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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
B-VG Art7 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Iro sowie die Hofräte Dr. Fellner und Dr. Kail als Richter, im Beisein des Schriftführers Kommissär Dr. Ladislav, über die Beschwerde des Präsidenten der FLD für Wien, NÖ und Bgld, gegen den Bescheid der FLD für Wien, NÖ und Bgld als Finanzstrafbehörde zweiter Instanz vom 30. Jänner 1991, Zl. GA 14-1/W-197/2/90, - Berufungssenat III - (mitbeteiligte Partei: Martin W in X, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in W), betreffend Finanzvergehen des Schmuggels, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid, mit dem über die Berufung des Amtsbeauftragten gegen die im Erkenntnis des Spruchsenates des Zollamtes Wien vom 27. September 1990, Zl. 82.319/89-Str.V/To, verhängte Wertersatzstrafe erkannt wurde, wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Am 10. September 1989 versuchte der mitbeteiligte Martin W anläßlich seiner Einreise nach Österreich am Flughafen Wien Schwechat, eine Herrenarmbanduhr der Marke "Rolex-Präsident" vorsätzlich unter Verletzung der Stellungs- und Erklärungspflicht dem Zollverfahren zu entziehen. Die Uhr war ein Geschenk seiner in den USA aufhältigen Verlobten; die Verlobte kaufte die Uhr am 9. September 1989 um US $ 9.921,60 (= S 136.918,--). W. trug die Uhr am Arm und verwahrte das Uhrenetui mit seiner früher getragenen Uhr in einem Plastiksack, in dem sich noch eine Stange Zigaretten und ein Flasche Spirituosen befanden. Er benützte in der Absicht, die Uhr bei seiner Einreise nicht zu stellen, den "Grünkanal". Bei einer routinemäßigen Kontrolle gab er über Befragen an, lediglich eine Stange Zigaretten und eine Flasche Spirituosen mit sich zu führen. Bei der darauf durchgeführten Kontrolle des Reisegepäcks wurde zuerst das Uhrenetui und sodann die Armbanduhr am Handgelenk entdeckt und beschlagnahmt. Aufgrund des oben genannten Kaufpreises ergab sich eine Abgabenschuld von S 33.956,--.
Diesen Sachverhalt würdigte der Spruchsenat des Zollamtes Wien als Finanzvergehen des versuchten Schmuggels nach §§ 13, 35 Abs. 1 Finanzstrafgesetz (FinStrG) und verhängte eine Geldstrafe von S 17.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 8 Tage); weiters erkannte er gemäß §§ 35, 17 und 19 FinStrG auf eine anteilige Wertersatzstrafe von S 62.653,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 30 Tage).
Der Amtsbeauftragte erhob dagegen insoferne Berufung, als er den Ausspruch der Wertersatzstrafe anstelle des von ihm angestrebten Ausspruches des Verfalls bekämpfte; hilfsweise beantragte er, den Wertersatz in der absoluten Höhe von S 187.961,-- zu bestimmen.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Bei Prüfung der Verhältnismäßigkeit (§ 17 Abs. 6 FinStrG) komme es nicht nur auf den reinen Vermögensnachteil an, den ein Täter durch den Verfall erleiden würde; zu berücksichtigen seien auch Umstände, die in einer besonderen persönlichen Beziehung zwischen dem Täter und dem vom Verfall bedrohten Gegenstand bestünden und die den Verlust des Gegenstandes in einer über den bloßen Vermögensnachteil merklich hinausgehenden, somit überproportionalen Weise empfinden ließen. Solche Umstände seien in der Tatsache zu erblicken, daß die Armbanduhr ein persönliches Geschenk einer dem Mitbeteiligten nahestehenden Person, nämlich seiner Verlobten gewesen sei und daher neben dem materiellen Wert einen idellen Wertgegestand repräsentiere. Da ausschließlich Milderungsgründe, nämlich der bisherige ordentliche Lebenswandel, das Tatsachengeständnis und der bloße Versuch vorlägen, habe der Spruchsenat zu Recht vom Verfall abgesehen. Der Berufungssenat bestätigte auch die vom Spruchsenat vorgenommene Bemessung eines bloß teilweisen Wertersatzes gemäß § 19 Abs. 5 FinStrG.
