TE Vwgh Erkenntnis 1992/6/25 91/09/0190

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Veröffentlicht am 25.06.1992
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
63/01 Beamten-Dienstrechtsgesetz;

Norm

AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §45 Abs3;
BDG 1979 §102 Abs2;
BDG 1979 §105 Z1;
BDG 1979 §109 Abs1;
BDG 1979 §109 Abs3;
BDG 1979 §110 Abs1;
BDG 1979 §118 Abs1 Z1;
BDG 1979 §118 Abs1;
BDG 1979 §123 Abs1;
BDG 1979 §123 Abs2;
BDG 1979 §123;
BDG 1979 §124;
BDG 1979 §45 Abs1;
BDG 1979 §94 Abs1;
VwGG §24 Abs1;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §48 Abs1 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hoffmann und die Hofräte Mag. Meinl, Dr. Fürnsinn, Dr. Germ und Dr. Höß als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fritz, über die Beschwerde des Dr. S in W, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten vom 23. August 1991, Zl. 2/6-DK/91, betreffend Einleitung eines Disziplinarverfahrens nach § 123 Abs. 1 BDG 1979, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Punkt 1 des angefochtenen Bescheides wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben; im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.390,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer steht seit seiner mit 1. April 1991 erfolgten Versetzung in den Ruhestand in einem öffentlich-rechtlichen Pensionsverhältnis zum Bund. Er war zuletzt von 1986 bis zum 31. Jänner 1991 Botschafter in X.

Mit Schreiben vom 23. Juli 1991 erstattete die Dienstbehörde gegen den Beschwerdeführer eine Disziplinaranzeige. In dieser wurden ihm fünf bestimmte Sachverhalte als Dienstpflichtverletzungen zur Last gelegt, die sich auf Vorgänge während seiner Zeit als Botschafter in X beziehen. Die Anschuldigungen beruhen vor allem auf Berichten des Generalinspektors, der zwischen 24. Februar und 2. März 1991 zur Inspektion der Österreichischen Botschaft nach X zur Aufklärung verschiedener gegen den Beschwerdeführer erhobener Vorwürfe entsandt wurde.

Mit Schreiben vom 20. August 1991 nahm der Beschwerdeführer unter anderem zu den in dieser Disziplinaranzeige erhobenen Vorwürfen Stellung; er bezeichnete (mit jeweils näherer Begründung) die erhobenen Anschuldigungen als haltlos und beantragte, von der Einleitung eines Disziplinarverfahrens Abstand zu nehmen. Diese am 20. August zur Post gegebene und an die belangte Behörde adressierte Äußerung ist laut Eingangsstempel bei der belangten Behörde am 26. August 1991 eingelangt.

Bereits zuvor, nämlich am 23. August 1991, hatte die belangte Behörde beschlossen, gegen den Beschwerdeführer "gemäß § 123 Abs. 1 des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979, BGBl. Nr. 333 (BDG) ein Disziplinarverfahren einzuleiten, und zwar wegen des Verdachtes des Verstoßes gegen die allgemeine Dienstpflicht nach § 43 Abs. 1 BDB (richtig: BDG) 1979 zur Beachtung der geltenden Rechtsordnung, zu der auch das Bundeshaushaltsgesetz und die auf Basis gesetzlicher Bestimmungen erlassenen Vorschriften des Handbuchs für den auswärtigen Dienst und die 'Richtlinien für die Behandlung von Schadensfällen im Bereich der Bundesverwaltung' zählen; ferner wegen des Verdachtes des Verstoßes gegen die Dienstpflicht zur Beachtung der Weisungen der Vorgesetzten nach § 44 Abs. 1 BDG 1979, zu denen auch die (Rund-)Erlässe der Zentrale an die Vertretungen im Ausland zählen; und schließlich wegen des Verdachtes des Verstoßes gegen die Dienstpflichten der Vorgesetzten nach § 45 Abs. 1 BDG, für eine gesetzmäßige, wirtschaftliche, zweckmäßige und sparsame Aufgabenerfüllung der Mitarbeiter zu sorgen".

