Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §69 Abs1 lita;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hoffmann und die Hofräte Mag. Meinl, Dr. Fürnsinn, Dr. Germ und Dr. Höß als Richter, im Beisein des Schriftführers Kommissär Mag. Fritz, über die Beschwerde des Otto G in S, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 12. Juni 1991, Zl. 644.773/4-5a/91, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens bezüglich der Anerkennung als Opfer der politischen Verfolgung im Sinne des Opferfürsorgegesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.110,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Nach Lage der Akten des Verwaltungsverfahrens stellte der im Jahre 1923 geborene Beschwerdeführer in einer Niederschrift vom 20. Dezember 1983 einen Antrag auf Anerkennung als Opfer der politischen Verfolgung. Dabei legte der Beschwerdeführer zum Beweis für die Richtigkeit seiner Angaben eine Kopie der Auskunft des Internationalen Suchdienstes vom 27. Jänner 1982 vor, aus der hervorgeht, daß der Beschwerdeführer vom 16. September 1942 bis 16. Oktober 1944 im Jugendschutzlager Moringen inhaftiert gewesen war.
Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Salzburg vom 2. März 1984 wurde der Antrag des Beschwerdeführers, ihn als Opfer der politischen Verfolgung anzuerkennen, mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 und 2 OFG abgewiesen.
In seiner gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung vom 20. März 1984 wies der Beschwerdeführer u.a. darauf hin, daß er bis zu seiner Verhaftung durch die Militärstreife in Augsburg im Jänner 1941 weder polizeilich noch gerichtlich abgeurteilt worden sei.
Mit Bescheid des Bundesministers für soziale Verwaltung vom 14. April 1986 wurde der Berufung des Beschwerdeführers - nach ergänzenden Ermittlungen (u.a. Einholung einer Strafregisterauskunft vom 4. Februar 1986, in der keine Verurteilungen aufschienen, Anfragen an das Bundesarchiv-Abt. Militärarchiv - in Freiburg/Br., an das Bundesarchiv-Abt. Zentralnachweisstelle in Kornelimünster, sowie an den Regierungspräsidenten in Köln über die Dauer der Haft des Beschwerdeführers und den Haftgrund in Augsburg) Folge gegeben und der Beschwerdeführer als Opfer der politischen Verfolgung im Sinne des § 1 Abs. 1 lit. e OFG anerkannt. Gleichzeitig wurde ausgesprochen, daß der Landeshauptmann von Salzburg nunmehr an den Beschwerdeführer eine Amtsbescheinigung ausstellen werde. Zur Begründung dieses Bescheides führte der Bundesminister für soziale Verwaltung, soweit für die Beschwerde von Relevanz, aus, laut einer Mitteilung des Regierungspräsidenten Köln vom 17. Februar 1986 habe der Beschwerdeführer zu seiner Verfolgung bei dieser Behörde folgende Angaben gemacht:
"Im Jahre 1941 hatte ich mich und noch 9 Kameraden entschlossen ins Ausland zu flüchten, da wir den Arbeitsdienst, sowie Militärdienst entgehen wollten. Denn 1938 im März als Hitler nach Innsbruck kam, haben wir in unserem Alter viel gesehen, wie sie mit den Juden und Kommunisten umgegangen sind. Wir kamen bis nach Augsburg, wo wir von den Kettenhunden (Straßenpolizei) verhaftet wurden. Da wir keine Barmittel hatten, um uns etwas Essen zu kaufen, haben wir kleine Diebstähle sowie Betrug gemacht. Im September 1942 wurden wir in Viehwaggons eingemengt und nach Moringen gebracht."
Der Regierungspräsident Köln habe seinem Schreiben einen Dokumentenauszug des Internationalen Suchdienstes vom 27. Jänner 1982 angeschlossen. In diesem Auszug heiße es:
"In den Unterlagen ist vermerkt: Straftat: Diebstahl und Betrug; Blockzuteilung/Datum: I.B1