Gegen diesen Berufungsbescheid richtet sich die Beschwerde des Präsidenten der Finanzlandesdirektion, die, was der Mitbeteiligte in seiner Gegenschrift offenbar verkennt, keine Anführung der Beschwerdepunkte enthalten muß, weil bei einer Amtsbeschwerde eine subjektive Rechtsverletzung nicht in Betracht kommt. Der Beschwerdeführer erklärt, in der Berufungsentscheidung sei § 17 Abs. 6 FinStrG in rechtswidriger Weise zur Anwendung gelangt; auf das Ausmaß der verhängten Wertersatzstrafe werde nicht eingegangen. Damit liegt auch eine Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 28 Abs. 2 VwGG) vor: Die Beschwerde richtet sich allein gegen die Verhängung einer Wertersatzstrafe anstatt des vom Beschwerdeführer angestrengten Verfalls.
Der Verwaltunsgerichtshof hat nach dem Verzicht der belangten Behörde auf Erstattung einer Gegenschrift und nach dem Vorliegen der Gegenschrift der Mitbeteiligten über die Beschwerde erwogen:
§ 35 Abs. 4 FinStrG sieht als Sanktion eine Geldstrafe in der Höhe bis zum Zweifachen des auf die Ware entfallenden Abgabenbetrages vor; auf Verfall ist nach Maßgabe des § 17 FinStrG zu erkennen. Ob dieser Verfall auszusprechen ist, richtet sich nach der neugeschaffenen Bestimmung des § 17 Abs. 6 FinStrG (BGBl. Nr. 1988/414). Zu dieser Bestimmung kam es aufgrund der Aufhebung der früheren Verfallsregelung im § 17 Abs. 2 lit. a FinStrG durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 14. Dezember 1987, G 114/87 u.a. Dort wurde u.a. ausgeführt, daß zumindest schwere Strafen, auch jene des Verfalls, in angemessenem Verhältnis zu den Umständen des Einzelfalles stehen müßten.
Der neugefaßte § 17 Abs. 6 Satz 1 FinStrG lautet: "Stünde der Verfall zur Bedeutung der Tat oder zu dem den Täter treffenden Vorwurf außer Verhältnis, so tritt an die Stelle des Verfalls nach Maßgabe des § 19 die Strafe des Wertersatzes".
Diese neue Mißverhältnisregelung ist nicht auf Fälle eines Wertmißverhältnisses beschränkt, sondern umfaßt auch Mißverhältnisse im Bereich der Schuld; es gibt also Mißverhältnisse in objektiver und subjektiver Hinsicht (Dorazil-Harbich-Reichel-Kropfitsch, Finanzstrafrecht, MGA 52, 10. Lfg., 65). Dort werden als Beispiele dafür angeführt, daß die Strafe zur Bedeutung der Tat in einem Mißverhältnis stünde, daß der strafbestimmende Wertbetrag weniger als ein Zehntel des Wertes des Tatgegenstandes betrage; daß Wertgrenzen, wie etwa für Reisemitbringsel, nur geringfügig überschritten würden; schließlich wird der Durchfuhrschmuggel genannt, bei welchem die Ware nicht im Inland bleibe (Seite 66). Von einem solchen objektiven Mißverhältnis ist aber auch die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid richtigerweise nicht ausgegangen. Selbst wenn man einen gemeinen Wert von S 187.961,-- ansetzte und dem die Eingangsabgaben von S 33.956,-- gegenüberstellte, könnte von einem "Mißverhältnis" keine Rede sein. Vielmehr ging die belangte Behörde allein von einem subjektiven Mißverhältnis aufgrund der persönlichen Beziehung des Täters zum Gegenstand aus. Dem hält der Beschwerdeführer richtig entgegen, daß der Mitbeteiligte mit direktem Vorsatz gehandelt habe. Umstände, die einem Schuldausschließungs- oder Rechtfertigungsgrund nahekämen, liegen nicht vor.
