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20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);Norm
ABGB §1294;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hoffmann und die Hofräte Mag. Meinl, Dr. Fürnsinn, Dr. Germ und Dr. Höß als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fritz, über die Beschwerde des A in U, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid der Schiedskommission beim Landesinvalidenamt für Steiermark vom 22. November 1991, Sch.Zl. 111/91, OB 611-059367-000, betreffend Beschädigtenrente nach dem Kriegsopferversorgungsgesetz 1957, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Nach Lage der Akten des Verwaltungsverfahrens war dem Antrag des im Jahre 1943 geborenen Beschwerdeführers vom 15. Jänner 1950 auf Gewährung einer Beschädigtenrente mit Bescheid des Landesinvalidenamtes für Steiermark vom 10. November 1951 gemäß § 7 des Kriegsopferversorgungsgesetzes nicht stattgegeben worden. Zur Begründung dieses unangefochten in Rechtskraft erwachsenen Bescheides war auf ein ärztliches Sachverständigengutachten vom 7. Juni 1951 verwiesen worden, wonach die Minderung der Erwerbsfähigkeit des Beschwerdeführers wegen der anerkannten Dienstbeschädigung "Narben am li. Unterschenkel nach Splitterverletzung" weniger als 25 v.H. betrage.
In einem neuerlichen Antrag vom 26. Juni 1991 brachte der Beschwerdeführer vor, er habe im Alter von vier Jahren bei einer Explosion Verletzungen des linken Unterschenkels erlitten. Dadurch sei es zur Verkrümmung des Schienbeines gekommen. Als Folge der Verletzung bestünden Schmerzzustände, eine Nervenschädigung mit Sensibilitätsstörungen und eine Beeinträchtigung des Zehenganges. Außerdem bestehe durch die Beinverkrümmung eine Skoliose der Lendenwirbelsäule. An der Wade bestehe ein Muskeldefekt. Es werde die Anerkennung der Verletzungsfolgen und die Gewährung der Beschädigtenrente beantragt. Diesem Antrag war ein Befundbericht des Facharztes für Orthopädie und orthopädische Chirurgie, Dr. S, vom 28. Mai 1991 angeschlossen.
Mit Bescheid vom 30. Juli 1991 wies das Landesinvalidenamt für Steiermark den Antrag des Beschwerdeführers auf Anerkennung sämtlicher von ihm als Dienstbeschädigung beantragten Gesundheitsschädigungen (nämlich 1. Verkrümmung des Schienbeines, 2. Schmerzzustände, Nervenschädigungen mit Sensibilitätsstörungen, 3. Beeinträchtigung des Zehenganges,
4. Skoliose der Wirbelsäule, 5. Muskeldefekt an der Wade) und auf Gewährung einer Beschädigtenrente gemäß § 2 Abs. 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 (KOVG 1957) ab. Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, auf Grund der Bestimmung des § 2 Abs. 1 KOVG 1957 und der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes müsse bei Jugendlichen und Kindern mit besonderer Sorgfalt geprüft werden, ob es ihnen zum Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses auf Grund ihres Alters und den geistigen Voraussetzungen zuzumuten gewesen sei, die Folgen einer bestimmten Handlung vorauszusehen. Bejahendenfalls sei der geltend gemachte Versorgungsanspruch abzuweisen. Laut Bericht des Gendarmeriepostenkommandos vom 16. November 1950 habe der Bruder des Beschwerdeführers, J, am 9. Juni 1945 zur Mittagszeit an dem Rohr einer Panzerfaust hantiert und die noch im Rohr befindliche Sprengkapsel zur Explosion gebracht, wobei unter anderem auch der Beschwerdeführer verletzt worden sei. Auf Grund des Alters des Bruders des Beschwerdeführers - 14 Jahre - zum Zeitpunkt des Unfalles sowie der im Bericht des Beschwerdeführers vom 24. Juli 1991 angeführten schulischen Leistungen des Bruders, die offenbar im Normalbereich gelegen seien, sei anzunehmen, daß der Bruder des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt der Handlung soweit einsichtsfähig gewesen sei, daß er die Gefahren und möglichen Folgen voraussehen habe können. Zur Wiedergutmachung des erlittenen Körperschadens wäre daher vom Beschwerdeführer sein Bruder im Zivilrechtswege heranzuziehen gewesen. Auf Grund dieses Sachverhaltes sei spruchgemäß zu entscheiden gewesen.