II. P2 28. Juli 1943.
Zur Blockzuteilung wird bemerkt: B-Block = Beobachtungsblock. Dorthin kamen die Neuzugänge auf die Dauer etwa eines halben Jahres. P-Block = Block der fraglichen Erziehungsfähigen. -/-"
Die Behauptung des Beschwerdeführers, die auch in mehreren Zeugenerklärungen bestätigt worden sei, er sei unter der Kategorie "ST" zur Verfügung der Gestapo in Moringen angehalten worden, erscheine damit widerlegt.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (so z.B. in seinem Erkenntnis vom 20. Dezember 1956, Zl. 853/56) sei für die Wertung einer in der NS-Zeit erlittenen Haft nicht das Motiv des Täters, sondern der für das Gericht oder die Polizei maßgeblich gewesene Grund für die Verhängung der Haft von rechtlicher Bedeutung. Dieser Sachverhalt sei der Opferfürsorgekommission (OFK) in ihrer
334. Sitzung am 11. März 1986 zur Kenntnis gebracht und darauf hingewiesen worden, daß die vom Beschwerdeführer bei der Antragstellung dem Amt der Salzburger Landesregierung vorgelegte Ablichtung des Dokumentenauszuges des Internationalen Suchdienstes vom 27. Jänner 1982 keine Bemerkungen über den Haftgrund, sondern an dessen Stelle den handschriftlichen Vermerk "weitergeleitet nach Köln und Bonn an Bundeskanzler Schmidt am 15. Feber 1982" enthalte. Die Vertreter der Verfolgtenverbände in der OFK haben hiezu folgende Stellungnahme abgegeben:
"Die Interessensvertreter in der OFK haben auf Grund der Ausführungen des Herrn Abg. z.NR. a.D. K und der Aktenlage die Überzeugung gewonnen, daß Franz G auf Grund seiner Einstellung gegen das NS-Regime sich einer Dienstleistung in der deutschen Wehrmacht entziehen wollte. Er hatte sich trotz mehrmaliger Aufforderung während der unverhältnismäßig langen Haftdauer auch in der Folge nicht bereit erklärt, in der deutschen Wehrmacht Dienst zu leisten. Ein Anhaltungsgrund wegen Diebstahles und Betruges erscheint nicht glaubhaft, da in einem solchen Fall zweifellos eine Aburteilung durch ein Gericht und nicht die Verbringung in ein Lager erfolgt wäre. Es liegt demnach eine Haft aus politischen Gründen vor."
Obwohl der Beschwerdeführer für den behaupteten politischen Grund seiner Anhaltung keine eindeutigen Nachweise beibringen habe können, habe der Bundesminister für soziale Verwaltung die Stellungnahme der OFK als schlüssig anerkannt. Er habe auf Grund dieser Stellungnahme als erwiesen angenommen, daß der Beschwerdeführer aus politischen Gründen zumindest vom 16. September 1942 bis 16. Oktober 1944, somit mehr als zwei Jahre in polizeilicher Haft angehalten worden sei (Dokumentenauszug). Da auch die staatsbürgerschaftsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt seien und keine Ausschließungsgründe vorlägen (§ 15 Abs. 2 OFG), sei der Berufung Folge zu geben und der Beschwerdeführer als Opfer der politischen Verfolgung im Sinne des § 1 Abs. 1 lit. e OFG anzuerkennen gewesen.
In der Folge wurde dem Beschwerdeführer vom Landeshauptmann von Salzburg gemäß § 4 Abs. 1 OFG die Amtsbescheinigung S-905 ausgefolgt.
Aus Anlaß eines anderen, bei der belangten Behörde anhängigen Verfahrens (betreffend den Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung einer Haftentschädigung im Wege des Härteausgleiches für die nicht nachgewiesenen Haftzeiten vom 10. Oktober 1941 bis 15. September 1942 und vom 17. Oktober 1944 bis 9. April 1945) wurden von der belangten Behörde Ermittlungen beim Tiroler Landesarchiv hinsichtlich allfälliger Strafakten betreffend den Beschwerdeführer durchgeführt. Dabei wurde von der belangten Behörde an das Amt der Tiroler Landesregierung (Tiroler Landesarchiv) ein Schreiben folgenden Inhaltes gerichtet:
"Im Zusammenhang mit einem OF-Verfahren wurde in einer Auskunft des Internationalen Suchdienstes im Falle des Herrn Otto G, wohnhaft gewesen in F und H (Heim für jugendliche Arbeiter, 'Gau-Erziehungsheim') als Straftaten Diebstahl und Betrug angeführt, die vom Genannten während der Kriegszeit (vor dem 16.9.1942) begangen worden sein sollen. Es wird daher um Übermittlung allfälliger Strafakten bezüglich Herrn Otto G gebeten."