Bei Beurteilung des den Täter treffenden Vorwurfs hat der besondere ideelle Wert, den der Gegenstand zufolge einer persönlichen Beziehung ausmacht, völlig unberücksichtigt zu bleiben, weil kein Sachzusammenhang zwischen dieser Beziehung und der Begehung der Tat hergestellt werden kann. Welche Beziehung auch immer der Abgabenpflichtige zur Sache hat, hat diese Beziehung nichts damit zu tun, ob er die Sache dem Zollamt stellig macht oder nicht. Eine solche Beziehung kann daher bei Beurteilung des den Täter treffenden Vorwurfs (§ 17 Abs. 6 FinStrG) in keiner Weise berücksichtigt werden.
Richtigerweise nennen Dorazil-Harbich-Reichel-Kropfitsch a. a.O. Seite 68 eine solche besondere persönliche Beziehung erst im Zusammenhang mit ihren Ausführungen zur Bemessung der Wertersatzstrafe gemäß § 19 Abs. 5 und 6 FinStrG. Diese Frage kann also nur eine Rolle spielen, wenn die Voraussetzungen des Absehens vom Verfall schon vorlägen.
Die persönliche Nahebeziehung zur Sache könnte bei Prüfung der Verfallsvoraussetzungen nur dann eine Rolle spielen, wenn man von einem allgemein gültigen Übermaßverbot ausginge. Tatsächlich wurde ja in Deutschland unter der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes das Übermaßverbot zu der entscheidenden materiellen Neuerung im Bereich des verfassungsrechtlichen Rechtsstaatsprinzips (Herzog in Maunz-Dürig, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 20 Lieferung 18, Seite 288). Walter-Mayer, Grundriß des Österreichischen Bundesverfassungsrechtes7 verweisen darauf, daß auch der EGMR annehme, daß jeder Eigentumseingriff dem GRUNDSATZ DER VERHÄLTNISMÄSSIGKEIT entsprechen muß (RZ 1375). Herzog a.a.O. Seite 290 führt zum Verhältnismäßigkeitsprinzip aus, daß eine staatliche Maßnahme, selbst wenn sie zur Erreichung ihres Zieles geeignet und erforderlich sei, nicht außerhalb jedes vernünftigen Verhältnisses zum gesellschaftlichen bzw. politischen Wert diese Zieles stehen dürfe; es dürfe nicht "mit Kanonen auf Spatzen geschossen werden". Pallin, Die Strafzumessung in rechtlicher Sicht, Wien 1982, RZ 31 postuliert den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zwischen Unrechtsgehalt der Tat und strafgerichtlicher Reaktion als für das Strafzumessungsrecht beherrschend.
Unter diesem Blickwinkel wäre allenfalls zu erwägen, ob der Verfall des Schmuggelgutes, wenn es sich dabei etwa um einen unersetzlichen alten Familienschmuck - aus der Familie des Täters - handelt, den Täter im Vergleich zur Tat nicht übermäßig träfe. In einem solchen Fall wäre wohl VOLLER Wertersatz der geeignete Tatausgleich.
Davon kann aber im vorliegenden Fall überhaupt keine Rede sein. Der verfallene Gegenstand wird fabriksmäßig hergestellt und ist zufolge eines weltumspannenden Händlernetzes des Erzeugers überall erhältlich.
