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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AuskunftspflichtG 1987 §1 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Großmann und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Kremla, Dr. Steiner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde des Dr. M, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 22. November 1990, Zl. 293.626/1-II/6/90, betreffend Erteilung einer Auskunft nach dem Auskunftspflichtgesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen von S 11.240,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Am 5. März 1990 beantragte der Beschwerdeführer, ihm - offenbar im Sinne des Auskunftspflichtgesetzes, BGBl. Nr. 287/1987, iVm Art. 20 Abs. 4 B-VG - Auskunft darüber zu erteilen, ob über ihn "staatspolizeiliche Prioren existieren"; für den Fall der Bejahung dieser Frage wurde angefragt, wann und wo in dieselben eingesehen werden könne.
Mit Schreiben vom 25. April 1990 teilte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer den Inhalt von zwei in den Evidenzen der Bundespolizeidirektion Wien enthaltenen staatspolizeilichen Vormerkungen mit. Sie gab dem Beschwerdeführer weiters folgendes bekannt: "Weitere Vormerkungen betreffen Ihre Kontakte zu dritten Personen, deren Namen aus Gründen der Amtsverschwiegenheit und des Datenschutzes nicht bekanntzugeben sind".
Am 26. September 1990 wurde dem Beschwerdeführer von der belangten Behörde Akteneinsicht betreffend die ihm inhaltlich bereits bekannten Vormerkungen gewährt; die weiteren im Schreiben vom 25. April 1990 erwähnten Vormerkungen über "Kontakte zu dritten Personen" betreffend wurde dem Beschwerdeführer keine Akteneinsicht gewährt.
Der Beschwerdeführer beantragte daraufhin die Erlassung eines Bescheides gemäß § 4 des Auskunftspflichtgesetzes.
Mit ihrem Bescheid vom 22. November 1990 stellte die belangte Behörde fest, daß in einer den Beschwerdeführer betreffenden Vormerkung Interessen dritter Personen im Sinne des Art. 20 Abs. 3 B-VG zu berücksichtigen seien und ihm über diesen Sachverhalt keine Auskunft erteilt werde. Begründet wurde diese Entscheidung nach Darlegung des Verfahrensganges wie folgt:
"Bei einer Vormerkung wurde die Amtsverschwiegenheit im Sinne des Art. 20 Abs. 3 B-VG geltend gemacht, da die Verschweigung dieser Vormerkung im Interesse einer dritten Person geboten erschien. Die Behörde hat in ihrer Entscheidung auch die Bestimmungen des Art. 10 MRK miteinbezogen, derzufolge das Recht auf Mitteilung von Nachrichten unter Gesetzesvorbehalt zu gewähren ist. Die an Sie nicht bekanntgegebene Vormerkung beinhaltet eine Information, deren Geheimhaltung für eine demokratische Gesellschaft unentbehrlich ist und daher im konkreten Falle eine Einschränkung des Grundrechtes auf Meinungsäußerungsfreiheit gerechtfertigt erscheint."
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Mit Erkenntnis vom 3. Oktober 1991, B 4/91, sprach der Gerichtshof aus, daß der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden sei, wies die Beschwerde als unbegründet ab und trat sie antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:
Gemäß § 1 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 15. Mai 1987, BGBl. Nr. 287, über die Auskunftspflicht der Verwaltung des Bundes und eine Änderung des Bundesministeriengesetzes 1986 (Auskunftspflichtgesetz) haben die Organe des Bundes sowie die Organe der durch die Bundesgesetzgebung zu regelnden Selbstverwaltung über Angelegenheiten ihres Wirkungsbereiches Auskünfte zu erteilen, soweit eine gesetzliche Verschwiegenheitspflicht dem nicht entgegensteht.
Als gesetzliche Verschwiegenheitspflicht im Sinne der zitierten Vorschrift kommt insbesondere die durch Art. 20 Abs. 3 B-VG in der Fassung des Bundesverfassungsgesetzes vom 15. Mai 1987, BGBl. Nr. 285, normierte Amtsverschwiegenheit in Betracht. Der erste Satz der zuletzt genannten Vorschrift lautet:
"Alle mit Aufgaben der Bundes-, Landes- und Gemeindeverwaltung betrauten Organe sowie die Organe anderer Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, soweit gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, zur Verschwiegenheit über alle ihnen ausschließlich aus ihrer amtlichen Tätigkeit bekanntgewordenen Tatsachen verpflichtet, deren Geheimhaltung im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit, der umfassenden Landesverteidigung, der auswärtigen Beziehungen, im wirtschaftlichen Interesse einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zur Vorbereitung einer Entscheidung oder im überwiegenden Interesse der Parteien geboten ist (Amtsverschwiegenheit)."