Dieser Einleitungsbeschluß - dem Beschwerdeführer sowie seinem Beschwerdevertreter jeweils am 29. August 1991 zugestellt - weist folgenden (weiteren) Wortlaut auf:

"1) Nach der Darstellung des Dienstgebers hat dieser aufgrund eines am 25. Februar 1991 eingelangten Berichts des Generalinspektors Kenntnis darüber, daß Botschafter i.R. Dr. S einen am Dienstkraftwagen der österreichischen Botschaft X bereits im September 1990 aufgetretenen Schaden (an der Chassisleiste) nicht entsprechend den mit RE

Zl. 595.604/4-VI.3b/87 vom 15. April 1987 kundgemachten 'Richtlinien für die Behandlung von Schadensfällen im Bereich der Bundesverwaltung' unverzüglich gemeldet und untersucht, sondern diesbezüglich überhaupt keine Veranlassung getroffen haben soll. Erst nach dem Dienstantritt seines Funktionsnachfolgers bzw. durch die zwischen 24. Februar und 2. März 1991 erfolgte Inspektion der österreichischen Botschaft

X durch den Generalinspektor sei das Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten über diesen Schadensfall in Kenntnis gesetzt und dadurch in die Lage versetzt worden, die zur Klärung der Schadensursache, der Verantwortlichkeit und des Schadenersatzes notwendigen Schritte zu setzen.

2) Außerdem hat nach der Darstellung des Dienstgebers dieser erst durch den am 12. März 1991 eingegangenen Bericht des Funktionsnachfolgers Kenntnis darüber, daß Botschafter i.R. Dr. S nicht für die ordnungsgemäße Führung des Fahrtenbuches für den vorstehend erwähnten Dienstkraftwagen gesorgt haben soll, obwohl ihn diese Verpflichtung in doppelter Hinsicht, nämlich nach § 30 Abs. 12, erster Satz, des Handbuchs für den österreichischen auswärtigen Dienst als Dienststellenleiter und nach dem vierten Satz der zitierten Handbuch-Bestimmung auch als den (hauptsächlichen) Fahrtenberechtigten traf.

3) Weiters hat nach der Darstellung des Dienstgebers dieser erst seit 12. bzw. seit 28. März 1991 Kenntnis darüber, daß Botschafter i.R. Dr. S im Zusammenhang mit der 1990 durch ihn erfolgten Anmietung eines Hauses in X den ihm unterstellten Kanzler der Botschaft veranlaßt haben soll, eine Bestätigung auszustellen, in der sich die Vertretungsbehörde verpflichtet, insbesondere für die pünktliche Mietenzahlung durch Dr. S zu sorgen. Die Dienstbehörde erblickt in einer solchen Vorgangsweise die unzulässige Haftungsübernahme durch eine Dienststelle des Bundes, da die nach § 66 Bundeshaushaltsgesetz, BGBl. Nr. 213/86, für derartige Haftungsübernahmen vorgeschriebene Zustimmung des Bundesministeriums für Finanzen nicht vorlag.

4) Nach der Darstellung des Dienstgebers hat dieser erst seit 12. März 1991 Kenntnis darüber, daß Botschafter i.R. Dr. S entgegen den langjährig bestehenden Weisungen des Bundesministeriums für auswärtige Angelegenheiten am 26. Oktober 1990 keinen Empfang zum österreichischen Nationalfeiertag gegeben haben soll, was nach Auffassung des Dienstgebers die Verletzung der Dienstpflicht eines Missionschef bedeutet.

5) Schließlich hat nach der Darstellung des Dienstgebers dieser seit 12. bzw. seit 28. März 1991 Kenntnis darüber, daß Botschafter i.R. Dr. S als österreichischer Missionschef in X über die Verwendung von 20 wertvollen Widmungswerken, die der Botschaft X vom Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten mit Erlaß Zl. 232.50.01/1-VI.71/90 vom 28. Februar 1990 zur Verfügung gestellt worden waren, nicht die vorgeschriebenen Aufzeichnungen geführt bzw. führen lassen haben soll, sodaß die Ordnungsmäßigkeit der Verwendung dieser Stücke nicht nachvollziehbar wäre.