Das Amt der Tiroler Landesregierung (Tiroler Landesarchiv) übersandte daraufhin der belangten Behörde zwei aus der Zeit zwischen 1939 und 1946 stammende Strafakten betreffend den Beschwerdeführer.
Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 12. Juni 1991 traf die belangte Behörde nach Anhörung der Opferfürsorgekommission folgende Entscheidung:
"Das mit Bescheid des Bundesministers für soziale Verwaltung vom 14.4.1986, Zl. 644.773/1-5/86, rechtskräftig abgeschlossene Verwaltungsverfahren wird von Amts wegen wiederaufgenommen. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales entscheidet über die gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Salzburg vom 2.3.1984, Zl. 3/07-5001/229-1984, fristgerecht eingebrachte
Berufung wie folgt:
Der Berufung wird keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid bestätigt.
RECHTSGRUNDLAGEN DER ENTSCHEIDUNG: §§ 1 und 16 Abs. 1 OFG; 66 Abs. 4, 69 Abs. 1 lit. a, Abs. 3 und 4 AVG".
Nach Wiedergabe der maßgeblichen Rechtslage führte die belangte Behörde zur Begründung ihres Bescheides aus, der Beschwerdeführer habe am 20. Dezember 1983 beim Amt der Salzburger Landesregierung einen Antrag auf Anerkennung als Opfer der politischen Verfolgung eingebracht und hiezu angegeben, im Jänner 1941 von der Geheimen Staatspolizei in Augsburg wegen Wehrdienstverweigerung verhaftet worden zu sein. Er habe sich damals deshalb in Augsburg aufgehalten, weil er ins Ausland habe flüchten wollen, um der NS-Herrschaft zu entgehen. Er habe deshalb den Wehrdienst verweigert, weil er für den Nationalsozialismus nichts übrig gehabt habe. Ein Sieg der Westmächte sei für ihn das kleinere Übel gewesen als ein Fortbestand der NS-Herrschaft. Weiters habe der Beschwerdeführer angegeben, von Jänner 1941 bis September 1942 im Militärgefängnis in Augsburg und sodann ab 16. September 1942 im Jugendschutzlager Moringen inhaftiert gewesen zu sein. Zum Beweis für die Richtigkeit seiner Angaben habe der Beschwerdeführer eine Kopie der Auskunft des Internationalen Suchdienstes vom 27. Jänner 1982 vorgelegt, aus der lediglich hervorgehe, daß er vom 16. September 1942 bis 16. Oktober 1944 im Jugendschutzlager Moringen inhaftiert gewesen sei. Demgegenüber scheine in der mit Schreiben des Regierungspräsidenten Köln vom 17. Februar 1986 vorgelegten Kopie desselben Dokumentenauszuges des Internationalen Suchdienstes vom 27. Jänner 1982 als zusätzlicher Vermerk:
"Straftat: Diebstahl und Betrug" auf. Der gegenständliche Antrag sei mit Bescheid des Landeshauptmannes von Salzburg vom 2. März 1984 deshalb abgewiesen worden, weil nach den Angaben des Beschwerdeführers ein rein militärisches Delikt vorgelegen sei, welches nicht die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 und 2 OFG erfülle. Auf Grund der vom Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung und mehrmaliger Interventionen sei der OF-Fall der Opferfürsorgekommission zur Stellungnahme vorgelegt worden. Diese habe letztlich den Standpunkt bezogen, daß im gegenständlichen Fall die Verweigerung des Militärdienstes aus politischen Gründen anzunehmen und als aktiver Einsatz für ein freies, demokratisches Österreich im Sinne des § 1 Abs. 1 OFG anzusehen sei. Die Opferfürsorgekommission sei damals zu dieser Ansicht gekommen, weil sie dahingehend informiert worden sei, daß der Beschwerdeführer aus einem religiösen Elternhaus stamme und keine strafgerichtlichen Verurteilungen vor der Haft in Moringen vorlägen. Zudem habe der Beschwerdeführer in seiner Berufungsschrift vom 20. März 1984 ausdrücklich erklärt, bis zu seiner angeblichen Verhaftung durch die Militärstreife in Augsburg weder polizeilich noch gerichtlich abgeurteilt worden zu sein. Der Beschwerdeführer sei in der Folge mit Bescheid des Bundesministers für soziale Verwaltung vom 14. April 1986 als Opfer der politischen Verfolgung gemäß § 1 Abs. 1 lit. e OFG anerkannt und ihm vom Landeshauptmann von Salzburg eine Amtsbescheinigung ausgestellt worden.
