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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §1;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 91/02/0058Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Seiler und die Hofräte Dr. Bernard und DDr. Jakusch als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Strohmaier, über die Beschwerde des G in D, BRD, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in L, gegen die Bundespolizeidirektion Linz wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch Abnahme eines Führerscheines und eines Reisepasses, zu Recht erkannt:
Spruch
Die am 17. August 1990 nach 21.30 Uhr von Beamten des Landesgendarmeriekommandos Oberösterreich in der Außenstelle Haid vorgenommene Abnahme des internationalen Führerscheines und des Reisepasses des Beschwerdeführers wird für rechtswidrig erklärt.
Das Land Oberösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.720,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Die auf Art. 131a B-VG in der Fassung der vor dem Inkrafttreten der B-VG-Novelle 1988, BGBl. Nr. 685, in Geltung gestandenen Fassung gestützte Maßnahmenbeschwerde richtet sich gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch Beamte des Landesgendarmeriekommandos Oberösterreich vom 17. August 1990 gegenüber dem Beschwerdeführer, einem österreichischen Staatsangehörigen mit Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland, durch "Beschlagnahme eines internationalen Führerscheines und eines österreichischen Reisepasses". Der Beschwerdeführer beantragt, diese Maßnahmen kostenpflichtig für rechtswidrig zu erklären.
Die vom Verwaltungsgerichtshof als belangte Behörde zur Erstattung einer Gegenschrift und zur Vorlage der Verwaltungsakten aufgeforderte Bundespolizeidirektion Linz kam diesen Aufforderungen - vertreten durch die Finanzprokuratur - zwar nach, bestritt aber die Zurechenbarkeit der angefochtenen Maßnahmen und damit ihre Eigenschaft als belangte Behörde, beantragte jedoch abschließend, die Beschwerde kostenpflichtig zurückzuweisen, in eventu kostenpflichtig abzuweisen.
Der Gerichtshof hat erwogen:
1. Vorauszuschicken ist, daß eine an den Verwaltungsgerichtshof gerichtete Maßnahmenbeschwerde seit dem Inkrafttreten der B-VG-Novelle 1988 mit 1. Jänner 1991 nicht mehr zulässig ist. Die vorliegende Beschwerde ist aber dennoch nicht deswegen als unzulässig anzusehen, weil sie erst seit 23. April 1991 beim Verwaltungsgerichtshof anhängig ist. Der Beschwerdeführer brachte nämlich zunächst eine Maßnahmenbeschwerde nach Art. 144 Abs. 1 B-VG in der Fassung vor der Novelle 1988 ein; diese am 26. September 1990 zur Post gegebene Beschwerde langte am 27. September 1990 beim Verfassungsgerichtshof ein. Gemäß Art. IX Abs. 2 der B-VG-Novelle 1988 war das Beschwerdeverfahren ungeachtet des Wegfalles der Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes zur Entscheidung über Maßnahmenbeschwerden auch nach dem 1. Jänner 1991 fortzusetzen.
Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Beschluß vom 4. März 1991, B 1130/90, die Behandlung der an ihn gerichteten Beschwerde ab und trat sie gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
Für den Verwaltungsgerichtshof ergibt sich aus Art. IX Abs. 2 B-VG-Novelle 1988, daß die Anhängigkeit des Beschwerdeverfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof am 1. Jänner 1991 nach Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zur Folge hat, daß auch dieser Gerichtshof sein Verfahren nach der "bisherigen Rechtslage" im Sinne der zitierten Übergangsbestimmung durchzuführen hat. Eine gegenteilige Auffassung hätte zur Folge, daß der Beschwerdeführer insofern in seinem Rechtsschutz geschmälert wäre, als die (einfachgesetzliche) Rechtmäßigkeit der angefochtenen Maßnahmen nicht mehr überprüft werden könnte, ist es doch im Hinblick auf den Fristenablauf ausgeschlossen, zu diesem Zweck einen unabhängigen Verwaltungssenat mit Maßnahmenbeschwerde anzurufen.