Nach Auffassung der Dienstbehörde sind im Zusammenhang mit den im vorstehenden wiedergegebenen Sachverhalten von Botschafter i.R. Dr. S die folgenden Dienstpflichtverletzungen begangen worden:

-

Verstoß gegen die allgemeine Dienstpflicht nach § 43 Abs. 1 BDG 1979 zur Beachtung der geltenden Rechtsordnung, zu der auch das Bundeshaushaltsgesetz und die auf Basis gesetzlicher Bestimmungen erlassenen Vorschriften des Handbuchs für den auswärtigen Dienst und die 'Richtlinien für die Behandlung von Schadensfällen im Bereich der Bundesverwaltung' zählen hinsichtlich der unter Punkt 1, 2 und 3 beschriebenen Sachverhalte,

-

Verstoß gegen die Dienstpflicht zur Beachtung der Weisungen der Vorgesetzten nach § 44 Abs. 1 BDG 1979, zu denen auch die (Rund-)Erlässe der Zentrale an die Vertretungen im Ausland zählen, hinsichtlich der unter Punkt 1, 2, 4 und 5 beschriebenen Sachverhalte und

-

Verstoß gegen die Dienstpflichten der Vorgesetzten nach § 45 Abs. 1 BDG, für eine gesetzmäßige, wirtschaftliche, zweckmäßige und sparsame Aufgabenerfüllung der Mitarbeiter zu sorgen, hinsichtlich der in den Punkten 1, 2, 3 und 5 beschriebenen Sachverhalte, da Botschafter i.R. Dr. S es als damaliger Dienststellenleiter der österreichischen Botschaft X unterlassen hat, die unterstellten Bediensteten zu einer umgehenden Schadensmeldung nach Punkt 1, zur ordnungsgemäßen Führung des Fahrtenbuchs nach Punkt 2, zur Unterlassung der unzulässigen Ausstellung einer Verpflichtungserklärung nach Punkt 3 und zur weisungsgemäßen Führung von Aufzeichnungen nach Punkt 5 zu verhalten.

Nach § 123 BDG 1979 hat die Disziplinarkommission nach Einlangen einer Disziplinaranzeige darüber zu beschließen, ob ein Disziplinarverfahren durchzuführen ist. Die Disziplinarkommission ist der Auffassung, daß die in der vorliegenden Disziplinaranzeige Zl. 286305/96-VI.1/91 gegen Botschafter i.R. Dr. S enthaltene Darstellung ausreicht, um auf ihrer Grundlage die Einleitung eines Disziplinarverfahrens zu beschließen.

Gegen diesen Beschluß ist gemäß § 123 Abs. 2 BDG kein Rechtsmittel zulässig."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, verwies auf die zu der unter Zl. 91/09/0109 protokollierten Beschwerde vorgelegten Verwaltungsakten und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 45 Abs. 1 erster Satz BDG 1979 hat der Vorgesetzte darauf zu achten, daß seine Mitarbeiter ihre dienstlichen Aufgaben gesetzmäßig und in zweckmäßiger, wirtschaftlicher und sparsamer Weise erfüllen.

Gemäß dem 1. Satz des § 109 Abs. 1 BDG 1979 hat der unmittelbar oder mittelbar zur Führung der Dienstaufsicht berufene Vorgesetzte (Dienstvorgesetzte) bei jedem begründeten Verdacht einer Dienstpflichtverletzung die zur vorläufigen Klarstellung des Sachverhaltes erforderlichen Erhebungen zu pflegen und sodann unverzüglich im Dienstwege der Dienstbehörde Disziplinaranzeige zu erstatten. Gemäß § 109 Abs. 3 hat die Dienstbehörde, sofern es sich nicht um eine Selbstanzeige handelt, eine Abschrift der Disziplinaranzeige unverzüglich dem Beschuldigten zuzustellen.

Auf Grund der Disziplinaranzeige oder des Berichtes des Dienstvorgesetzen hat die Dienstbehörde gemäß § 110 Abs. 1 BDG 1979 1. eine Disziplinarverfügung zu erlassen oder 2. die Disziplinaranzeige an den Vorsitzenden der Disziplinarkommission und an den Disziplinaranwalt weiterzuleiten.

