TE Vwgh Erkenntnis 1992/6/17 92/02/0105

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Veröffentlicht am 17.06.1992
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

AVG §18 Abs4;
StVO 1960 §91 Abs1;
VwGG §42 Abs2 litb;
VwGG §42 Abs2 Z2 impl;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Seiler und die Hofräte Dr. Stoll, Dr. Bernard, DDr. Jakusch und Dr. Baumann als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Strohmaier, über die Beschwerde des E in W, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 25. November 1991, Zl. VerkR-240015/3-1991/Aum, betreffend Aufforderung gemäß § 91 Abs. 1 StVO 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Oberösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.510,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer gemäß § 91 Abs. 1 StVO aufgefordert, die Hecke in einem näher bezeichneten Bereich seiner Liegenschaft P 11 entlang einer Gemeindestraße auf eine Höhe von maximal 80 cm (gemessen vom Fahrbahnniveau) bis spätestens 5. Februar 1992 zurückzuschneiden.

Die belangte Behörde stützte sich auf Befund und Gutachten eines von ihr beigezogenen straßenverkehrstechnischen Amtssachverständigen, der folgendes ausführte:

"Die Liegenschaft P 11, deren Inhaber Herr ... (der

Beschwerdeführer) ist, liegt an der P Gemeindestraße. Diese Straße liegt innerhalb des Ortsgebietes P, somit darf der Lenker eines Fahrzeuges gemäß § 20 Abs. 2 StVO 1960 nicht schneller als 50 km/h fahren. Die Breite der Straße beträgt im gegenständlichen Straßenabschnitt 5,4 m. Auf Grund dieser geringen Breite ist das Fahren auf "halbe Sicht" geboten. Es ist somit erforderlich, innerhalb der Hälfte der eingesehenen Strecke ein mehrspuriges Fahrzeug zum Stillstand bringen zu können.

Entlang der Liegenschaftsgrundstücke, als Abgrenzung zur P Gemeindestraße, ist eine Hecke gepflanzt, diese Hecke weist eine Höhe von 180 cm und stellenweise auch 200 cm auf. Diese Höhe wurde im Bereich der nordöstlichen Hauskante festgestellt. Auf Grund der Höhe der Hecke beträgt die Sichtweite 27 m. Verantwortungsvolle Fahrzeuglenker müßten somit eine Fahrgeschwindigkeit einhalten, welche einem Anhalteweg von 13,5 m entspricht, dies wären etwa 25 km/h. Für den Fall einer auf 80 cm zurückgeschnittenen Hecke (Fahrbahnniveau = 0 cm) würde die Sichtweite 43 m betragen. Der Anhalteweg wäre somit 21,5 m und die daraus resultierende Geschwindigkeit würde 35 km/h betragen.

Weiters befindet sich gegenüber der Liegenschaft P 11 ein landwirtschaftliches Anwesen. Eine Scheunenzufahrt mündet im derzeit nicht eingesehenen Straßenbereich in die Gemeindestraße. Beim Zufahren oder sonstigen Manipulationstätigkeiten mit landwirtschaftlichen Fahrzeugen und Geräten können diese erst sehr spät erkannt werden und somit besteht die Möglichkeit einer Gefährdung. Im Bereich auf Höhe der Eingangstür des Hauses P 11 beträgt die Höhe der Hecke 140 cm. Auch hier wird die Sicht über den Verlauf der Straßen beeinträchtigt (Richtung A).

Aufgrund der Bestimmungen des § 20 Abs. 2 beträgt im Ortsgebiet die erlaubte Höchstgeschwindigkeit 50 km/h. Wegen der Bestimmungen des § 20 Abs. 1 hat jedoch der Lenker die Geschwindigkeit unter anderem auch den Sichtverhältnissen anzupassen. Im gegenständlichen Straßenabschnitt würde die Sichtweite bei korrektem Heckenschnitt eine Höchstgeschwindigkeit von 35 km/h erlauben.

Da jedoch durch die zu hohe Hecke die freie Sicht über den Straßenverlauf nicht gegeben ist, wird der Kraftfahrzeuglenker gezwungen, eine viel geringere Fahrgeschwindigkeit einzuhalten.

Weiters besteht eine Gefährdung der im Bereich der benachbarten landwirtschaftlichen Anwesen eingesetzten Fahrzeuge und Geräte."

Auf Grund dieses Gutachtens gelangte die belangte Behörde zur Auffassung, daß durch die Hecke des Beschwerdeführers die Verkehrssicherheit, insbesondere die freie Sicht über den Straßenverlauf, beeinträchtigt werde. Die Argumente des Beschwerdeführers (Unübersichtlichkeit der gesamten Ortsdurchfahrung durch mehrere Neubauten, den Altbaumbestand und den Krümmungsradius des Straßenverlaufes; Aufstellung eines Verkehrsspiegels) seien im Verfahren nach § 91 Abs. 1 StVO von der Behörde nicht zu berücksichtigen. Eine Ladung des betroffenen Grundeigentümers zu einem Lokalaugenschein sei im Gesetz nicht zwingend vorgesehen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Vorauszuschicken ist folgendes: Aus der Einleitung des angefochtenen Bescheides ist erkennbar, daß über die Berufung von der - auf Grund des zur Anwendung kommenden Gesetzes auch zuständigen - Landesregierung entschieden wurde. Der Bescheid ist daher als von der zuständigen Behörde erlassen anzusehen, mag auch die Fertigungsklausel ("Für den Landeshauptmann") damit nicht in Einklang stehen (vgl. die Judikaturhinweise in Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, 3. Auflage, Seite 586).