In seiner gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer im wesentlichen vor, aus den Erhebungen sei eindeutig zu ersehen, daß er durch einen Explosionskörper aus dem Zweiten Weltkrieg unverschuldet geschädigt worden sei. Da ihn an der Explosion als Kleinkind im Zeitpunkt des Geschehens keine Schuld treffen könne, bestehe entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen des § 2 KOVG 1957 Anspruch auf Entschädigung. Für das Verhalten seines großen Bruders könne er nicht zur Verantwortung gezogen werden und aus seinen Handlungen auch keinen Nachteil erleiden. Für die Entschädigung von Gesundheitsschädigungen durch Waffen und Kampfmittel des Krieges sei das Landesinvalidenamt zuständig. Aus diesem Grunde seien die geltend gemachten Gesundheitsschädigungen als Dienstbeschädigungen anzuerkennen und entsprechend zu berenten. Gegenüber dem Verursacher könnte unter Umständen das Landesinvalidenamt Regreßansprüche geltend machen. Dies sei in seinem Falle jedoch nicht möglich, weil sein Bruder bereits im Jahre 1969 verstorben sei. Da nach den geltenden gesetzlichen Bestimmungen eindeutig ein Anspruch auf Berentung bestehe und außerdem die Verletzungsfolgen durch das Landesinvalidenamt bereits mit Bescheid vom 10. November 1951 anerkannt worden seien, werde der Antrag auf Abänderung des erstinstanzlichen Bescheides dahingehend gestellt, die geltend gemachten Gesundheitsschädigungen mögen anerkannt und berentet werden.
Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 22. November 1991 wurde der Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid gemäß § 2 Abs. 1 KOVG 1957 aus dessen Gründen und in weiterer Erwägung bestätigt, daß die Berufungseinwendungen nicht geeignet gewesen seien, eine Abänderung des erstinstanzlichen Bescheides herbeizuführen.
Zur Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde aus, zu dem am 9. Juni 1945 stattgefundenen schädigenden Ereignis sei es dadurch gekommen, daß der zwischenzeitlich verstorbene Bruder des Beschwerdeführers eine Sprengkapsel schuldhaft zur Explosion gebracht habe, wobei unter anderem auch der Beschwerdeführer verletzt worden sei. Zum Verschulden des Bruders des Beschwerdeführers sei bereits im erstinstanzlichen Bescheid ausgeführt worden, daß auf Grund des Alters des Bruders zum Zeitpunkt des Unfalles - 14 Jahre - sowie des Umstandes, daß seine schulischen Leistungen offenbar im Normbereich gelegen seien, anzunehmen sei, er sei zum Zeitpunkt des Hantierens mit dem Sprengkörper so weit einsichtsfähig gewesen, daß er die Gefahren und wesentlichen Folgen des Handelns voraussehen habe können. Hinzu komme überdies, daß dem Bericht des Gendarmeriepostenkommandos, der am 18. November 1950 in der Bezirkshauptmannschaft eingelangt sei, entnommen werden könne, daß vor dem gegenständlichen Unfall mit Wahrscheinlichkeit die anwesenden Kinder, somit auch der Bruder des Beschwerdeführers, davor gewarnt worden seien, mit dem Rohr der Panzerfaust zu spielen. Da das schädigende Ereignis somit schuldhaft durch einen Dritten verursacht worden sei, bestehe nach Auffassung der belangten Behörde kein ursächlicher Zusammenhang mit der Einwirkung von Waffen und sonstigen Kampfmitteln als Folge militärischer Maßnahmen und sei im Sinne des geschilderten Sachverhaltes eine Unterbrechung der Kausalkette eingetreten. Auf Grund dieser Tatsache bestehe nach Auffassung der belangten Behörde kein Anspruch auf Versorgung. Zu der Berufungseinwendung, die sich auf den Bescheid des Landesinvalidenamtes vom 10. November 1951 stütze, werde darauf hingewiesen, daß dieser Bescheid keine spruchmäßige Anerkennung von Gesundheitsschädigungen als Dienstbeschädigung enthalte und auch keine Gesundheitsschädigung im Sinne des Art. II, Abs. 5 des Bundesgesetzes vom 15. Dezember 1961 als anerkannt gelte, weil der Beschwerdeführer im Zeitpunkt des Inkrafttretens der zitierten Gesetzesbestimmung (1. Jänner 1962) nicht im Bezuge von Versorgungsleistungen nach dem KOVG 1957 gestanden sei. Daher bestehe hinsichtlich der Beurteilung der Kausalität des schädigenden Ereignisses keine Bindung an den genannten Bescheid. Im Hinblick auf die gesamten vorstehenden Ausführungen sehe die belangte Behörde keine Möglichkeit, den erstinstanzlichen Bescheid einer Änderung zu unterziehen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden. Der Beschwerdeführer erachtet sich nach seinem gesamten Vorbringen durch den angefochtenen Bescheid in seinem Recht auf Zuerkennung einer Beschädigtenrente nach dem KOVG 1957 verletzt.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß dem zur Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides erhobenen § 2 Abs. 1 erster Satz KOVG 1957 wird eine Gesundheitsschädigung, die ohne Zusammenhang mit einem schädigenden Ereignis im Sinne des § 1 durch unverschuldete Verwicklung in militärische Handlungen oder durch unverschuldete Einwirkung von Waffen und sonstigen Kampfmitteln als Folge militärischer Maßnahmen eingetreten ist, wie eine Dienstbeschädigung entschädigt.
Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem zu dieser Gesetzesstelle erflossenen Erkenntnis vom 28. April 1955, Zl. 825/52, zum Ausdruck gebracht hat, kann eine Gesundheitsschädigung lediglich dann als Folge militärischer Maßnahmen angesehen werden, wenn zwischen der militärischen Maßnahme und der Gesundheitsschädigung ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Als Ursache im Rechtssinn können nach diesem Erkenntnis nur diejenigen Tatsachen gewertet werden, die an dem Eintritt des Erfolges wesentlich mitgewirkt haben.
Im Beschwerdefall ist unbestritten, daß der Beschwerdeführer am 9. Juni 1945 ohne ein eigenes Verschulden - er ist damals erst zwei Jahre alt gewesen - durch die Explosion eines Sprengkörpers aus dem Zweiten Weltkrieg verletzt worden ist.
Die Auffassung der belangten Behörde, der durch das Herumliegen des Sprengkörpers begründete militärische Gefahrenbereich scheide als wesentliche Bedingung aus, weil der damals 14-jährige Bruder des Beschwerdeführers an dem Sprengkörper in Kenntnis seiner Gefährlichkeit hantiert und diesen zur Explosion gebracht habe, erweist sich als nicht frei von Rechtsirrtum.
Haben zwei Bedingungen zu einer Verletzung geführt, nämlich einerseits das Herumliegen von Munition, d.h. der versorgungsrechtlich geschützte militärische Gefahrenbereich, anderseits das Verhalten einer anderen Person, dann ist nicht entscheidend, ob der Dritte schuldhaft im Sinne des Zivilrechtes (§ 1294 ABGB) ebenfalls eine Bedingung zum Erfolg gesetzt hat; selbst wenn der Dritte, wie die belangte Behörde vermeint, leicht fahrlässig gehandelt hat, kann bei Abwägung der Bedingungen im Einzelfall dennoch der militärische Gefahrenbereich derart an Bedeutung überwiegen, daß er allein die wesentliche Bedingung und damit die Ursache im Rechtssinne darstellt. Solcherart wird durch Fahrlässigkeit eines Dritten die Rechtserheblichkeit des Gefahrenbereiches nicht ohne weiteres ausgeschlossen; ein gewisses Maß an zivilrechtlicher Schuld im Sinne des § 1294 ABGB des Dritten an dem von ihm mitverursachten Vorgang reicht nicht aus, um den Versorgungstatbestand des § 2 Abs. 1 erster Satz KOVG 1957 zu verneinen.
Es war daher im Beschwerdefall die militärische Gefahr des Sprengkörpers als wesentliche Bedingung zu werten. Aus den von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen ergibt sich zwar die Möglichkeit eines unvorsichtigen Verhaltens des damals 14-jährigen Bruders des Beschwerdeführers, nicht aber der Nachweis eines derart schwerwiegenden Verschuldens, daß darin die alleinige, rechtlich wesentliche Ursache der Schädigung des Beschwerdeführers erblickt werden müßte. Die in dem Sprengkörper verborgene militärische Gefahr war bei einem Hantieren durch einen unmündigen Minderjährigen (§ 21 Abs. 2 zweiter Satz ABGB) zumindest als wesentlich mitwirkende Bedingung für den Unfall anzusehen.
Da die belangte Behörde solcherart eine unzutreffende Vorstellung vom normativen Gehalt des § 2 Abs. 1 erster Satz KOVG 1957 zu erkennen gab, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Dieser war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff in Verbindung mit der Pauschalierungsverordnung BGBl. Nr. 104/1991.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1992090038.X00Im RIS seit
27.03.2001