Die um Auskunft ersuchte Behörde hat zu beurteilen, ob und inwieweit eine Verpflichtung zur Amtsverschwiegenheit dem Auskunftsbegehren entgegensteht. Sie hat somit im Sinne des Art. 20 Abs. 3 B-VG die Interessen der Gebietskörperschaft und der Parteien zu beurteilen (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. November 1990, Zl. 89/17/0028; zur insoweit entsprechenden Vorschrift des § 3 Z. 5 des Bundesministeriengesetzes 1973 vgl. das Erkenntnis vom 29. März 1982, Zl. 81/17/0049). Dabei ist der Begriff "Parteien" in Art. 20 Abs. 3 B-VG im weitesten Sinn zu verstehen und umfaßt alle Personen, die aus irgendeinem Anlaß mit Behörden in Berührung kommen (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. Mai 1990, Zlen. 90/18/0040, 0041); als "Partei" im Sinne der zitierten Verfassungsvorschrift, auf deren Interessen bei der vorzunehmenden Interessenabwägung Bedacht zu nehmen ist, ist somit auch ein vom Auskunftswerber verschiedener Dritter, der vom Auskunftsverlangen betroffen ist, anzusehen.
Die um Auskunft ersuchte Behörde trifft die Pflicht zur ausreichenden Feststellung des Sachverhaltes, der die Beurteilung der Interessen der Gebietskörperschaft und der Parteien ermöglicht, wobei das Parteiengehör zu gewähren ist, und die Pflicht zu einer gesetzmäßigen Begründung ihrer Entscheidung (vgl. die Erkenntisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. März 1982, Zl. 81/17/0049, und vom 23. November 1990, Zl. 89/17/0028).
Dieser Begründungspflicht hat die belangte Behörde, wie der Beschwerdeführer zu Recht geltend macht, im Beschwerdefall nicht ausreichend entsprochen.
Der Verwaltungsgerichtshof verkennt dabei nicht, daß die Wahrung der Amtsverschwiegenheit mit dem Erfordernis einer ausreichenden Feststellung des relevanten Sachverhaltes, im Zusammenhang mit der Gewährung des Parteiengehörs und einer gesetzmäßigen Begründung, warum das Gebot zur Amtsverschwiegenheit der Auskunftserteilung widerstreite, zu Schwierigkeiten führen kann; der Gesetzgeber hat diese Schwierigkeiten allerdings (nicht anders als im Bereich des § 17 Abs. 2 AVG) in Kauf genommen (vgl. das bereits zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. März 1982, Zl. 81/17/0049, und die dort angeführte Vorjudikatur).
Um dem Zweck der Amtsverschwiegenheit zu entsprechen, dürfen die Anforderungen an die Bescheidbegründung im vorliegenden Zusammenhang nicht überspannt werden. Insbesondere erfordert es eine gesetzmäßige Bescheidbegründung weder, daß der nach Auffassung der um Auskunft ersuchten Behörde von der Amtsverschwiegenheit betroffene Sachverhalt in der Bescheidbegründung dargelegt, noch, daß er auf eine solche Art individualisiert werde, daß der geheimzuhaltende Sachverhalt aus der Bescheidbegründung mit Hilfe von dem Auskunftswerber zugänglichen Schlußfolgerungen ermittelt werden kann; derartige Anforderungen an die Begründung eines die Auskunft wegen überwiegender Geheimhaltungsinteressen verweigernden Bescheides würden das Gebot der Amtsverschwiegenheit im konkreten Fall inhaltsleer machen.
Dennoch erweist sich im vorliegenden Fall der Beschwerdevorwurf relevanter Begründungsmängel als berechtigt. Die Begründung des angefochtenen Bescheides erschöpft sich in der bloßen, nicht durch Bezugnahmen auf den konkreten Sachverhalt nachprüfbaren Behauptung der belangten Behörde, die Verschweigung der Vormerkung sei im Interesse einer dritten Person geboten; die nicht bekanntgegebene Vormerkung beinhalte eine Information, deren Geheimhaltung für eine demokratische Gesellschaft unentbehrlich sei.
Diese Darlegungen stellen keine Begründung dar, die in der Richtung nachprüfbar ist, welche Interessen eines Dritten durch die begehrte Auskunft berührt würden, auf welche Weise dies geschehe und aus welchen - wenigstens abstrakt zu umschreibenden - Umständen die Geheimhaltung der Vormerkung im konkreten Fall "für die demokratische Gesellschaft unentbehrlich" war. Auch im Falle von der belangten Behörde als überwiegend erachteter Geheimhaltungsinteressen wäre aber - auch ausgehend von dem dem Verwaltungsgerichtshof vorliegenden Inhalt der strittigen Vormerkung - ohne Verstoß gegen die Amtsverschwiegenheit eine dem Beschwerdeführer die Rechtsverfolgung und dem Verwaltungsgerichtshof die Nachprüfung ermöglichende, den Anforderungen an Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit entsprechende Bescheidbegründung (gegebenenfalls ohne Nennung des Namens des von der Auskunft betroffenen Dritten) möglich gewesen. Eine solcherart nachprüfbare Begründung enthält der angefochtene Bescheid nicht; die Darlegungen in der Gegenschrift vermögen diese nicht zu ersetzen.
Die belangte Behörde hat somit Verfahrensvorschriften außer acht gelassen, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 li.t c VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
Sachverhalt SachverhaltsfeststellungBegründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher VerfahrensmangelParteiengehörEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1991010201.X00Im RIS seit
27.11.2000Zuletzt aktualisiert am
22.03.2018