst eingezogen und an die türkisch-irakische Grenze versetzt werden solle. Wenn er der Einberufung zum Militärdienst nicht Folge leiste, werde er wegen Desertion von der Behörde verfolgt und streng bestraft werden. Auf Grund der drohenden Kriegshandlungen mit dem Irak müsse er andererseits, falls er zurückkehren müsse, um sein Leben fürchten. Dazu komme, daß die Türkei im Grenzgebiet zum Irak die Menschenrechtskonvention außer Kraft gesetzt habe, sodaß er bei der Stationierung im kurdischen Grenzgebiet vollkommen schutzlos den Übergriffen der Behörden ausgesetzt wäre. Er habe seinerzeit den Wehrdienst gegen seinen Willen ableisten müssen, obwohl er den Dienst mit der Waffe ablehne. Zudem sei den türkischen Behörden inzwischen wahrscheinlich zur Kenntnis gelangt, daß er in Österreich um Asyl angesucht habe, woraus ihm ebenfalls Verfolgung drohe.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab und stellte fest, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes sei. Nach Darlegung des Verfahrensganges und der Rechtslage vertrat die belangte Behörde im wesentlichen die Auffassung, die vom Beschwerdeführer angeführte Angst vor einer Einziehung zum Militärdienst bzw. seine Furcht vor Bestrafung, weil er sich der Wehrpflicht entziehe, könne nicht als Verfolgung im Sinne der Konvention angesehen werden. Seine Behauptung, er könne nicht in die Türkei zurückkehren, weil den türkischen Behörden sicher bekannt wäre, daß er in Österreich Asyl beantragt hätte, basiere auf Vermutungen. Von den österreichischen Behörden würden die Heimatbehörden von Asylwerbern auf keinen Fall von einem Asylantrag in Kenntnis gesetzt. Es sei davon auszugehen, daß sich der Beschwerdeführer nicht aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb seines Heimatlandes befinde.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Es ist im Beschwerdeverfahren nicht strittig, daß der Beschwerdeführer seinen Heimatstaat nicht aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge verlassen hat; strittig ist vielmehr, ob nach der Ausreise des Beschwerdeführers aus der Türkei Umstände eingetreten sind, die geeignet sind, wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge aufgezählten Gründen (Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung) glaubhaft zu machen, und der Beschwerdeführer somit als "sur-place-"Flüchtling anzusehen ist.
Der Beschwerdeführer vertritt die Auffassung, er befinde sich schon im Hinblick auf das ihm in der Türkei drohende Strafverfahren wegen Desertion, wobei er mit der sofortigen Festnahme und einer hohen Strafe rechnen müsse, in der wohlbegründeten Furcht, in der Türkei wegen seiner politischen Gesinnung verfolgt zu werden. Diese Darlegungen können der Beschwerde schon deshalb nicht zum Erfolg verhelfen, weil die Furcht vor einer wegen Desertion oder Wehrdienstverweigerung drohenden - unter Umständen auch strengen - Bestrafung nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keinen Grund für die Anerkennung als Flüchtling im Sinne der Konvention darstellt (vgl. z.B. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 31. Mai 1989, Zl. 89/01/0059, vom 4. Oktober 1989, Zl. 89/01/0230, und vom 8. April 1992, Zl. 92/01/0243). Der Beschwerdeführer hat auch im Verwaltungsverfahren nicht dargelegt, inwiefern die Verweigerung des Militärdienstes bzw. allenfalls aus diesem Grund drohende Verfolgung in seinem Fall mit den in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Konvention genannten Gründen im Zusammenhang stehe; seine Beschwerdebehauptung, es lägen - nicht weiter konkretisierte - "persönliche Gewissensgründe" vor, ist wegen des Verstoßes gegen das Neuerungsverbot (§ 41 VwGG) unbeachtlich.
Davon ausgehend vermögen auch die Darlegungen der Beschwerde, der Beschwerdeführer habe seinen Wehrdienst bereits abgeleistet und nur der Einberufung zum Militärdienst für den Kriegsfall keine Folge geleistet, keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen.
Auch die Beschwerdebehauptung, der Beschwerdeführer wäre bei seiner Stationierung im kurdischen Grenzgebiet schutzlos Übergriffen von Behörden ausgesetzt gewesen, weil "bekanntlich die türkischen Behörden dort die Menschenrechtskonvention außer Kraft gesetzt" hätten, ist nicht zielführend, weil diesen Darlegungen nicht entnommen werden kann, daß der Beschwerdeführer konkret gegen ihn gerichtete Verfolgungshandlungen aus den in der mehrfach zitierten Konventionsbestimmung genannten Gründen zu befürchten hätte.
Im Hinblick darauf, daß schon die Behauptungen des Beschwerdeführers nicht geeignet waren, Fluchtgründe im Sinne der Konvention glaubhaft zu machen, war die belangte Behörde nicht verpflichtet, den Beschwerdeführer im Berufungsverfahren ergänzend zu vernehmen; auch der von der Beschwerde aus dem Unterbleiben einer Vernehmung im Berufungsverfahren abgeleitete Verfahrensmangel liegt somit nicht vor.
Den Darlegungen des angefochtenen Bescheides, die Behauptung des Beschwerdeführers, er könne nicht in die Türkei zurückkehren, weil den türkischen Behörden sicher bekannt sei, daß er Asyl beantragt hätte, basiere bloß auf Vermutungen, zumal die österreichischen Behörden den Behörden des Heimatstaates der Asylwerber in keinem Fall Mitteilung vom Asylverfahren machten, ist zu entnehmen, daß die belangte Behörde die behauptete Furcht des Beschwerdeführers vor Verfolgung wegen der Stellung eines Asylantrages schon deshalb nicht als glaubhaft gemacht ansah, weil kein Anhaltspunkt dafür vorlag, daß dieser Umstand den türkischen Behörden überhaupt bekannt geworden wäre. Die gegen die Würdigung der Bescheinigungsmittel durch die belangte Behörde gerichteten Beschwerdeausführungen, die türkischen Behörden hätten durch Befragung der Familie des Beschwerdeführers davon erfahren, daß dieser Asylantrag gestellt habe, sind schon deshalb nicht zielführend, weil auch den Berufungsausführungen des Beschwerdeführers kein Anhaltspunkt für eine konkrete Verfolgung wegen der Stellung eines Asylantrages entnommen werden konnte. Es bedarf daher im Beschwerdefall keiner Auseinandersetzung mit der Frage, ob befürchtete Verfolgung im Heimatland wegen der Stellung eines Asylantrages geeignet ist, einen "Nachfluchtgrund" im Sinne der Konvention darzustellen.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
Ablehnung eines Beweismittels Abstandnahme vom ParteiengehörEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1992010096.X00Im RIS seit
17.06.1992