Gemäß § 91 Abs. 1 StVO hat die Behörde die Grundeigentümer aufzufordern, Bäume, Sträucher, Hecken udgl., welche die Verkehrssicherheit, insbesondere die freie Sicht über den Straßenverlauf, beeinträchtigen, auszuästen oder zu entfernen.

Zutreffend führt die belangte Behörde unter Berufung auf das hg. Erkenntnis vom 8. Jänner 1964, Slg. Nr. 6198/A, aus, daß die Vorschrift des § 91 Abs. 1 StVO jede Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit betrifft. Es handelt sich um vorbeugende Maßnahmen, welche die zuständige Verwaltungsbehörde anzuordnen hat, um Unfälle zu vermeiden, ohne daß es darauf ankäme, ob sich an dieser Straßenstelle wegen der eingeschränkten Sichtverhältnisse schon Unfälle ereignet haben. Im damaligen Beschwerdefall hat der Verwaltungsgerichtshof die gänzliche Beseitigung einer Buchenhecke - und nicht bloß deren Ausästung - als gerechtfertigt angesehen, zumal eine Buchenhecke immer wieder nachwachse.

Im vorliegenden Beschwerdefall hat die belangte Behörde ihre Aufforderung entsprechend den von ihr gebilligten Ausführungen des Sachverständigen einerseits darauf gestützt, daß Kraftfahrzeuglenker durch die zu hohe Hecke des Beschwerdeführers gezwungen würden, eine viel geringere Fahrgeschwindigkeit (als 35 km/h bei einer Höhe von 80 cm) einzuhalten, anderseits darauf, daß eine Gefährdung der im Bereich der benachbarten landwirtschaftlichen Anwesen eingesetzten Fahrzeuge und Geräte bestehe.

Zum ersten dieser beiden Argumente ist festzuhalten, daß nach den Berechnungen des Sachverständigen von Fahrzeuglenkern beim Fahren auf halbe Sicht an der in Rede stehenden Straßenstelle derzeit eine Fahrgeschwindigkeit von 25 km/h einzuhalten ist. Der verlangte Rückschnitt der Hecke würde somit eine um 10 km/h höhere Fahrgeschwindigkeit erlauben. Von einer ansonsten "viel geringeren" Fahrgeschwindigkeit kann daher keine Rede sein.

Ein dem Grundeigentümer nach § 91 Abs. 1 StVO erteilter Auftrag stellt einen vom Gesetzgeber im Interesse der Verkehrssicherheit für zulässig erklärten Eingriff in das Eigentum dar. Im Beschwerdefall bedeutete der angeordnete Rückschnitt auf 80 cm, daß die gegenständliche Hecke für das Grundstück des Beschwerdeführers ihre Funktion als Schutz gegen von der Straße ausgehende Immissionen und gegen Sicht weitgehend verlieren würde. Der Verwaltungsgerichtshof ist nicht der Ansicht, daß ein solcher Eingriff in das Eigentum mit der Möglichkeit, die Fahrgeschwindigkeit von Kraftfahrzeugen zu erhöhen, gerechtfertigt werden kann. Hiebei mag es auf sich beruhen, ob die den Berechnungen des Sachverständigen zugrunde liegende Annahme, bei einer Straßenbreite von 5,4 m müsse auf halbe Sicht gefahren werden, überhaupt ohne weiteres schlüssig ist (vgl. etwa § 4 Abs. 6 Z. 2 KFG).

Was das zweite der obigen Argumente anlangt, so bezieht sich dieses offenbar auf die Zufahrt zum dem Grundstück des Beschwerdeführers gegenüberliegenden landwirtschaftlichen Anwesen. Nach dem im Akt erliegenden Lichtbild befindet sich dieses Anwesen anscheinend an der Außenseite der Straßenkrümmung. Weder anhand des Lichtbildes noch anhand des übrigen Akteninhaltes (eine Lageskizze wurde nicht angefertigt) ist für den Verwaltungsgerichtshof ausreichend nachvollziehbar, daß durch die Hecke des Beschwerdeführers in diesem Zusammenhang die Verkehrssicherheit beeinträchtigt würde.

Schließlich trifft auch die Auffassung der belangten Behörde, auf die vom Beschwerdeführer erwähnte Möglichkeit der Aufstellung eines Verkehrsspiegels sei in einem Verfahren gemäß § 91 Abs. 1 StVO nicht einzugehen, nicht zu. Hiezu genügt es, gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf das hg. Erkenntnis vom 23. März 1988, Zl. 88/03/0014, insbesondere auf die darin enthaltenen Ausführungen zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu verweisen. Die belangte Behörde hätte sich daher mit der entsprechenden Einwendung des Beschwerdeführers auseinandersetzen müssen.

Der angefochtene Bescheid erweist sich somit als inhaltlich rechtswidrig, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war. Auf das weitere Beschwerdevorbringen mußte nicht mehr eingegangen werden.

Von einer Verhandlung wurde ungeachtet des Antrages des Beschwerdeführers gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG abgesehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Intimation Zurechnung von BescheidenBehördenbezeichnungFertigungsklausel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1992020105.X00

Im RIS seit

12.06.2001

Zuletzt aktualisiert am

23.01.2013
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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