2. Der Verwaltungsgerichtshof geht nach wie vor davon aus, daß die angefochtenen Maßnahmen der Bundespolizeidirektion Linz als belangten Behörde zuzurechnen sind. Der Gerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 23. April 1991, Zl. 90/11/0209, zum Ausdruck gebracht, daß die von Organen eines Landesgendarmeriekommandos ausgesprochene Führerscheinabnahme der Behörde zuzurechnen ist, in deren örtlichem Zuständigkeitsbereich die Maßnahme gesetzt wurde. Ort der betreffenden Amtshandlungen war die im Gemeindegebiet der Landeshauptstadt Linz gelegene Außenstelle Haid des Landesgendarmeriekommandos Oberösterreich. Anlaß der Amtshandlung war der Verdacht, der Beschwerdeführer habe zuvor eine Übertretung der StVO 1960 begangen. Die zuständige Behörde zur Durchführung von Verwaltungsstrafverfahren nach der StVO 1960 im Stadtgebiet Linz ist die Bundespolizeidirektion Linz. Darauf, wo das dem Beschwerdeführer angelastete Verhalten gesetzt wurde und wo die Amtshandlung, die schließlich zur betreffenden Abnahme der in Rede stehenden Dokumente geführt hat, begonnen hat, kommt es nicht an (vgl. das zitierte Erkenntnis vom 23. April 1991; vgl. auch die Regelung des zweiten Satzes im § 27 Abs. 3 VStG, wonach unaufschiebbare Amtshandlungen von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes bei Überschreitung der Grenzen des Sprengels ihrer Behörde als Amtshandlung der sachlich zuständigen Behörde, in deren Sprengel sie vorgenommen worden sind, gelten).
3. Die belangte Behörde begründet ihren Antrag, die Beschwerde zurückzuweisen, damit, daß keine Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt vorliege. Die beiden Dokumente seien nicht zwangsweise abgenommen, sondern vom Beschwerdeführer freiwillig am Ort der Amtshandlung zurückgelassen worden; er habe sich vor Abschluß der Amtshandlung, bei der die Gendarmeriebeamten anhand der Dokumente die Personalien des Beschwerdeführers aufnahmen, von diesem Ort entfernt.
Der Beschwerdeführer vertritt den gegenteiligen Standpunkt, ihm seien die Dokumente abgenommen worden; erst danach habe er den Ort der Amtshandlung verlassen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat zu diesem Punkt Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den von der belangten Behörde (in Kopie) vorgelegten Akt sowie durch die im Rechtshilfeweg erfolgten Einvernahmen des Gendarmeriebeamten, der die Amtshandlung in der Außenstelle Haid durchgeführt hat, sowie zweier mit der Sache befaßter Beamter der belangten Behörde als Zeugen.
Unter Verwertung der hiezu ergangenen Äußerungen der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nimmt der Verwaltungsgerichtshof als erwiesen an:
Der Beschwerdeführer lenkte am 17. August 1990 einen Pkw mit deutschem Kennzeichen auf der A 1 Westautobahn in Richtung Westen. Auf der Höhe Linz wurde er um etwa 21.30 Uhr von der Besatzung eines Gendarmeriefahrzeuges angehalten. Bei der Fahrzeugkontrolle händigte der Beschwerdeführer einem Gendarmeriebeamten (u.a.) einen internationalen Führerschein und seinen Reisepaß aus. Ihm wurde eine Übertretung der StVO 1960 zur Last gelegt; er wurde deswegen zur Entrichtung eines Organstrafmandates aufgefordert. Der Beschwerdeführer erklärte, kein Bargeld mit sich zu führen. Der Aufforderung, den Beamten zur Außenstelle Haid zu folgen, kam er nach. Der Gendarmeriebeamte, der die Amtshandlung gegen den Beschwerdeführer durchführte, hielt fernmündlich Rücksprache mit dem Journalbeamten der belangten Behörde. Dieser gab an, dem Beschwerdeführer solle eine Sicherheitsleistung abverlangt werden. Der Beschwerdeführer erlegte eine solche Sicherheitsleistung nicht. Daraufhin wurde dem Beschwerdeführer von seiten des Gendarmeriebeamten erklärt, er könne bis 8.00 Uhr des folgenden Tages die Sicherheitsleistung erlegen, widrigenfalls er der Behörde vorgeführt werde. Der Beschwerdeführer verließ daraufhin die in Rede stehende Dienststelle. Am nächsten Morgen erschien der Beschwerdeführer in Begleitung des nunmehrigen Beschwerdevertreters bei der belangten Behörde; es wurde ein Straferkenntnis betreffend die Übertretung der StVO 1960 mündlich verkündet sowie auf eine Berufung gegen dieses Straferkenntnis verzichtet; der Strafbetrag wurde bezahlt und die in Rede stehenden Dokumente dem Beschwerdeführer wieder ausgefolgt.
