Index
001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AZG §12;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Zeizinger und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des Bundesministers für Arbeit und Soziales gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 29. Jänner 1992, Zl. MA 63-G 7/91/Str, betreffend Bestrafung wegen Übertretungen des Arbeitszeitgesetzes (mitbeteiligte Partei: Ing. E, vertreten durch Dr. N, Rechtsanwalt in W), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
I.
1. Das magistratische Bezirksamt für den 16. Bezirk hatte unter dem Datum 27. November 1990 an die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren mitbeteiligte Partei (mP) ein Straferkenntnis gerichtet, mit dem diese schuldig erkannt worden war, sie habe es als gemäß § 9 Abs. 2 VStG 1950 verantwortlicher Beauftragter für die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes der J-Gesellschaft m. b.H. als Arbeitgeberin zu verantworten, daß diese Gesellschaft im Betrieb mit Standort W, S-Gasse 30a, am 21. Dezember 1989 den zum Schutz des Lebens und der Gesundheit von Arbeitnehmern erlassenen Vorschriften insofern zuwider gehandelt habe, als A) entgegen § 9 des Arbeitszeitgesetzes, BGBl. Nr. 461/1969, (AZG) für insgesamt 39 (namentlich genannte) Arbeitnehmer jeweils an mehreren (bestimmt bezeichneten) Tagen im November 1989 die tägliche Arbeitszeit jeweils mehr als zehn Stunden (im einzelnen aufgeschlüsselt) betragen habe, und B) entgegen § 12 leg. cit. für insgesamt sechs (namentlich genannte) Arbeitnehmer jeweils an zwei bestimmt bezeichneten Tagen im November 1989 keine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden nach Beendigung der Tagesarbeitszeit (im einzelnen aufgeschlüsselt) gewährt worden sei.
Gemäß § 28 AZG waren über die mP wegen Verstoßes (ad A) gegen § 9 leg. cit. und (ad B) gegen § 12 leg. cit. jeweils Geldstrafen (Ersatzfreiheitsstrafen) verhängt und gemäß § 64 VStG 1950 jeweils der von ihr zu entrichtende Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens bestimmt worden.
2. Aufgrund der dagegen erhobenen Berufung der mP behob der LH von Wien (die belangte Behörde) mit Bescheid vom 29. Jänner 1992 gemäß § 66 Abs. 2 AVG 1950 das Straferkenntnis und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde erster Instanz.
Zur Begründung führte die belangte Behörde - auf das Wesentliche zusammengefaßt - aus, es sei bereits im erstinstanzlichen Verfahren (von der mP) geltend gemacht worden, daß das Arbeitsinspektorat die Arbeitszeit aufgrund von Stechzeiten festgestellt habe, die jedoch die tatsächliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer im Lager- und Transportbereich aus verschiedenen Gründen (insbesondere wegen Miterfassung diverser Arbeitspausen und freiwilligen längeren Verbleibens im Unternehmen) nicht wiedergäben. Zum Beweis der Richtigkeit dieses Vorbringens sei ein Zeuge (Johann R.) namhaft gemacht worden.
Die Arbeitszeit beginne, sobald der Arbeitnehmer die Arbeit aufnehme oder dazu dem Arbeitgeber zur Verfügung stehe. Tätigkeiten, die der Vorbereitung der Arbeitsaufnahme dienten, z. B. Einrichten von Maschinen, Ausgabe von Material, Einteilung der Arbeit durch Vorgesetzte, zählten grundsätzlich zur Arbeitszeit. Das gleiche gelte auch für Aufräumen oder Säubern des Arbeitsplatzes bei Ende der Arbeit. Nicht als Arbeit würden dagegen jene Tätigkeiten des Arbeitnehmers bewertet, die überwiegend im eigenen Interesse lägen, wie etwa das Umkleiden oder Waschen. Daran ändere sich nichts, wenn solche Zeiten in bezug auf das Entgelt als Arbeitszeit behandelt würden.