Aus den nunmehr seitens des Tiroler Landesarchives übermittelten Strafakten gehe demgegenüber hervor, daß der Beschwerdeführer in der Zeit zwischen 1940 und 1942 viermal wegen Betruges und versuchten Betruges, Diebstahls und Einbruchdiebstahls sowie Unterschlagung verurteilt worden sei (Urteile des Amtsgerichtes Reutte vom 11. April 1940, U 56/40, des Landesgerichtes Innsbruck vom 19. Februar 1941, 8 VR 94/41, und vom 24. Juni 1941, 8 VR 485/41, sowie des Amtsgerichtes Augsburg vom 28. April 1942, DLS 28/42). Wie aus einem vom Amtsgericht Innsbruck zur Zl. 4 U 53/41 eingeholten Befund vom 3. Juni 1941 hervorgehe, sei der Vater des Beschwerdeführers damals wegen Betruges, Veruntreuung, Raufhandel und Blutschande achtmal, die Mutter auf Grund von Eigentumsdeliketen zweimal vorbestraft gewesen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. z.B. die Erkenntnisse vom 21. Juni 1950, VwSlg. 1557/A, und vom 6. März 1953, VwSlg. 2887/A) setze der Tatbestand des Erschleichens im Sinne des § 69 Abs. 1 lit. a AVG voraus, daß der Bescheid in einer Art zustande gekommen sei, daß die Partei vor der Behörde objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung mit Irreführungsabsicht gemacht habe und diese unrichtigen Angaben dann dem Bescheid zugrunde gelegt worden seien, wobei die Verschweigung wesentlicher Umstände dem Vorbringen unrichtiger Angaben gleichzusetzen sei. Ob Irreführungsabsicht vorliege, entziehe sich als innerer Willensvorgang der unmittelbaren menschlichen Erkenntnis. Das Vorliegen einer solchen Absicht könne daher nur aus den das rechtswidrige Verhalten der Partei begleitenden Umständen geschlossen werden. Diese Umstände seien von der Verwaltungsbehörde in freier Beweiswürdigung festzustellen (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 6. November 1972, Zl. 1915/70).
Im vorliegenden Fall sei erwiesen, daß der Beschwerdeführer nicht nur die von ihm in der Zeit zwischen 1940 und 1942 begangenen Straftaten bewußt verschwiegen habe, sondern auch diesbezüglich objektiv unrichtige Angaben gegenüber der Berufungsbehörde in Irreführungsabsicht gemacht habe, um in den Besitz einer Anspruchsberechtigung gemäß § 1 Abs. 1 lit. e OFG zu gelangen. Es liege demnach ein Erschleichungstatbestand im Sinne des § 69 Abs. 1 lit. a AVG vor, sodaß die Voraussetzungen für eine amtswegige Wiederaufnahme des im Spruch zitierten rechtskräftig abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens gegeben seien. Die Zuständigkeit für die Erlassung dieses Bescheides gründe sich auf die gesetzliche Bestimmung des § 69 Abs. 4 AVG. Wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergebe, sei der Beschwerdeführer auf Grund seiner Straftaten im Jugendschutzlager Moringen inhaftiert worden. Seine Haft stelle somit keine politische Verfolgung im Sinne des § 1 Abs. 1 lit. e oder Abs. 2 lit. b OFG dar. Von der Anwendung der Bestimmung des § 45 Abs. 3 AVG habe unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. Mai 1976, Zl. 1190/75, abgesehen werden können. Danach werde das Parteiengehör lediglich dann verletzt, wenn die Behörde ihre Entscheidung auf einen Sachverhalt stütze, den die Partei nicht kenne. Es sei sohin spruchgemäß zu entscheiden gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf ein gesetzmäßiges Verfahren verletzt.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist.
Gemäß § 69 Abs. 3 AVG kann die Wiederaufnahme des Verfahrens unter den Voraussetzungen des Abs. 1 auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z. 1 stattfinden.
