TE Vfgh Erkenntnis 1989/12/7 B1333/87

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Veröffentlicht am 07.12.1989
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Index

70 Schulen
70/02 Schulorganisation

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art7 Abs1 / Verordnung
HochschulberechtigungsV 1975 §2 Abs1 lita
HochschulberechtigungsV 1975 §6 Abs1
AHStG §6 Abs3 litb
AHStG §7 Abs4
SchulorganisationsG §69 Abs2

Leitsatz

Gebot verfassungskonformer Interpretation von Rechtsvorschriften; Gleichwertigkeit der nach §2 Abs1 lita HochschulberechtigungsV 1975 abzulegenden Zusatzprüfung aus Latein mit einer im Sinne des §6 Abs1 erster Satz dieser Verordnung nach hochschulrechtlichen Vorschriften abzulegenden Ergänzungsprüfung aus Latein; Verletzung im Gleichheitsrecht durch Unterstellung eines gleichheitswidrigen Verordnungsinhalts

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wissenschaft und Forschung) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines bevollmächtigten Vertreters die mit S 11.000,-- bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer legte an der Bundeshandelsakademie in Innsbruck die Reifeprüfung ab und schloß an der Universität Innsbruck das Diplomstudium der Betriebswirtschaft mit Ablegung der zweiten Diplomprüfung am 24. März 1981, das entsprechende Doktoratsstudium nach Approbation seiner Dissertation aus dem Fach "Arbeitsrecht" mit der Ablegung des Rigorosums am 26. April 1983 erfolgreich ab. Im Sommersemester 1982 nahm er an der Universität Innsbruck zusätzlich das Studium der Geschichte und der Kunstgeschichte auf. In diesem Zusammenhang wurde dem Beschwerdeführer, da die Bundeshandelsakademie eine höhere Schule ohne Pflichtgegenstand Latein ist, gemäß §3 Abs1 lita der Verordnung des Bundesministers für Unterricht und Kunst vom 2. Juni 1975, BGBl. 356, über die mit den Reifeprüfungen der höheren Schulen verbundenen Berechtigungen zum Besuch der Hochschulen, für welche die Reifeprüfung Immatrikulationsvoraussetzung ist (Hochschulberechtigungsverordnung 1975), die Ablegung einer Zusatzprüfung aus Latein zur Reifeprüfung vor Beginn des dritten einrechenbaren Semesters vorgeschrieben. Der Beschwerdeführer legte daraufhin iS des §6 Abs1 erster Satz der Hochschulberechtigungsverordnung 1975, wonach Zusatzprüfungen ua. nach §3 dieser Verordnung durch Prüfungen ersetzt werden können, die nach hochschulrechtlichen Vorschriften an den Hochschulen abzulegen sind, am 29. Juni 1982 an der Universität Innsbruck die Ergänzungsprüfung aus Latein ab.

Mit Schreiben vom 5. März 1987 richtete der Beschwerdeführer an den Rektor der Universität Innsbruck das Ansuchen um Zulassung zum Studium der Rechtswissenschaften.

Der Rektor der Universität Innsbruck wies dieses Ansuchen mit Bescheid vom 25. Mai 1987 unter Berufung auf §6 Abs3 litb des Allgemeinen Hochschul-Studiengesetzes iVm §2 Abs1 lita der Hochschulberechtigungsverordnung 1975 ab.

Die gegen diesen Bescheid eingebrachte Berufung des Beschwerdeführers wies der Akademische Senat der Universität Innsbruck mit Bescheid vom 8. Oktober 1987 als unbegründet ab; dies, wie schon die Erstbehörde, im wesentlichen mit der Begründung, daß der Beschwerdeführer die durch §2 Abs1 lita der Hochschulberechtigungsverordnung 1975 vorgeschriebene Zusatzprüfung aus Latein zur Reifeprüfung nicht abgelegt habe und die von ihm iS des §6 Abs1 erster Satz der Hochschulberechtigungsverordnung 1975 nach hochschulrechtlichen Vorschriften abgelegte Ergänzungsprüfung aus Latein die gemäß §2 Abs1 lita der Hochschulberechtigungsverordnung 1975 erforderliche Zusatzprüfung aus Latein zur Reifeprüfung nicht zu ersetzen vermöge.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie die Verletzung von Rechten wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung geltend gemacht, die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt und die Einleitung eines Verfahrens zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit des §2 Abs1 lita der Hochschulberechtigungsverordnung 1975 und der Verfassungsmäßigkeit des - eine der gesetzlichen Grundlagen dieser Verordnung bildenden - §69 Abs2 des Schulorganisationsgesetzes, BGBl. 242/1962, angeregt wird.