Die belangte Behörde sei aufgrund des vorliegenden Sachverhaltes nicht in der Lage, mit der für das Verwaltungsstrafverfahren erforderlichen Sicherheit Beginn und Ende der Arbeitszeiten der einzelnen Arbeitnehmer zu beurteilen. Zur Klärung dieser entscheidungswesentlichen Frage werde die Erstbehörde den namhaft gemachten Zeugen sowie gegebenenfalls einzelne Arbeitnehmer zu befragen haben. Das Ergebnis der Ermittlungen werde in einer mündlichen Verhandlung mit dem Vertreter der mP zu erörtern sein.
3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf § 9 Abs. 2 des Arbeitsinspektionsgesetzes 1974 gerichtete Beschwerde, mit dem Begehren, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
4. Die belangte Behörde (unter Vorlage der Akten des Verwaltungsstrafverfahrens) sowie die mP erstatteten jeweils eine Gegenschrift mit dem Antrag auf Abweisung der Beschwerde als unbegründet.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Der Beschwerdeführer bringt vor, daß die Behörde erster Instanz bei der Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes, nämlich der Feststellung der geleisteten Tagesarbeitszeit und der den Arbeitnehmern eingeräumten täglichen Ruhezeiten, zu Recht die vom Arbeitgeber vorgelegten Arbeitszeitaufzeichnungen zugrunde gelegt habe. Dabei sei sie zutreffend davon ausgegangen, daß für Beginn und Ende der tatsächlichen täglichen Arbeitszeit die durch eine Stechuhr ausgewiesenen Zeitpunkte maßgebend seien. Die belangte Behörde habe den solcherart ermittelten Sachverhalt als mangelhaft angesehen, da ihrer Ansicht nach der tatsächliche Arbeitsbeginn nicht festgestellt worden sei und die Zeiten, die den Arbeitnehmern für Umkleiden oder Waschen zur Verfügung stünden, keine Arbeitszeit i.S. des § 2 Abs. 1 Z. 1 AZG darstellten. Diese Auffassung der belangten Behörde stehe im Widerspruch zur Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf das Erkenntnis vom 23. Mai 1989, Zl. 88/08/0005).
2.1. Gemäß § 2 Abs. 1 Z. 1 AZG ist Arbeitszeit i.S. dieses Bundesgesetzes die Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne die Ruhepausen.
2.2. Im Beschwerdefall ist auch von der mP unbestritten, daß im Betrieb der J-Gesellschaft m.b.H. in W, S-Gasse 30a, (u.a. im November 1989) zur Überwachung der Einhaltung der Arbeitszeit der Arbeitnehmer ein Kontrollsystem in Form einer Stechuhr bestand, und daß die Stempelkarten der in der Anzeige des Arbeitsinspektorates vom 13. Februar 1990 genannten Arbeitnehmer unter Zugrundelegung des Zeitpunktes des Eintreffens im Betrieb und des Verlassens desselben (bei Berücksichtigung einer dreißigminütigen Arbeitspause) eine Zeitspanne aufwiesen, die jeweils zehn Stunden überschritt bzw. elf Stunden unterschritt. Die mP behauptet jedoch, daß die Stechzeit die tatsächliche Arbeitszeit (und damit auch die ununterbrochene Ruhezeit) nicht wiedergebe.
Zu diesem Vorbringen ist unter Bezugnahme auf das in der Beschwerde zitierte hg. Erkenntnis vom 23. Mai 1989, Zl. 88/08/0005, darauf hinzuweisen, daß das Bestehen eines Stechuhr-Kontrollsystems impliziert, daß damit, also den auf den Stempelkarten aufscheinenden, das Eintreffen im Betrieb einerseits und das Verlassen des Betriebes anderseits markierenden Zeitangaben, der Beginn und das Ende der Arbeitszeit festgehalten, somit die tatsächliche Arbeitszeit, gemessen wird. Sofern keine besondere vertragliche Vereinbarung besteht - so hat der Verwaltungsgerichtshof in diesem Erkenntnis weiter ausgeführt -, ist das Betätigen der Stechuhr die jeweils erste und letzte tägliche "Arbeitshandlung"; innerhalb dieser Zeitraum befindet sich der Arbeitnehmer im Verfügungsbereich des Arbeitgebers, unterliegt seinen Weisungen und hält sich zur Arbeit bereit. Diese Arbeitszeit ist daher als Arbeitszeit zu qualifizieren.