Gemäß § 69 Abs. 4 AVG steht die Entscheidung über die Wiederaufnahme der Behörde zu, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat, wenn jedoch in der betreffenden Sache ein Unabhängiger Verwaltungssenat entschieden hat, diesem.
Diese Bestimmungen hat die belangte Behörde bei der Wiederaufnahme des mit Bescheid des Bundesministers für soziale Verwaltung vom 14. April 1986 rechtskräftig abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens mit der Begründung angewendet, daß der Beschwerdeführer nachweislich nicht nur die von ihm in der Zeit zwischen 1940 und 1942 begangenen Straftaten bewußt verschwiegen, sondern auch diesbezüglich objektiv unrichtige Angaben gegenüber der Berufungsbehörde in Irreführungsabsicht gemacht habe, um in den Besitz einer Anspruchsberechtigung gemäß § 1 Abs. 1 lit. e OFG zu gelangen.
Im Beschwerdefall ist daher zu prüfen, ob dem Beschwerdeführer von der belangten Behörde zu Recht zur Last gelegt worden ist, er habe den Bescheid des Bundesministers für soziale Verwaltung vom 14. April 1986, mit dem der Beschwerdeführer als Opfer der politischen Verfolgung im Sinne des § 1 Abs. 1 lit. e OFG anerkannt worden ist, erschlichen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. z.B. die Erkenntnisse vom 31. Oktober 1957, Zl. 1890/55, VwSlg. 4455/A, vom 27. April 1978, Zl. 2624/76, und vom 9. März 1983, Zlen. 83/01/0002, 0003) setzt der Tatbestand des Erschleichens im Sinne des § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG voraus, daß der Bescheid auf eine solche Art zustande gekommen ist, daß die Partei vor der Behörde objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung mit Irreführungsabsicht gemacht hat und diese unrichtigen Angaben dann dem Bescheid zugrunde gelegt worden sind, wobei die Verschweigung wesentlicher Umstände dem Vorbringen unrichtiger Angaben gleichzusetzen ist. Hiebei muß die Behörde auf die Angaben der Partei angewiesen sein und eine solche Situation bestehen, daß ihr nicht zugemutet werden kann, über die Richtigkeit der Angaben noch Erhebungen von Amts wegen zu pflegen. Wenn es die Behörde versäumt hat, von den ihr zur Ermittlung des Sachverhaltes ohne Schwierigkeiten offenstehenden Möglichkeiten Gebrauch zu machen, so schließt diese Mangelhaftigkeit des Verfahrens es aus, das Verhalten der Partei unter dem Gesichtspunkt des Erschleichens zu werten.
Entscheidungswesentlich ist somit im vorliegenden Fall die Frage, ob es der belangten Behörde (damalige Bezeichnung noch: Bundesminister für soziale Verwaltung) vor Erlassung des Bescheides vom 14. April 1986 zugemutet hätte werden können, über die Richtigkeit der Angabe des Beschwerdeführers in seiner Berufung, bis zu seiner Verhaftung durch die Militärstreife in Augsburg weder polizeilich noch gerichtlich abgeurteilt worden zu sein, noch von Amts wegen Erhebungen zu pflegen.
Nach Lage der Akten des Verwaltungsverfahrens hat die belangte Behörde - anläßlich eines anderen bei ihr anhängigen Verfahrens (betreffend Gewährung von Haftentschädigung im Wege des Härteausgleiches) - auf Grund des ihr schon vor Erlassung des Bescheides vom 14. April 1986 bekannt gewesenen Vermerkes:
"Straftat: Diebstahl und Betrug" in der (vom Regierungspräsidenten Köln mit Schreiben vom 17. Februar 1986 vorgelegten) Kopie der Auskunft des Internationalen Suchdienstes vom 27. Jänner 1982 beim Tiroler Landesarchiv Ermittlungen hinsichtlich allfälliger Strafakten betreffend den Beschwerdeführer durchgeführt. Aus der vom Tiroler Landesarchiv übermittelten Auskunft aus dem Strafregister der Staatsanwaltschaft zu Wien, Strafregisteramt bei der Kriminalpolizeileitstelle Wien, vom 10. Mai 1943, geht hervor, daß der Beschwerdeführer in der Zeit zwischen 1940 und 1942 viermal wegen Betruges und versuchten Betruges, Diebstahls und Einbruchsdiebstahls sowie Unterschlagung verurteilt worden ist. Diese Feststellungen in der Begründung des angefochtenen Bescheides werden vom Beschwerdeführer in der Beschwerde nicht bestritten.