Die belangte Behörde hat bei ihrer Strafbemessung - entsprechend § 23 Abs. 2 FinStrG - Milderungsgründe nach § 34 StGB herangezogen. Dem ist zunächst zu erwidern, daß im Gegensatz zur Geld-, Freiheits- und Wertersatzstrafe eine Ausmessung beim Verfall nicht in Betracht kommt. Selbst wenn man aber davon ausgeht, daß es sich beim Verfall ebenso um eine STRAFE handelt und daher insgesamt eine Bemessung nach § 23 FinStrG zu erfolgen hat, erlaubt die nur besondere Fälle erfassende Ausnahmsregel des § 17 Abs. 6 FinStrG auch unter Berücksichtigung der vorliegenden Milderungsgründe ein Absehen vom Verfall keineswegs.
§ 34 Z. 17 Strafgesetzbuch nimmt als Milderungsgrund das reumütige Geständnis oder das Geständnis, welches wesentlich zur Wahrheitsfindung beigetragen hat, an. Ein reumütiges Geständnis umfaßt sowohl das Zugeben der gegen den Täter erhobenen und in der Verurteilung für richtig befundenen Anschuldigung zumindest in ihren wesentlichen Punkten, als auch ein diesbezügliches Schuldbekenntnis, verbunden mit einer nicht bloß intellektuellen, sondern gesinnungsmäßigen Mißbilligung der Tat (Kunst, Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch, RZ 47 zu § 34 StGB). Derartiges wurde hier nicht festgestellt; die Finanzbehörden gingen ja auch von einem "Tatsachengeständnis" aus. Bloß zur Wahrheitsfindung trägt eine mit der erhobenen Anschuldigung wenigstens teilweise übereinstimmende Aussage des Beschuldigten selbst dann bei, wenn die Beweislage auch angesichts seiner ausschließlich leugnenden Verantwortung zweifelsfrei wäre; die Einführung des Wortes "wesentlich" ist eben deshalb erfolgt, damit der Milderungsgrund in solchen Fällen versagt bleibt (Kunst a.a.O. RZ 48). Von einem solchen wesentlichen Beitrag zur Aufklärung des beim Versuch ertappten Schmugglers kann im vorliegenden Fall jedenfalls keine Rede sein.
Was den als mildernd herangezogenen Umstand betrifft, daß es beim Versuch geblieben sei (Z. 13 des § 34 StGB) genügt der vom Beschwerdeführer getroffene Hinweis auf § 13 Abs. 1 FinStrG nicht, weil diese Bestimmung nicht die Strafzumessung regelt. Diese Strafmilderung hat ihren Grund in dem GEGENÜBER DEM REGELFALL zurückgebliebenen Unrechtsgehalt der Tat (Pallin, a. a.O RZ. 66). Bei diesem schuldunabhängigen Milderungsgrund ist das Bedürfnis nach vollem Ausgleich der Tatschuld herabgesetzt (Kunst, RZ. 8 zu § 32 StGB). Allerdings lassen die dortigen Ausführungen über die besondere Gewichtung dieses Milderungsgrundes, (RZ. 31a) durchaus den Umkehrschluß zu, daß gerade beim vorliegenden Abgabendelikt eine derartige Gewichtung des Milderungsgrundes nicht geboten ist. Hier geht es ja nicht darum, daß eine nicht mehr gutzumachende Tatausführung letztlich unterblieben ist. Dieser nach Auffassung des Gerichtshofes beachtliche Unterschied zum Regelfall des Versuches läßt eine besondere Gewichtung dieses Milderungsgrundes nicht mehr zu.
Auch wenn im vorliegenden Fall keine Erschwerungsumstände vorliegen, vermag allein der so qualifizierte Versuch im Zusammenhang mit der finanzstrafrechtlichen Unbescholtenheit den Verfall als typische Unrechtsfolge der begangenen Tat nicht zu verhindern.
Der angefochtene Bescheid war daher, da die Behörde keine hinreichenden Gründe für ein Absehen vom Verfall angeführt hat gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Eine Kostenentscheidung entfiel, da Kosten (richtigerweise: § 47 Abs. 4 VwGG) nicht verzeichnet wurden.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1991160054.X00Im RIS seit
07.03.2001