3. Die Finanzprokuratur hat in Vertretung des Akademischen Senats der Universität Innsbruck als belangter Behörde die Verwaltungsakten vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Gemäß §6 Abs3 des Allgemeinen Hochschul-Studiengesetzes, BGBl. 177/1966, in der hier maßgeblichen Fassung der Bundesgesetze BGBl. 332/1981 und 112/1982 (im folgenden: AHStG), kann sich um die Aufnahme als ordentlicher Hörer (in der Form der Immatrikulation (§6 Abs1 AHStG)) bewerben, wer - unter anderem - den Nachweis der Hochschulreife gemäß §7 Abs1 dieses Gesetzes besitzt (lita) und den in §7 Abs4 leg. cit. vorgesehenen Nachweis der besonderen Eignung erbringt (litb). Nach §7 Abs1 litb AHStG wird die Berechtigung zum Besuch einer Hochschule (jetzt Universität; s. dazu das Universitäts-Organisationsgesetz, BGBl. 258/1975 idgF) durch die erfolgreiche Ablegung der Reifeprüfung inländischer berufsbildender höherer Schulen nach den Bestimmungen des §69 Abs2 des Schulorganisationsgesetzes (im folgenden: SchOG), BGBl. 242/1962 (idF der 5. Schulorganisationsgesetz-Novelle, BGBl. 323/1975, und der 8. Schulorganisationsgesetz-Novelle, BGBl. 271/1985), erworben.

Erfordert die gewählte Studienrichtung Kenntnisse und Fertigkeiten, die durch Reifezeugnisse und Prüfungen (iS des §7 Abs1 bis 3, 5 und 7 AHStG) nicht nachgewiesen werden, oder erfordert sie eine künstlerische Begabung, so sind die Bewerber verpflichtet, nach den Bestimmungen der besonderen Studiengesetze und Studienordnungen Ergänzungsprüfungen abzulegen (§7 Abs4 AHStG).

Nach §69 Abs2 SchOG berechtigt die erfolgreiche Ablegung der Reifeprüfung einer berufsbildenden höheren Schule - zu den berufsbildenden höheren Schulen zählen gemäß §67 litb SchOG auch die Handelsakademien - zum Besuch einer Hochschule, für die die Reifeprüfung Immatrikulationsvoraussetzung ist, wobei nach den Erfordernissen der verschiedenen Studienrichtungen durch Verordnung des Bundesministers für Unterricht, Kunst und Sport im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Wissenschaft und Forschung zu bestimmen ist, in welchen Fällen Zusatzprüfungen zur Reifeprüfung abzulegen sind.

Nach §4 Abs3 des Bundesgesetzes über geisteswissenschaftliche und naturwissenschaftliche Studienrichtungen, BGBl. 326/1971, können, soweit die Bestimmungen über die Hochschulberechtigung (§§41 Abs2 und 69 Abs2 SchOG) dies zulassen, die in Form von Zusatzprüfungen zur Reifeprüfung geforderten Nachweise auch in Form von Ergänzungsprüfungen an der Hochschule erbracht werden.

Gemäß §2 Abs1 lita der (auch) auf Grund des §69 Abs2 SchOG erlassenen Hochschulberechtigungsverordnung 1975 ist vor der Immatrikulation - unter anderem - für die Studienrichtung "Rechtswissenschaft" zur Reifeprüfung einer höheren Schule ohne den Pflichtgegenstand Latein eine Zusatzprüfung aus Latein abzulegen. Eine solche Zusatzprüfung ist nach §5 Abs1 der Hochschulberechtigungsverordnung 1975 gemäß §41 oder §42 des Schulunterrichtsgesetzes, BGBl. 139/1974, (an einer höheren Schule oder im Rahmen von Externistenprüfungen) abzulegen. Für das Prüfungsverfahren und das Ausmaß der nachzuweisenden Kenntnisse gelten die Vorschriften über die Reifeprüfung an der betreffenden höheren Schule sinngemäß (§5 Abs2 der Hochschulberechtigungsverordnung 1975).

Im Unterschied dazu ist nach §3 Abs1 lita der Hochschulberechtigungsverordnung 1975 die - unter anderem - für die Studienrichtungen "Geschichte" und "Kunstgeschichte" zur Reifeprüfung einer höheren Schule ohne den Pflichtgegenstand Latein erforderliche Zusatzprüfung aus Latein (nicht schon vor der Immatrikulation, sondern erst) vor Beginn des dritten einrechenbaren Semesters abzulegen. Zudem eröffnet §6 Abs1 erster Satz der Hochschulberechtigungsverordnung 1975 die Möglichkeit, - unter anderem - eine durch §3 Abs1 lita dieser Verordnung geforderte und nach deren §5 Abs1 gemäß §41 oder §42 des Schulunterrichtsgesetzes abzulegende Zusatzprüfung zur Reifeprüfung durch eine Prüfung zu ersetzen, die nach hochschulrechtlichen Vorschriften an einer Hochschule abzulegen ist.