Der Vorsitzende der Disziplinarkommission hat gemäß § 123 Abs. 1 BDG 1979 nach Einlangen der Disziplinaranzeige die Disziplinarkommission zur Entscheidung darüber einzuberufen, ob ein Disziplinarverfahren durchzuführen ist. Notwendige Ermittlungen sind von der Dienstbehörde im Auftrag der Disziplinarkommission durchzuführen. Hat die Disziplinarkommission die Durchführung eines Disziplinarverfahrens beschlossen, so ist dieser Beschluß gemäß § 123 Abs. 2 dem beschuldigten Beamten, dem Disziplinaranwalt und der Dienstbehörde zuzustellen. Gegen die Einleitung des Disziplinarverfahrens ist kein Rechtsmittel zulässig.

Nach § 118 Abs. 1 BDG 1979 ist das Disziplinarverfahren mit Bescheid einzustellen, wenn

              1.              der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Dienstpflichtverletzung nicht begangen hat oder Umstände vorliegen, die die Strafbarkeit ausschließen,

              2.              die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat nicht erwiesen werden kann oder keine Dienstpflichtverletzung darstellt,

              3.              Umstände vorliegen, die die Verfolgung ausschließen, oder

              4.              die Schuld des Beschuldigten gering ist, die Tat keine oder nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat und überdies eine Bestrafung nicht geboten ist, um den Beschuldigten von der Verletzung der Dienstpflichten abzuhalten oder der Verletzung von Dienstpflichten durch andere Beamte entgegenzuwirken.

Nach § 94 Abs. 1 BDG 1979 darf der Beamte wegen einer Dienstpflichtverletzung nicht mehr bestraft werden, wenn gegen ihn nicht

              1.              innerhalb von sechs Monaten, gerechnet von dem Zeitpunkt zu dem der Disziplinarbehörde die Dienstpflichtverletzung zur Kenntnis gelangt ist .....

eine Disziplinarverfügung erlassen oder ein Disziplinarverfahren vor der Disziplinarkommission eingeleitet wurde.

Abs. 2 dieser Bestimmung regelt abschließend, in welchen Fällen der Lauf der in Abs. 1 genannten Fristen gehemmt wird.

Auf das Disziplinarverfahren findet - von Ausnahmen abgesehen, die im Beschwerdefall nicht in Betracht kommen - das AVG Anwendung (§ 105 Z. 1 BDG 1979), soweit in diesem Abschnitt (des BDG) nicht anderes bestimmt ist.

Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in seinem Recht darauf, daß nicht ohne Vorliegen der Voraussetzungen nach §§ 91 und 123 BDG 1979 ein Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet werde, durch unrichtige Anwendung dieser Normen in Verbindung mit § 118 leg. cit., sowie der Vorschriften über die Bescheidbegründung (§ 105 BDG 1979 in Verbindung mit § 60 AVG) verletzt.

Unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes macht der Beschwerdeführer zunächst geltend, die rechtliche Beurteilung der ihm zur Last gelegten Tat, er habe es unterlassen, für eine gesetzmäßige, wirtschaftliche, zweckmäßige und sparsame Aufgabenerfüllung seiner Mitarbeiter zu sorgen, als Verstoß gegen § 45 Abs. 1 BDG 1979 sei unrichtig: Alle (dieser Norm unterstellten) Vorwürfe enthielten "Formalverstöße", der Eintritt eines konkreten Schadens sei nicht behauptet worden.

Dem ist entgegenzuhalten, daß im Einleitungsbeschluß das dem Beamten zur Last gelegte Verhalten nicht bereits abschließend rechtlich gewürdigt werden muß (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. das Erkennntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. November 1985, Zl. 84/09/0143 sowie vom 18. Oktober 1990, Zl. 90/09/0061 u.v.a.). Die vorgenommene rechtliche Würdigung durch die belangte Behörde ist auch nicht offenkundig unrichtig zumal § 45 Abs. 1 BDG 1979 den Eintritt eines Schadens nicht als Tatbestandsvoraussetzung einer Dienstpflichtverletzung nach dieser Bestimmung vorsieht.

Unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes bzw. einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften macht der Beschwerdeführer ferner geltend, sowohl bei der Annahme des Sachverhaltes als auch bei der rechtlichen Beurteilung desselben habe sich die belangte Behörde auf die Darstellung bzw. Auffassung des Dienstgebers berufen. Das bloße Zurkenntnisnehmen des Standpunktes des Dienstgebers reiche nicht aus: Vielmehr müsse die Disziplinarkommission nach eigenem Dafürhalten darüber befinden, ob auf Grund der vorliegenden Beweismittel (als ein solches sei eine Disziplinaranzeige nicht anzusehen) ein begründeter Verdacht vorliege und wie ein bestimmter Tatverdacht rechtlich zu beurteilen sei.

Der Verwaltungsgerichtshof teilt die Rechtsauffassung des Beschwerdeführers, daß die Disziplinarkommission, der die Disziplinaranzeige der Dienstbehörde bzw. die Selbstanzeige des Beamten zugeleitet wurde, in jeder Phase des bei ihr ab diesem Zeitpunkt anhängigen Disziplinarverfahrens selbständig auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens im Rahmen der ihr zukommenden freien Beweiswürdigung zu beurteilen hat, welchen Sachverhalt sie als erwiesen annimmt und wie sie diesen rechtlich zu beurteilen hat. Dies folgt aus der verfassungsrechtlich abgesicherten Stellung der Mitglieder der Disziplinarkommission (Disziplinaroberkommission) (Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Mitglieder in Ausübung dieser Funktion - § 102 Abs. 2 BDG 1979) in Verbindung mit den einfachgesetzlichen Bestimmungen des 9. Abschnittes des BDG 1979 über die Organisation und Zuständigkeit dieser Behörden einschließlich des von ihnen anzuwendenden Verfahrensrechtes. Weder besteht eine Bindung der Disziplinarkommission (Disziplinaroberkommission) an die Auffassung der Dienstbehörde noch sind sie gleichsam "Erfüllungsgehilfen" der Dienstbehörde.

Dies gilt auch schon für die erste Phase des bei der Disziplinarkommission anhängigen Disziplinarverfahrens, in der diese darüber zu befinden hat, ob der ihr angezeigte Sachverhalt zur Einleitung des Disziplinarverfahrens (§ 123 BDG 1979) oder zur Einstellung (nach § 118 BDG 1979) zu führen hat, bestimmt doch auch der zweite Satz des § 123 Abs. 1, daß (für diese Entscheidung) NOTWENDIGE Ermittlungen von der Dienstbehörde im Auftrag der Disziplinarkommission durchzuführen sind (Gleiches gilt nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes auch für die nächste Phase des Disziplinarverfahrens, die mit dem Einleitungsbeschluß zusammenfallen kann, nämlich, ob ein Verhandlungsbeschluß nach § 124 BDG 1979 zu fassen oder die Einstellung nach § 118 BDG 1979 zu verfügen ist).

Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers läßt sich aber dem angefochtenen Bescheid nicht (zwingend) entnehmen, die belangte Behörde sei in Verkennung der ihr zukommenden eigenständigen und von der Dienstbehörde unabhängigen Beurteilungs- und Entscheidungsfunktion von einer verfehlten Rechtsauffassung ausgegangen. Zwar hat sie bei jedem der fünf Anschuldigungspunkte im Sachverhaltsbereich auf die Darstellung des Dienstgebers und in der rechtlichen Beurteilung derselben auf dessen Auffassung hingewiesen; sie hat aber (im vorletzten Absatz ihres Bescheides) klar zum Ausdruck gebracht, sie sehe die in der vorliegenden Disziplinaranzeige enthaltene Darstellung als ausreichend an, um auf ihrer Grundlage die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen den Beschwerdeführer zu beschließen. Sie ist damit ihrer Aufgabe zur selbständigen Beurteilung und Entscheidung nachgekommen, hat sie doch damit zu erkennen gegeben, daß sie die Auffassung der Dienstbehörde deshalb zu ihrer eigenen mache, weil sie diese für zutreffend erachte. Ob dies für den angefochtenen Bescheid ausreicht, ist gesondert zu prüfen (siehe unten).