Dem Beschwerdeführer ist im Ergebnis jedoch beizupflichten, daß von einer Erschleichung des Berufungsbescheides vom 14. April 1986 deshalb nicht die Rede sein kann, weil die belangte Behörde die Richtigkeit der Erklärung des Beschwerdeführers in seiner Berufung, bis zu seiner Verhaftung durch die Militärstreife in Augsburg weder polizeilich noch gerichtlich abgeurteilt worden zu sein, ohne Schwierigkeiten hätte überprüfen können und sich nicht - die belangte Behörde weist in der Gegenschrift selbst darauf hin, daß auf Grund des Schreibens des Regierungspräsidenten Köln vom 17. Februar 1986 und der Auskunft des Internationalen Suchdienstes vom 27. Jänner 1982 Hinweise auf Diebstähle und Betrugsdelikte existiert haben, sodaß auch DIE VERMUTUNG bestanden habe, es könnten Verurteilungen vorliegen - ausschließlich auf die Parteiangaben hätte stützen dürfen. Der belangten Behörde wäre schon damals (also vor Erlassung des Bescheides vom 14. April 1986) die Möglichkeit offengestanden, etwa den Beschwerdeführer zu vernehmen und ihm dabei konkret vorzuhalten, daß in der mit Schreiben des Regierungspräsidenten Köln vom 17. Februar 1986 vorgelegten Kopie der Auskunft des Internationalen Suchdienstes vom 27. Jänner 1982 (im Unterschied zu der vom Beschwerdeführer selbst vorgelegten Kopie derselben Auskunft des Internationalen Suchdienstes vom 27. Jänner 1982) als zusätzlicher Vermerk: "Straftat: Diebstahl und Betrug" aufscheine. Die belangte Behörde hat wohl im Zuge des mit Bescheid des Bundesministers für soziale Verwaltung vom 14. April 1986 abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens eine Strafregisterauskunft (vom 4. FEBRUAR 1986) eingeholt, doch enthält ein solcher aktueller Strafregisterauszug allfällige aus der Zeit um 1940 stammende Verurteilungen wegen geringfügiger Delikte NICHT MEHR, wenn sich der Beschwerdeführer seither wohlverhalten hat.
Wenn die belangte Behörde es nun verabsäumt hat, von den ihr zur Ermittlung des Sachverhaltes ohne Schwierigkeiten offenstehenden Möglichkeiten Gebrauch zu machen - daß etwa die von ihr anläßlich eines anderen bei ihr anhängigen Verfahrens durchgeführten Ermittlungen (Anfrage an das Tiroler Landesarchiv hinsichtlich allfälliger Strafakten betreffend den Beschwerdeführer) seinerzeit aus besonderen Gründen nicht möglich gewesen wäre, hat die belangte Behörde gar nicht behauptet (in der Gegenschrift hat die belangte Behörde lediglich darauf hingewiesen, daß ihr damals die Möglichkeit von Nachforschungen durch Einholung von Gerichtsakten über getilgte Verurteilungen unbekannt gewesen sei bzw. sie solche Nachforschungen für rechtlich unzulässig gehalten habe) -, so schließt diese Mangelhaftigkeit des Verfahrens es aus, das Verhalten des Beschwerdeführers unter dem Gesichtspunkt des § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG als "Erschleichen" des Bescheides zu werten.
Da der von der belangten Behörde dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegte Sachverhalt von ihr somit zu Unrecht dem Tatbestand des § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG unterstellt worden ist, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, ohne daß auf das weitere Beschwerdevorbringen eingegangen werden mußte.
Wenn der Beschwerdeführer abschließend in seiner Beschwerde beantragt, der Verwaltungsgerichtshof wolle die "Amtsbescheinigung" und "Haftentschädigung" wieder ausfolgen, so ist er darauf hinzuweisen, daß nach den vorgelegten Verwaltungsakten hierüber gesonderte Verfahren bei der belangten Behörde anhängig sind, welche jedoch nicht Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens sind.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich im Rahmen des mit S 10.110,-- bezifferten Antrages auf die §§ 47, 48 Abs. 1 Z. 2 und 59 VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1991090137.X00Im RIS seit
25.06.1992Zuletzt aktualisiert am
08.12.2010