Von daher gesehen hat der Beschwerdeführer recht, wenn er die Ansicht vertritt, dem angefochtenen Bescheid liege eine irrige Rechtsauffassung zugrunde. Denn das Bestehen des beschriebenen Kontrollsystems im genannten Betrieb der in Rede stehenden Gesellschaft schloß im Beschwerdefall die von der belangten Behörde im bekämpften Bescheid geäußerten Zweifel "über Beginn und Ende der Arbeitszeiten der einzelnen Arbeitnehmer" aus, weshalb es insoweit keiner "Klärung dieser entscheidungswesentlichen Frage" durch die Behörde erster Instanz bedurfte.
3. Dieses Ergebnis vermag das Vorbringen der mP in ihrer Gegenschrift nicht zu erschüttern.
Soweit sich die mP zur Stützung ihres Standpunktes, "daß Marken in Stempelkarten nicht zwingend das einzig zugelassene oder einzig geeignete Beweismittel für die Feststellung der tatsächlich erbrachten Arbeitszeit ist", und daß ein Gegenbeweis, etwa in Form eines Zeugen, zulässig sei, auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 2. Juli 1990, Zl. 90/19/0248, beruft, so übersieht sie, daß in dem diesem Erkenntnis zugrunde gelegenen Fall der Sachverhalt in einem entscheidenden Punkt anders gelagert war. Dort hatte nämlich der damalige einer Übertretung des KJBG schuldig erkannte Beschwerdeführer von Beginn des Berufungsverfahrens an darauf hingewiesen, daß in seinem Betrieb den Stempelkarten lediglich untergeordnete Bedeutung zukomme und die Arbeitszeit der einzelnen Arbeitnehmer vornehmlich in täglich angefertigten "händischen Aufzeichnungen" festgehalten werde. Während also dort zwei voneinander unabhängige die Arbeitszeit betreffende Kontrollsysteme installiert waren, von denen jenes unter Heranziehung der Stechuhr nur nachgeordnete Bedeutung hatte, ist der vorliegende Beschwerdefall in dieser Hinsicht durch das Bestehen lediglich eines derartigen Kontrollsystems, nämlich jenem der Stechuhr (der Stempelkarten) - daß ein weiteres bestünde, wurde von der mP nie behauptet -, gekennzeichnet. Diesfalls aber kommen die Erwägungen des Gerichtshofes in seinem vorzitierten Erkenntnis Zl. 88/08/0005 voll zum Tragen. Die Bezugnahme der mP auf weitere drei hg. Erkenntnisse geht deshalb fehl, weil in keiner dieser Entscheidungen die hier relevante Frage des Stellenwertes eines Stechuhr-Kontrollsystems zur Diskussion stand.
Wenn die mP in ihrer Gegenschrift darüber hinaus behauptet, die mit dem angefochtenen Bescheid angesprochene Verweisung der Angelegenheit an die Behörde erster Instanz gemäß § 66 Abs. 2 AVG 1950 sei deshalb geboten gewesen, weil die Erstinstanz die mP im Recht auf Parteiengehör verletzt habe und zudem der Spruch des Straferkenntnisses gegen § 44a VStG 1950 verstoße, so genügt dazu der Hinweis, daß die belangte Behörde nicht aus diesen Gründen von § 66 Abs. 2 AVG 1950 Gebrauch machte, folglich dieses Vorbringen im gegebenen Zusammenhang ohne Relevanz ist.
4. Da sich nach dem Gesagten der bekämpfte Bescheid als mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet erweist, war er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1992180097.X00Im RIS seit
11.07.2001