Der Verwaltungsgerichtshof teilt auch nicht die Aufassung des Beschwerdeführers, die Disziplinaranzeige komme (unter keinen Umständen) als ausreichende Grundlage für die Einleitung eines Disziplinarverfahrens in Betracht. Wie er bereits in seinem Erkenntnis vom 18. Oktober 1990, Zl. 90/09/0061 (ebenso im Erkenntnis vom 19. Oktober 1990, Zl. 90/09/0044) dargelegt hat, ist die Disziplinarkommission nicht gezwungen, vor der Erlassung des Einleitungsbeschlusses über die Disziplinaranzeige hinausgehende Ermittlungen durchführen zu lassen. Weitere Ermittlungen werden in dieser Phase nur im Zweifelsfall notwendig sein. Ein solcher liegt vor, wenn die bisherigen Erhebungen der Dienstbehörde, die in der Disziplinaranzeige ihren Niederschlag gefunden haben, weder die Offenkundigkeit eines zur Einstellung führenden Tatbestandes (in der Regel nach § 118 Abs. 1 Z. 1 bis 3 BDG 1979) ergeben noch einen für die Einleitung eines Disziplinarverfahrens ausreichenden Tatverdacht begründen; ob dies der Fall ist, hängt von den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalles ab.

Es ist daher der Disziplinarkommission nicht verwehrt, ihre Entscheidung in dieser Phase des Disziplinarverfahrens ausschließlich auf Grund der Disziplinaranzeige (ohne weitere Ermittlungen) zu treffen. Macht sie davon Gebrauch, bleibt freilich zu prüfen, ob sie - unter Berücksichtigung der Funktion und der Stellung des Einleitungsbeschlusses (bzw. der Voraussetzungen für die Einstellung) im Disziplinarverfahren - damit ihrer Verpflichtung zu einer für die Erlassung ihres Bescheides ausreichenden Sachverhaltsermittlung nachgekommen ist.

Der Beschwerdeführer macht ferner geltend, die belangte Behörde hätte auf seine Äußerung vom 20. August 1991 eingehen müssen, die ihr bei ihrer Beschlußfassung schon vorgelegen sein müsse. Sei dies nicht der Fall gewesen, sei der Beschwerdeführer in seinem Recht auf Parteiengehör verletzt worden. Die Pflicht zur Gewährung desselben sei jedenfalls dann erforderlich, wenn von vornherein - wie dies im Beschwerdefall zutreffe - evident sei, daß der beschuldigte Beamte die Anschuldigungen sogleich entkräften könne. In diesem Fall müsse er nicht die mit der Einleitung eines Disziplinarverfahrens verbundenen nachteiligen Wirkungen auf sich nehmen. Im folgenden führt der Beschwerdeführer jeweils zu den einzelnen Anschuldigungspunkten näher aus, weshalb seiner

Meinung nach - unter Berücksichtigung seiner Äußerung vom 20. August 1991 - keinem der fünf Anschuldigungspunkte nachvollziehbar zu entnehmen sei, weshalb überhaupt und insbesondere unter Bedachtnahme auf sein Vorbringen jener ausreichende Verdacht für das Vorliegen von schuldhaften Dienstpflichtverletzungen als gegeben angenommen worden sei.

Dem ist folgendes zu erwidern:

Ermittlungen der Disziplinarbehörde vor der Einleitung eines Disziplinarverfahrens haben das Ziel, zu klären, ob die Voraussetzungen für die Einleitung gegeben sind oder ob allenfalls (offenkundige) Gründe für eine sofortige Verfügung der Einstellung des Disziplinarverfahrens (in der Regel nach § 118 Abs. 1 Z. 1 bis 3 BDG 1979) vorliegen (vgl. dazu das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 4. Dezember 1979, Slg. 8686, und das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Dezember 1989, Zl. 89/09/0113). Für die Einleitung des Verfahrens reicht es aus, wenn genügende Verdachtsgründe gegen den Beamten vorliegen, welche die Annahme einer Dienstpflichtverletzung rechtfertigen. Ein Verdacht besteht, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme der Wahrscheinlichkeit des Vorliegens von bestimmten Umständen gegeben erscheinen lassen. Verdacht ist mehr als eine bloße Vermutung, er setzt die Kenntnis von Tatsachen voraus, aus denen nach der Lebenserfahrung auf ein Vergehen geschlossen werden kann (vgl. dazu die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Dezember 1989, Zl. 89/09/0113, und vom 23. November 1989, Zl. 89/09/0112). Die Disziplinarkommission muß bei Fällung eines Einleitungsbeschlusses noch nicht völlige Klarheit darüber haben, ob ein bestimmter Beamter eine Dienstpflichtverletzung begangen hat; dies ist in dem der Einleitung des Verfahrens nachfolgenden Ermittlungsverfahren aufzuklären. Ebensowenig muß im Einleitungsbeschluß das dem Beamten zur Last gelegte Verhalten bereits abschließend rechtlich gewürdigt werden (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. November 1985, Zl. 84/09/0143). Die dem Einleitungsbeschluß nach § 123 BDG 1979 zukommende rechtliche Bedeutung ist in erster Linie darin gelegen, dem beschuldigten Beamten gegenüber klarzustellen, hinsichtlich welcher Dienstpflichtverletzung ein Disziplinarverfahren eingeleitet wird, was inbesondere für die Frage einer allfälligen Verjährung von ausschlaggebender Bedeutung ist (vgl. auch dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Dezember 1989, Zl. 89/09/0113, sowie die Erkenntnisse vom 22. Februar 1990, Zl. 89/09/0095, und vom 27. April 1989, Zl. 88/09/0004, sowie die dort jeweils angeführte Vorjudikatur).

Im Beschwerdefall kann dahingestellt bleiben, ob die nach der Aktenlage nach Beschlußfassung (aber vor Zustellung) des angefochtenen Bescheides bei der belangten Behörde eingelangte Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 20. August 1991 zur Disziplinaranzeige auf Grund dieser zeitlichen Abfolge noch zu berücksichtigen gewesen wäre oder nicht. Denn selbst wenn dies zu bejahen wäre, liegt die vom Beschwerdeführer geltend gemachte Verletzung des Parteiengehörs nicht vor.

Im Beschwerdefall ergibt sich nämlich schon auf Grund dieser Stellungnahme, daß die Dienstbehörde dem Beschwerdeführer nach § 109 Abs. 3 BDG 1979 eine Abschrift der Disziplinaranzeige übermittelt hat. Daß dem Beschwerdeführer im Hinblick auf den Zustellungszeitpunkt der Disziplinaranzeige die Stellungnahmemöglichkeit überhaupt genommen gewesen wäre, hat er nicht behauptet. Die im § 109 Abs. 3 BDG 1979 vorgesehene unverzügliche Mitteilung der Disziplinaranzeige an den beschuldigten Beamten setzt ihn in die Lage, die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zur Kenntnis zu nehmen und allenfalls dazu auch eine Stellungnahme abzugeben. Sie stellt eine lex specialis zur Frage der Gewährung des Parteiengehörs zur Disziplinaranzeige dar, sofern der Einleitungsbeschluß ausschließlich auf diese Anzeige gestützt wird. Nur dann, wenn die Disziplinarkommission vor der Erlassung des Einleitungsbeschlusses über die Disziplinaranzeige hinaus weitere Ermittlungen durchführen läßt, hat sie zu den zusätzlichen Ermittlungsergebnissen dem beschuldigten Beamten im Sinn des § 45 Abs. 3 AVG das Parteiengehör zu gewähren (vgl. dazu die bereits zitierten Erkenntnisse vom 18. Oktober 1990, Zl. 90/09/0061 sowie vom 19. Oktober 1990, Zl. 90/09/0044). Im Beschwerdefall ist unbestritten, daß die belangte Behörde weitere Ermittlungen nicht für notwendig befunden und daher auch nicht durchgeführt hat und sie ihren Einleitungsbeschluß ausschließlich auf die Disziplinaranzeige stützt.