Diese Sachverhaltsannahme, die in den wesentlichen Punkten den Angaben des Beschwerdeführers folgt, stimmt auch mit dem Inhalt der von dem Gendarmeriebeamten am 17. August 1990 verfaßten Anzeige überein. Dort wurde nämlich ausgeführt, daß als Folge der Weigerung des Beschwerdeführers, eine Sicherheitsleistung zu erlegen, die Abnahme (u.a.) der in Rede stehenden Dokumente erfolgt sei. Damit stimmt auch die Aussage vom 11. Dezember 1991 desjenigen Beamten der belangten Behörde überein, der am Morgen des 18. August 1990 die Amtshandlung bei der belangten Behörde leitete, wonach ihm "die Problematik der Abnahme der Dokumente .... sehr wohl klar" gewesen sei; deswegen habe er "ohnehin sogleich veranlaßt, diese wieder aufzufolgen". Diese Aussage stimmt wiederum mit dem Aktenvermerk dieses Beamten vom 19. Oktober 1990 überein. Eine Information dieses Inhaltes wurde auch mit Datum
13. November 1990 von der belangten Behörde an die Finanzprokuratur - offenbar zum Zweck der Erstattung einer Gegenschrift an den Verfassungsgerichtshof - abgegeben; darin
heißt es auch, es möge "dahingestellt sein, ob .... die
vorläufige Abnahme der genannten Dokumente ... als unmittelbare
behördliche Befehls- und Zwangsgewalt rechtens war".
Die Version, wonach der Beschwerdeführer die Dokumente freiwillig bei dem Gendarmeriebeamten zurückgelassen habe, indem er das Gendarmerielokal verlassen habe, ohne die Beendigung der Amtshandlung abzuwarten, wurde erstmals in der von der Finanzprokuratur verfaßten, an den Verfassungsgerichtshof gerichteten Gegenschrift aufgestellt. Wenn auch die Zeugenaussage dieses Gendarmeriebeamten vom 11. Dezember 1991 auf diese Frage nicht ausdrücklich eingeht, so findet die Sachverhaltsannahme des Verwaltungsgerichtshofes auch darin insofern eine Deckung, als der Zeuge angab, er habe auf die Frage des Beschwerdeführers, wie es nach der Verweigerung des Erlages einer Sicherheitsleistung "weitergehen würde", erklärt, "in diesem Falle müsse ich dann die Sache der Behörde vorlegen". Auch darin ist eine Übereinstimmung mit dem Inhalt der Anzeige und der Sachverhaltsdarstellung des Beschwerdeführers zu erkennen. Dies erklärt auch, wieso der Beschwerdeführer am Morgen des 18. August 1990 (mit einem Rechtsanwalt) bei der belangten Behörde erschienen ist. Diese Handlungsweise ist offensichtlich darauf zurückzuführen, daß er vorher auf diese Möglichkeit der Bereinigung der Angelegenheit aufmerksam gemacht worden ist.
Dieser als erwiesen angenommene Sachverhalt ist in rechtlicher Hinsicht als Abnahme der in Rede stehenden Dokumente zu werten. Eine solche Abnahme kann auch erfolgen, wenn sich - wie hier - die Dokumente im Gefolge einer Anhaltung und Lenkerkontrolle bereits in Händen des Straßenaufsichtsorganes befinden. Die Erklärung, daß die Dokumente erst wieder ausgefolgt werden, wenn (u.a.) eine Sicherheitsleistung erlegt wird, ist eine beim Verwaltungsgerichtshof anfechtbar gewesene behördliche Maßnahme. Die Beschwerde ist daher auch zulässig.
4. Die Abnahme der in Rede stehenden Dokumente ist ohne entsprechende Rechtsgrundlage erfolgt. Beide Parteien sind übereinstimmend der auch vom Verwaltungsgerichtshof geteilten Meinung, daß die §§ 37 und 37a VStG 1950 hiefür nicht herangezogen werden können. Ein sonstiger Grund - etwa nach § 76 KFG 1967 (vorläufige Abnahme des Führerscheines zur Verhinderung des Lenkens eines Kraftfahrzeuges durch eine geistig oder körperlich hiezu nicht in der Lage befindliche Person) oder nach dem Paßgesetz (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 5. November 1986, Zl. 84/01/0299) - liegt offenkundig ebenfalls nicht vor.
Daraus folgt aber nicht, daß es sich nicht um eine Maßnahme in Ausübung verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gehandelt habe (wie es die belangte Behörde äußert), sondern daß diese Maßnahme gesetzlos und damit rechtswidrig ist.
Dies war gemäß § 42 Abs. 4 VwGG in der Fassung vor der Novelle BGBl. Nr. 330/1990 festzustellen.
Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil Schriftsatzaufwand nach § 48 Abs. 1 Z. 2 VwGG nur für die Beschwerde gebührt.
Schlagworte
Beschwerdepunkt Beschwerdebegehren Rechtslage Rechtsgrundlage Rechtsquellen Zurechnung von Bescheiden Intimation Zurechnung von OrganhandlungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1991020052.X00Im RIS seit
11.07.2001