2. Das Gebot der verfassungskonformen Interpretation von Rechtsvorschriften (siehe dazu etwa die Erkenntnisse VfSlg. 7698/1975, 9749/1983, 9884/1983, 10.823/1986) erfordert aus der Sicht des Gleichheitsgrundsatzes die Annahme, daß §6 Abs1 erster Satz der Hochschulberechtigungsverordnung 1975 von der Gleichwertigkeit der nach §2 Abs1 lita dieser Verordnung abzulegenden Zusatzprüfung aus Latein mit einer iS des §6 Abs1 erster Satz derselben Verordnung nach hochschulrechtlichen Vorschriften abzulegenden Prüfung ausgeht, wie sie der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit dem Studium der Geschichte und der Kunstgeschichte nach Absolvierung eines Hochschulkurses (§18 AHStG) im Ausmaß von zwei Semestern mit jeweils sechs Wochenstunden in der Form einer Ergänzungsprüfung (§23 Abs2 litb und §7 Abs4 AHStG) aus Latein abgelegt hat.

Nach §6 Abs1 erster Satz der Hochschulberechtigungsverordnung 1975 können (nur) Zusatzprüfungen nach den §§3 und 4 dieser Verordnung durch Prüfungen ersetzt werden, die nach hochschulrechtlichen Vorschriften an den Hochschulen abzulegen sind. Daraus folgt, daß eine Zusatzprüfung zur Reifeprüfung nach §2 Abs1 lita der Hochschulberechtigungsverordnung 1975 - die bereits vor der Immatrikulation abzulegen ist - nicht durch eine vor Beginn des dritten einrechenbaren Semesters nach hochschulrechtlichen Vorschriften abzulegende Prüfung ersetzt werden kann. Die Bestimmung des §6 Abs1 erster Satz der Hochschulberechtigungsverordnung 1975 stellt auf den Regelfall ab, daß vor dem Beginn eines Studiums, für das die Ablegung einer Zusatzprüfung aus Latein zur Reifeprüfung vor der Immatrikulation gefordert wird, noch keine nach hochschulrechtlichen Vorschriften an Hochschulen abzulegende Prüfung aus Latein abgelegt wurde. Aus dieser Bestimmung kann jedoch bei gleichheitskonformer Interpretation nicht der Schluß gezogen werden, daß auch eine nach hochschulrechtlichen Vorschriften an den Hochschulen abzulegende Prüfung iS des §6 Abs1 erster Satz der Hochschulberechtigungsverordnung 1975, die bereits vor der Immatrikulation (bzw. Inskription) für ein in §2 Abs1 lita dieser Verordnung angeführtes Studium abgelegt wurde, die durch die zuletzt angeführte Verordnungsbestimmung vorgeschriebene Zusatzprüfung aus Latein zur Reifeprüfung nicht zu ersetzen vermag.

In einem Fall wie dem vorliegenden führt eine mit dem Gleichheitsgrundsatz im Einklang stehende Auslegung des §6 Abs1 erster Satz der Hochschulberechtigungsverordnung 1975 zum Ergebnis, daß jemand, der (bereits an einer Universität immatrikuliert ist und) nach erfolgreicher Ablegung der Reifeprüfung einer höheren Schule ohne Pflichtgegenstand Latein den Abschluß des Studiums der Rechtswissenschaften als ordentlicher Hörer anstrebt, den durch §6 Abs3 litb AHStG geforderten, in §7 Abs4 dieses Gesetzes vorgesehenen "Nachweis der besonderen Eignung" erbracht hat, wenn er bereits vor der Inskription iS des §6 Abs1 erster Satz der Hochschulberechtigungsverordnung 1975 eine (Ergänzungs-)Prüfung aus Latein nach hochschulrechtlichen Vorschriften abgelegt hat.

Die belangte Behörde hat, indem sie diese aus der Sicht des Gleichheitssatzes gebotene Auslegung des §6 Abs1 erster Satz der Hochschulberechtigungsverordnung 1975 (zur Geltung des Gleichheitsgrundsatzes für den Verordnungsgeber vgl. etwa die Erkenntnisse VfSlg. 4915/1965, 7395/1974, 10.492/1985) verkannt hat, dieser Vorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt und dadurch ihren Bescheid mit Gleichheitswidrigkeit belastet.

3. Der Beschwerdeführer ist somit durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid ist daher aufzuheben.

4. Diese Entscheidung konnte, da von einer mündlichen Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht zu erwarten war, gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. In den zuerkannten Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von S 1.000,-- enthalten.

Schlagworte

Hochschulen, Studienvorschriften, Auslegung verfassungskonforme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1989:B1333.1987

Dokumentnummer

JFT_10108793_87B01333_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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