Soweit die Beschwerde darauf abzielt, die belangte Behörde hätte weitere Ermittlungen (auch im Hinblick auf die Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 20. August 1991) anstellen müssen, zu denen sie in der Folge Parteiengehör zu gewähren gehabt hätte, reichen auf dem Boden der oben dargelegten Rechtslage nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes im Beschwerdefall - abgesehen vom Anschuldigungspunkt 1 - die in der Disziplinaranzeige enthaltenen Tatsachen (die zum Teil wie beim vierten Anschuldigungspunkt vom Beschwerdeführer gar nicht bestritten wurden) sowie die darin gegen den Beschwerdeführer erhobenen Beschuldigungen für die berechtigte Annahme der belangten Behörde aus, gegen den Beschwerdeführer liege ein für die Einleitung des Disziplinarverfahrens ausreichender Tatverdacht vor. Der angefochtene Bescheid umschreibt mit der nötigen Bestimmtheit das dem Beschwerdeführer - im Verdachtsbereich - zur Last gelegte Verhalten. In Verbindung mit den der Disziplinaranzeige zugrunde gelegten Unterlagen, auf die auch der angefochtene Bescheid verweist (insbesondere Berichte des die Botschaft in X im Auftrag der Dienstbehörde zur Klärung verschiedener gegen den Beschwerdeführer erhobener Vorwürfe inspizierenden Generalinspektors sowie einen Bericht des Funktionsnachfolgers des Beschwerdeführers) ist auch hinreichend erkennbar, worauf sie im Beschwerdefall den Verdacht disziplinär zu ahndender Dienstpflichtverletzungen stützt. In seiner Stellungnahme vom 20. August 1991 bringt der Beschwerdeführer keine offenkundigen Einstellungsgründe (nach § 118 Abs. 1 Z. 1 bis 3 BDG 1979) vor; das Zutreffen seines Vorbringens (das im wesentlichen in der Beschwerde wiederholt wird) wird daher im weiteren Disziplinarverfahren zu klären sein. Zu allen im weiteren Disziplinarverfahren erzielten Ermittlungsergebnissen wird dem Beschwerdeführer Parteiengehör zu gewähren sein. Es bestand jedoch - abgesehen vom ersten Anschuldigungspunkt - rechtlich für die belangte Behörde kein Hindernis, die Einleitung des Disziplinarverfahrens ausschließlich auf Grund der übermittelten (dem Beschwerdeführer nach § 109 Abs. 3 BDG 1979 zugestellten) Disziplinaranzeige zu beschließen.

Hinsichtlich der im 1. Anschuldigungspunkt zur Last gelegten Tat liegt allerdings offenkundig der zur Einstellung nach § 118 Abs. 1 Z. 1 BDG 1979 führende Tatbestand der Verjährung vor. Um den Eintritt der sechsmonatigen Verfolgungsverjährung hintanzuhalten, muß nämlich nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Einleitungsbeschluß gegenüber dem beschuldigten Beamten innerhalb der Verjährungsfrist ERLASSEN werden (vgl. dazu die Erkennnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 1. September 1988, Zl. 88/09/0064; vom 22. Februar 1990, Zl. 89/09/0095; vom 21. Februar 1991, Zl. 90/09/0185; vom 30. Oktober 1991, Zl. 91/09/0121 sowie vom 28. November 1991, Zl. 91/09/0029). Nach dem angefochtenen Bescheid hat die Dienstbehörde - diese zählt gemäß § 96 BDG 1979 zu den Disiplinarbehörden - von dieser Dienstpflichtverletzung am 25. Februar 1991 Kenntnis erlangt; der angefochtene Bescheid wurde dem im Verwaltungsverfahren zustellbevollmächtigten Beschwerdevertreter des Beschwerdeführers wie auch diesem selbst am 29. August 1991 und damit nach Ablauf der sechsmonatigen Verjährungsfrist nach § 94 Abs. 1 Z. 1 BDG 1979 zugestellt. Für das Vorliegen eines Hemmungstatbestandes nach § 94 Abs. 2 BDG 1979 im Beschwerdefall bietet die Aktenlage keinerlei Anhaltspunkt.

Aus diesen Gründen war daher der Punkt 1 des angefochtenen Bescheides (einschließlich der sich darauf beziehenden rechtlichen Würdigung des zur Last gelegten Verhaltens) wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes nach § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, die Beschwerde jedoch im übrigen nach § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung in der Pauschalierungsverordnung, BGBl. Nr. 104/1991.

Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die Vorlage der Beschwerde in zweifacher Ausfertigung ausreicht.

Im Hinblick auf die Entscheidung in der Sache erübrigte sich ein Abspruch über die vom Beschwerdeführer beantragte Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung.

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Freie Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1991090190.X00

Im RIS seit

25.06.1992
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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